Mittwoch, 12. Juli 2017

Logik für Anfänger Didaktiker

Dass ich von der heutigen Mathematikdidaktik in Deutschland bis auf Ausnahmen von wenig mehr als ε Prozent nichts halte, sollte sich herumgesprochen haben. Es ist aber auch zu leicht, ihren Hauptprotagonisten Schlamperei und Unfähigkeit an allen Ecken und Enden nachzuweisen. Professor Aiso Heinze (wie fast alle seiner jüngeren Kollegen in der Didaktik hat auch er nie an einer Schule unterrichtet, sondern sich in die Wissenschaft von einem guten Unterricht hineinhabilitiert) hat Hochschuldozenten in MINT-Fächern befragt, welche Kenntnisse und Kompetenzen sie bei ihren Erstsemestern für notwendig halten und welche nicht. Wer mit Studien Erfahrung hat, die von der Telekom (oder von TI oder Casio) bezahlt werden, wird die Ergebnisse dieser Befragung nicht mit der ungeschminkten Wahrheit verwechseln; wer mag, kann die wesentlichen "Erkenntnisse" hier nachlesen.

"Tu Gutes und rede darüber", hat sich Herr Heinze gedacht und dem Göttinger Tageblatt ein Interview gegeben. Darin zeigt er sich überrascht von einigen Ergebnissen:

      "Ein überraschendes Ergebnis war für mich, dass 78 Prozent der 
        Befragten ein sicherer Umgang mit Taschenrechner und Computer
        wichtig ist", hebt Heinze hervor.

Was daran überraschend sein soll, wenn jemand MINT-Fächer studieren möchte, weiß ich beim besten Willen nicht. Wer zu doof ist, einen Taschenrechner zu bedienen, sollte nicht Ingeneur werden wollen. Deshalb erklärt Herr Heinze der Leserschaft, warum ihn das überrascht:

      "Das widerspricht der Darstellung eines Brandbriefes, den 
       Mathematik-Professoren im April veröffentlicht hatten. Darin 
       wurde der frühe Einsatz von Taschenrechnern kritisiert."

Jetzt wäre ich überrascht, wenn ich mich nicht daran gewöhnt hätte, dass Deutschlands Didaktiker keine große Ahnung vom Unterrichten oder von höherer oder nicht so hoher Mathematik haben. Ich werde also versuchen, Herrn Heinze zu erklären, was ein Widerspruch ist, und zwar mittels eines Beispiels, das man vor nicht allzu langer Zeit in Schulbüchern noch gefunden hat und in vielen auch heute noch findet, nämlich mit dem Beweis, dass die Quadratwurzel aus 2 irrational ist.

Hier nimmt man an, dass sich √2 = p/q als Bruch schreiben lässt, also als Quotient zweier natürlicher Zahlen p und q. Dabei darf man annehmen, dass der Bruch vollständig gekürzt ist. Das bedeutet, Herr Heinze, dass p und q sich durch keine Zahl > 1 gleichzeitig teilen lassen. Quadriert man die Gleichung √2 = p/q und schafft die Nenner weg, folgt 2q2 = p2. Daraus wiederum folgt, dass p gerade ist. Dann ist aber  p2 durch 4 und damit q2 durch 2 teilbar, d.h. auch q muss gerade sein. Wir haben also gezeigt, dass p und q gleichzeitig durch 2 teilbar sind, während wir doch angenommen haben, dass sie teilerfremd sind. Das, Herr Heinze, ist ein Widerspruch, weil zwei Zahlen nicht gleichzeitig teilerfremd sein können und einen gemeinsamen Teiler 2 besitzen können.


Nun zu dem, was Sie, Herr Heinze, nicht verstanden haben: Die Forderung nach einem sicheren Umgang mit dem Taschenrechner widerspricht nicht der Kritik im Brandbrief, wonach der exzessive Umgang mit dem Taschenrechner ab Klasse 7 dafür sorgt, dass die in Klasse 6 eingeführte Bruchrechnung sich durch Übung nicht festigen kann. Auf die Gefahr hin, meine wenigen Leser zu langweilen, will ich es Ihnen zu erklären versuchen: Man kann einen sicheren Umgang mit dem Taschenrechner erlernen, ohne dass man dies ab Klasse 7 übt; ebenso kann man mit 18 Jahren Pizzabote werden, ohne dass man mit 12 Jahren den Autoführerschein gemacht hat. Und man kann sich in diesem Land sogar dafür bezahlen lassen, Lehrern zu erklären, wie guter Unterricht funktioniert, ohne dass man jemals eine Klasse unterrichtet und erfolgreich zum Abschluss geführt hat. Das letzte Beispiel müssten Sie verstanden haben, ist es doch durch und durch kompetenzorientiert und direkt aus Ihrem Leben gegriffen.

Noch zwei kleine Nachträge:

1. Die im Bericht des Göttinger Tagblatts angesprochene "Podiumsdiskussion mit Vertretern aus Politik und Wissenschaft" zur Brandbriefkritik hat es nicht so mit den Vertretern aus der Wissenschaft gehabt: die Nichtpolitiker waren Heinze, Koepf und Elschenbroich, von denen die beiden letzteren in den vergangenen 20 Jahren aktiv und federführend am Abbau des Mathematikunterrichts beteiligt waren. Anscheinend konnte man Kritiker dabei nicht gebrauchen.

2. Den Brandbrief findet man hier (man kann ihn immer noch unterschreiben, indem man eine Email an Astrid Baumann schickt) , und in der Wirtschaftswoche ist in den letzten Tagen ein Artikel zum Bruchrechnen erschienen.

1 Kommentar:

  1. Dass man mit einer derartigen Argumentationsschwäche ein universitäres Amt bekleiden kann, unfassbar!

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