Mittwoch, 23. August 2017

GröDaZ Brügelmann

Letztens habe ich mich noch gewundert, wie ein studierter Jurist mit Aufbaustudium Grundschulpädagogik auf eine Professur "für Anfangsunterricht" an die Universität Bremen und später an die Uni Siegen berufen werden konnte, ohne jemals auch nur eine Woche an einer Grund- oder irgendeiner anderen Schule auch nur ein Kind unterrichtet zu haben, und wie es dazu kommen konnte, dass dessen am Schreibtisch ersonnenen abstrusen Theorien Grundlage der Grundschullehrerausbildung in ganz Deutschland geworden sind. Inzwischen habe ich gelernt, dass sich der Herr Brügelmann darüber selbst gewundert hat:

       Als ich 1980 von der Universität Bremen auf eine Professur für          
       Anfangsunterricht berufen wurde, hatte ich von Lese- und Schreibdidaktik
       kaum Ahnung. Um mich vor den Studierenden nicht zu blamieren, las 
       ich alles, was ich in die Hände bekam – und war irritiert: Überall konnte 
       ich lesen, wie man Lesen und Schreiben lehrt, aber ich fand kaum 
       empirische Befunde bzw. Erklärungsansätze dazu, wie Kinder lesen 
       und schreiben lernen.

Wir halten fest: die Universität Bremen stellte Professoren ein, die von ihrem Fachgebiet "kaum Ahnung" hatten. Und an der PH Schwäbisch Gmünd, an der Brügelmanns Jüngerin Frau Prof'in Erika Brinkmann leert und froscht, findet man das noch nicht einmal seltsam, sonst hätte diese das Bekenntnis des Führers ja wohl nicht dort hingestellt

Kritik an diesen didaktischen Überfliegern ist nicht neu, und das macht mir schon ein bisschen Angst: ist gegen diese Brut wirklich kein Kraut gewachsen? Günter Jansen hat Brügelmann in Grund und Boden geredet und geschrieben (ich weiß, dass Lesen Zeit kostet), und Rainer Dollase hat die Möchtegernpädagogen an PHs und Unis so beschrieben:

        Fachfremde Professorinnen und Professoren [. . . ] phantasieren 
        auf der Basis von Literatur sich neue pädagogische Theorien zusammen,
        bilden im Brustton der Überzeugung Lehrkräfte aus, die dann den Stoff 
        in Prüfungen perfekt herunterrasseln, ohne in irgendeiner Form 
        irgendetwas für die Praxis gelernt zu haben. 

Aber es scheint überhaupt keinen Fortschritt zu geben: die Schweine am Futtertrog der Hochschulen haben die Wissenschaft auf ihrer Seite, da hilft auch ein Fahndungsplakat nicht, das ich auf  diesem blog  gefunden habe:


Und der Spiegel, früher einmal ein angesehenes Nachrichtenmagazin, leistet sich heutzutage so etwas:
  
     SPIEGEL: Sie bestreiten trotz teilweise katastrophaler Studienergebnisse,
     dass es mit der Rechtschreibung seit Jahren  abwärts geht?

     Brügelmann: Ich sage, dass die Datenlage zu einem Rechtschreibverfall       
     widersprüchlich ist. Es gab zu den meisten Zeiten mehr Menschen mit 
     Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten als heute. Das zeigt aktuell die 
     repräsentative "leo."-Untersuchung.

      SPIEGEL: "leo." ist eine Untersuchung über funktionalen Analphabetismus. 
      Selbst in der Kategorie "Fehlerhaftes Schreiben" - in der die 40- bis 
      49-Jährigen übrigens besser abschneiden als die Jüngeren - geht es nicht 
      nur um die Rechtschreib-, sondern auch um die Lesefähigkeiten. 

Das ist echt unglaublich: der Professor "beantwortet" die Frage nach dem Abwärtstrend bei der Rechtschreibung mit einer Studie zum Analphabetismus von Erwachsenen. Erstaunlicherweise merken das die Interviewerinnen und erklären dem Experten, was Sache ist, machen dann aber so weiter:

         Unbestritten dagegen ist, dass Sie einer der einflussreichsten 
         Pädagogen Deutschlands sind. 
             
Hä? Einflussreich bestimmt, aber was macht den Größten Didaktoren aller Zeiten zum Pädagogen? Offenbar hat er nach seiner Emeritierung von seinem Fach noch genausowenig Ahnung wie zu Beginn, nämlich gar keine. Dass die Orthographie heute nicht mehr das ist, was sie einmal war, pfeifen inzwischen sogar die Spatzen in Siegen von den Dächern, wie man ebenfalls im Spiegel nachlesen kann. Ein Journalist hätte hier nachgebohrt; wie das geht, hätte man durchaus von "Erwin Pelzig" lernen können. Aber vermutlich wissen die Spiegel-Redakteusen gar nicht, wer das ist.

Günter Jansen hat guten Grund, auf Brügelmann sauer zu sein. Er hat nämlich selbst ein Lesebuch für die Grundschule geschrieben, das ich weder kenne noch beurteilen möchte. Das hat nämlich der Herr Brügelmann bereits in einem Gutachten getan, das er im Auftrag des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg erstellt hat, und er kommt zu dem unzweideutigen Schluss, dass man das Buch verbieten muss, und zwar aus folgenden Gründen:


  • Jansen/Streit nehmen die kognitive Wende in der pädagogischen 
  •       Psychologie,  die Einsichten konstruktivistischer Lerntheorien im 
          Anschluss an Piaget,  Wygotsky und andere, vor allem aber mehr 
          als 30 Jahre Schriftspracherwerbsforschung nicht zur Kenntnis.

    Das klingt vernünftig; wenn ein Autor die Forschungsergebnisse von Brügelmann nicht berücksichtigt, kann sein Buch ja nichts taugen. 
    • Vor allem aber wurde es nicht unter Normalbedingungen in Klassenzimmern evaluiert.
    Der ist echt gut. Brügelmanns Lesen durch Schreiben ist seit 15 Jahren in Gebrauch - wann wurde es unter Normalbedingungen in Klassenzimmern evaluiert? Wie die FAZ im März 2015 berichtet hat, sieht es so aus:
    •  Bei ihrer Tagung in Leipzig haben sich die Kultusminister dazu durchgerungen, zum ersten Mal bei einem Ländervergleich für die Grundschule auch die Rechtschreibung zu untersuchen. [ . . . ] Umso notwendiger wird es werden, bestimmte Unterrichtsmethoden und ihre Effekte auf den Lernerfolg zu erforschen. Auf diese Weise wird untersucht, ob das Schreiben nach dem Hören (phonetische Schreibung), das in nahezu allen Ländern in den ersten beiden oder gar drei Schuljahren der Grundschule üblich ist, zu schlechteren Rechtschreibkenntnissen führt.
    Nach 15 Jahren Schreiben nach Gehör wird also unter Normalbedingungen in Klassenzimmern untersucht, ob diese Methode zu schlechteren Rechtschreibkenntnissen führt. Das wird der Grundschulverband, so etwas wie der legale Arm von Brügelmann und Brinkmann, nicht gerne hören, denn das letzte, was das Duo möchte, ist, dass Kinder in der Grundschule Lesen und Schreiben lernen. Deshalb hat der Verband auch in einem offenen Brief Ministerpräsident Kretschmann  aufgefordert,  er möge seine Kultusministerin an die kurze Leine nehmen, nachdem diese das Schreiben nach Gehör kritisiert hatte. Inzwischen ist sie von einem Verbot des Schwachsinns aber wieder abgerückt.

    Das deutsche Bildungssystem ist echt nicht mehr zu retten.
      


    1 Kommentar:

    1. Was soll man als Normaldenkender eigentlich dazu noch sagen? Ist es tatsächlich kolossale Inkompetenz, die diese Didaktiker antreibt, oder vielmehr böse Absicht?

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