Montag, 19. Februar 2018

Mädchenfreundliche Mathematik inklusiv

Zu den Segnungen des Mathematiklehrerdaseins gehört es, dass man regelmäßig Bücher und Arbeitshefte verschiedener Verlage zugeschickt bekommt. Diese erlauben es einem, in Sachen Lehrbuchmarkt auf dem neuesten Stand zu sein und sich wieder in Erinnerung zu rufen, warum man mit diesen Dingern nicht unterrichtet. An manchen Tagen, und heute war wieder so einer, fragt man sich aber, warum die Deutschen ihre Tradition des Bücherverbrennens 1945 aufgegeben haben.

Das Arbeitsheft Flächen und Körper des Cornelsen-Verlags für die Klassen 7/8 von differenzierenden Schulformen (damit sind meines Wissens zwar vor allem die neuen Realschulen nebst Gesamt- und Gemeinschaftsschulen gemeint, aber differenzierenden Unterricht machen ja inzwischen alle) stammt aus der Reihe klick!inklusiv. Diese wurde von Prof. Dr. Franz-B. Werner entwickelt, seines Zeichens Professor für "Rehabilitation und Pädagogik bei Lernbehinderungen", zusammen mit einer Reihe von kompetenten Frauen und zwei Quotenmännern. Zwei dieser Frauen, Elisabeth Jenert und Petra Kühne, haben auch das vorliegende "Arbeitsbuch" "erarbeitet" (im Englischen nennt man solche Anführungszeichen "scare quotes"). Die Aufgaben, die mir am besten gefallen haben, sprechen für sich.



Die wesentlichen Dinge müssen zu Beginn geklärt werden. Besonders in der Mathematik. Der zweite Punkt, der bei Arbeitsbüchern wichtig ist, welche Verlage für viel Geld verkaufen (an Schulen, die blöd genug sind, diese zu  - aber lassen wir das), ist dass weißes Papier sich viel teurer verkaufen lässt, wenn es Teil eines Arbeitsbuchs ist:

Gemeinsames Malen in Partnerinnen- und Gruppinenarbeit erhöht die Motivation und lässt auch Schülerinnen erkennen, dass Mathematik ihrer Lebenswirklichkeit entstammt:

Das ist aus dem Lösungsband. Mit der blauen Fläche haben sich die Mädels offenbar schwer getan, aber der rote Umfang ist schon ganz gut gelungen.


Den Preis für mädchenfreundliche Mathematikbücher wird dieses nicht bekommen, zum einen, weil der Preis seit 2013 nicht mehr verliehen wird, zum zweiten, weil es nicht mädchenfreundlich ist. Dazu müssten nämlich

          "Mädchen und Jungen / Frauen und Männer paritätisch vorkommen, 
           die Interessen der Mädchen ebenso berücksichtigt werden wie die 
           von Jungen,"

und das ist hier offensichtlich nicht der Fall. Weder noch.


Hier fallen mir sehr viele Möglichkeiten ein, die Zeichnungen zu Rechtecken zu vervollständigen, und die meisten haben sehr verschiedenen Flächeninhalt. Weiter scheint mir, dass es sich hierbei nicht einmal mehr um betreutes Rechnen, sondern schon um betreutes Malen handelt. Ansonsten kann ich mich nicht erinnern, dass uns seinerzeit auf der Grundschule beigebracht wurde, wie man solche Zeichnungen zu Rechtecken ergänzt. Ich kann mich auch nicht erinnern, das je geübt zu haben oder jemand dabei beobachtet zu haben, wie er (oder sie) das übt. Aber ich habe schon ganz andere Sachen vergessen.

Und der Dativ ist dem Genitiv sein Tod.

Das beste kommt wie fast immer zum Schluss:

Die Lösung gibt 3*3*12 = 108 Kisten. Hätten die beiden Frauen eine Ahnung vom Verstauen von Kisten in Containern oder ähnlichen Tätigkeiten, hätten sie gesehen, dass die Wände von Containern etwas dicker sind als ein Blatt Papier.

Ich beginne mich langsam, auf die Digitalisierung unserer Schulen zu freuen. Ich schaue den Schülern dann beim Forschen zu und lese nebenher Bücher. Solange es noch welche gibt.

A propos: Sucht jemand einen Mittfünfziger mit guten Mathematikkenntnissen? Männlich?

Donnerstag, 15. Februar 2018

Equal Pay Day

Der ehemalige Hoffnungsträger der SPD aus Würselen hat es im "Wahlkampf" durch twitter gejagt:

           "Warum bekommen unsere Töchter 21% weniger Gehalt als 
             unsere Söhne? Als Vater macht mich das wütend. Als Bundeskanzler 
             will ich das ändern."

Auch unser lokales Käseblatt hat pünktlich zum equal pay day, das ist nach Auskunft der Redakteuse Eva-Marie Mihai

          "der Tag im Jahr, bis zu dem Frauen umsonst arbeiten, um an das 
            Gehalt der Männer heranzukommen",
die Tatsache hinausposaunt, dass Frauen 21 Prozent weniger verdienen. Oder wie Frau Mihac schreibt:

            1918 - Frauen dürfen in Deutschland zum ersten Mal wählen.
             Historischer Fakt.
            2018 - Frauen verdienen in Deutschland 21 Prozent weniger
             als Männer. Das wird für Geschichtsschüler in hundert 
             Jahren ebenfalls ein verdammter Fakt sein

Hätte sie den Artikel verstanden, den sie geschrieben hat, dann wäre ihr sicherlich aufgefallen, dass diese Zahl einer sehr seltsamen Mittelwertbildung entspringt und nicht das bedeutet, was die Aussage eigentlich suggeriert. Es ist nämlich beileibe nicht so, dass Frauen in der gleichen Stellung weniger verdienen als Männer, jedenfalls keine 21 %. Der größte Teil dieses "gender pay gap" kommt daher, dass es Frauen in schlecht bezahlte Berufe zieht.

Ich kenne das aus meiner Erfahrung: wenn Frauen die Wahl haben zwischen einem Lehramtsstudium für Gymnasien an einer Uni und einem für Grund- und Realschulen an unseren lächerlichen Pädagogischen Hochschulen, dann entscheiden sie sich meist für Letzteres. Warum hat meine Tochter in der Grundschule keinen einzigen Lehrer gehabt, sondern nur Lehrerinnen?

Will man also die (selbstgewählte) Benachteiligung der Frau anschaulich machen, muss man tief in die Trickkiste der suggestiven Graphiken greifen. Frau Mihai hat diesen Teil der Aufgabe mit Bravour gemeistert:



Hier kann man die Benachteiligung der Frauen deutlich an den viel kleineren Balken erkennen. Vermutlich. Oder vielleicht, wenn man auch noch erklärt bekäme, was die Zahlen bedeuten.

Ein bisschen Recherche bringt einen zumindest auf die richtige Spur nach den Zahlen, die auf der vertikalen Achse angebracht sind. In Ostwürttemberg gib es etwa 230.000 Arbeitnehmer, folglich dürften links die Anzahl der Beschäftigten in 1000 stehen. Auf der horizontalen Achse dagegen hat es den Anschein, dass es um den Monatsverdienst (Brutto oder Netto? Wird egal sein) geht.

Das Balkendiagramm hat Frau Mihai vermutlich selbst erstellt, das legt zumindest ihr Satz

            Und wer auf regionaler Ebene nach Zahlen recherchiert, wäre
             besser bedient sich mit einem stumpfen Löffel einen Rammbock 
             zu schnitzen, als gegen ein Bollwerk aus Verschwiegenheit von
             Wirtschaft und Behörden anzugehen.  

nahe. Zu diesem Satz gibt es einiges zu sagen.

  1. Man recherchiert nicht nach Zahlen, sondern man sucht nach Zahlen. Man recherchiert zu einem Thema, etwa zum gender pay gap.
  2. Das Komma, das nach "bedient" fehlt, ist wieder einmal vor das "als" gerutscht. Das scheint eine Berufskrankheit der Zeitungsfritzen zu sein, und zwar eine ansteckende.
  3. Löffel sind von Natur aus stumpf; die spitzen Dinger heißen Messer.  
  4. Ich habe noch nie einen geschnitzten Rammbock gesehen. Im Wesentlichen nimmt man dazu wohl einen schweren Baumstamm.
  5. Warum es besser sein soll, mit einem stumpfen Löffel einen Rammbock zu schnitzen als nach Zahlen zu suchen, erschließt sich mir nicht ganz. Ich vermute, Frau Mihai wollte einfach nur sagen, dass Recherchen mühselig sind.
  6. Dass die Zahlen zum Einkommen von Berufstätigen in Ostwürttemberg nicht auf der erstbesten Webseite zu finden sind, hat Gründe. Ich begnüge mich mit einem: Wieviel verdienen Sie denn so pro Monat, Frau Mihai?
Als einen Grund, warum der gender pay gap immer noch so "astronomisch" ist, nennt Frau Mihai "250 fehlende Kita-Plätze" in Ostwürttemberg. Das erscheint mit jetzt nicht ganz richtig durchdacht zu sein. Denn wenn man diese Plätze einrichtet, braucht man mehr Erzieherinnen. Und diese können dann alle nicht Managerin bei Daimler werden. Oder, und das würde ich begrüßen, Gendermainstreamerin bei der Ipf- und Jagst-Zeitung.