Sonntag, 25. November 2018

Noch eine realitätsbezogene Aufgabe . . .

Aufgaben aus der Lebenswelt der Schüler  haben den Mathematikunterricht revolutioniert; fehlende Motivation ist dank der vorzüglichen Arbeit unserer Didaktiker ein Phänomen der Vergangenheit. Die realitätsnahe Aufgabe, auf die ich heute zurückkomme und die aus dem Lambacher-Schweizer (Kursstufe BW (2009), S.151) stammt, habe ich schon hier verwurstet:



Dass hier Energie und Leistung velwechsert wurde, und dass dieselbe bei einer Geschwindigkeit von 2 m/s relativ zum Wasser unendlich groß wird, beweist eindrucksvoll, dass die Lehrbuchautoren beim Anwendungsbezug sämtliche physikalischen Gesetze außer Kraft setzen können, und zwar problemlos. Wenn diese Aufgabe realitätsnah ist, dann nur in einem Universum, in dem die Lichtgeschwindigkeit 2 m/s beträgt; wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich die ganze Didaktik gerne in diese Realität versetzen - das wäre nun wirklich einmal win-win.

Was mich seit meiner ersten Beschäftigung mit dieser Aufgabe nicht losgelassen hat war die Frage, wie jemand sich eine so offensichtlich bescheuerte Aufgabe ausdenken kann. Tatsächlich stammt die Aufgabe aus dem Buch Mathematik für Biowissenschaftler von Adolf Riede, wobei "stammt von" nicht ganz wahrheitsgetreu ist, wovon man sich leicht überzeugt, wenn man dort in Abschnitt 9.5.6 schaut: dort geht es um einen Fisch, der mit der Geschwindigkeit v flussaufwärts von A nach B schwimmt. Weil der Widerstand proportional zu vr für eine Konstante r, die zwischen 2 und 3 liegt, ist der Energieverbrauch gegeben durch den Ausdruck E = c vr für eine (von r abhängige) Konstante c. Ist w die Geschwindigkeit des Wassers, braucht der Fisch für die Strecke s von A nach B die Zeit t = s/(v-w), und damit ist der Energieverbrauch gegeben durch E = csvr /(v-w).

Das, Herr Blum, Herr Greefrath und Frau Kaiser, nennt man eine Modellierung. Was Sie daraus gemacht haben, ist eine Perversion einer wissenschaftlichen Methode. Jedenfalls, was unser Universum betrifft.

Wenn man von Riedes Beispiel die ganze Physik weglässt, die man als heutiger Schulbuchautor nicht mehr versteht, und wenn man dann als Autor noch zu doof zum Abschreiben ist, dann kann es sein, dass eine derart pervertierte Aufgabe im Lambacher-Schweizer landet.     

Was auch noch auffällt: zwar werden auf S. 459 einige Textquellen genannt, aus denen die Autoren des LS Aufgaben entnommen haben, und selbst die Erklärungen für die Stichwörter "Euphemismus" und "Wachstum" mussten die Autoren bei wikipedia abschreiben, eine Quelle für die Fischaufgabe wird allerdings nicht genannt. Wenn das Schüler (für die Genderista; SuSen) machen, nennt man das Plagiat.

Dienstag, 6. November 2018

Wozu ist das gut?

Die Frage nach dem Sinn des Mathematikunterrichts ist nicht neu; allerdings haben die Antworten, welche die Didaktik seit den 1990er Jahren gegeben hat (Heymann vor allem), den Mathematikunterricht an Gymnasien in einem Ausmaß pervertiert, wie man sich das vor 30 Jahren nicht hat vorstellen können. Ich muss daher, wenn ich heute eine Antwort auf diese Frage gebe, nicht fürchten, dass das negative Auswirkungen auf den heutigen Mathematikunterricht haben könnte - dazu fehlt mir der Einfluss und dem  Lehrplan Niveau.

Zu Beginn werfe ich einen Blick zurück auf die Anfänge der Mathematik, soweit sie uns bekannt sind. Warum haben die Babylonier (genauer deren Vorgänger, die Sumerer) begonnen, Mathematik zu treiben und zu unterrichten? Weil sie auf Tontafeln geschrieben haben, von denen Tausende, die sich mit Mathematik befassen, zumindest teilweise erhalten sind, wissen wir relativ gut darüber Bescheid, womit sie ihre Schreiberlehrlinge gequält haben.

Unter den Aufgaben sind viele Teil-Probleme, bei denen etwa ein Erbe unter Brüdern "gerecht" aufgeteilt werden sollte, also etwa so, dass jeder Bruder denselben Betrag mehr bekommt als der nächstjüngere. Dazu muss man mit linearen Gleichungen umgehen lernen. Weil neben Geldbeträgen (also im wesentlichen Silber) auch Felder vererbt wurden, hat man sich auch mit der Teilung von Feldern bzw. der Bestimmung des Flächeninhalts von Drei- und Vierecken befasst. Viele solcher Aufgaben benutzen etwas, was wir den Strahlensatz nennen, und Probleme, bei denen der Satz des Pythagoras anzuwenden ist, führen regelmäßig auf quadratische Gleichungen. Auch das Leihen von Geld und Zins nebst Zinseszins musste, damit eine Gesellschaft funktioniert, berechnet werden können. Wieviel Erde muss bewegt werden, um eine Rampe an eine Mauer zu bauen oder einen Graben auszuheben, wie viele Arbeiter brauchte man dafür, und wieviel Brot, Bier und Silber benötigt man, um diese zu bezahlen?

Relativ schnell hat der Unterricht aber auch Aufgaben hervorgebracht, die mit der Organisation der Gesellschaft wenig bis nichts zu tun hatten: Wenn man ein Korn Getreide jeden Tag verdoppelt, wie viel hat man nach einem Monat? Welche Zahl erhält man, wenn man eine Zahl (etwa 9) 46 mal mit sich selbst multipliziert? Wie groß ist die Fläche eines Felds, das 1 km lang und 1 mm breit ist?

Wie sieht die Sache heute aus? Selbstverständlich führt kein Weg an dem vorbei, was man unter bürgerlichem Rechnen versteht; dies unterscheidet sich inhaltlich wenig von dem, was bereits die Babylonier machten.

Für die Gesellschaft als solche noch wichtiger als diese "Trivialitäten" erscheint mir etwas anderes. Ist unsere Gesellschaftsordnung gerecht? Warum sind Pensionen üppiger als Renten? Warum müssen gesetzlich Versicherte länger als privat Versicherte auf einen Arzttermin warten? Warum funktioniert die Mietpreisbremse nicht? Dahinter stecken Gesetze, solche die man gemacht hat und solche, die man nicht gemacht hat. Dass sich Renten anders entwickeln als Pensionen liegt auch daran, nach welchen Formeln die jeweiligen Erhöhungen berechnet werden.
Dass gesetzlich und private Versicherte anders behandelt werden liegt daran, dass Ärzte bei ihren Behandlungen unterschiedlich bezahlt werden. Dahinter steckt Mathematik, und wer die nicht versteht, ist darauf angewiesen, das zu glauben, was einem die Lobbyisten (Ärzteverband, Krankenkassen usw.) vorrechnen.

Für solche Aufgaben sind 7 Jahre, wie sie Heymann vorgeschwebt haben, eben nicht genug. Dazu reicht es auch nicht, wenn man weiß, wie man die Summe zweier Brüche in den Taschenrechner oder eine Funktion in den GTR eintippt. Hier muss man "denken lernen", also mit Voraussetzungen und Folgerungen umzugehen lernen.

Ein anderes modernes Problem sind Daten und Algorithmen. Den meisten Leuten ist nicht klar, wie gefährlich das Sammeln von Daten und deren Auswertungen sind. Ein Blick in die USA lohnt sich auch hier. Dort ist es bereits heute so, dass manche Kündigungen (etwa von Lehrern, deren Schüler bei Tests schlecht abschneiden, weil der Vorgänger beim Vorgängertest geschummelt hat) von Algorithmen ausgesprochen werden, oder dass Tarife bei Versicherungen zu 100% von einer Maschine berechnet werden, ohne dass ein Mensch darauf überhaupt noch Einfluss nehmen kann. Auch dahinter steckt natürlich Mathematik, aber deswegen sind die Entscheidungen der Maschine natürlich noch nicht gerecht. Welche Macht hat der, der den Algorithmus entwickelt hat? Wodurch ist diese Macht legitimiert? Das kann man kaum auf der Schule machen, aber wenn man im Studium die Mathematik lernen muss, die einem die Schule nicht mehr vermitteln kann, bleiben für solche Fragen wenig Zeit.

Eine ganz andere Antwort auf die Sinnfrage der Mathematik ist natürlich die des Wissenschaftlers: Schon Galilei hat bemerkt, dass das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben ist. Ohne Mathematik gibt es kein Newtonsches Gravitationsgesetz und erst recht keine Einsteinsche Relativitätstheorie, keine Quantentheorie  (und eben auch keinen Kernspintomographen oder sichere Webseiten, auf denen man Bestellungen tätigen oder bezahlen kann).  Und dann wäre da noch die Antwort des Mathematikers, der die Mathematik faszinierend und schön findet, wobei ihm klar ist, dass diese Schönheit Nichtmathematikern ähnlich zugänglich ist wie die Schönheit von Beethovens 5. Sinfonie einem Tauben, der die Partitur vor sich hat.

Welchen Sinn hat nun der Mathematikunterricht? Im heutigen Zustand praktisch kaum einen - der Anwendungsfetischismus, den uns die Didaktik (Blum, Kaiser, Barzel, Reiss, Kaiser, Elschenbroich, Herget, Greefrath, Leuders und die ganze Bagage) seit PISA beschert hat, hat die Schulmathematik fürchterlich verunstaltet.  Die Inhalte sind inzwischen so weit ausgedünnt, dass es kaum mehr Zusammenhänge gibt, die Schüler verstehen könnten. Man hat versucht, den Unterricht so zu gestalten, dass den Schülern möglichst alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden. Das kann nicht das Ziel eines guten Unterrichts sein; ein solcher muss den Schülern zeigen, wie man mit Schwierigkeiten umgeht. Und die Dinge, die Schülern Probleme bereitet haben, sind inzwischen weg: geometrische Beweise, vollständige Induktion, Definitionen, Ungleichungen, Grenzwerte usw. wurden nach und nach entsorgt, um die Abiturientenquote auf 50 % eines Jahrgangs zu heben. Natürlich waren diese Dinge schwer. Genau deswegen hat man sie ja unterrichtet. Heute müssen auch die guten Schüler das glauben, was der Lehrer ihnen sagt. Warum sollten solche Schüler mit 23 Jahren mit dem Denken beginnen?

Freitag, 2. November 2018

Frauenpower

     Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette 
       Widmann-Mauz  [ . . . ], will mit Verbänden und Organisationen 
       künftig nur noch dann Gespräche führen, wenn diese dabei auch 
       von mindestens einer Frau  vertreten werden.

So kann man es im Spiegel  und anderswo lesen.

     Treffen nur mit männlichen Vertretern wird es nicht mehr geben, 
     sagte Widmann-Mauz der "Bild"-Zeitung. "Wir brauchen mehr 
     Frauenpower", betonte sie.

Gleichberechtigung, wie man sie früher einmal verstanden hat, bedeutete, dass man wegen seines Geschlechts keine Vor- oder Nachteile bekommt und gleiche Rechte besitzt. Heute bedeutet Gleichberechtigung, dass man einfach Pech hat, wenn man ein Mann ist. Dumm für diejenigen, die das alles der  links-rot-grünen Gleichmachereipolitik zuschreiben wollen, ist das Parteibuch von Frau Widmann-Mauz: die ist nämlich von der CDU.

       "Die Physik wurde von Männern erfunden und aufgebaut": Ein Physiker
       am weltweit größten Forschungszentrum für Teilchenphysik hat sich
       diffamierend über Frauen geäußert. Das hat Konsequenzen.
     
Auch das war vor einigen Wochen im Spiegel zu lesen gewesen. Die Konsequenzen waren seine Suspendierung. Anscheinend war dem Physiker entgangen, dass nach jüngsten Forschungen von Inhabern der Lehrstühle für Physik und Gender die Theorien der Schwerkraft, die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik in Wirklichkeit auf Frau Newton, Frau Einstein, Frau Heisenberg, Frau Schrödinger und Frau Feynman  zurückgehen. Hier eröffnet sich Frau Widmann-Maunz noch ein weites Betätigungsfeld: Arbeiten zu Physik (und, wo wir gerade dabei sind, zu Mathematik und anderen harten Wissenschaften) dürfen nur noch gelesen und von Bibliotheken aufbewahrt werden, wenn mindestens eine Frau gleichberechtigte Koautorin ist. Auch die Fußball-Bundesliga ist eine frauenrechtlich dubiose Veranstaltung, und es kann ja nicht sein, dass dort in Mannschaften 11 Männer mitspielen - man kann die Vereine problemlos dazu verpflichten, künftig mindestens 6 Frauen aufstellen zu müssen. Dem Spiel des VfB wird es womöglich nicht einmal schaden. In einem zweiten Schritt könnte dann die Abschaffung des aktiven und passiven Wahlrechts für alle Männer stehen. Vorher wird es mit dem Paradies der Gleichberechtigung vermutlich ohnehin nichts. 

Nachtrag 12.11.: Heute steht in der Zeitung, dass Justizministerin Katarina Barley (SPD) das Wahlrecht ändern will, um den Frauenanteil im Bundestag zu erhöhen.

Nachtrag 20.11.: Alisha Matthewson-Grand beklagt im Guardian beklagt das Fehlen von Frauen im Schach und fragt, was man da machen könne. Es folgen die üblichen Verdächtigen (Männer werden im Fernsehen bevorzugt, die Vorbilder Fischer, Kasparov und Carlsen sind männlich usw.). Von allen Kommentaren (meist von Männern) hat mir einer außerordentlich gut gefallen, weil er die Antwort, was man als Frau machen könne, um die männderdominierte Schachwelt zu "normalisieren", auf den Punkt bringt:  Üben!