Mittwoch, 2. Dezember 2020

Voll die dumme Aufgabe

Springer hat eine neue Buchreihe, nämlich "Studien zur theoretischen und empirischen Forschung in der Mathematikdidaktik"  (das ist jetzt keine Nachricht - die Anzahl der Buchreihen hat ähnlich zugenommen wie die Anzahl der Studiengänge mit einem englischen Namen), in welcher Greefrath, Schukajlow und Siller die Doktorarbeiten ihrer Doktoranden veröffentlichen. Jeder Doktorand darf eine Studie auswerten, welche die Doktorväter seit Jahren in diversen Publikationen durchgenudelt haben, und bekommt dann den Titel und die Buchveröffentlichung. Win-Win-Win für alle Beteiligten, aber ich fange an darüber nachzudenken, was einen Verlag, der alles publiziert, qualitativ von den vielen kleinen Verlagen unterscheidet, die auch alles publizieren. 

In einem dieser Bücher habe ich eine Modellierungsaufgabe gefunden, die ebenfalls seit vielen Jahren veröffentlicht und wieder aufgewärmt wird; zum ersten Mal aufgetaucht ist sie Katja Maaß und Johannes Gurlitt 2010:

It is the start of the summer holidays and there are many traffic jams. Chris has been stuck in a 20-km traffic jam for 6 hours. It is hot and she is longing for a drink. How long will the Red Cross need to provide everyone with water?

Kann man fragen. Und die Aufgabe ist so gut, dass sie 4 Jahre später von denselben Autoren noch einmal aufgewärmt wird:


Das Wasser kommt jetzt vom Roten Kreuz - das macht die Sache leichter. Klock und Wess (zwei der oben genannten Doktoranden) haben das übersetzt:

Zu Beginn der Sommerferien kommt es oft zu Staus. Christina steckt für 6 Stunden in einem 20 km langen Stau fest. Es ist sehr warm und sie hat großen Durst. Es kursiert das Gerücht, dass ein kleiner Lastwagen die Leute mit Wasser versorgen soll, aber sie hat bisher noch nichts erhalten. Wie lange wird der Lastwagen benötigen, um alle Leute mit Wasser zu versorgen? 

Zumindest haben sie es versucht. Während Chris 6 Stunden im Stau gestanden hat, steht Christina für 6 Stunden im Stau. Wie man sehen kann, wurde die Aufgabe durch diesen kleinen Trick weiter geöffnet, weil jetzt nicht mehr klar ist, ob die 6 Stunden eben angefangen haben oder schon vorbei sind.

Solche Aufgaben sind sehr lehrreich. Ich verwende sie gern und oft, um herauszufinden, wie Didaktiker die Welt sehen. Die vorliegende Aufgabe ist, obwohl sie von einer Frau stammt, etwas frauenfeindlich. Da wird suggeriert, dass Christina mit dem Auto in die Ferien fährt, wenn alle fahren, und dann in einen Stau kommt, den man bei Ferienbeginn erwartet, um dann festzustellen, dass sie kein Wasser mitgenommen hat. Jetzt ist es heiß, sie hat Durst, und guter Rat ist teuer. Weiter ist gar nicht klar, was Christina in der Aufgabe verloren hat. Wenn Christina die durstige Christina wäre, dann würde sie sich fragen, wie lange der Lastwagen braucht, bis er bei ihr ist. Und das hängt dann schwer davon ab, ob die 6 Stunden erst anfangen (dann ist sie am Stauende und kommt schnell dran) oder schon vorbei sind (dann ist sie am Stauanfang und darf nicht losfahren, weil sich sonst der Stau samt Aufgabe auflöst). Christinas einzige Aufgabe ist es, die 20 km und die 6 Stunden in die Aufgabe zu bringen. 

Weiter lernen wir, wie sich Didaktiker einen Stau vorstellen. Offenbar liegt der Aufgabe  die Vorstellung zugrunde, dass Christina in einem 20 km langen Stau steckt, der sich für 6 Stunden nicht vom Fleck bewegt, bei dem hinten kein Auto hinzukommt und vorne keines wegfährt. Das ist kein Stau, das ist eine Vollsperrung der Autobahn.

Wir wollen uns nicht fragen, wie der Lastwagen durch einen solchen Stau fährt - vermutlich ist der Standstreifen frei. Allerdings reichen die Angaben natürlich nicht aus, um die Zeit abzuschätzen, die das Rote Kreuz braucht. Sind normale Menschen im Stau, muss man alle 50 m ein paar Sixpacks Wasser ablegen; die Leute können sich dann selbst bedienen. Sind viele Didaktiker unter den Stauenden (nicht die Enden des Staus, sondern die männlichen, weiblichen und transen Personen, die im Stau stecken), muss das Rote Kreuz anhalten und ihnen die Bedienungsanleitung für die Wasserflaschen vorlesen - das kostet natürlich Zeit, vor allem wenn Christina ihr Wasser aus Gründen der Gleichberechtigung nicht von einem alten weißen Mann entgegennehmen will, sondern lieber wartet, bis eine junge Frau mit farbiger Haut daherkommt.

Schüler halten von solchen Aufgaben weit weniger als ich:


Offenbar merken die Kaiser unter den Didaktikern selbst dann nicht, dass sie keine Kleider anhaben, wenn man es ihnen sagt.

Ebenfalls dem gleichen Buch (Raphael Wess, Professionelle Kompetenz zum Lehren mathematischen Modellierens) entstammt die Heißluftballonaufgabe, die Herget (ein Meister im Erfinden bescheuerter Aufgaben, etwa zum Wasserstand in Badewannen oder Zeit-Weg-Diagramme beim Angeln) seit 20 Jahren in vielen Variationen (gleicher Text, verschiedene Bilder) veröffentlicht. Dabei kann man die Frage, wie viel Kubikmeter heiße Luft in diesen Ballon passen, schnell beantworten: So viel wie in einen halben Didaktiker.


Samstag, 28. November 2020

Astronomie an die Grundschulen!

 Ich halte wenig von Quantentheorie im Kindergarten. Über Astronomie auf der Grundschule kann man sich unterhalten. Allerdings wäre mir lieber, dass die Kinder zuerst Rechtschreibung und Zeichensetzung lernen. Die Frage ist nur: von wem?






Daran wird es, wohl liegen.


Freitag, 27. November 2020

Alter Wein in neuen Schläuchen

Ich zitiere im Folgenden aus einem satirischen Buch über Erziehungswissenschaften:

    Zu Beginn der Vorlesungen auf diesem Gebiet an der Universität  hatten die Professoren der Pädagogik wenig Inhaltliches zu unterrichten. Sie verbrachten die meiste Zeit damit, ihre Studenten durch Regeln und Beispiele zu ermutigen und bei ihrem Erlernen des Unterrichtens auf der Grundschule und der weiterführenden Schule zu leiten. 

Sie gaben praktische Hinweise zur Organisation und Verwaltung von Klassen, beschrieben einige Faustregeln, die in manchen Situationen wertvoll sein könnten, und erzählten Geschichten über die guten und die schlechten Lehrer, die sie gekannt hatten.

Die rohe und naive Arbeit der Professoren für Erziehungswissenschaften wurde von den Fachwissenschaftlern verachtet. [ . . . ] Die akademische Verachtung für die Pädagogik hatte eine gute Wirkung auf die Erziehungswissenschaftler. Angestachelt von den berechtigten Verweisen auf ihren niedrigen kulturellen Status beschlossen sie, ihrer Disziplin zu Ansehen zu verhelfen.

Sie erreichten dieses Ziel mit einem großen Maß an Energie und Selbstverleugnung. Zuerst organisierten sie ihr Fach systematisch und zerlegten die Inhalte in respektable kleine Einheiten, errichteten Schranken, um Professoren von Ideen außerhalb ihrer eingeschränkten Fachgebiete zu isolieren, und verlangten immer mehr Spezialisierung, um spärliches Wissen und breite Ignoranz zu erreichen, welche die steinzeitliche Universität von ihren ausgezeichnetsten Fakultätsmitgliedern verlangte. Es war auf diesem Gebiet, auf dem die Erziehungswissenschaftler größten Mut und Einfallsreichtum zeigten.

Sie standen dem fast unüberwindbaren Hindernis gegenüber, dass Erziehung sich mit dem Wandel des menschlichen Geistesbeschäftigte, einem äußerst komplexen Phänomen. Die Aufgabe, Lernsituationen zu vermessen, bei denen eine unbekannte Anzahl von Faktoren eine Rolle spielten, die sich ständig mit unbekannter Geschwindigkeit veränderten und unbekannte Effekte hatten, war eine enorme, aber die Professoren zögerten nicht, sie anzugreifen.

Schließlich arbeiteten die Erziehungswissenschaftler an ihrer akademischen Seriosität, indem sie dafür sorgten, dass ihr Fach schwierig zu lernen wurde. Auch dies war eine schwierige Aufgabe, aber sie hatten bewundernswerten Erfolg dadurch, dass sie die Verfahren ihrer akademischen Kollegen nachahmten.

Sie organisierten ihr Fach logisch. Dies führte zwangsläufig dazu, dass sie abstrakte und philosophische Kurse in Erziehungswissenschaften Bildung zuerst anboten und jedwede praktische Arbeit in ihrem Fach so lange hinausschoben, bis die Studenten mit den gewohnten Verbalisierungen des Fachs vertraut und dadurch gegen Infektionen mit neuen Ideen immun waren.

[. . . ]

Sie waren akademisch angekommen. Als sie dieses Ziel erreicht hatten, waren viele der Studenten, welche die Professoren der Erziehungswissenschaften eigentlich auf den Unterricht vorbereiten hätten sollen, äußerst schlechte Vertreter ihrer Zunft. Auch sie versuchten, logisch, wissenschaftlich und auf respektable Art langweilig zu sein, und es gelang ihnen in vielen Fällen fast genauso gut wie ihren Professoren der  Erziehungswissenschaften und manchmal sogar besser als ihren Professoren für Kultur.

[. . . ]

Eine Gruppe kam zu dem Schluss, dass der Hauptfehler der derzeitigen Erziehungsmethoden einfach dem Umstand geschuldet war, dass es zu viel Führung beim Lernen gab.

"Lasst die Kinder natürlich in ihre Lernaktivitäten hineinwachsen", berieten sie die Lehrer. "Der Sinn und die Methoden müssen aus ihrem eigenen Antrieb kommen. Ohne Einmischung und Beherrschung durch die Lehrer sollen die Kinder immer selbst entscheiden, was sie tun möchten, planen, was sie machen möchten,  ausführen, was sie geplant haben und den Wert dessen, was sie gemacht haben, beurteilen." 

Die Lehrer waren verwirrt. "Aber wozu sind wir dann noch da?", fragten sie. "Wenn die Kinder das alles selbst machen, brauchen sie keine Lehrer mehr!" "O nein!", versicherten die Experten. "Der Lehrer ist ein sehr notwendiger Begleiter. Er wird die Kinder in die Richtung einer weisen Wahl der richtigen Aktivitäten lenken und ihnen zeigen, wie sie sich intelligenter und effektiver mit den Aktivitäten beschäftigen, mit denen sie sich ohnehin beschäftigt hätten."

Heute ginge das nicht mehr als Satire, sondern als Zustandsbeschreibung durch. Der obige Ausschnitt stammt aus dem Buch "The Saber-Tooth Curriculum" von J. Abner Peddiwell (aka Harold Benjamin) und wurde 1939 veröffentlicht. 


Montag, 28. September 2020

Freitag, 25. September 2020

mathe.delta und Sokal

Die Sokal-Affäre, so schreibt wikipedia, war eine Auseinandersetzung über die intellektuellen Standards in den Sozial- und Geisteswissenschaften, die durch die Veröffentlichung eines Hoax-Artikels des Physikers Alan Sokal in der sozialwissenschaftlichen Fachzeitschrift Social Text ausgelöst wurde. Er hat damals eine Parodie eines sozialwissenschaftlichen Artikels bei einer Fachzeitschrift eingereicht, die auch tatsächlich veröffentlicht wurde.

Die Frage, die sich mir stellt, ist nun die folgende: Ist mathe.delta Basisfach ein Buch, mit dem Mathematiker zeigen wollen, dass das Schulfach Mathematik so weit heruntergekommen ist, dass niemandem mehr auffällt, wie schlecht und fehlerhaft die Schulbücher inzwischen sind? Ich meine, wer sonst sollte Aufgaben wie die folgende (S. 174) stellen:

      Für den Bau einer Bergstraße soll ein Tunnel gegraben werden.
      Das aus dem Berg beförderte Geröll wird vor die Tunnelöffnung
      geschüttet.

Das kann niemand ernst meinen, oder?

Mathe-Delta Verständniswettbewerb Runde 4

Man sollte meinen, dass man als Lehrer nach fast 20 Abiturklassen in Mathematik in der Lage wäre, Aufgaben zur Abiturvorbereitung problemlos und ohne Vorbereitung rechnen zu können. Wie man feststellen muss, ist das nicht der Fall. Die letzte Aufgabe zur Abiturvorbereitung in Mathe.delta für das Basisfach ist folgendes Kleinod:



Zu meiner Schulzeit gab es noch den Winkelsummensatz, also die Tatsache, dass die Summe der Winkel in einem ebenen Dreieck 180° beträgt. Heute würde der Satz, wenn man Geometrie noch unterrichten würde, Winkelweitensummensatz heißen müssen. Wo käme man auch hin, wenn man sprachlich nicht zwischen Winkeln und ihren Weiten unterscheiden würde?

Die Koordinaten der Punkte haben, wie so oft in diesem Buch, keine Maßeinheit (nicht einmal das Koordinatensystem ist irgendwie spezifiziert - hier muss wohl eine koordinatensystemfreie lineare Algebra vorliegen). Ich vermute mal, dass es sich um Meter handeln soll. In a) soll ich Winkel zwischen Unter- und Oberschenkel bei Start und Sprint berechnen, vermutlich auf eine Nachkommastelle. Beim Start kann ich das nachvollziehen, aber dass Unter- und Oberschenkel beim Sprint einen konstanten Winkel (also einen Winkel mit konstanter Weite) bilden, das wäre mir neu. Sehen würde ich das schon gerne - wäre was für das ministry for silly walks in Monty Pythons Flying Circus. Aber ausrechnen kann ich den Winkel, den es nicht gibt.

b) stellt mich vor größere Rätsel: Wieso liegen die Knie der Läufer in einer Ebene parallel zum Boden? Und durch welche Ebene wird der Boden beschrieben? Was bedeuten die ganzen Koordinaten überhaupt, wenn man sich das Koordinatensystem selbst raussuchen muss?

Die Schwierigkeiten nehmen von a) bis e) zu, das weiß ich aus anderen Abituraufgaben. Und bei c) frage ich mich, wie ein Vektor auf einer Geraden liegen kann. Vektoren bleiben doch bei Verschiebungen gleich? Immerhin kann ich mir denken, was die Autoren meinen. Wozu die Gerade durch die beiden Marker dienen soll (ist die während des Sprints auch konstant?), kann ich dagegen nicht erraten. Welches Problem, fragt man sich mit Neil Postman, wird durch diese Rechnung gelöst?

Bei d) stellt sich wieder die Frage, wie die Läufer laufen können, wenn sie den Oberschenkel waagrecht zum Boden halten. Bin ich mein Leben lang falsch gelaufen?

Bei e) fehlen mir die Worte. Pferden gibt man den Gnadenschuss.

Dienstag, 22. September 2020

Aus der Lebenswelt der Delta-Autoren

Noch ein Beispiel aus der Reihe "Die vorläufig dümmste realitätsbezogene Aufgabe der heutigen Schulmathematik", selbstverständlich aus dem neuen mathe.delta 11/12  Basisfach:



Zum Glück ist die Funktion elementar integrierbar, sonst hätte Herr Dietrich Kästchen zählen müssen um herauszufinden, was sich auf seinem Konto getan hat. Und zum Glück hat er an den ersten drei Tagen kein Geld ausgegeben, sonst könnten wohl nicht einmal die Autoren diese Fragen durch Integration beantworten.

Wenn mein Kontoauszug so aussieht wie der von Herrn Dietrich, dann verklage ich meine Bank. Wer solche Aufgaben aus der Lebenswelt der Schüler entwickelt, hat einen an der Waffel. Solche Leute, und das meine ich so wie ich es schreibe, muss man aus dem Schuldienst entfernen und ihnen beibringen, wie man den Hinterhof kehrt oder Spargel sticht.

Montag, 21. September 2020

Das Delta-Integral

Schulbücher zur Differential- und Integralrechnung gibt es seit mehr als 100 Jahren. Da gibt es genügend Bücher, aus denen Autoren Dinge, die sie nicht richtig verstanden haben, abschreiben könnten. Und wenn man das Original dann in das Literaturverzeichnis aufnimmt, ist das Ganze noch nicht einmal ein Plagiat.

Man kann natürlich auch versuchen, sich an das zu erinnern, was man vor einiger Zeit in den Vorlesungen gehört hat (das ist eine Kompetenz, die Mathe.delta den Basisfachlern an einigen Stellen abverlangt: "Versuchen Sie sich zu erinnern, wie man das Volumen einer Kugel bestimmt"). Wie sich herausgestellt hat, ist das eine ganz gefährliche Methode.

Mathe.delta 11/12 führt das Integral anhand einer Zeit-Geschwindigkeits-Funktion

     v(t) = - x2 + 1600 x        [sic!]

eines Flugzeugs ein. Im Diagramm ist die t- bzw. x-Achse mit h bezeichnet, wohl um anzudeuten, dass die Zeit t (auf der linken Seite der Gleichung) bzw. x (rechts) in Stunden gemessen wird.

Um die Fläche unter dem Graphen zu bestimmen, wird das Intervall in n gleich lange Segmente aufgeteilt und die Untersumme berechnet, zuerst für n=7, dann für n = 20, und dann folgen tabellarisch die Ergebnisse für n = 7, 25(!), 145, 385, 809, 1437 und 2999 (das kann man nicht erfinden). Dann kommt etwas "Geschichte der Mathematik":

     Um schneller auf den tatsächlichen Flächeninhalt schließen zu können, 
     entwickelte Bernhard Riemann eine Methode, mit der er sich nicht nur 
     von unten an den gesuchten Wert annähert, sondern auch von oben.

Riemanns Leistung war es also, zu den Untersummen noch Obersummen zu erfinden. Auch das Infimum und das Supremum hat er eingeführt, als kleinsten und größten Funktionswert. Tatsächlich hat Riemann weder Infimum, noch Supremum gekannt (und hätte er die Begriffe gekannt, hätte er nicht wie die Autoren Maximum und Supremum verwechselt), und die Unter- und Obersummen stammen von Darboux. Macht aber nichts.

Fangen wir mal auf S. 159 an. Die erste Aufgabe unter dem Titel "Nachgefragt" lautet:

    Skizzieren Sie die Herleitung des Hauptsatzes der Differential- und 
    Integralrechnung.

Eine reife Leistung für Basisfachler wie für die Autoren. Ich habe deren Herleitung ein paar Mal lesen müssen, um nachvollziehen zu können, was sie da machen.

     In Unterkapitel 4.1. haben wir gesehen, dass wir den Bestand B aus einer 
      gegebenen Änderungsrate A(t) rekonstruieren können, indem wir den 
     orientierten Flächeninhalt zwischen Graph und x-Achse bestimmen.

Der Bestand heißt B, die Änderungsrate A(t), und die waagrechte Achse die x-Achse. Das wird, vermute ich, keinen Schüler verwirren, der im Buch schon so weit gekommen ist. Wenn man allerdings nachschaut, wie die Autoren in Unterkapitel 4.1 gezeigt haben, dass Stammfunktion und Flächeninhalt was miteinander zu tun haben, dann stellt man fest, dass sie das für lineare Funktionen getan haben. Es ist in meinen Augen legitim, den Hauptsatz der Integralrechnung nur für Geraden zu zeigen und dann zu sagen, das sei für "alle" Funktionen so. Es ist unverschämt, den Hauptsatz für Geraden zu zeigen und dann zu sagen, man hätte das für allgemeine Funktionen getan, jedenfalls wenn man weiß, dass man das so gemacht hat. Im Falle der Delta-Autoren bin ich mir nicht sicher.

Jetzt jedenfalls sind die Autoren mit der Herleitung des Hauptsatzes fertig:

     Daraus folgt, dass das Integral einer Funktion f(x) durch ihre Stammfunktion
     F(x) beschrieben werden kann.

Und anschließend erklären sie, was das bedeutet: dass nämlich das Integral von f über das Intervall [a; b] gleich F(b) - F(a) ist. Damit könnte man den Hauptsatz formulieren, aber das folgt erst eine Seite später, weil noch etwas wichtiges fehlt:

     Für diese Annahme muss noch Folgendes beachtet werden: in Unterkapitel
     4.2 haben wir gesehen, dass es zu einer Funktion f unendlich viele
     Stammfunktionen F gibt, die sich durch einen konstanten Summanden
     unterscheiden. Unsere Vermutung legt nahe, dass es unwichtig ist, welche
     Stammfunktion zur Berechnung des Integrals verwendet wird.

      Die Folgerung, welche die Autoren gezogen haben, wird also erst zur Annahme und dann zur Vermutung, und dann erhellt, dass der wesentliche Schritt, der noch fehlt, die Tatsache ist, dass F(b) - F(a) nicht von der Wahl der Stammfunktion F abhängt. Das ist eine Trivialität, denn mit G(x) = F(x) + c ist G(b) - G(a) = F(b) + c - (F(a) + c) = F(b) - F(a). Die Autoren dagegen glauben, dass diese Unabhängigkeit die wesentliche Aussage des Hauptsatzes ist, und so versuchen sie nun zu beweisen, dass dem so ist, indem sie die üblichen Abschätzungen bringen und zeigen, dass F(b+h) - F(b) für kleine h ungefähr gleich f(b) ist.

Zumindest wollten sie das tun; allerdings bekommen Sie nicht einmal das gebacken, denn der "Beweis" beginnt so:

     Nehmen wir also an, F(x) sei eine beliebige Stammfunktion von f(x). 

Dann brauchen Sie eine halbe Seite, um zu "zeigen", dass F'(b) = f(b) ist. Allerdings folgt das aus der Definition der Stammfunktion. Ich nehme hiermit die Behauptung zurück, die Autoren wären in der Lage, irgend einen Beweis aus einem anderen Schulbuch korrekt abzuschreiben. Um sicherzugehen, dass die Schüler auch wirklich verstanden haben, worum es beim Hauptsatz geht, wird das am Ende des Beweises noch einmal hervorgehoben: nach der Folgerung F'(b) = f(b) erklären sie:

      Diese Folgerung gilt für alle Stammfunktionen von f, denn wir haben
      zu Beginn eine beliebige Stammfunktion F gewählt und diese Auswahl
     an keiner Stelle des Beweises konkretisiert.

Und damit ist der Hauptsatz bewiesen.

Und natürlich wird auf S. 161 nachgefragt:

    Heiko möchte eine Bestandsaufgabe mit dem HDI berechnen und kommt
    zu dem Schluss: "der HDI gilt für jede beliebige Stammfunktion. 
    Also muss ich mir gar keine Gedanken über das richtige c machen,
     wenn ich eine Bestandsfunktion suche." 
     Hat Heiko recht? Argumentieren Sie.

Ich ahne durchaus, was den Autoren als Antwort vorschwebt. Und ich weiß sicher, dass Heiko nicht der einzige Schüler ist, den die Autoren nach Kräften so verwirrt haben, dass er nichts, aber auch wirklich gar nichts verstanden haben kann. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich das Geschwurbel der Autoren halbwegs "korrekt" wiedergegeben habe. Aber zum Glück muss ich nicht das Basisfach "Mathematik" belegen.
 

Sonntag, 13. September 2020

Mathe.delta und das Integral

"Nachgefragt" von Seite 161:

      Chiara behauptet, dass sie für das Integral \(\int_{-2}^2 \sqrt{x} dx\)  keine Rechnung benötigt.
       Wissen Sie, warum? Argumentieren Sie zum einen mithilfe des HDI, zum 
       anderen durch die Betrachtung des Integranden.

HDI ist der Hauptsatz der Integralrechnung. Was ein Definitionsbereich ist, weiß Basisfachlerin Chiara nicht. Nur wenn man zu einer Funktion F eine Konstante c addiert, muss man dazu schreiben, dass c eine reelle Zahl ist. Das hilft ihr aber nicht.

Mathe.delta und die Stammfunktion

Die Einführung des Integrals kann man nicht schlechter machen als Mathe.delta (vielleicht doch - ich will gar nicht wissen, was youtube da so alles macht). Die Merkregel zur Stammfunktion auf S. 144 jedenfalls liest sich so:

    Eine Funktion F heißt Stammfunktion von f wenn gilt: F' = f.
    f(t) hat unendlich viele Stammfunktionen F + c (c ε R), 
    die sich nur in der Konstante c unterscheiden.

    Ist eine bestimmte Stammfunktion als Bestandsfunktion gesucht,
    so kann man c aus dem Anfangsbestand B(0) berechnen: c = B(0).

Es ist etwas schwer, Fehler zu zählen, wenn man sich einer solchen Puddingsprache bedient. Dennoch: Was ist hier alles falsch?

Samstag, 12. September 2020

Mathe.delta Verständniswettbewerb Runde 3

Mathe.delta 11/12 für das Basisfach Mathematik an Gymnasium ist jetzt in seinem vollen Umfang erschienen. Das Konzept des Teildrucks, vollkommen unverständliche Aufgaben zu präsentieren, wurde weitgehend beibehalten. Neue Runde: Wer kann Licht in das Dunkel der Aufgabe 19 von S. 195 bringen?

     Familie Hilbert hat für ihren Sohn David einen neuen rechteckigen 
     Schreibtisch mit vier Beinen gekauft. David ist verärgert, weil der Tisch wackelt, 
     obwohl die vier Füße alle rechtwinklig an die Platte montiert sind. 
     Um der Sache auf den Grund zu gehen, hat David den Tisch untersucht 
     und bei der Tischplatte folgende Eckpunkte gemessen (1 Einheit = 1 m):
     A(0,6|0|0,8),   B(0,6|1|0,8), C(0|1|0,8), D(0|0|0,8).
     Können Sie David helfen, die Gründe für das Wackeln des Tischs zu finden?

Hier tun sich Fragen auf:

  • Wie misst David Hilbert (ein Witz!) die Koordinaten der Eckpunkte? 
  • War es Absicht, dass die Platte flach ist?
  • Soll man hier darauf schließen, dass die Beine unterschiedlich lang sind, dass der Boden schief ist, oder dass die Filzunterlage bei einem Bein fehlt?
  • Würde auch der Grund "Das Licht einer Supernova, das durch ein Fenster fällt, erhitzt eines der vier Beine; dieses dehnt sich dadurch aus, was zum Wackeln des Tischs führt" gelten?


Mittwoch, 26. August 2020

Digital gut, analog schlecht

Beim Stöbern in meinen Bücherschränken bin ich unlängst auf das Buch "Kopfarbeit mit Köpfchen" von Walter F. Kugemann gestoßen. Das Buch stammt aus dem Jahre 1966, und auf Seite 70 heißt es:

     Inzwischen sind Lernmaschinen und programmierter Unterricht den Kinderschuhen
     entwachsen und haben auch einige Kinderkrankheiten glücklich hinter sich
      gebracht.

       Ein gutes Jahrzehnt ist der programmierte Unterricht erst alt, aber schon ist 
      bei allen informierten Fachleuten unumstritten, daß er bereits in wenigen Jahren
      eine pädagogische Revolution noch nicht dagewesenen Ausmaßes einleiten
      wird. Noch vor 8 Jahren konnten zwei amerikanische Lehrer das gesetzliche
      Verbot dieses "Kinderverderbens" fordern. Heute ist das bereits ein geschichtlicher Witz.

"Bei informierten Fachleuten unumstritten": plumper kann man kaum argumentieren. Die pädagogische Revolution nie dagewesenen Ausmaßes ist ausgeblieben; selbst die Sprachlabore, die in den 70ern und 80ern aus dem Boden gestampft wurden, kennen heute nur noch die ganz alten.

      Noch vor wenigen Jahren als Zukunftsmusik in weite Ferne verlegt, unterrichten
      Lehrmaschinen heute schon genauso Volksschüler in den Grundrechnungsarten,
      wie sie Düsenjägerpiloten flugtechnische Spezialkenntnisse vermitteln und
      Physikstudenten die Grundzüge der Quantenphysik.

Die einzigen Studenten, die glauben, sie könnten die Grundzüge der Quantenphysik von Lehrmaschinen lernen, sind vermutlich Studenten der Erziehungswissenschaften. Das bisschen, was die von Physik verstehen, kann man denen vermutlich schon mit einem Computer beibringen. Woher Kugemann die Idee hat, dass es damals Physikstudenten gegeben haben soll, die Quantenphysik von Lehrmaschinen gelernt haben, ist mir ein Rätsel. Ich vermute, er hat das einfach erfunden.

     Nicht ohne Reiz ist die Tatsache, daß der programmierte Unterricht von
     Psychologen entwickelt und populär gemacht wurde, daß Psychologen seine 
     Wirksamkeit bewiesen und in der Anfangszeit sogar Programme zusammenstellten,
     daß Psychologen die wissenschaftliche Grundlage geliefert haben und dauernd
     weitere Erkenntnisse beisteuern.
       
Bei Beweis der Wirksamkeit denkt man sofort an die moderne Bildungsforschung, die ebenfalls erstaunliche Dinge beweist. Manches davon steht schon bei Kugemann: Der Lernende und dessen Lernverhalten wird von der Lehrmaschine gesteuert, der Lernende wird von der Lehrmaschine motiviert, und das

      Programm gestattet es den Lernenden, individuell zu arbeiten und das 
      Fortschreiten nach seinen Bedürfnissen und Möglichkeiten einzurichten.

Brave New World, wie Huxley das genannt hat. Nichts davon ist wahr gewesen, nichts davon ist heute wahr. Jetzt könnte man meinen, dass Leute, die schon vor 50 Jahren komplett daneben gelegen haben, sich danach mit vorlauten Äußerungen etwas zurückhalten würden. Aber bei Psychologen und Erziehungswissenschaftlern läuft das anders: wer nichts kann, wird Leiter des Instituts für Lern-Innovation der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und wird sogar 2008 noch als Experte für elearning interviewt.  Da murmelt er erst einmal was davon, dass es früher den Begriff des lebenslangen Lernens nicht gegeben hat und folgert daraus, dass es folglich auch lebenslanges Lernen nicht gegeben haben kann. Er verunglimpft die Schule als soziale Sortiermaschine und zeigt, dass er von Mathematik absolut keine Ahnung hat:

       Als Mathematiklehrer führt man keinen Beweis mehr an der Tafel, sondern alle
       Schüler, ausgestattet mit Laptop und W-Lan, recherchieren zum Thema im Internet. 
       Die neue Aufgabe des Lehrers besteht nicht mehr in der Vermittlung von 
       enzyklopädischem Wissen, sondern in der Erarbeitung von Kompetenzen, 
       Informationen zu bewerten.

Wie man Informationen bewertet, wenn man nichts mehr weiß, erklärt der Herr natürlich nicht. Vermutlich hat er soweit gar nicht gedacht.

       Ein Student liest heute kein Software-Handbuch mehr, er probiert einfach aus.

Wenn ich noch einen Wunsch frei hätte, dann den: Dass Leute wie Herr Kugemann von Ärzten behandelt werden, die als Studenten kein Buch gelesen haben und einfach mal was ausprobieren, oder in Flugzeugen durch die Welt fliegen, die von solchen Ingenieuren gebaut worden sind.


Donnerstag, 20. August 2020

Exzellenzuniversitäten

 Nun ja - der Frage, ob Kunsthochschulen Universitäten sind, weiche ich mal aus. Aber irgendwie passt das ganze schon in das Bild, das ich mir von heutigen Hochschulen in Deutschland, vor allem zwischen Berlin und Hamburg, inzwischen so mache. Der Herr Professor  Friedrich von Borries von der Hamburger Hochschule für bildende Künste hat drei Stipendien zu je 1600 Euro ausgeschrieben, die man fürs Nichtstun bekommt. Peanuts. Jedenfalls wenn man das mit dem Professorengehalt und Beamtenstatus von von Borries vergleicht. Allerdings bekommt er das nicht fürs Nichtstun. Was bedauerlich ist, denn wenn man sich ansieht, welche Ergebnisse seine Forschungen hervorgebracht haben, dann wünschte man sich, er bekäme sein Gehalt fürs Nichtstun. Mir jedenfalls fehlen die Worte, um seine Publikation Stadt der Zukunft. Wege in die Globalopolis angemessen zu würdigen. Und das kommt nicht oft vor.

Freitag, 17. Juli 2020

Die dümmste Pseudoanwendung der Mathematik

Ich habe ja nun weiß Gott schon viel gesehen und gelesen. Aber sowas wie hier nun doch noch nicht. Das geht nämlich schon gut los:

      Die Abiturienten des Jahrgangs 2020 können stolz auf sich sein:  Sie haben alle 
      eine sehr fundierte und breite Bildung in moderner Mathematik und sie haben alle 
      ihr Können in einer staatlich-zentralen Klausur unter Beweis gestellt.

Ich vermute mal, dass diese Sprache nur aussieht wie Deutsch, denn das, was man hier liest, hat mit der Realität nichts zu tun. Wo sollen sie denn die fundierte Bildung in Mathematik herhaben? Ich will nicht ausschließen, dass sich manche Schüler eine solche im Privatstudium angeeignet haben, aber aus dem Unterricht haben sie eine solche nicht. Und dass man etwas kann, nur weil man eine Prüfung (eventuell mit 0 NP) abgelegt hat, wird auch nur schwer zu belegen sein.

        Diese Mathematik-Kenntnisse haben die Abiturienten jetzt in der Corona-Zeit schon
       anwenden können:

Jetzt bin ich aber mal gespannt. Exponentielles Wachstum und Verdoppelungszeit kann man in 5 Minuten erklären, muss jetzt aber als Alibi für den Pseudomathematikunterricht herhalten. "Zuverlässigkeit von Tests und Verwerfen von Hypothesen" ist, wie man inzwischen weiß, auch für Virologen mindestens so schwierig wie ein Satz mit Verb für Journalisten; Abiturienten haben vom Testen und Verwerfen von Hypothesen keine Ahnung, nicht einmal, wenn es um Binomialverteilung geht.

Aber die folgende Anwendung der Schulmathematik habe ich nicht kommen sehen:

       Flugbahn-Berechnungen von Viren mit Hilfe analytischer Geometrie.

Corona, fürchte ich, ist derzeit nicht unser größtes Problem.




Montag, 13. Juli 2020

Gleichberechtigung . . .

. . . war gestern. In den USA nicht einmal das. Dort wurde Sally Miller Gearhart 1973 Professorin in San Francisco und unterrichtete women studies. Ihre Lösung des Männerproblems kommt mir ein bisserl radikal vor:

       The proportion of men must be reduced to and maintained at 
       approximately 10% of the human race.

Kann man machen. Ich nehme mal an, dass uns Männern dann weiterhin 50 % der gutbezahlten Jobs freigehalten werden. Mary Daly, die am Boston College feministische Ethik und Patriarchat (?) unterrichtet hat, pflichtet ihr bei:

     I think it's not a bad idea at all. If life is to survive on this planet, there must be a 
     decontamination of the Earth. I think this will be accompanied by an evolutionary 
      process that will result in a drastic reduction of the population of males.

Eine seltsame Dekontamination, bei der man 10 % des Gifts behalten will.

Sonntag, 12. Juli 2020

Racial Wealth Gap

Eine einfache Lösung des Problems, dass Schwarze in den USA ärmer sind als Weiße, hat Dedrick Asante-Muhammad auf Lager: Der Staat zahlt jedem Schwarzen, der einen Sklaven als Vorfahren nachweisen kann, die nächsten zwanzig Jahre 20.000 $ jährlich. Bei den Nachfahren der Indianer und den vielen Latinos im Land der unbegrenzten Möglichkeiten scheint es keinen racial wealth gap zu geben, weswegen die auch nichts bekommen. Oder es liegt daran, dass Asante-Muhammad zufällig selbst schwarz ist. Die Begründung "We can afford it" hat ein lustiges "We" im Satz, das allem Anschein nach nicht "wir", sondern "die anderen" bedeutet.

Was mir diese unglaubliche Blödheit unerträglich macht ist die Tatsache, dass eine durchschnittliche 12-jährige sich ausrechnen kann, was passieren wird, wenn eine solche Idee umgesetzt wird. Ich belasse es daher bei einem "Meine Frau heißt auch Brian" und gebe Herrn Asante-Muhammad den gutgemeinten Rat, nichts mehr zu veröffentlichen, bis man einen Impfstoff gegen Dummheit gefunden hat.

Sonntag, 28. Juni 2020

Bluna und Antibluna

Man kann heutzutage an Universitäten lernen, wie man sich als Opfer fühlt, um die ganzen Schwierigkeiten, die einem das Leben bereithält, auf andere schieben zu können. Egal ob man Frau, schwarz, jung, trans, lesbisch oder am besten gleich alles zusammen ist, immer gibt es einen Schuldigen, von dem man unterdrückt wird. Mit einer Ausnahme natürlich: alte weiße Männer. Die braucht man deswegen, weil man sonst mit dem Finger auf niemanden mehr zeigen kann.

Diese Einteilung der Menschheit in gute und schlechte ist jetzt auch in der Mathematik angekommen. Die ist nämlich, man ahnt es, durch und durch rassistisch, weil sie von alten weißen Männern gemacht ist:



(Das Foto dieses alten weißen Manns wurde am Tag gemacht, nachdem er sich auf dem ganz frisch eröffneten AFD-Bespitzelungsportal selbst denunziert hatte.)

Prof. Dr. Rochelle Guttiérez, die victimhood unterrichtet, beklagt sich hier darüber, dass die Alt-Right-Bewegung ihre Behauptung, Mathematik sei weiß, nicht zu würdigen wusste. Ich bin beim Lesen ihrer Klageschrift nur bis zu Fußnote 2 gekommen:

        I use the term Latinx (as opposed to Latino, Latina/o, or Latin@) as a sign of 
        solidarity with people who identify as lesbian, gay, bisexual, transgender, queer, 
        questioning, intersexual, asexual, and twospirit (LGBTQIA2S). 
        Latinx represents both a decentering of the patriarchal nature of the Spanish
        language whereby groups of men and women are normally referred to with 
        the “o” (male) ending as well as a rejection of the gender binary and an 
        acceptance of gender fluidity.

Ui. Wir Männer sind also auch noch an der patriarchalen Sprache schuld, weil wir damals, als wir sie entwickelt haben, die Geschlechtsflüssigkeit (kann man das so übersetzen?) nicht berücksichtigt haben. Vermutlich, wie der Schwabe sagt, mit Fleiß.

Das beste Forum bietet den Soziologieprofessoren der Sender Fox (ansonsten ein grausliger Sender, aber der einzige, der nackte Kaiser nackt nennt), der solche Geistesgrößen mit schöner Regelmäßigkeit vorführt. Hier etwa; die Einstiegsfrage ("ich bin schlecht in Mathe: bin ich zu doof, um Rassist zu sein?") und die Unverschämtheit, dass die Frau nicht mit Doktor angesprochen wurde, findet man hier:
Ich habe keine Ahnung, ob es den Gender-Sprachspezialistinnen schon einmal aufgefallen ist, dass der Artikel für Männer in "die Männer" weiblich ist. Vermutlich nicht, weil sich Gendermännchen bisher noch nicht darüber beschwert haben. Kommt aber sicher noch.

Nun ist ja auf youtube und fox alles mögliche zu finden. In der "richtigen" Wissenschaft auf "richtigen" Universitäten und "richtigen" science-blogs dagegen . . .  findet man denselben Käse.
Herr(?) Dr. Tian An Wong fragt etwa auf der Seite der  AMS (American Mathematical Society), ob Mathematik anti-rassistisch sein kann, und fühlt sich durch den Satz des Pythagoras und der Zahl pi benachteiligt:

      School mathematics curricula emphasizing terms like Pythagorean theorem
       and pi perpetuate a perception that mathematics was largely developed by 
       Greeks and other Europeans.

Wenn es denn nun aber so war? Natürlich haben auch Babylonier und Ägypter ihren Teil beigetragen, aber die erwähnt man besser nicht, sonst kann man nicht mehr so laut "Ich bin ein Opfer" rufen. Dass dieser Kasper auch noch Chanda Prescod-Weinstein zitiert, die mit Abstand d***ste Astrophysikerin aller Zeiten, ist da keine Überraschung mehr. 

Vanessa Rivera-Quinones zitiert Wong auf derselben AMS-Seite und verspricht gar eine Definition von Anti-Rassisten, die sie von  Ibram X Kendi hat. Nun könnte man meinen, eine Mathematikerin wüsste, was eine Definition ist, selbst wenn sie bisher eher in Sachen diversity aufgefalllen ist als mit ihren partiellen Differentialgleichungen, die sie eigentlich studieren sollte. Ist aber nicht so:

      There is no such thing as a “not-racist” policy, idea, or person.
      [. . . ] All policies, ideas, and people are either being racist or antiracist.

Das ist natürlich keine Definition. Das ist dummes Geschwätz. Kann ich auch, ohne mich anzustrengen: Man ist entweder Alkoholiker oder Antialkoholiker. Veganer oder Antiveganer. Leute, die in Schubladen denken, sind schlimm genug. Wenn man nur zwei Schubladen hat, spricht man von Schwarz-Weiß-Denken, selbst wenn der Autor schwarz ist. Die Hautfarbe von Pierette McKamey, einer Schulleiterin in San Francisco, kenne ich nicht, aber man kann auch so sagen, dass sie die rassistischste  Antirassistin ist, der ich bisher über den Weg gelaufen bin:

        Anti-racist teachers take black students seriously. They create a curriculum with 
       black students in mind,

Antirassismus ist für Schwarze schreiben. Freiheit ist Sklaverei. Das war auch ein Zitat: George Orwell in 1984.




 






Samstag, 27. Juni 2020

Leben auf fremden Planeten entdeckt!

Was die Astronomie seit Jahrzehnten vergeblich versucht hat, nämlich den Nachweis extraterrestrischen Lebens, ist der Erziehungswissenschaft jetzt gelungen. Professor Dr. Ullrich Bauer, Erziehungswissenschaftler an derjenigen Fakultät, die  Heymann in den 90er Jahren mit seinen Thesen zu "Sieben Jahre Mathematikunterricht ist genug" habilitiert hat, sagt in einem Spiegel-Interview:

      Es gibt eine Tabuneigung im Bildungsbereich: Man kritisiert 
      die Arbeit von Lehrkräften nicht.

Ganz offensichtlich kann dieser Bildungsforscher nicht vom Planeten Erde stammen. Schade, dass es sich hierbei offenkundig nicht um eine intelligente Lebensform handelt.

Samstag, 30. Mai 2020

Mathe-Abi 2020

Wie jedes Jahr stehen die Aufgaben aus Bayern zwei Tage nach dem Abitur im Netz, und auf youtube findet man Videos mit den Lösungen (und Links zu den Originalaufgaben), während es in Baden-Württemberg Diskussionen um die Gültigkeit des Abiturs gibt, wenn die Aufgaben vor September bekannt werden. Föderalismus vom Feinsten.

Weil die Berliner Aufgaben aus dem IQB-Pool entnommen haben, musste BW eigene Aufgaben machen, oder sie haben sich beim Nachtermin bedient. Nichts genaues wird man nicht erfahren.

Zur vieldiskutierten Palmenaufgabe sei daher nur folgendes angemerkt: dass die Aufgabenstellung mathematisch korrekt gewesen sei, wie ein Lehrer das behauptet hat, entspricht nicht den Tatsachen. Gegeben war eine Funktion
      w(t) = 4(e-t - e-2t),
welche die Wachstumsgeschwindigkeit einer Palme beschreiben soll. Eine Frage in Aufgabenteil b) war:

       Untersuchen Sie, welche Höhe die Palme maximal erreichen kann.

Das ist mathematisch die Frage nach dem Maximum der Höhe. Ein solches Maximum gibt es aber nicht. Was es gibt, ist eine kleinste obere Schranke oder ein Grenzwert für die Höhe, wenn t gegen unendlich geht. Danach kann man fragen. Die Frage nach einem Maximum, das es gar nicht gibt, ist böswillig. Die einzige Absicht dahinter ist es, Schüler so weit wie möglich zu verwirren (denkbar wäre natürlich auch, dass die Aufgabensteller den Unterschied zwischen Maximum und kleinster oberer Schranke nicht kennen - ich glaube aber an die Böswilligkeit, denn das ist ja nicht mein erstes Abitur). Mein Vorschlag für BaWü: übernehmt den Lehrplan von Bayern und deren Abitur. Die können es besser als wir.

Ansonsten waren die Aufgaben vom Anspruch her vergleichbar mit denen der letzten Jahre, das sehr leichte Abi von 2019 ausgenommen. Und in diesen letzten Jahren hat sich BaWü zum Schluss auf einen Landesschnitt von unter 6 Punkten zubewegt (wieder mit Ausnahme von 2019).

Mittwoch, 6. Mai 2020

Mathe.delta Verständniswettbewerb Runde 2

Die heutige Aufgabe (S. 67, Aufg. 21) ist schwieriger als die gestrige. Ich habe nicht herausbekommen, was gemeint gewesen wäre:

    a) Wie lautet die n-te Ableitung der Funktion f mit 0,5 · ex?
         Zeichnen Sie - eventuell mit einem Funktionenplotter -
         die ersten zehn Ableitungen in ein Koordinatensystem.

     b) Leiten Sie aus a) eine Vermutung ab, wie die n-te Ableitung
          der Funktion f mit f(x) = x · ex aussieht.
          Bestätigen Sie Ihre Vermutung durch Rechnen und Zeichnen. 

Offensichtlich ist die Möglichkeit, dass die Vermutung falsch ist, nicht vorgesehen.

Dienstag, 5. Mai 2020

Mathe.delta-Verständniswettbewerb Runde 1

Im Laufe der Jahre gewinnt man als Lehrer so viel Erfahrung, dass man bei den meisten Fehlern, die man von seinen Schülern zu sehen bekommt, weiß, was sie "gedacht" haben, auch wenn in den letzten Jahren Fehler zu beobachten waren, die nicht in dieses Beuteschema passen.

Derartige Fehler, wen wundert es, findet man auch in Mathe.delta 11/12 für das Basisfach "Mathematik" (das waren scare quotes). Bei manchen dieser Fehler bin ich außerstande zu erraten, was im Hirn der Autoren vorgegangen ist. Was liegt also näher als meine Leser zu fragen, ob sie aus diesen Sachen schlau werden.

 Beginnen wir also mit der folgenden schönen Anwendungsaufgabe (Seite 55, 1.3) aus der Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen:

        Welcher der folgenden Funktionsterme könnte die Größe (in cm) eines Hundwelpen
         in den ersten Monaten nach der Geburt darstellen? Begründen Sie.
        Welche Realsituation könnten für die anderen Terme in Frage kommen?
 
         a) f(x) = -2x           b) f(x) = -0,5 · 0,5x          c) f(x) = 1/3 · 3x
   
Die Preisfrage: Was stimmt hier nicht, und was haben die Autoren eigentlich fragen wollen? Und für wie doof halten die Autoren ihre Schüler aus dem Basiskurs, wenn sie ihnen a) und b) vorsetzen?

Donnerstag, 30. April 2020

Mathe.delta und Schülersprech

Zu den vielen Fehlern, die man in der Lehrerlaufbahn kennenlernt, gehört der folgende eher zu den seltenen, weil er bei den Lösungen eher am Ende auftritt und nur die besseren überhaupt so weit kommen: -a ist negativ, weil es ein Minuszeichen hat.

Ein verwandter Fehler, der viel öfter vorkommt, weil man ihn am Beginn von Aufgaben macht, ist derjenige, den die Autoren von Mathe.Delta 11/12 BW auf S. 55 vorexerzieren. Dort sollen die Schüler Funktionsterme und Schaubilder zuordnen, aber weil es eine orangene Aufgabe ist, steht die Lösung der Autoren gleich darunter (vermutlich will man sie so auf das künftige Abitur vorbereiten). Jedenfalls geht es um die Funktion f(x) = - 0,5x; die Argumentation der Autoren ist die folgende:

     Das negative Vorzeichen [ . . . ] bewirkt, dass der Graph an der
     x-Achse gespiegelt ist.

Woran kann man einem Graphen ansehen, dass er an der x-Achse gespiegelt worden ist? Wenn es ein Bild linksdrehender Milchsäuren wäre, könnte man was machen, aber so? Tatsächlich ist es ja andersrum: der Graph von g(x) =  0,5x ist der an der x-Achse gespiegelte Graph von f. Wobei man sicherlich noch dazufügen könnte, dass es der Graph von h(x) = -2ist, den man an x- und y-Achse gespiegelt hat. Für alle, die keine Ahnung haben, worum es geht: mit "an der x-Achse gespiegelt" meinen die Autoren, dass das Schaubild unterhalb der x-Achse liegt. Weil "richtige" ungespiegelte Schaubilder immer oberhalb der x-Achse liegen.

Einen ähnlich unprofessioneller Umgang mit der mathematischen Fachsprache findet man in der Aufgabe 10 auf Seite 20 (die ist blau, die müssen die Schüler selber machen):

        Gegeben sind die Funktion  f1(x) = (x+3)2 - 3 und f2(x) = -(x-2)2 + 2. 
       Bestimmen Sie alle Punkte, an denen die beiden Graphen dieselbe Steigung haben.

Weil alle viel sind, fange ich mal mit zwei Punkten an: im Scheitel (-3|-3) von  f1 und im Scheitel (2|2) von  f2  haben die beiden Graphen dieselbe Steigung 0. Natürlich, so gut kenne ich schwammige Formulierungen von Abituraufgaben, war das anders gemeint. Gemeint war, an welchen Stellen beide Graphen parallele Tangenten haben. Gefragt haben sie allerdings was anderes.

Auch die Merkregel für Scheitel von Parabeln auf Seite 10 gefällt mir nicht:

      Hat eine Parabel zwei Nullstellen, liegt der Scheitel in der Mitte der 
      beiden Nullstellen.

Hier stört mich schon die Gleichsetzung von Parabeln mit Funktionen der Form f(x) = ax2 + bx + c; Parabeln sind geometrische Objekte, nämlich Kegelschnitte, und lassen sich bei geeigneter Wahl des Koordinatensystems durch  Gleichungen f(x) = ax2 + bx + c beschreiben. Auffallen sollte einem der vielen Autoren dann aber doch, dass "in der Mitte der beiden Nullstellen" dann doch etwas arg flapsig formuliert ist. Was sie meinen, ist, dass die x-Koordinate des Scheitels in der Mitte der beiden Nullstellen liegt. Aber lassen wir das.

Wo es aber aufhört, lustig zu sein, ist auf Seite 12. Dort schreiben die Kasper, dass man die Graphen der Funktionen f(x) = x-n Hyperbeln nennt. Nein, das tut man nicht. Hyperbeln sind Kegelschnitte. Parabeln, Ellipsen und Kreise sind ebenfalls Kegelschnitte. Auch das Schaubild der Hyperbel y=1/x ist ein Kegelschnitt. Alle andern Schaubilder der Form (x) = x-n sind allerdings keine Kegelschnitte. Sicherlich könnten die Autoren jetzt die Ausrede geltend machen, sie hätten weder auf der Schule, noch auf der Uni gelernt, was ein Kegelschnitt ist, und bei Harry Potter hätten sie das auch nicht gelesen. Das lasse ich gelten. Aber dann, liebe Leute, dann hält man den Ball flach und schreibt kein Lehrbuch über Mathematik.

Mittwoch, 29. April 2020

Didaktik der Analysis II

Noch einmal zurück zu Greefraths Didaktik der Analysis. Ich habe mir inzwischen Artins "Freshman Honors Course in Calculus and Analytic Geometry" besorgt, das deutsche Didaktiker so gerne zitieren (die meisten Treffer, wenn man nach pdfs googelt, in denen das Buch zitiert wird, gehen tatsächlich auf Kosten der deutschen Didaktiker) und  damit das Geschwurbel rechtfertigen wollen, mit dem sie die neuen Lehrbücher in Mathematik angefüllt haben. Artins Buch ist, das wird niemanden überraschen, ein Juwel: auf 70 Seiten präsentiert er meisterhaft den Inhalt einer Anfängervorlesung in Analysis. Schade, dass kaum jemand das Buch kennt.

Was den "propädeutischen Grenzwertbegriff" angeht, den Greefrath an Artin festmachen will, so ist zu sagen, dass Artin den Begriff der Steigung anschaulich erklärt und dann feststellt:

      Wir haben also den undefinierten geometrischen Begriff der Steigung 
     durch den undefinierten numerischen Begriff des Annäherns ersetzt. 
      Eine genaue Definition was mit "nähert sich an" gemeint ist wird später
      im Kurs gegeben werde, wenn Erfahrung Dich dafür bereit gemacht hat.

Auch an allen andern Stellen, an denen er den Beweis auf später verschiebt, klärt Artin seine mündigen Zuhörer auf, dass an dieser Stelle etwas fehlt, dass dies später nachgeholt wird, und erklärt, warum er das macht. Artin als Kronzeuge für eine Schulanalysis zu betrachten, in der alles in der Luft hängt (wo also nicht nur Grenzwerte, sondern auch Extrempunkte, Wendepunkte, Vorzeichenwechsel, Stetigkeit oder Monotonie nicht definiert werden), ist Rufmord. Allein dafür müsste man die moderne deutsche Mathematikdidaktik teeren und federn.

Heute schauen wir uns den Abschnitt 5.3.1 in Greefraths Buch an, das mit "Produktsummenaspekt" überschrieben ist. Mathematiker, die noch nie etwas von Produktsummen gehört haben, können hier etwas dazulernen:

       Unter einer Produktsumme versteht man einen Ausdruck des Typs
                           a1 · b1 + a2 · b2 + · · · + an · bn.
    Definition und Berechnung des Riemann-Integrals können mithilfe
    von Produktsummen erfolgen.

Hier kann man wieder sehen, dass Didaktiker keine Mathematiker sind. Letztere hätten sicherlich
     a1b1 + a2b2 + · · · + anbn oder Σ  ajbj
geschrieben.  Ich zähle inzwischen nicht mehr mit, wie oft mich meine Schülerinnen darauf hinweisen, ich hätte bei 2(3+4) einen Malpunkt vergessen. Ich habe auch noch keine Abituraufgabe gesehen, in der eine Funktion f(t) = 2e-t vorgekommen wäre: Es heißt immer f(t) = 2 · e-t. Dagegen scheint f(x) = 2x keinen Malpunkt zu verlangen. Außer man fasst 2x als Produktsumme auf.

Zurück zum Thema: Ist die Definition da oben eine Definition? Natürlich ist sie das nicht, weil gar nicht gesagt wird, was die aj und bj sein sollen. Ist 2 · Äpfel + 3 · Birnen eine Produktsumme? Ich weiß es nicht. Tun wir also mal so, als wären die aj und bj reelle Zahlen. Ist dann 1 eine Produktsumme? Eigentlich nicht, denn sonst wäre jede reelle Zahl eine Produktsumme und jede Produktsumme eine reelle Zahl, und man könnte sich die Bezeichnung locker sparen.

Warum muss man einem Ausdruck wie 2·3 + 3·4 eigentlich einen Namen geben? Das ist absolut nicht notwendig, auch nicht im Zusammenhang mit Riemannintegralen. Man hat hier aus einer Trivialität eine Schwierigkeit gemacht, mit der selbst gestandene Mathematiker Probleme haben.

Allerdings soll der Begriff ja einen Mehrwert haben:

      Die Betrachtung der Produktsummen ermöglicht zwei Interpretationen des
     Integrals im Rahmen dieses Aspekts. Da in den Produktsummen sowohl
     Summationen als auch Multiplikationen auftreten, kann jeweils die eine oder die 
      andere Operation betont werden. Die erste Interpretation ist die der verallgemeinerten 
      Summe, die im Rahmen der Kumulationsvorstellung diskutiert wird.

Ich verstehe kein Wort. Die Kumulationsvorstellung, so erfährt man auf S. 254, ist die näherungsweise Berechnung eines Integrals durch Riemannsummen:

         Ein Beispiel zur Förderung der Kumulationsvorstellung ist die Verallgemeinerung 
        der folgenden Definition der physikalischen Arbeit, die zunächst als Skalarprodukt 
       von Kraft- und Wegvektor aufgefasst werden kann: W = F · s
        Ist die Kraft allerdings wegabhängig, so kann für die näherungsweise Berechnung 
        dieses Skalarprodukts die Kraft längs kleiner Wegstücke als konstant
      angenommen und summiert werden.

     Das Integral wird im Sinne der Kumulationsvorstellung also als Produktsumme 
      aufgefasst, in der viele Teilprodukte gesammelt bzw. angehäuft sind. Diese Sicht auf 
      die Summation betont eher den Prozess und nicht das Ergebnis des Integrierens.

Beim Integrieren wird allerdings nicht summiert, weil Integrale Grenzwerte sind. Diese sind aber keine Produktsummen mehr, außer man fasst 1 · ∫ f(t) dt als Produktsumme auf. Dann ist es zwar eine Produktsumme, hat aber nichts mehr mit dem Prozess des Integrierens zu tun.

Das ganze hat natürlich mit Arbeit nichts zu tun und geht genauso mit Flächeninhalten: Das Integral ∫0a b  dx  beschreibt die Fläche eines Rechtecks, und die ist ein Produkt, nämlich F = a · b. Ist b dagegen nicht konstant, muss man unterteilen und aufsummieren. Integrale sind also, das haben wir jetzt gelernt, verallgemeinerte Produkte. Das kann man ruhig wiederholen, weil es ist wichtig:

      Die Integration kann also als verallgemeinerte Summation und Integrale können 
      als verallgemeinerte (Größen-)Produkte beschrieben werden.

Bestenfalls ist das Gerede über Integrale, Produktsummen und verallgemeinerte Produkte inhaltsleeres Gefasel, aus dem man nichts, aber auch gar nichts lernen kann.



Dienstag, 28. April 2020

Modellieren mit Mathe.Delta

Von Mathe.Delta 11/12 für das Basisfach Mathematik, das hier und  hier schon ausführlich diskutiert worden ist, ist jetzt ein ausführlicherer Teildruck erschienen, den man sich hier herunterladen kann. Auch dieser ist gespickt mit Fehlern unterschiedlicher Größenordnung, und was wäre in diesen Zeiten ein geeigneteres Thema, diese Besprechung zu beginnen, als die Modellierung von Epidemien.

Die Autoren haben sich dafür die Ebola-Epidemie 2014 hergenommen. Schon der erste Abschnitt gefällt mir nicht:


Keine Population entwickelt sich exponentiell. Sie kann sich zeitweise exponentiell entwickeln. Der Unterschied ist, wie wir noch sehen werden, umso wichtiger, als ihn die Autoren nicht einmal ansatzweise verstanden haben. Dass das exponentielle Wachstum vom Bestand abhängt, ist je nach Interpretation schwammig oder irreführend oder falsch. Der momentane Zuwachs hängt vom Bestand ab und bei exponentiellem Wachstum sind diese Größen proportional. Nicht das Wachstum hängt also vom Bestand ab, sondern die Änderungsrate. Und auch beim linearen Wachstum g(t) = mt + b, das sei doch angemerkt, geht der Anfangsbestand b in die Funktionsgleichung ein.


Das ist also der Epidemieverlauf, den wir gleich modellieren werden. Schön wäre es gewesen, der geneigte Leser hätte erfahren, was die Zahlen bedeuten: Neuinfizierte, die Gesamtzahl, die  täglichen Todesopfer? Ein Vergleich mit den Zahlen der WHO legt nahe, dass es sich hierbei um die Gesamtzahl der Infizierten handelt. Für später halten wir fest, dass der Abstand zwischen zwei Angaben 14 Tage beträgt, also nach Adam Riese zwei Wochen.

       Für diesen Verlauf wollen wir nun die zugrunde liegende 
       Exponentialfunktion finden.

Dass eine Exponentialfunktion zugrunde liegt bedarf anscheinend keiner Begründung - wir befinden uns schließlich im Kapitel Exponentialfunktion und Logarithmus. Es  wird also fröhlich "modelliert", und man erhält f(t) = 260 * 1,4t für die Anzahl der Infizierten. Vergleicht man beide Datenreihen graphisch, so die Autoren, ergibt sich eine gute Übereinstimmung:


Gegen Ende laufen die Kurven zwar auseinander, aber es kommt ja niemand auf die Idee, mit dieser Funktion Vorhersagen machen zu wollen.

Niemand außer den Autoren:


Wenn 14 Tage 3 Wochen sind, muss es sich um die berühmten 5-Tage-Wochen handeln. Und weil exponentielles Wachstum exponentielles Wachstum ist, wächst die Anzahl der Infizierten wahrscheinlich heute noch exponentiell. Rechnet man mit 2 Wochen für 14 Tage, kommt man auf 1,8 Millionen Infizierte nach einem Jahr. Nach den Zahlen der WHO waren es insgesamt 14.100.

Erstaunlich mag man auch die Merksätze finden, mit denen die Schüler des Basisfachs beglückt werden:


Die Quotienten benachbarter Daten? Wenn man so ein Geschwurbel kommentieren will, weiß man ja gar nicht, wo man anfangen soll.



Auch das scheint exponentielles Wachstum vom linearen oder beschränkten Wachstum zu unterscheiden; bei letzteren scheint es unbedeutend zu sein, welchen Zeitraum man sich anschaut.

Es scheint so zu sein, dass die Qualität der Schulbücher in Mathematik exponentiell abnimmt. Das würde bedeuten, dass es bald ein Mathematikbuch für Gymnasien gibt, das noch schlechter ist als dieses hier. Kann das sein?

Sonntag, 26. April 2020

Kalkülfeindlichkeit der modernen Didaktik

Es ist unter Kochdidaktikern vermutlich unbestritten, dass man heutzutage nicht mehr kochen zu lernen braucht, weil man seinen Big Mac beim Burgershop um die Ecke abholen oder online bestellen kann. In der Mathematik ist es jedenfalls so, dass Basisfertigkeiten im Rechnen heute nichts mehr zählen, weil das Taschenrechner und CASe (mehr kennt Didaktikers nicht) besser können als Kevin und Jacqueline. Wie im Falle von Frontalunterricht wird der Kampf gegen das Rechnen zum einen verbal geführt: So wie man den lehrergesteuerten Unterricht als Frontalunterricht verunglimpft, um eine Debatte über diese Methode überflüssig zu machen, redet man im Zusammenhang mit der Beherrschung grundlegender Algorithmen von kalküllastigem Unterricht.

Ein hübsches Beispiel dazu stammt aus Timo Leuders Artikel "Nachdenken verboten" (auch dieser Titel soll den Mathematikunterricht vor Leuders als einen hinstellen, bei dem Nachdenken überflüssig war):


Ich lasse es mal dahingestellt, ob man die letzte Aufgabe wirklich so stellen sollte. Jedenfalls stehen oben die alten schlechten Aufgaben, bei denen Nachdenken verboten war, und unten die neuen guten Aufgaben, die zum Nachdenken anregen.

Kann man so sehen. Was mir auffällt, ist dass aus den alten schlechten Aufgaben im Zahlenraum bis 100 jetzt Aufgaben im Zahlenraum bis 4 geworden sind. Zufall? Wer's glaubt . . .

Freitag, 24. April 2020

Bozo und Corona

Nein, diesmal geht es nicht um Trump, der Bürger von demokratisch regierten Bundesstaaten zum bewaffneten Widerstand aufruft oder zu untersuchen empfiehlt, ob man Corona heilen kann, indem man den Patienten Desinfektionsmittel spritzt.

Heute geht es um Rezo the Clown, der in einem Video gegen die Schulöffnungen anstänkert. Nun gibt es viele Gründe, sogar sehr gute, gegen Schulöffnungen zu sein. Aber was Rezo dann dahertrendet (das Wort trenden habe ich zuvor weder gekannt noch vermisst), fällt unter geistiger Dünnschiss.

Die Jugendseite der SZ schreibt:

       Zudem sei es Rezo zufolge auch belastend, dass die prüfungsvorbereitenden 
      Kurse zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen freiwillig sind.

Lieber Rezo, das ist schon seit Jahrzehnten so, dass die Abiturienten direkt vor der Prüfung die Schule nur noch freiwillig besuchen. Wer dieser Belastung nicht gewachsen ist, auf den möchte ich in 10 Jahren weder als Arzt noch als Klempner angewiesen sein. Und hätten ihre Eltern sie nicht auf ein Gymnasium geschickt, könnten Sie heute bei ALDI an der Kasse sitzen und hätten diese Belastung nicht.

        Vielen Schüler*innen fehle außerdem all das, was einen        
        Schulabschluss zusätzlich ausmache: die Aussicht auf eine 
        Zeugnisvergabe, ein Abiball, gemeinsames Feiern.

Das geht in der Tat nicht. Wenn man den Abiball nicht besuchen kann, kann man auch kein Abitur schreiben. Wo kämen wir da hin?

Wo wir da hinkämen (bzw. wohl schon sind), das kann man den Kommentaren der Petition nichtsemester entnehmen, die zum Teil so bescheuert sind, dass man daran zweifelt, manche dieser Student*innen hätten vor 30 Jahren eine Hauptschulabschlussprüfung bestehen können.

Donnerstag, 23. April 2020

Didaktik der Analysis

Befassen wir uns also ein wenig mit Greefraths Didaktik der Analysis, die pars pro toto für alle Bücher dieses Jahrtausends stehen, die vorgeben, sich mit der Didaktik der Analysis zu befassen.

Infinitesimalrechnung ist der Umgang mit Grenzwerten, jedenfalls wenn man sich nicht mit hyperreellen Zahlen abgeben will (und es macht, nebenbei bemerkt, gar keinen Sinn, die Grenzwerte, welche viele Schüler nicht verstehen, durch Konstruktionen zu ersetzen, die kaum ein Lehrer auch nur ansatzweise verstehen kann). Die Mathematikdidaktik hat sich von Grenzwerten verabschiedet:

        Das Konzept einer derartigen strengen Behandlung des Grenzwertbegriffs
       im Zusammenhang mit Folgen wurde vielfach kritisiert (etwa Pickert 1962).
       So wurden zu Beginn des Analysisunterrichts aufgrund des breit behandelten
       "Vorbaukapitels Folgen" kaum Anwendungsaufgaben behandelt, es traten im 
       Unterricht bei vielen Schülerinnen und Schülern Schwierigkeiten beim Rechnen 
       mit Beträgen und Ungleichungen und numerischen Abschätzungen auf, und es fehlten 
       entsprechende Veranschaulichungen insbesondere bei rekursiv definierten Folgen.

Das ist das, was Kaenders "antididaktische Omission" genannt hat, was aber wohl eher "didaktische Omission" heißen muss, weil fast alle Didaktiker dieser Methode anhängen: Was Schülern Schwierigkeiten bereitet, wird einfach weggelassen.

Dies kann aber nicht das Ziel von Bildung sein; Bildung bedeutet doch im Gegenteil, dass man lernt, sich mit Schwierigkeiten auseinanderzusetzen, dass man lernt, sie zu meistern anstatt sie zu umgehen.

Die Begründung, warum der moderne "propädeutische Grenzwertbegriff" flächendeckend eingeführt worden ist, verläuft in der heutigen Didaktik ausnahmslos mit Verweis auf Emil Artin und Serge Lang (zwei der wirklich großen Mathematiker des 20. Jahrhunderts), die das in den 60er Jahren in ihren Anfangsvorlesungen in den USA so gemacht hätten.

Allerdings ist das bestenfalls Augenwischerei, und ich würde das eher unter dreiste Lüge verbuchen. Richtig ist, dass die beiden bei der Einführung in die Analysis einen intuitiven Grenzwertbegriff benutzten; im Gegensatz zu den Vertretern der modernen Didaktik haben sie diesen Begriff allerdings nicht vermieden, sondern benutzt!

Lang beispielsweise beginnt mit Ungleichungen, der Betragsfunktion (die didaktische Omission war noch nicht erfunden), der Kreisgleichung, Potenzgesetzen und was man sonst noch unbedingt braucht, und entwickelt ganz ausführlich das, was man heutzutage die "h-Methode'' zu nennen beliebt (ein schrecklich nichtssagender Begriff). Außerdem erklärt er die Bedeutung der Schreibweise lim [f(x+h) - f(h)]/h und dann kommen eben Gesetze zum Rechnen mit Grenzwerten, dass etwa der Operator lim linear ist, also Summen und Produkte respektiert.

Danach folgt der Begriff der Stetigkeit, der Beweis der Produkt-, der Quotienten- und der Kettenregel, die Zwischenwertsätze, der Begriff der Monotonie und der Konvexität, die Ableitung der trigonometrischen Funktionen und der Umkehrfunktionen, sowie der Exponential- und Logarithmusfunktionen. Auch wenn der Begriff des Grenzwerts intuitiv und ohne ε und δ eingeführt wird, folgt danach Mathematik und nicht das Wischiwaschihändewedeln der heutigen "Lehrbücher" der Schulmathematik. Tatsächlich glaubt die moderne Didaktik, dass man neben dem intuitiven Grenzwertbegriff eben auch mit intuitiven Vorstellungen all dieser Regeln (bewiesen wird davon heutzutage nämlich keine mehr) arbeiten kann und das ganze dann immer noch Mathematik ist. Das ist ein monumentaler Trugschluss, und diesen dann auch noch auf Artin und Lang zu schieben ist eine Unverschämtheit.

Montag, 20. April 2020

Mathematikdidaktik

Auch ich wurde unlängst mit der Frage konfrontiert, ob es ein gutes Buch zur Didaktik der Mathematik geben würde. Ich will darauf noch zurück kommen und verweise erst einmal auf "Le débacle d'école", das der französische Fieldsmedaillist Laurent Lafforgue mitherausgegeben hat und in dem schonungslos offengelegt wird, was die französischen Spezialisten der Erziehungswissenschaften in unserem Nachbarland angerichtet haben. Wer hierzulande unterrichtet, kennt die Diagnose. Und als ein Beispiel einer recht frühen Kritik an Auswüchsen von genau der Didaktik, die uns inzwischen wie ein Tsunami überrollt hat, sei noch Horst Karaschewski, "Irrwege moderner Rechendidaktik. Eine kritische Analyse" genannt.

Bevor wir allerdings zu Büchern kommen, hätte ich gern die Frage geklärt, was Mathematikdidaktik eigentlich soll. Das Internet weiß die Antwort, weil eine gewisse Katja Biersch mehr als ein Dutzend ihrer geistigen Erzeugnisse im Netz verkauft, und eines darunter Ziele und Inhalte der Mathematikdidaktik heißt. Schon der erste Satz verrät, dass diese Hausarbeit in diesem Jahrtausend geschrieben wurde:

           Didaktik ist die Ableitung von dem griechischen Verb „did`askein“.

Ich fand den Spruch, der Dativ sei dem Genitiv sein Tod zu meiner Schulzeit unheimlich witzig. Aber ich wusste ja auch noch, was ein Genitiv ist, weil man nicht nur in Latein und Altgriechisch nicht darum herum kam, sondern weil man ihn seinerzeit auch noch im Deutschen benutzt hat. Auch der Unterschied zwischen einem bestimmten und einem unbestimmten Artikel war uns damals noch geläufig.

        Es kann sowohl aktiv (lehren oder unterrichten), als auch passiv 
        (lernen oder unterrichten) und medial (sich selbst lehren) verwendet werden.

Das Passiv von unterrichten war seinerzeit auch noch nicht unterrichten, sondern unterrichtet werden, selbst für Schüler, die damals im Deutschunterricht geschlafen haben.

        Die Didaktik beschäftigt sich mit der Frage wer, wann, was, mit wem,
        wo, wie, womit, wozu wir lernen sollen.

Die Frage, wer wir lernen sollen, interessiert mich auch. Vermutlich muss ich mich für eine Antwort in der Didaktik umsehen.

          Unter Mathematikdidaktik versteht man die Wissenschaft, die sich mit
         dem Lehren und Lernen von Mathematik befasst. 
         Sie bildet die Grundlage für jeden Mathematiklehrer .

Sie bildet für mich die Grundlage. Das ist genau die Art von hohler Phrasendrescherei, die ich an der Didaktik so liebe.

        Die Mathematik ist eine anwendungsorientierte Wissenschaft.

Das ist in der Tat die Vorstellung, die Didaktiker von Mathematik zu haben scheinen. Selbstverständlich ist Mathematik anwendbar; anwendungsorientiert ist aber etwas ganz anderes. Nichts, aber auch gar nichts in den Elementen Euklids ist beispielsweise anwendungsorientiert: deswegen hat die Didaktik die euklidische Geometrie in den letzten 30 Jahren ja ebenso aus dem Lehrplan entfernt wie Algebra, Folgen, Konvergenz, Grenzwerte, sowie Definitionen und Beweise. Was übrig geblieben ist sind Rezepte zur Bestimmung des maximalen Zuflusses von Wasser in einen Stausee.

        Sicher kann Mathematik interessant und schön sein, sicher ist aber auch, 
        dass der Mathematikunterricht sehr vielen Schülern keinen Spaß bereitet, 
         sie ihn hassen, abwählen oder nur still erleiden.

Liebe Katja, soll ich Dir mal was sagen? Ich bin Mathematiklehrer und oft genug erleide ich den Mathematikunterricht ebenfalls mehr oder weniger still. Und ich kann Dir auch sagen, warum. Weil mich dieser "wirklichkeitsnahe" Scheißdreck anfault.

        Wirklichkeitsnah bedeutet, den Alltag einzubeziehen, Situationen 
       aus dem Umfeld der Schülerinnen und Schüler zu thematisieren, 
        auf mathematische Gehalte zu untersuchen und Gelerntes in realen 
        Anwendungssituationen zu benutzen.

Ich kann solche Machwerke nicht lange lesen, ohne den Autoren Dinge an den Hals zu wünschen, die man niemandem an den Hals wünschen sollte. Lassen wir es also dabei und verabschieden wir uns mit einem Satz, der die Phrasendrescherei noch einmal in voller Blüte zeigt:

          Lebensweltbezug, Handlungserfahrungen und Modellbildung führen 
          dazu, dass der Lernende Beziehungen erkennen und beschreiben 
         kann, er Wesentliches und Unwesentliches unterscheiden sowie 
         Zusammenhänge der Realität in mathematische Begriffe übersetzen kann. 

Natürlich muss man als Didaktiker nicht begründen, dass Lebensweltbezug und Modellbildung dazu führen, dass der Lernende (da führt man als Genderspezialist und Sprachverbrecher das Unwort Lernende ein, um das maskuline Wort Schüler zu vermeiden, und dann kommt Katja und schreibt "der Lernende". Zu doof zum Gendern) Wesentliches und Unwesentliches unterscheiden kann. 500 Mark ins Phrasenschweinchen. 



      

Dienstag, 14. April 2020

Grimms Märchen und Corona

Merkel hat ja schon im Voraus angekündigt, bei der Lockerung der Maßnahmen gegen das Corona-Virus auf die Experten der Leopoldina hören zu wollen - wie sich jetzt herausstellt, sind das vor allem Bildungsforscher und Sozialwissenschaftler. Wie es dazu gekommen ist, dass diese Brut (und damit meine ich vor allem, aber nicht ausschließlich, den unsäglichen Chef des IPN Kiel, Herrn Köller, der als Psychologe auch zu wissen glaubt, wie man richtig Mathematik unterrichtet, ohne jemals auch nur eine einstündige Vorlesung in Mathematik oder einer Naturwissenschaft gehört und ohne jemals auch nur ein einziges Kind unterrichtet zu haben) sich in solche Gremien schleichen konnte, weiß ich nicht.  

Dagegen weiß ich, wie man Wirtschaftsweise wird. Man wird vom Wirtschaftsminister Altmaier vorgeschlagen und dann stimmt das Bundeskabinett zu. Frau Prof. Dr. Veronika Grimm wurde auf diese Art am 1. April zur Wirtschaftsweisen. Und kaum zwei Wochen später fühlt sie sich berufen, ihre Weisheit kundzutun:

      Wir werden nicht mehr so stark auf internationale Lieferketten vertrauen.

Potzblitz. Das ist es, was Deutschland braucht: Pappnasen, die einem, sobald es in allen Zeitungen gestanden hat, sagen, was man davor hätte richtig machen sollen. 

Montag, 13. April 2020

26 Gelehrte und Corona

Jetzt sollen also, geht es nach dem Gelehrtenrat der Leopoldina, die Schulen wieder öffnen.

        26 Gelehrte hatten über die Ostertage in einem stundenlangen
        Diskussionsverfahren einen Konsens hergestellt, welche 
        Empfehlungen sie der Regierung geben.

Stundenlang haben sie also diskutiert. Da hat sich jemand Mühe gegeben.

       Namhafte Wissenschaftler wie der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen 
       Lars Feld, die Ethikerin Claudia Wiesemann, der Rechtsphilosoph 
       Reinhard Merkel oder der Soziologe Armin Nassehi stimmten sich dafür 
       in Telefonkonferenzen ab

So buchstabiert man Recipe for disaster. Wenn die vollständige Liste der namhaften Gelehrten vorliegt, wird es mich nicht wundern, wenn darunter auch noch ein paar Theologen, Mathematikdidaktiker und andere Spezialisten für Pandemien sind.
     

Sonntag, 5. April 2020

Betamännchen und Corona

Zu den unzähligen Experten, deren Stimme in diesen Zeiten nicht genügend gewürdigt wird, zählt auch der Didaktiker Wolfgang Meyerhöfer, der uns in der FAZ den Schwindel der Statistik erklärt.

     Der Umgang mit Corona ist zunächst einmal nur ein mehr oder
     weniger sinnhafter Umgang mit Zahlen.

Das Problem, das ich mit den allermeisten Didaktikern habe, ist, dass ich sie entweder nicht verstehe, oder dass ich sie verstehe und sie einen rechten Unsinn schreiben. Ich habe noch nicht herausgefunden, ob ich diesen Satz nicht verstanden habe oder ob es Unsinn ist. Vielleicht ist es auch beides.

     Ob er an Corona gestorben ist, geht daraus nicht hervor.
     Der Unterschied ist mathematische Haarspalterei.

Auch hier ist mir unklar, ob ich Herrn Meyerhöfer nicht verstehe oder einfach nur Unsinn dasteht.

     Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens basieren [ . . . ] auf der Anzahl der positiv Getesteten.

Diesen Satz verstehe ich, und es handelt sich um Unsinn. Die Einschränkungen basieren auf Schätzungen derjenigen positiv Getesteten, die intensiver ärztlicher Hilfe bedürfen.

      Die Mathematiklehrer der Republik freuen sich, denn hier sieht
      man eine exponentielle Funktion.

Auch diesen Satz glaube ich zu verstehen:  Deutsche Mathematiklehrer scheinen sich zu freuen, wenn sie eine exponentielle Funktion zu sehen glauben. Dass die meisten Mathematikdidaktiker weder von Mathematik noch von deren Unterricht viel verstehen, habe ich schon oft erklärt. Offenbar haben sie auch von der Spezies Mathematiklehrer keine Ahnung.  Und was die exponentielle Funktion angeht, über die sich Leute wie ich freuen, wenn sie uns über den Weg läuft, seien hier die drei exponentiellen Funktionen in Italien, China und den USA dargestellt:


Wer sich über diese exponentiellen Funktionen nicht freut, ist kein Mathematiklehrer im Meyerhöferschen Sinne. Aber wer freut sich nicht über die "schönen Muster", in denen diese Zahlen der Angesteckten explodieren? Die Bürgermeister von Bergamo und New York? Nun ja, sie sind halt auch keine Mathematiklehrer.

      Dies ist aber leider nur "mathematische Bildung erster Ordnung".

So viel traut ein Didaktiker uns Mathematiklehrern dann doch noch zu. Für alles, was darüber hinausgeht, brauchen wir die Hilfe der Didaktik. Die Kernfrage nämlich ist die:

       Welches Problem beschreibt die Kurve?

Erst einmal gar keines, weil die Kurve nur den Anstieg der Infiziertenzahlen anschaulich macht. Ich verstehe das Problem also nicht - vermutlich, weil ich nur ein Mathematiklehrer bin. Aber der Herr Meyerhöfer wird mir die Sache schon noch erklären:

      Zu fragen ist, ob es eigentlich schlimm ist, wenn viele Menschen
      mit Corona infiziert sind.

Das hängt, wie Herr Meyerhöfer erkannt hat, davon ab:

       Wenn viele Tote auch noch das Corona-Virus in sich tragen,
        so ist dies noch kein Problem.

Als Toter braucht man also keine Angst vor Corona zu haben. Erstaunlich, welche Erkenntnisse die FAZ heutzutage so abdruckt.

      Noch wird öffentlich nicht die alles entscheidende Frage gestellt, 
      wie hoch die Rate der Infizierten ist, die ernsthafte ärztliche 
      Hilfe benötigen.

Das ist einigermaßen erstaunlich, weil diese Frage seit Wochen diskutiert wird. Deswegen gibt es doch das Kontaktverbot.

        Das Problem der Datenerhebung kann in einem Mittelstufen-Klassenzimmer 
        bildend diskutiert werden.

Für alle, die sich wundern, warum jetzt plötzlich ein Mittelstufen-Klassenzimmer auftaucht: das ist Didaktikersprech für "Das versteht eigentlich jeder Depp. Erstaunlich, dass ich Ihnen das erklären muss".

    Es gibt auf keinem wissenschaftlichen Gebiet einen Konsens der Fachleute.

Die Fachleute in der Biologie streiten sich bekanntlich ja auch immer noch, ob Darwinismus oder intelligent design richtig ist. Auf dem Gebiet der Didaktik sind sich die Fachleute allerdings sehr wohl einig: man braucht mehr Lehrerfortbildung und mehr Geld zur Erhebung von noch mehr Daten, und man braucht viel Digidal und kein Einmaleins. Dieser Konsens, so folgere ich dann mal, beweist, dass Mathematikdidaktik kein wissenschaftliches Gebiet ist. Damit kann ich leben.

 Die Politik der Bundesregierung ist, so Meyerhöfer,  übertrieben:  sein Gedanke, der sich nicht aus den Zahlen legitimiert, sondern nur mit ihnen spielt (wieder so ein Satz, wo ich nicht weiß, ob ich ihn nicht verstehe), ist die Kontaktsperren nur für die Älteren ab 70 einzuführen. Schweden hat das vorgemacht. In Stockholm hat das nicht ganz funktioniert. Das wird auch hier nicht funktionieren, weil Leute über 70 lieber das Risiko eingehen, an Corona zu sterben als sich zwei Jahre lang von ihrer Familie fernzuhalten.

Danach wird Corona als eine Art Grippe bezeichnet; da ist Herr Meyerhöfer im selben Klub wie die Rechtsausleger Lukaschenka (Sehen Sie hier einen Virus fliegen?) und Bolsonaro  (ein Grippchen, gegen den die Brasilianer immun sind), während selbst Trump sich von derartigen Vorstellungen durch seine Experten hat wegprügeln lassen.

Und dann noch einmal Mathematiklehrerbashing - der Mann ist schließlich Didaktiker und kann nicht aus seiner Haut:

     Der Mathematikunterricht nimmt hier seine staatsbürgerschaftliche 
      Verantwortung nicht wahr. dort wird nicht darüber informiert,
       dass auch in normalen Zeiten Tote administrativ immerfort 
       monetarisiert werden.

Dabei wäre das doch die Pflicht jedes Mathematikunterrichts, der seiner staatsbürgerschaftlichen Verantwortung nachkommt.

        Bei jedem Straßenbauprojekt werden Verkehre in Tote und Verletzte umgerechnet.

Tatsächlich? Wieviel Tote und Verletzte entsprechen 5 Verkehre? Ich kann das schon unterrichten, wenn mir die Didaktik den entsprechenden Umrechnungsfaktor liefert. Googeln hilft auch nicht recht: Frech, wie das Internet so ist, behauptet es, Verkehre sei der Dativ Singular des Wortes Verkehr.

Lassen wir es gut sein. Allerorten wird darüber nachgedacht, wie man die Zeit nach Corona besser organisieren kann und welche Lehren aus der Krise zu ziehen sind. Ein Vorschlag meinerseits: wir denken mal, wie Herr Meyerhöfer das vorschlägt, in Kosten-Nutzen-Kategorien und wägen den zu erwartenden Nutzen der Mathematikdidaktik im Hinblick auf ihre Kosten ab.






Mittwoch, 1. April 2020

Alphamännchen und Corona

Heutzutage lernen Kinder an jeder richtigen Schule, dass man nach 5 Minuten googeln ein Experte ist und dem Rest der Klasse dann fundiert etwas beibringen kann. Manche Erwachsenen kriegen das auch ohne google hin. Zwei Beispiele, die nicht zu dieser Klasse von Schaumschlägern gehören, sind Fußballtrainer. So meinte Nagelsmann, auf Corona angesprochen:
   
      Sie fragen auch keinen Virologen, wie man gegen Wolfsburg spielt.

Auch Klopp ist intelligent genug, um zu wissen, dass er nichts weiß: Er trage Basecap und sei schlecht rasiert - warum also sollte gerade er fundiert über die Coronakrise sprechen können?

Andere deutsche Schwätzer halten sich dagegen an Karl Valentin, nach dem zwar schon alles gesagt sei, aber längst nicht von jedem. Da ist dieser Möchtegernsatiriker (oder hält er sich für einen Kabarettisten?), der keine Ahnung hat, was eine Pointe ist, sich grundsätzlich über andere lustig macht, immer nach unten und nie nach oben tritt und, wie schon wiederholt festgestellt habe, nuhr ein Arschloch ist. Ein anderer unrasierter Schwätzer ist Deutschlands Fernseh- und Stern-Philosoph Precht, der der Nation mit seinem geballten im Germanistikstudium angehäuften Wissen mitteilt, Corona sei nicht gefährlicher als eine normale Grippe. Ich spare mir weitere Kommentare und verweise auf diesen blog.