Sonntag, 15. November 2015

Schriftliche Division und moderne Didaktik

Schrftliches Rechnen, so tönt es seit drei Jahrzehnten aus den
Publikationen der Didaktiker (Meißner, Krauthausen, Ralston, ...)
habe sich mit der Verbreitung der Taschenrechner überlebt. Wenn wir
ein Gerät haben, das uns die richtige Antwort gibt, so das Credo
der Spezialisten, dann müssen wir nicht mehr wissen, wie oder warum
schriftliche Division funktioniert.

Mit dümmlichen Äußerungen von Didaktikern über das schriftliche
Dividieren ließen sich ganze Bücher füllen; deutlich dünner wären
Bücher, in denen Universitätsmathematiker von Rang und Namen
(de Shallit, Milgram) das Unterrichten der schriftlichen Division
verteidigen, weil es darum eben nicht, wie von der Didaktik
suggeriert, um das Erhalten eines Ergebnisses geht, sondern um
den Erwerb einer Technik, ohne die man unser Dezimalsystem kaum
wirklich verstehen kann.

Bereits bei der schriftlichen Multiplikation wird das heute auf der
Grundschule kaum mehr eingeübte Einmaleins gefestigt - wohlgemerkt
auf dem Gymnasium, da man sich auf der Grundschule lieber mit
Würfelnetzen, Fragen der Symmetrie, oder propädeutischen Übungen
zur Wahrscheinlichkeit beschäftigt. Die Vertreter der
Bespaßungsmathematik tun ja oft so, als hätte die Abschaffung mühevoller
Techniken keinen Preis; wenn Kinder, die auf der Grundschule liebend
gern gerechnet hätten, sich auf der weiterführenden Schule blamieren,
weil ihnen gerade 4 mal 6 nicht einfällt, ist es mit dem Spaß aber
schnell vorbei.

Die schriftliche Division dagegen erfordert mehr als das kleine
Einmaleins: jetzt genügt es nicht mehr zu wissen, dass 4 mal 6 gleich
24 ist, jetzt ist plötzlich gefragt, wie oft die 6 in die 27 geht:
man muss lernen, ein Gefühl für Zahlen zu entwickeln, das zwar auf dem
Einmaleins aufbaut, aber deutlich darüber hinausgeht.

Das Umrechnen von Brüchen in Dezimalzahlen erfordert eine noch
größere intellektuelle Anstrengung: während 1/5 = 0,2 ist, erhält
man 1/3 = 0,33333...: was bedeutet das? Hier taucht erstmals die
Idee eines Grenzwerts, einer Intervallschachtelung, oder auch nur
einer Approximation auf, auf der das gesamte Gebäude der Analysis
aufgebaut ist. Wer nie Brüche in Dezimalzahlen (und umgekehrt)
verwandelt hat, muss deutlich höher springen, wenn er verstehen will,
warum man zur Einführung der Quadratwurzel aus 2 den Zahlbereich
erweitern muss: wenn 2/17 und diese Wurzel aus 2 nur noch die Zahl sind,
die der Taschenrechner angibt, dann kann man diese Notwendigkeit
nicht einmal ansatzweise verstehen.

In der Algebra, die man inzwischen ebenfalls abgeschafft hat (am Gymnasium:
die baden-württembergischen Realschüler dagegen lernen immer noch etwas über
binomische Formeln, Bruchgleichungen und Definitionsbereich), ist der
Divisionsalgorithmus später bei der Polynomdivision noch einmal
aufgetreten, und das Problem periodischer Dezimalzahlen hat bei der
geometrischen Reihe eine Renaissance erlebt. Termumformungen, da ist
sich die Didaktik treu geblieben, muss man heute nicht mehr beherrschen,
weil es Computeralgebrasysteme gibt. Dies läuft darauf hinaus, dass wir
heute Abiturienten produzieren, die nicht einmal mehr ein technisches
Studium (geschweige denn eines in Physik oder gar Mathematik) durchstehen,
weil sie bei den einfachsten Termumformungen versagen. Vermutlich sollten
wir künftig einfach mehr Arbeitsplätze im Bildungsministerium bereitstellen.

2 Kommentare:

  1. Wir müssen alles mögliche lernen: Boxplot, Funktionen mit dem CAS plotten. Nur rechnen müssen wir nicht mehr können. Dabei könnte man Ersteres leicht auf Wikipedia nachschauen wenn man vorher ein "Verständnis für die Mathematik" entwickelt hat. Das kann man leider nicht eben schnell googeln.

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  2. Wenn Sie sich schon die Mühe machen, Krauthausen zu verlinken, hätten Sie ihn auch lesen können. Ansonsten wirkt der dümmlich, der nicht zitieren kann.

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