Samstag, 15. Oktober 2016

Wanka goes digital

Die Kurzversion der Bildungsoffensive am Ende von Wankas Dienstzeit: 5 Mrd Euro zur Digitalisierung der Schulen: smartphones, tablets, laptops und freies WLAN. Alle sind dafür, nur die ewiggestrigen Lehrer nicht.

Sabine Lennartz hat die Sache in der Schwäbischen Zeitung vom 13.10.2016 etwas ausgeschmückt.

Auch wenn sie wenig von Rankings hält, ist sich Wanka sicher, dass Deutschland nicht gerade einen der ersten Plätze in puncto Digitalisierung einnimmt.

Ich halte auch wenig von Rankings, und ich bin mir sicher, dass Deutschland nicht gerade  einen der ersten Plätze in puncto Heroinkonsum einnimmt. Aber warum sage ich das dann?

"Hier ist Klotzen richtig", kräht Frau Lennartz:

Doch richtig ist der Digitalpakt. Denn natürlich dürfen deutsche Schulen die Entwicklung nicht verschlafen - und auch deutsche Lehrer nicht.

Die deutschen Lehrer hätten womöglich auch die Mengenlehre in den 1970ern verschlafen, wenn man sie nicht rechtzeitig geweckt hätte.

Sie sind in einer Schlüsselfunktion für die Vermittlung moderner Lehrinhalte.

Das sind sie wohl. Gerne hätte man mehr über den Rest -also altmodische Lehrinhalte - erfahren.
Was sollen wir mit denen machen? Stattdessen kommt ein kleiner Schwenk:

Und da macht es schon sehr nachdenklich, dass ausgerechnet der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus meint. das Milliardenprogramm solle besser in die Sanierung der Gebäude fließen.

Der Behauptung, die Bemerkung mache sie nachdenklich, folgt leider nichts, was irgendwie an Nachdenken erinnert:

Sicher, Kraus ist wie alle jenseits von 55 Jahren kein "digital native". Er ist noch ohne Computer groß geworden, und viele Schulkinder sind ihm wohl in der digitalen Welt voraus.

Bei der ganzen Diskussion um Trump weiß man langsam nicht mehr, ob man zu Frauen noch Dumpfbacke sagen darf. Fangen wir mal ganz langsam an:

  • Die komplette digitale Welt, in der die vielen Schulkinder Herrn Kraus voraus sind, ist nicht im Jahre 2000 vom Himmel gefallen: Computer, Programmiersprachen, Betriebssysteme, Internet und vieles andere mehr wurde von Leuten entwickelt, die heute jenseits von 55 Jahren sind.
  • Was meine Person betrifft: ich habe auf der Schule Informatik gehabt, BASIC gelernt. später in Tübingen im ersten Semester mit Pascal und Lochkarten eine Univac programmiert, und habe später mit C, pari, sage, LaTeX und weiteren Programmen Bekanntschaft gemacht. Die Tatsache, Frau Lennartz, dass ich keine facebook-Freunde besitze, gibt Leuten wie ihnen nicht das Recht, öffentlich zu verbreiten, wir lebten irgendwo hinter dem Mond. Was Sie hier machen, ist einfach nur schäbig.

Doch in welchem Jahrhundert lebt der Lehrerverbandschef, wenn er digitale Bildung immer noch nicht für nötig hält?

Wenn Sie rechts oben auf die Seite der Schwäbischen Zeitung schauen, steht dort eine vierstellige Zahl, nämlich 2016. Davon nehmen sie die ersten beiden Ziffern und lassen sich von jemandem in der Redaktion 1 dazuaddieren, dann haben Sie das richtige Jahrhundert.

Natürlich muss der Schimmel von den Wänden in den Schulen. Doch genausowenig darf man die Lehrpläne Schimmel ansetzen lassen.

Dieser Satz krönt eine außerordentliche journalistische Leistung. Ich weiß nicht, wann Lehrpläne zu schimmeln beginnen, aber ich bin seit 8 Jahren Lehrer und erlebe inzwischen das dritte neue Lehrbuch für Mathematik in diesem Zeitraum. Und ich wünschte. ich könnte sagen, dass irgendetwas an den neuen Büchern besser ist als in den alten.

Wo wir schon bei Krönung sind: den Artikel ziert bas Bild einer Grundschullehrerin.

Diese schaut allem Anschein nach auf ihrem Tablet nach, wie man Quadrate (oder sollen es Kreise sein?) auf die Tafel malt. Es ist nicht auszudenken, was sie gemacht hätte, wenn sie in einem Jahrtausend geboren worden wäre, als es solche Hilfsmittel noch gar nicht gab.

Auch Fachleute werden interviewt, nämlich Professor Michael Henniger von der PH Weingarten, dort  Direktor der Zentrums für Lernen mit digitalen Medien, und zwar von Sarah Schababerle (der einzig positive Aspekt der ganzen Leserei: den Namen kannte ich noch nicht).

Dabei sind doch manche Schulgebäude sanierungsbedürftig. 
Die Infrastruktur auf der baulichen Ebene ist eine ganz andere Baustelle. Aus meiner Sicht geht es um die Zukunftsfähigkeit unserer Kinder, und da würde ich einen Schwerpunkt setzen. Die digitalen Inhalte sind wichtiger, als die baulichen Defizite in Schulgebäauden.

Eine ganz erstaunliche Antwort. Fangen wir hinten an: die Bewohner von Aleppo können sich glücklich schätzen: ein smartphone in der Hand ist besser als ein Haus, das einem unter dem eigenen Hintern weggebombt wird.

Ich weiß nicht, wann die deutschen Journalisten begonnen haben, vor jedem als ein Komma zu setzen. Es ist wohl schon eine Weile her; inzwischen heißt es zwar
I know more than you do
Je sai plus que toi
Yo se mas que tu
aber:
Ich weiß mehr, als du.
Es ist zum Verzweifeln. Das ganze erinnert an die Hanswurste von Fußballkommentatoren, die seit einigen Monaten ständig mit der Anzahl der überspielten Gegner kommen und meinen, das würde irgendetwas bedeuten. Wenn Mats Hummel bei jedem Ballkontakt den Ball über das ganze Spielfeld hinter die gegnerische Torauslinie drischt, überspielt er jedesmal 11 Gegner, wird aber vom Trainer vom Platz genommen. Zumindest heute noch - vermutlich sieht der Fußball in 5 Jahren ganz anders aus.

Zurück zu Professor Henniger. Ich weiß nicht, wie intelligent man sein muss um zu glauben, es sei für das Lernen wichtiger, ein digitales Spielzeug in der Hand zu halten als dass es auf den Schreibtisch tropft, wenn es regnet. Ich ahne aber, dass die Antwort darauf "eher wenig" heißt.

Zum Glück für die Leser der Schwäbischen Zeitung wurde Professor Henniger auch gefragt, wozu das alles gut sei:

Welche Chancen und Risiken bietet die digitale Infrastruktur?
Das Thema digitale Bildung hat sich in den letzten Jahren ziemlich abgenutzt. Es wurde unter dem Thema E-Learning malträtiert, und es ist immer weiter in den Hintergrund geraten. Aber es ist natürlich kein altes Thema. Wenn Sie die Stichworte Industrie 4.0 und die globalen Trends anschauen, dann ist es klar, dass sich Deutschland und sein Bildungssystem diesen Inhalten nicht verschließen können. Und ich glaube, dass durch diese Initiative das Thema auf der Agenda wieder weiter nach vorne rückt.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe den Eindruck, dass Professor Henniger von der Frage
intellektuell überfordert war. Was hat sein Gestammel, man möge sich das Stichwort Industrie 4.0 anschauen, mit Chancen und Risiken der Digitalisierung der Schulen zu tun? Seine Antwort klingt in meinen Ohren wie die Persiflage einer Politikerrede von Loriot.

Inwiefern stellt das die Lehrer vor Herausforderungen?
Es ist nicht damit getan, dass Lehrer wissen, wie ein Tablet oder Facebook funktioniert. 

Was wollen uns, um mit Otto zu sprechen, diese Worte sagen? Dass Lehrer wissen müssen, wie ein Tablet oder Facebook funktioniert? Weil sie das cool macht? Weil der Unterricht besser wird? Weil die Schüler dann mehr lernen? Weil  jemand Professor Henniger eine Frage gestellt hat und jetzt eine Antwort hören will? Nein, nein, mein Freund:

Diese Inhalte sind so wichtig, dass sie m Lehrplan stehen müssen. Wir müssen unsere Lehrer mit diesen Inhalten auch systematisch qualifizieren. Im Moment geschieht da zu wenig.

"Diese Inhalte" hat der Herr Professor in den zwei Zeilen dazwischen nicht konkretisiert. Ist aber auch nicht so wichtig. Wichtig ist, dass diese unbekannten Inhalten in den Lehrplan müssen. Warum?
Ganz einfach: jede Publikation eines modernen Didaktikers endet mit dem Satz, dass noch viele Fragen offen sind und noch mehr Geld benötigt wird,um weitere Untersuchungen zu finanzieren. Professor Henniger will die Digitalisierung im Lehrplan, weil er dann über Heerscharen von qualifizierten Didaktikern gebieten kann, die den dummen Lehrern im Lande zeigen, wie ein Tablet oder Facebook funktioniert.

Die Lehrer dagegen freuen sich noch nicht auf den Unterricht von 30 Schülern, die im Unterricht mit laptops im Netz unterwegs sind. Angeblich könne dadurch der Unterricht etwas leiden. Die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) widerspricht:

Sie widersprach, dass die Qulität des Unterrichts unter der Digitalisierung leide, wie Kritiker des Deutschen Lehrerbundes warnten.

Es tut gut, von Politikerinnen regiert zu werden, die einfach in die Zukunft blicken können und jetzt schon wissen, wie sich die Digitalisierung auf den Unterricht auswirkt, und das, ohne im ganzen Leben auch nur einmal an einer Schule unterrichtet zu haben.

Nun, in die Zukunft blicken kann ich auch:




"Das ist nicht die Zukunft!", sagen Sie? Da haben Sie auch wieder recht.

Selbstverständlich gibt es auch Lob, wenn jemand so viel Gutes tut: die Telekom Stiftung preist die Ankündigung als großen Schritt in die richtige Richtung, was den Laien erstaunt und den Fachmann wundert, würde sich doch die Telekom eine goldene Nase dabei verdienen.

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