Sonntag, 11. Dezember 2016

Zufallsexperimente

So heißt die Überschrift im neuen Schnittpunkte 7 (differenzierende Ausgabe) von Klett für die Realschulen in BaWü. Dort wird erklärt, was ein Zufallsexperiment ist:

       Vier Merkmale kennzeichnen ein Zufallsexperiment:
        * Es wird ein Zufallsgerät verwendet.
        * Es können verschiedene Ergebnisse eintreffen.
        * Das Ergebnis kann nicht vorhergesagt werden.
        * Das gleiche Experiment kann beliebig oft wiederholt werden.

Wenn ich also einen Gymnasiasten frage, was 3 mal 7 ist, dann ist das ein Zufallsexperiment:
* Das Zufallsgerät ist der Schüler
* Es können  verschiedene Ergebnisse eintreffen.
* Das Ergebnis kann nicht vorhergesagt werden.
* Das gleiche Experiment kann beliebig oft wiederholt werden.

In der Übung auf S. 200 steht dann (neben einem Bild einer Dartscheibe - ohne geht's nicht):

    Handelt es sich um ein Zufallsexperiment?
    c) Der Profi-Dartspieler wirft den ersten Pfeil auf die Dartscheibe.

Machen wir uns also an die Lösung; so schwer kann das nicht sein, wenn ein modernes Schulbuch schon einmal eine Definition preisgibt:
* Das Zufallsgerät ist die Dartscheibe
* Es können verschiedene Ergebnisse eintreffen.
* Das Ergebnis kann nicht vorhergesagt werden.
* Das gleiche Experiment kann beliebig oft wiederholt werden.
Die Sache ist eindeutig: Die Antwort ist ja.

Weil ich geahnt habe, dass das Wort "Profi" nicht einfach zum Spaß dasteht, habe ich auch in der Lösung auf S.241 nachgesehen:

    c) Kein Zufallsexperiment, da das Werfen mit einem Dartpfeil auch von der 
        Geschicklichkeit des Dart-Spielers abhängt.

Potzblitz. Ich fürchte, da haben die Autoren Martina, Ilona, Joachim, Günther, Wolfgang, Claus, Thomas und Hartmut (beratend: Achim) nicht ganz verstanden, was sie geschrieben haben. In vier Tagen beginnt die Darts-WM. Da spielen fast lauter Profis mit. Und das Internet bietet Wetten an. Was einigermaßen erstaunlich wäre, wenn man das Ergebnis vorhersagen kann (nun ja, van Gerwen, aber das ist was anderes).

Das war ein Augenöffner. Ich glaube nicht mehr, dass es gut wäre, wieder Definitionen in die Schulbücher aufzunehmen. Ich glaube nicht mehr, dass es gut wäre, die Geometrie, die Algebra oder die Analysis im Schulunterricht wiederzubeleben. Es wird nicht funktionieren, weil niemand mehr die entsprechenden Schulbücher schreiben kann. Aber es ist in Ordnung, es ist alles in Ordnung. Ich habe den Sieg über mich selbst errungen. Ich liebe den großen Bruder.


4 Kommentare:

  1. Ich lese Ihr Blog stets mit großen Vergnügen. Zwar bin ich erst Berufsanfänger, jedoch komme ich mir mit Blick auf mein Abitur und mein Studium zuweilen verschaukelt vor. Hier eine schöne Aufgabe aus dem Buch für die Oberstufe in Sachsen-Anhalt:

    Bei einem Motorradrennen stürzt ein Fahrer unglücklich im Wendepunkt W der Kurve. Das Motorrad rutscht tangential weiter. Landet er in der Auffangbarriere aus Stroh, die zwischen den Positionen A(2|1) und B(2|2) aufgebaut ist?
    Der Kurvenverlauf wird durch die Funktion f(x)=(1-x)e^x beschrieben.

    Daneben sollen wir die Auswurfleistung von Vulkanen, natürlich eine Polynomfunktion dritten Grades, die Anzahl der Erkrankungen an Ebola oder die Holzproduktion in einem Urwaldgebiet berechnen.

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    1. Die Bundesländer im Osten hatten nach der Wende ein gut funktionierendes G8, und auch in Sachen Abitur sind sie langsamer auf die neue Mode eingeschwenkt. Am längsten hat es Thüringen ausgehalten, das jetzt aber zusammen mit Bayern umgefallen ist. Ich hoffe aber doch, dass das Studium noch nicht so lächerlich ist wie die Abituraufgaben in Mathe - was haben Sie denn studiert?

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    2. Ich habe Mathematik auf Lehramt studiert und war mit dem Studium sehr zufrieden. Jetzt bin ich in meinem zweiten Jahr als Mathelehrer und es sind die von Ihnen beschriebene Aufgabenkultur und Bildungspolitik, die mich zunehmend irritieren.

      So traten beispielsweise in den letzten Jahren die neuen kompetenzorientierten Lehrpläne in Kraft und man hat in Klasse 10 das Thema „Folgen und Reihen“ vollständig gestrichen. In Klasse 11 müssen wir Grenzwerte „anschaulich“ einführen. Stetigkeits- und Differenzierbarkeitsbetrachtungen beschränken sich dann auf das Anschauen von Graphen. Konsequenterweise hat man den Zwischenwertsatz und den Mittelwertsatz der Differentialrechnung auch gestrichen. Ich weiß nicht, wie ich die Schüler so auf ein Studium vorbereiten soll. (Gebrochenrationale Funktionen und Winkelfunktionen gibt es in der Oberstufe natürlich auch nicht mehr.)

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    3. In BaWü ist das alles schon seit der Schavan-Reform von 2004 so. Wir haben außerdem Hypothesentest bei Binomialverteilung im Programm, aber keinerlei Kombinatorik: das Schulbuch erklärt also noch nicht einmal, was Binomialkoeffizienten sind. Dass BaWü in der TIMS-Studie nach unten durchgereicht wurde ist kein Zufall. Über die Studierfähigkeit würde ich mir keine Sorgen machen - die andern sind genauso schlecht vorbereitet, und es wird erst etwas geschehen, wenn die Universitätsprofessoren den Aufstand wagen.

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