Samstag, 2. März 2019

To Bernoulli or not to Bernoulli

Ein Nachteil, wenn man keine Lehrbücher mehr benutzt, besteht sicherlich darin, dass die gröbsten Schnitzer unbemerkt an einem vorüberziehen. Außer man hat freundliche Kollegen, die einen auf solche Schnitzer hinweisen.

Im Lambacher-Schweizer der 10. Klasse werden Bernoulli-Experimente und Bernoulli-Ketten definiert, und zwar so:

     Definition: Ein Zufallsexperiment heißt Bernoulli-Experiment,
     wenn es genau zwei Ergebnisse hat. Eine Bernoulli-Kette 
     besteht aus mehreren Durchführungen eines Bernoulli-Experiments. 

So weit, so gut. Aufgabe 1d) auf S. 156 verlangt nun zu entscheiden, ob das folgende Experiment "als Bernoulli-Kette modelliert" werden kann. Das ist schon einmal seltsam, weil die Definition von "kann modelliert werden" nicht im Buch steht. Vermutlich ist einfach gemeint, man solle entscheiden, ob eine Bernoulli-Kette vorliegt oder nicht. Die Frage lautet nun:

     d) Eine Münze wird so lange geworfen, bis Zahl erscheint.

Offenbar gibt es genau zwei Ergebnisse, und offenbar sollen wir davon ausgehen, dass die Wahrscheinlichkeit für Zahl bei jedem Experiment dieselbe ist. Ein unbedarfter Schüler würde also wohl vermuten, dass eine Bernoulli-Kette vorliegt und das Experiment folglich als Bernoulli-Kette modelliert werden kann. Schauen wir uns zur Sicherheit die Lösung an:

     Das Zufalls-Experiment kann nicht als Bernoulli-Kette 
     modelliert werden, da die Anzahl der Würfe von der konkreten
     Durchführung des Zufallsexperiments abhängt. Damit wäre 
     die Länge nicht immer gleich.

Es ist nun so: Was man in der Mathematik von einer Definition erwartet, ist, dass sie das, was definiert wird, auch tatsächlich definiert. Man kann von einer Bernoulli-Kette natürlich verlangen, dass die Anzahl der Versuche, wenn man das Experiment noch einmal macht, genauso groß ist wie beim ersten Mal. Aber dann muss man das auch in die Definition reinschreiben.  Was nicht geht, ist dass man die Spielregeln zwischen Definition und Aufgabe einfach verändert. (Da fällt mir Hitlers Leasingvertrag ein: Doch, das geht!).

Es ist auch richtig, dass etwa die Zufallsvariable X, welche die Anzahl der geworfenen Zahlen zählt, nicht binomialverteilt ist, denn am Ende des Experiments hat man immer genau eine Zahl geworfen. Aber danach war nicht gefragt. Doof ist natürlich, dass auf S. 136 der Satz steht, dass die Anzahl X der Treffer in einer Bernoulli-Kette binomialverteilt ist. Wir haben also:

  • Eine Definition, die nichts definiert.
  • Einen Satz, der nicht bewiesen wird und der, wenn man die Definition unbedarft liest,  manchmal falsch ist.
Mein Vorschlag: wir kegeln die Binomialverteilung aus dem Lehrplan und befassen uns wieder mit dem Teil der Mathematik, den die Lehrbuchautoren und Bildungsplaner auch verstehen.


1 Kommentar:

  1. "Mein Vorschlag: wir kegeln die Binomialverteilung aus dem Lehrplan und befassen uns wieder mit dem Teil der Mathematik, den die Lehrbuchautoren und Bildungsplaner auch verstehen." Ein richtiger Vorschlag. Ohne Maßtheorie ergibt es ohnehin keinen Sinn, die Wahrscheinlichkeitstheorie in der Schule zu vertiefen.
    Besonders schlimm werden in der Schule die stetigen Verteilungen behandelt; da stimmt einfach nichts mehr.

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