Mittwoch, 25. Dezember 2019

Bedeutende Frauen II

Eine weitere Frau, die in der feministischen Geschichtsschreibung ganz oben steht, ist Theano. Je nach Quelle ist sie eine Schülerin, eine Tochter, eine Frau oder eine Schwester von Pythagoras. Weil diese Buntheit selbst für Feministinnen unübersichtlich wird, greift man zur Annahme, dass es sich dabei gleich um zwei Frauen handelt, deren Geschichten vermengt worden sind. So weit, so gut. Seltsam wird es, wenn dieser Frau, wenn es sie denn gegeben hat, mathematische Leistungen zugeschrieben werden. Hier kann man lesen, die Hauptergebnisse Theanos seien Arbeiten zum goldenen Schnitt und zum goldenen Rechteck:

      Theano not only worked in the areas of physics, medicine and child psychology, 
      but was an astronomer/mathematician in her own right. Her work on the 
      theorem of the Golden Mean (still in use today) and the corresponding 
      Golden Rectangle are considered to be her most important contribution 
      [Reference: "The Hidden Giants" by Sethanne Howard].

Die Bezeichnung goldener Schnitt stammt aus der Neuzeit, das goldene Rechteck ist definitiv eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Die Quelle, aus der hier geschöpft wird, ist eines der vielen Bücher zur feministischen Wissenschaftsgeschichte, die uns die letzten 40 Jahre beschert haben. Die Besprechung von "Hidden Giants" im Journal of International Women Studies stammt von Maluka Munoz und beginnt mit der überraschenden Erkenntnis, dass die Bibliothek in Alexandria um 400 CE existiert habe. Dabei steht CE für common era, also für Leute, die kein Problem mit einer Zeitrechnung haben, die nach einem Mann benannt ist, für "nach Christus". Wie man bei einer Geschichte von  400 n.Chr. bis zum Jahr 2000 auf 4000 Jahre Geschichte von großen Frauen kommt, habe ich nicht verstanden, aber ich kenne ja auch nur männliche Mathematik. Die Bibliothek in Alexandria gibt es seit etwa 300 v.Chr., und 400 n.Chr. war von diesem Zentrum antiker Gelehrsamkeit kaum mehr etwas vorhanden.

Die US-amerikanische Webseite zu Pythagoras ist, wie so oft, alles andere als verlässlich. Für die Legenden zur Familie von Pythagoras werden zwar Verweise gegeben, allerdings auf ein Buch von Kitty Ferguson. Liebe Wikipedia-Autorinnen: wenn ein Buch den Titel

      The music of Pythagoras: How an ancient brotherhood cracked the code 
      of the universe and lit the path from antiquity to outer space 

hat, dann taugt es nicht als Literaturverweis für wikipedia.

Was von Theano erhalten ist, ist schnell erzählt: nichts. Es gibt zwar Briefe, die von ihr (oder von ihnen, wenn es mehrere sind) stammen sollen, allerdings sind sich alle Historiker einig, dass diese Hunderte von Jahren nach ihrem Tod geschrieben worden sind. Weiter im Text:

      According to Mary Ritter Beard, Theano told Hippodamus of Thurium 
      (may be Hippodamus of Miletus, who according to Aristotle planned the 
      city of Thurium in 440 BC), the treatise On Virtue contains the doctrine of 
      the Golden Mean.

Mary Ritter Beard war eine Feministin, und zwar zu einer Zeit, als die Frauen tatsächlich noch um ihre Gleichberechtigung kämpfen mussten. Wie man schreiben kann, Theano habe nach Mary Ritter Beard irgendwas zu irgendwem gesagt, ist mir ein Rätsel. Wenn Theano Hippodamus etwas erzählt haben soll, muss sie sich Zeit gelassen haben; Pythagoras lebte in etwa von 570-500 v.Chr., Hippodamos soll etwa um 500 v.Chr, geboren sein und lebte in der Gegend von Milet, Theano dagegen in Süditalien.

Die Sache mit Theano und dem goldenen Schnitt steht auf vielen Seiten; sehr schön ist diese hier:

      Theano unterrichtete Mathematik in Samos und Kroton und 
      es ist gewiss, das Sie die Autorin  (Fragmente Polyklet`s) der
             “Abhandlung über die Goldene Mitte,”
      ein wichtiges Konzept in der Mathematik, ist. 

Vielleicht ist es unfair, eine Webseite zu zitieren, deren Autor (!) den Unterschied zwischen das und dass nicht versteht (über den Deppenapostroph sehe ich großzügig hinweg) und auch nicht in der Lage ist, den Begriff "golden mean" korrekt ins Deutsche zu übersetzen. Tatsächlich steht auf der Startseite des Lexikons der Philosophinnen mehr Unsinn als man korrigieren kann. Wussten Sie etwa,

        Dass Pythagoras von  Themistokleia gelehrt, seine ethischen Grundlehren 
       abgeleitet hat?

Dass man lehren und lernen verwechseln kann, ist mir bekannt: allerdings war es bisher üblich, statt lehren lernen zu sagen und nicht umgekehrt.

Sämtliche bekannten Quellen zu Theano werden hier aufgelistet. Der Autor ist zumindest ansatzweise kritisch; immerhin muss man ihm zugute halten, dass er nicht alles glaubt, was irgendwo geschrieben steht, nur weil er gern hätte, dass es so wäre. Und was Theanos Satz von der "goldenen Mitte" angeht, wird er hier deutlich:

       Every account I have found of Theano’s connection to the Golden Mean, 
       where it gives any detail at all, derives from a passage in Lynn Osen’s book 
       Women in Mathematics (MIT Press, 1975).   
      Regrettably, this is an appallingly bad book, utterly and 
      completely unreliable.
     
Wenn ein Mathematiker einen historischen Vortrag hält, dann darf man erwarten, dass er seine Quellen prüft. Wie ein Artikel wie dieser auf die Webseite der respektablen  Banff International Research Station kommen kann, ist mir ein Rätsel, das nur unwesentlich weniger rätselhaft wird, wenn man lernt, dass es zu einem workshop Impact of Women Mathematicians on Research and Education in Mathematics gehört, den Amenda und Lillian organisiert haben.

1 Kommentar:

  1. Frohe Weihnacht !
    Als Kind habe ich etwa um 1970 in der Buchreihe "Das neue Universum" von einer Schülerin des Pythagoras namens "Thean_a_".

    Und seien Sie nicht so giftig, wenn die Eso-Tanten die Geschichte zu modifizieren trachten, dann lassen sie vielleicht die Finder von der Gegenwart.

    Heute habe ich Sie reichlich zitiert,
    http://if-blog.de/hb/empfehlungen-fuer-erzreaktionaere-weisse-alte-maenner/

    Liebe Grüße!

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