Donnerstag, 8. Juli 2021

Zwei Flugzeuge fliegen geradlinig

 Ich kann diese Aufgaben über punktförmige Flugzeuge, die sich mit konstanter Geschwindigkeit geradlinig fortbewegen, schon lange nicht mehr sehen. Aber den Murks, den Klett mir andrehen will, kann ich mit Worten kaum beschreiben:


Schon der erste Satz ist sinnfrei: "Zwei Flugzeuge fliegen über Deutschland und starten zum gleichen Zeitpunkt."  Was denn nun? Fliegen sie oder starten sie erst noch? Für die Aufgabe spielt das keine Rolle, weil wir Abiturienten darauf trainieren, die Geradengleichungen abzuschreiben und den Schnittpunkt zu bestimmen, und zwar unabhängig davon, wie der Schwachsinn eingekleidet ist. Die Flugbahnen stehen da; wenn s und r die ganzen reellen Zahlen durchlaufen, können wir daraus schließen, dass diese Flugzeuge nie gestartet sind, weil sie seit unendlichen Zeiten auf ihren Geraden unterwegs sind. Da tun sich Fragen auf: Wer hat sie vor Anbeginn der Zeiten aufgetankt, und wie wahrscheinlich ist es, dass sie sich im Jahre 2021 in derselben Galaxis im selben Planetensystem und dann auch noch über Deutschland treffen?

Normalerweise kann man sich bei diesem Typ Aufgaben darauf verlassen, dass die xy-Ebene den Boden beschreibt, etwa die Ebene, auf der sich die Startbahn befindet. Davon haben sich die Aufgabensteller (alle drei sind Lehrer am Wilhelm-Hausentein​-Gymnasium, zwei davon propagieren die Unterrichtsmethode des flipped-classroom) frei gemacht, außer das erste Flugzeug fliegt zurück in die Vergangenheit.  Dass die Flugbahn des ersten Flugzeugs die angegebene Form hat, enthält keinerlei Information, weil man jede Gerade mit dieser Gleichung beschreiben kann, wenn man sein Koordinatensystem geeignet wählt. 

Wenn sich die Gleichungen auf dasselbe Koordinatensystem beziehen, kann man in der Tat nachprüfen, ob sie sich schneiden. Das haben die drei Lehrer auch hingekriegt: s = 3 und t = 0. Die Flugbahnen kreuzen sich also. Und jetzt sollen wir prüfen, ob die Gefahr einer Kollision besteht. Natürlich besteht die, weil praktisch immer mehr als zwei Flugzeuge den deutschen Himmel durchfliegen und wir nur die Bahnen von zweien kennen. Gehen wir also davon aus, dass die beiden Flugzeuge gemeint sind. Die Lösung der Autoren ist einfach und klar: Weil die Flugzeuge den Schnittpunkt zu unterschiedlichen Zeiten durchfliegen (s = 3 und t = 0), besteht keine Kollisionsgefahr. 

Auf die Frage, wie doof man sein muss, um so etwas schreiben zu können, habe ich noch keine Antwort gefunden. Wir wissen nicht, ob die Längeneinheit km oder m oder mm sind, ob die Zeiten in Sekunden oder Millisekunden gemessen werden, ja nicht einmal, ob s und t dieselbe Einheit haben oder ob s=0 und t=0 denselben Zeitpunkt bedeuten. Es ist ja angesichts der Angabe, dass die beiden Flugzeuge zum gleichen Zeitpunkt starten, fast schon naheliegend, dass s = 3-t ist; allerdings würden die Flugzeuge dann auch am gleichen Ort starten. Für Flugzeuge im modernen Mathematikunterricht ist das vermutlich kein Problem.

Vielleicht ist der realitätsbezogene Unterricht ja doch das, was der Name suggeriert. Ein reality star ist ja auch kein Star in der Realität, und eine reality show enthält vieles, aber eben nichts aus der Welt, wie wir sie kennen. Man könnte das Schulfach, das immer noch den Namen Mathematik trägt, vielleicht demnächst in reality maths umtaufen. Klingt sexy und trifft den Nagel auf den Kopf. 


4 Kommentare:

  1. Dieter Osterholz10. Juli 2021 um 08:22

    Als ausgebuffte Kenner der Lage wissen wir natürlich auch noch, daß die 3. Koordinate für die Höhe zuständig ist. Dann ist das Flugzeug 1 im Landeanflug auf ebendenselben Flughafen, von dem das Flugzeug 2 gestartet ist.
    Da über die Einheiten rein gar nichts gesagt wird, müssen wir Annahmen treffen. Das machen SuS laufend, sie treffen z. B. oft die (falsche) Annahme, daß alle Personen, die Mathe unterrichten, auch etwas von Mathe verstehen und daß Autoren etwas Ahnung von dem haben, worüber sie schreiben. (Dazu könnte man im Leistungskurs einen Hypothesentest entwerfen lassen.) Hier wäre eine mögliche Annahme: die Koordinaten in Kilometern oder Meilen, die Parameter in Stunden. Dann bewegen sich die Flugzeuge in einem recht flotten Fußgängertempo. Nehmen wir stattdessen Minuten, wird der Abstand zwischen Start und Landung vielleicht ein bißchen knapp. In 3 Minuten von 15 km auf 0 km zu kommen, würde ich ohnehin als Notlandung bezeichnen. Bei Flugzeug 2 geht es in der gleichen Zeit auf 12 km Höhe, moderne Kampfflugzeuge schaffen das natürlich.
    Gut finde ich, daß die Parameter unterschiedliche Bezeichnungen haben, da ist schon mal eine mögliche Fehlerquelle umschifft.
    Wie heißt diese für mich neue Didaktik-Mode noch gleich: flopped classroom?

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  2. Fliegt F1 wirklich mit über 45° nach unten?

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