Samstag, 31. Dezember 2022

Santa ist in Schwierigkeiten

Dass ich von real existierenden Dissertationen in Didaktik im allgemeinen eher wenig halte, dürfte kein Geheimnis sein. Aber wenn sie schon bei Springer erscheinen, wird man diese intellektuellen Leistungen ja wohl auch kommentieren dürfen.

In  der Dissertation "Sprachsensibler Aufbau des Vektorbegriffs" von Sarah-Sofie Armbrust geht es, wie der Titel schon sagt, um einen sprachsensiblen Aufbau des Vektorbegriffs. Die ersten 100 Seiten sind mathematikdidaktisches Blabla (also eher wenig sprachsensibel); auf Seite 136 kommen dann Schüler (oder wie Sarah-Sofie sagt: SchülerInnen) ins Spiel, und zwar im Zusammenhang mit einer Prätest- und einer Posttest-Aufgabe.

So ist es:

So stellt man sich also bei Didaktikers die Lebenswelt der SchülerInnen vor. Nikolaus ist tot, es lebe Santa - Ho!Ho!Ho! Wo ist Knecht Ruprecht, wenn man ihn braucht?

Verwirrt hat mich die Angabe mit den zwei Kästchen für 100 N. Zum einen ist er wohl für Schülerinnen gedacht, deren Lebenswelt eher von Santa als von Pythagoras geprägt ist, zum anderen sind gar nicht zwei Kästchen (eine Fläche) gemeint, sondern die Grundseite zweier Kästchen (eine Länge). Hauptsache sprachsensibel. 

Sinn und Zweck der Darstellung wird jedenfalls erläutert; das kann man in einer Dissertation ja schon erwarten:

Fachliche Entlastung ist Blödsinn: Die Angaben über Größe und Richtung der Kräfte kann man dem Aufgabentext selbst ja nicht entnehmen. 

Wo es einen Prätest gibt, das gibt es natürlich auch einen Posttest. Dessen Aufgabenstellung hat mich dann aber doch überrascht:

Wenn die Schleppschiffe in der angegebenen Richtung weiterschippern, wird das über kurz oder lang (eher kurz) ein Problem werden, spätestens wenn sich der rechte Winkel in \(180^\circ\) verwandelt hat. Während Santa ein Problem hatte, haben die Schleppschiffe aber keines. Dass die Schülerinnen ein Problem haben, wenn sie dieslbe Aufgabe mit anderen Worten lösen müssen, lässt tief blicken und verrät, dass im vorliegenden Fall Sprachsensibilität vielleicht nicht der wirkliche Knackpunkt ist.

Und ich will ja nicht meckern, aber 500 N für den Schlitten von Santa sind schon bescheiden; wie die Schleppschiffe ein Kreuzfahrtschiff mit 500 N abschleppen sollen, ist mir ein Rätsel. Wie so vieles an zeitgenössischen Publikationen zur Didaktik der Mathematik.

2 Kommentare:

  1. Sehr interessante Graphik. Wenn man bei Santa am 300N-Pfeil Kästchen zählt, erhält man, dass die Wurzel aus 10,25 3 ist. Ein Weihnachtswunder eben.

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  2. Dass sich Pythagoras bei beiden Vektoren im Grabe umdrehen würde, kann jeder nachvollziehen, der schon mal SELBST Kästchen zählen kann und SELBST eine Hypotenuse berechnet hat. Sarah-Sofie musste sich damit bisher wohl noch nicht auseinandersetzen.

    Dass die Vektoren nicht orthogonal zueinander sind, kann jeder nachvollziehen, der Kästchen zählen kann und weiß, was ein Skalarprodukt ist. Mann/Frau/Divers könnte auch einfach ein Geodreieck anlegen, um zu erkennen, dass ein rechter Winkel einem Winkel von 90 Grad entspricht und keine unverbindliche Empfehlung darstellt. Sarah-Sofie musste sich mit solch irrelevanten Fakten bislang nicht belasten.

    Aber auch die gesellschaftspolitische Mission des Mathematikunterrichts hat Sarah-Sofie sprachsensibel fein thematisiert.

    1.) Weihnachten ist nicht die Lebenswirklichkeit aller Schüler*iNNEN in Deutschland. Sollen hier primär weiße, christliche Schüler:Innen angesprochen werden? Widerspricht das nicht dem Inklusions-Gedanken?

    2.) Da Santa bei uns in keiner Weise üblich ist, liegt hier möglicherweise ein unschöner Fall von kultureller Aneignung vor. Das kann und darf heutzutage nicht mehr sein, vor allem in einem Traktat über sprachsensible Vektoranalyse.

    3.) Ein weißer, alter Mann auf einem goldenen Schlitten quält Tiere, indem er sie in einer absurden Konfiguration seinen Protzschlitten ziehen lässt. Wie passt das in die Lebenswirklichkeit der SchülER? Was sagt PETA zu Aufgaben, in denen Tiere so behandelt werden?

    Aber sonst hat Sarah-Sophie das Thema sprachsensibel sehr schön ausformuliert und ich gratuliere ihr zu ihrem
    wohlverdienten Doktortitel.

    Ich bin wirklich froh, dass künftige Ingenieure, die unsere Windkraftanlagen bauen werden, ihr Wissen über Vektoren aus dieser sprachsensiblen Aufbereitung des Themas beziehen dürfen. Man will sich gar nicht ausmalen was passieren könnte, wenn diese Menschen nach den total veralteten Methoden beschult werden würden. Das käme ja der Quadratur des Kreises gleich, mit ca. 350 Grad.

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