Donnerstag, 31. Oktober 2019

Vorwärts immer, rückwärts nimmer

Der von Honecker noch 1989 benutzte Slogan ist auch das Motto der deutschen Bildungspolitik. Selbst wenn ein westliches Bundesland nach dem anderen einsieht, dass es G8 verkackt hat, trauen sich die einen nicht, die Reformen zurückzunehmen, und die anderen verkaufen die Rückkehr zu G9 als Fortschritt, weil man ja nicht zu dem G9 vor G8 zurückkehrt, sondern zu einem G9 auf G8-Niveau.

Auch Baden-Württemberg hat dieses Schuljahr die Leistungskurse wieder eingeführt. In Mathematik darf der Basiskurs den bisherigen Stoff in 3 Wochenstunden abhandeln statt in 4, was zweifellos ein großer Erfolg werden wird, während der Leistungskurs den bisherigen Stoff in 5 Wochenstunden durchkaut, was die Lücke zwischen Schule und Hochschule zweifellos verkleinern wird.

Auf einen wesentlichen Niveau-Unterschied zwischen Basis- und Leistungsfach will ich allerdings hinweisen. Beim Lösen von Gleichungen darf in unserem Abitur weder im Basis-, noch im Leistungsfach ein Nenner vorkommen, der aus einer Potenz von x und einem Linearfaktor besteht; beispielsweise ist die Gleichung 2/(x(x+1)) = 1 für baden-württembergische Leistungskursschüler zu schwer, wie man den Mustaufgaben für das Abitur 2021 entnehmen kann (S. 9). Neu ist dagegen, dass man im Leistungskurs ab 2021 jetzt die

       Anwendung einer binomischen Formel "rückwärts"

verlangen darf. Dass hinter der binomischen Formel "vorwärts" irgend ein Bildungsziel versteckt ist, wüsste ich jetzt nicht: auf binomische Formeln "vorwärts" könnte ich, was den eigentlichen Nutzen angeht, getrost verzichten. Seit 4000 Jahren besteht die Anwendung der binomischen Formel immer darin, dass man sie "rückwärts" anwendet, im einfachsten Fall etwa bei der quadratischen Ergänzung zum Lösen quadratischer Gleichungen.

Dass man im baden-württembergischen Mathematikabitur jetzt etwas verlangen darf, was man vor 4000 Jahren jedem Schreiberlehring in Ur und Babylon beigebracht hat, könnte eine erfreuliche Nachricht sein. Diese wird allerdings getrübt von der Vorahnung, dass die Aufgaben zu binomischen Formeln "rückwärts" am Ende so bescheuert sind, dass man bedauert, dass die Sintflut schon vorbei ist.

Mittwoch, 30. Oktober 2019

Kreativität statt Einmaleins

Einen neuen Stern, der in den letzten Jahren am Himmel der deutschen Mathematikdidaktik aufgegangen ist, scheine ich übersehen zu haben: Prof. Dr. Volker Ulm kümmert sich an der Uni Bayreuth um guten Mathematikunterricht. Wie der aussieht, weiß er nach 5 Jahren, in denen er selbst (an drei verschiedenen Gymnasien) unterrichtet hat:

    Stures Rechnen und Auswendiglernen von Einmaleins-Aufgaben
    gehören der Vergangenheit an [. . .]

Beim Abschaffen des kleinen Eimaleins in Bayern wird er von der EU gefördert. Was mir das Messer in der Tasche aufgehen lässt ist der Titel des Projekts: Man hat sich als Namensgeber nämlich niemand anderen einfallen lassen als Fibonacci, der vor 800 Jahren mit der Einführung der arabischen Ziffern nach Europa wesentlich dazu beigetragen hat, der Bildungsbarbarei auf europäischem Boden ein Ende zu bereiten.

Auch vom Computer im Mathematikunterricht hält Prof. Ulm viel; anders kommt man an den Geldkuchen der Digitalisierung ja auch nicht ran.

Dienstag, 29. Oktober 2019

Bildung statt Satz des Pythagoras

    Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder 
   Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse schreiben. 
   In 4 Sprachen.

So tönte Naina vor vier Jahren, und schon damals dachte ich mir, dass die meisten Schüler, die ich kenne, schon von einer Gedichtsanalyse in ihrer Muttersprache an die Grenzen ihrer sprachlichen Fähigkeiten geführt werden. Und dass der liebe Gott, wenn er jemanden bestrafen will, dessen Wünsche erfüllt.

Jetzt hat der Bundesschülerrat diese Forderung aufgegriffen, und möchten von der Schule wissen, wie es mit Mietvertrag, Versicherung und Steuererklärung aussieht. Man möchte fast vermuten, dass im Bundesschülerrat nur Vollwaisen sitzen, und empfindet als Lehrer ein Gefühl der Dankbarkeit denjenigen Eltern gegenüber, die ihrem Nachwuchs wenigstens beigebracht haben, wie man eine Toilette benutzt.

Richtig ärgerlich wird es, wenn sich deutsche Journalisten des Themas annehmen. Die Stuttgarter Zeitung untermalt den Bericht mit einem Bild, auf dem es um den Steigungswinkel von Geraden geht, und die Südwestpresse titelt gleich "Rentenvorsorge statt Satz des Pythagoras". Anscheinend hält sie heutige Schüler für so beschränkt wie Al Bundy seine Tochter "Dumpfbacke", die für jede Information, welche ihr Gehirn aufnimmt, eine andere vergisst. Und mir ist durchaus bewusst, dass Journalisten den Satz des Pythagoras vollkommen umsonst gelernt haben. Allerdings frage ich mich, was die Schreiberlinge, die vor jedem, als ein Komma setzen (so in etwa sieht das bei 95% der Artikel aus, die ich von euch lese),  anstatt Interpunktion gelernt haben. Ich komme nicht drauf.

Freitag, 25. Oktober 2019

Fridays for Hubraum

Wir Deutsche, das wird man ja wohl noch sagen dürfen, haben bisweilen wirklich einen an der Waffel. Halb Deutschland regt sich auf, wenn 1000 Schüler wegen einer Klima-Demo die Schule schwänzen; man könnte fast meinen, diese Hälfte wäre nie selbst auf die Schule gegangen. Ich jedenfalls habe hin und wieder die Schule wegen ganz anderer Sachen geschwänzt. Dieselbe Hälfte hält die Klimadiskussion ohnehin für linksgrünversifftes Geschwafel und macht bei "Fridays for Hubraum" mit. VW & Co. bescheißen beim Diesel, zahlen den US-Käufern Milliarden und den Deutschen keinen Cent; zum Ausgleich verkaufen sie jetzt so viele Autos wie nie zuvor. Die Politik schiebt den schwarzen Peter den Dieselfahrern zu, deren Kisten 5 - 6 Liter auf 100 km fressen, während die Diskussion über SUVs gar nicht stattfindet - jedenfalls nicht hierzulande; wohl dem, der den Guardian liest.

Dabei ist die VW-Methode natürlich nicht von VW patentiert: Auch Monsanto-Bayer hat eine Pille verkauft, von der sie wussten, dass sie gefährlich ist, es aber wohlweislich verschwiegen haben. In den USA haben sie, bevor es zu Prozessen kam, den Geschädigten 2,1 Milliarden $ bezahlt, in Deutschland führen sie Prozesse gegen einzelne Frauen und weigern sich, auch nur einen Cent Entschädigung zu zahlen. Denn wenn die  Pille amerikanischen Frauen geschadet hat, heißt das noch lange nicht, dass das auch bei detuschen Frauen passieren kann. Und diese Pille wird immer noch verschrieben - solange Verbrecherfirmen hierzulande keine Zahlungen zu fürchten haben, weil sie von der Politik geschützt werden, ist Geld verdienen wichtiger als ein Paar tote Frauen.

"Wirtschaft fordert mehr Gentechnik im Essen", lautete die Schlagzeile in vielen Tageszeitungen gestern. Ich weiß, dass Gentechnik nicht gleich Gentechnik ist, aber ich hätte gern das Recht, das zu essen, was ich will - das hatte ich früher nämlich auch. Guido Bohsem, Kommentator der Schwäbischen Post, ist anderer Meinung: wir Deutschen, so meint er, sollen gentechnische
Erzeugnisse fressen, um Arbeitsplätze zu sichern. Ich sag's mal so: früher waren manche Kommentatoren zwar arg weit rechts, aber sie hatten noch einen IQ über 100.

A propos Essen was ich will: ich war dieses Jahr in Frankreich und habe dort etwas getrunken, das es in Deutschland seit gefühlt 20 Jahren nicht mehr gibt: Milch. Richtige Milch. Eine, die nach 3 Tagen sauer wird. In Supermärkten der Bretagne habe ich gesucht, was es hierzulande in jedem Discounter gibt: Knoblauch aus China, Tomaten aus Ägypten, Zwiebeln aus Neuseeland. Ich habe davon nichts gefunden. Knoblauch war aus Frankreich, Tomaten waren aus Frankreich, Zwiebeln waren aus Frankreich. Und dann habe ich mich gefragt, warum man auf Frankreichs Autobahnen Autofahren kann, ohne dass man vorn, hinten, links und rechts von LKWs eingekeilt ist wie hierzulande. Dafür wird es viele Gründe geben;  aber einer  ist sicherlich, dass man den Billigfraß aus China, Ägypten und Neuseeland nicht per LKW in jeden Discounter in jedem Kuhnest karren muss.

Als ich mich vor drei Wochen mal in einen Norma verirrt hatte, hat die Frau hinter mir Birnen gekauft. Im Oktober, Aus Spanien. It takes two to tango: Damit man in Oktober in Deutschland Birnen aus Spanien kaufen kann, muss es einen bescheuerten Discounter gegen, der im Oktober Birnen aus Spanien einkauft. Und es muss bescheuerte Käufer geben, die im Oktober Birnen aus Spanien in ihren Einkaufswagen legen. Wenigstens war die Käuferin nicht deutsch - Deppen gibt es auch nichtdeutsche. Und vielleicht wollte die Frau mit Migrationshintergrund ja auch nur Birnen mit Migrationshintergrund essen.

Wohl bekomms.


Samstag, 19. Oktober 2019

Freie Fahrt für doofe Politiker

Der Bundestag hat diese Woche ein Tempolimit 130 auf deutschen Bahnen abgelehnt. Dafür waren die Grünen und die Linke, 0 Stimmen gab es, dazu hätte man nicht abstimmen müssen, von den Brüdern im Geiste AfD und FDP, und CDU/CSU bzw. SPD lieferten je zwei Stimmen für den Antrag. Als einzige Gründe, die gegen eine Stimme für ein Tempolimit sprechen, fallen mir Dummheit und Schiss vor Trump- und AfD-Wählern ein. Wer wissen will, was Tempo 130 und stressfreies Autofahren miteinander zu tun haben, soll mal nach Frankreich fahren. Ich gelobe hiermit feierlich, diesen Hosenscheißer-Parteien in diesem Leben keine Stimme mehr zu geben, nicht einmal aus taktischen Gründen. Oder, liebe SPD, aus Mitleid.