Donnerstag, 7. September 2023

Herr Schneider erklärt die Welt.

 Nein, nicht Helge. Der Mathematiklehrer Schneider. Und nicht die ganze Welt, sondern nur die Zahlbereiche \(\mathbb N\), \(\mathbb Z\), \(\mathbb Q\) und \(\mathbb R\). 


Oder, wie es zwei Zeilen später heißt, die Zahlenbereiche:

Wer Oskar Perron kennt, erinnert sich an einen Brief, in dem er erklärt, warum der Begriff Zahlbereiche eigentlich ein Unsinn ist. Weil es so schön ist und weil ich als Lehrer ja einen gewissen Bildungsauftrag hatte, sei er hier zitiert:

Wissen Sie wohl, was ein Zahltag ist? Natürlich ist das der stets freudig begrüßte Tag, an dem gezahlt wird, im allgemeinen der Lohn für geleistete Arbeit. In diesem zusammengesetzten Wort hat nämlich die Silbe „Zahl“ gar nichts mit dem Begriff „Zahl“ zu tun, sondern es handelt sich um das Verbum aus (be) zahlen. Genauso ist es bei allen anderen Wörtern, die ebenso zusammengesetzt sind: Zahlkellner, Zahlkarte, Zahlmittel etc. Überall geht es ums bezahlen, also ums Geld, um das leidige, etwas anrüchige Geld, von dem man mit vorgehaltener Hand oder mit Augenzwinkern spricht.

Wer nun zum erstenmal das Wort Zahlkörper hört, denkt: Das wird halt auch so irgendein Körper sein, bei dem irgendwas bezahlt wird, das ist mir wurscht, interessiert mich nicht. Das Wort Zahltheorie werden sie wohl noch nicht gehört haben, ich auch nicht. Das müsste eine Theorie des Bezahlens sein, in der also etwa untersucht wird, wie man bezahlt, wenn man kein Geld hat. Die schöne Zahlentheorie, von der Sie sicher schon gehört haben, wäre also zur Pumpologie herabgewürdigt.

Das Wort Zahlkörper hat Hilbert eingeführt, der aufs Genaueste definiert hat, welchen Begriff er damit meint. Nur nach der Suche nach einem Namen ist ihm, wohl aus Versehen, ein Malheur passiert und so kam das verkorkste Wort auf die Welt, das man, wohl aus Ehrfurcht vor Hilbert, nie abgeschafft hat.

Oskar Perron war ein solider Mathematiker, der aber dem Zeitgeist, vor allem in der abstrakten Algebra, etwas hinterhergehinkt ist. Und wenn wir schon einen Brief zitieren, sei hier ein zweiter, geschrieben im Jahre 1940 an den Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität München, ebenfalls zitiert:

Magnifizenz!

An der vom Herrn Reichsdozentenbundsführer Ministerialdirektor Professor Dr. Walter Schultze veranstalteten Feier der Dozentenbundsakademieen kann ich mich nicht beteiligen.

Grund:

Da ich weder Mitglied einer Dozentenbundsakademie noch überhaupt des Dozentenbundes bin, kann meine Beteiligung wohl nur in der Rolle eines wissenschaftlichen Ehrengastes gedacht sein. Nun bin ich aber Mitglied verschiedener deutscher wissenschaftlicher Akademieen, und gegenüber diesen Körperschaften und ihren Mitgliedern hat der Reichsdozentenbundsführer in der Festrede bei Gründung der Dozentenbundsakademie Kiel seiner Verachtung dadurch Ausdruck gegeben, dass er erklärte, die deutschen Akademieen hätten seit Leibniz wissenschaftlich nichts geleistet und seien heute nur als Gesellschaften von verkalkten wissenschaftlichen Veteranen anzusehen

Zweierlei ist denkbar. Entweder der Reichsdozentenbundsführer hat mit dieser geringen Einschätzung recht oder er hat nicht recht. Im ersten Fall kann es dem Reichsdozentenbundsführer gewiss keine Freude machen, unter seinen Ehrengästen so minderwertige wissenschaftliche Persönlichkeiten zu sehen; ich möchte ihm diesen Anblick, was meine Person anbelangt, jedenfalls ersparen. Im zweiten Fall kann es aber mir nicht zugemutet werden, Ehrengast bei einem Mann zu sein, der die Akademieen und ihre Mitglieder zu Unrecht derart verunglimpft hat, und vermutlich wehrlos zuzuhören, wenn die Ehrengäste abermals in der gleichen Weise verächtlich gemacht werden.

Heil Hitler !

O. Perron

Das haben sich seinerzeit nicht viele getraut.

Zurück zu Herrn Schneider. Der traut sich auch was. Denn er kann die Zahlbereiche anschaulich erklären. An einem Modell. Genauer: Am

Ohne Scheiß. Herrn Schneiders Spinat-Spiegelei-Modell funktioniert so:




Zum einen ist das bitter, dass man Gymnasiasten in NRW anhand eines Spinat-Spiegelei-Modells erklären muss, dass jede natürliche Zahl eine ganze Zahl ist. Zum andern hätte ich nicht wenig Lust, das in meinem Unterricht mal zu versuchen, wenn ich dabei die Gesichter meiner Schülerinnen filmen darf.

Die didaktischen Neuerungen sind noch nicht ganz vorbei. Oder hat jemand gemerkt, dass dies eine Aufgabe ist?

Sogar eine Aufgabe mit Lösung. Und zwar mit der hier:


In der Lösung ist das Spinat-Spiegelei-Modell zum Bratpfannenmodell mutiert, die Zahlbereiche sind wieder Zahlenbereiche, und die Zahl 3 liegt, wie es sich gehört, im Eigelb, während \(\sqrt{6}\) zwar auf dem Teller (also der Bratpfanne) liegt, aber nicht im Eigelb, im Eiweiß oder im Spinat.

So werden also schwierige mathematische Überlegungen durch den Transport in die Lebenswelt von Schülern und Schülerinnen auf ein Niveau heruntergebrochen, mit dem heutige Gymnasiasten etwas anfangen können.

Mein Leidensgenosse AR, der mir dieses Schuljahr eine Woche voraus ist, weist darauf hin, dass unter den Bearbeitern dieses Schulbuchs eine gewisse Kerstin Schäfer ist. Diese hat einen erstaunlichen Bildungsgang hinter sich:

Magisterstudium der Geschichte, der Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit und der Denkmalpflege an der Otto-Friedrich Universität Bamberg; Zusatzqualifikation als Kulturmanagerin; zur Zeit Promotionsvorhaben am Lehrstuhl für Denkmalpflege in Bamberg über die Bauwerke der Eisenbahn in Oberfranken.

Ich hatte bisher immer gedacht, heutige Schulbuchautoren hätten in ihrem Mathematikstudium kaum aufgepasst und von dem, was sie mitbekommen haben, das wenigste verstanden. So kann man sich irren. Jetzt werden die Bücher schon von Frauen (die zweite ist Mathematiklehrerin Ulrike Willms) bearbeitet, deren mathematische Qualifikation über ein Abitur nicht hinausgeht.

Schade, dass wir in BW keine so tollen Schulbücher haben. In gewisser Weise ist das ganze ja Kunst. Expressionismus, wenn ich so tun wollte, als wüsste ich, was das ist. Daher die ganze Seite noch einmal als Gesamtkunstwerk:


Auch das muss noch gesagt werden: Wenn man \(\mathbb Q\) um alle Zahlen erweitert, die nicht als Bruch darstellbar sind (also um alle Zahlen, die nicht zu \(\mathbb Q\) gehören), dann erhält man so einiges, aber ganz sicher nicht die reellen Zahlen. Wer sich noch an die Schulbücher von vor 40 Jahren erinnern kann, sollte ahnen, dass die Konstruktion der reellen Zahlen (Intervallschachtelung) ganz so einfach wie heute in NRW nicht funktioniert. 


Mittwoch, 23. August 2023

Abi Senegal 2010


Die folgenden Aufgaben stammen aus dem Mathematikabitur 2010 (S) in Senegal.
Erlaubt ist ein nicht graphikfähiger Taschenrechner; die Aufgaben müssen in 4 h erledigt sein. 

Das Abitur besteht aus den drei Teilen Geometrie, Zahlentheorie und Analysis (Lösungen folgen). Um das Niveau  von Senegals Mathematikabitur auf das deutsche zu heben, sollten wir in einem ersten Schritt im Rahmen der Entwicklungshilfe 10000 deutsche Mathematikdidaktiker dorthin schicken. Gerne auch mehr.

Geometrie

Seien \(A\) und \(B\) zwei Punkte in der Ebene mit Abstand \(\overline{AB} = 8\).
  1. Untersuche und konstruiere die Menge \({\mathcal E}\) aller  Punkte \(M\) der Ebene mit \(\overline{MA} = 4 \overline{MB}\).  
  2. Untersuche und konstruiere die Menge \({\mathcal F}\) aller  Punkte \(M\) der Ebene mit  \(\angle (\overrightarrow{MA}, \overrightarrow{MB}) \equiv \frac{\pi}4 \bmod 2\pi\).
  3.  Sei \(C\) das Bild von \(B\) unter der Drehung um das Zentrum \(A\) mit einem Winkel von \(\frac{3\pi}4\), und \(D\) das Bild von \(B\) unter der Streckung mit Zentrum \(A\) und Streckfaktor \(\frac34\). Sei \(s\) die  Drehstreckung, welche \(A\) auf \(B\) und \(C\) auf \(D\) abbildet.
  • Bestimme den Streckfaktor von \(s\).
  •  Sei \(I\) das Streckzentrum von \(s\). Drücke \(\overline{IB}\) in Abhängigkeit von \(\overline{IA}\) aus und bestimme den Winkel zwischen den Vektoren \(\overrightarrow{IA}\) und \(\overrightarrow{IB}\). Leite daraus die Lage von \(I\) her.
  •  Zeige, dass \(I\) auf dem Umkreis des Dreiecks \(ACD\) liegt.
Zahlentheorie

  Wir erinnern an den kleinen Fermatschen Satz: Ist \(p\) eine Primzahl und \(a\) eine zu \(p\) teilerfremde natürliche Zahl, dann ist  \(a^{p-1} \equiv 1 \bmod p\).
  1.  Zeige, dass \(193\) eine Primzahl ist
  2.  Sei \(a < 193\) eine natürliche Zahl; zeige, dass \(a^{192} \equiv 1 \bmod 193\) gilt.    
  3. Wir betrachten die Gleichung \begin{equation}  \tag{E} 83x - 192y = 1, \end{equation} wo \(x\) und \(y\) teilerfremd sind. 
Zeige, dass das Paar \((155,\ 67)\) eine Lösung von (E) ist.

 Löse die Gleichung (E).   

4. Sei \(A\) die Menge aller natürlichen Zahlen \(\le 192\), und betrachte die beiden Funktionen \(f\) und \(g\), die wie folgt  definiert sind:

  • jeder ganzen Zahl aus \(A\) ordnet \(f\) den Rest bei der euklidischen Division von \(a^{83}\) durch \(193\) zu;
  • jeder ganzen Zahl aus \(A\) ordnet \(g\) den Rest bei der euklidischen Division von \(a^{155}\) durch \(193\) zu.
(a) Zeige, dass \(g(f(a)) \equiv a^{83 \cdot 155} \bmod 193\) ist.
          (b) Folgere daraus, dass \(g(f(a)) = a\) für alle \(a \in A\) gilt.
(c) Bestimme \(f \circ g\).  


Analysis

Teil A

Sei \(a \ne 0\) eine reelle Zahl, und \(u\) und \(v\) reellwertige zweimal differenzierbare Funktionen auf \({\mathbb R}\) mit  \[u' = v \quad \text{und} \quad v' = au. \]

  1. Zeige, dass \(u\) und \(v\) der Differentialgleichung \( y'' - ay = 0 \) genügen.
  2. Löse diese Differentialgleichung in Abhängigkeit von \(a\).
  3. Sei \(a = 1\). Bestimme \(u\) und \(v\) mit den Nebenbedingungen \(u(0) = 3\) und \(v(0) = 0\).

Teil B

Sei \(G\) die Menge aller Punkte \(M\) der Ebene, für deren Koordinaten 

\[ \left\{ \begin{array}{rcl}  x(t) & = & \frac32 (e^t + e^{-t}), \\    y(t) & = & \frac32 (e^t - e^{-t}) \end{array} \right. \] gilt für alle \(t \ge 0\).

In dieser Aufgabe soll der Inhalt der Fläche berechnet werden, welche durch \(G\) und die Geraden \(x = 3\) und \(x = 5\) begrenzt wird.

  1.   (a) Zeige, dass \(G\) ein Teil des Kegelschnitts ist, dessen Gleichung  \[ x^2 - y^2 = 9 \] ist.

(b) Bestimme die Art des Kegelschnitts sowie seine charakteristischen geometrischen Eigenschaften. Konstruiere G.     

2. Seien \(f\) und \(g\) Funktionen mit

\[ \begin{aligned}  f(x) & = x - \sqrt{x^2-9} \quad \text{für} \quad x \in {\mathbb R}, \\   g(x) & = \frac x2 + \frac9{2x}    \quad \text{für} \quad x \in {\mathbb R} \setminus \{0\}. \end{aligned}\]

(a) Bestimme die Variation von \(f\). 

(b) Zeige, dass die Einschränkung \(\phi\) von \(f\) auf das Intervall  \(I = [3, + \infty [ \) eine Bijektion von \(I\) auf ein zu bestimmendes Intervall \(J\) ist.

(c) Zeige, dass für jedes \(x \in J\) die Gleichung \(\phi^{-1}(x) = g(x)\)  gilt. 

(d) Zeichne das Schaubild \(C\) von \(\phi\). Erläutere, wie man daraus das Schaubild von \(\phi^{-1}\) erhält, und zeichne dieses.     

  3. Sei \(\beta \in ]0; 3[\)  und \(\alpha = g(\beta)\).

  (a) Berechne \(\int\limits_\beta^3 g(x)\, dx\) und folgere daraus \[ \int_3^\alpha f(x)\, dx =   \frac{\beta^2}4 - \frac94 - \frac92 \ln\Big(\frac{\beta}3\Big). \]  Hinweis: Man kann beide Integrale als Flächen interpretieren.

(b) Bestimme damit den Inhalt der Fläche, welche von \(G\) und den Geraden \(y = 0\), \(x = 3\) und \(x = 5\) begrenzt wird.     

Teil C

 Wir betrachten die Folge \((u_n)_{n \in {\mathbb N}}\) mit  \( u_0 = 0, \quad u_{n+1} = g(u_n) \quad \text{für} \quad n \in {\mathbb N}. \) Ziel der Aufgabe ist die Bestimmung des Grenzwerts der Folge \((u_n)\) auf drei Arten.

  1. (a)  Bestimme das Monotonieverhalten von \(g\) und zeige, dass \(u_n > 0\) für alle \(n \in {\mathbb N}\) und  \[ \frac{g(u_n) - g(u_{n-1})}{u_n - u_{n-1}} > 0 \]    für alle natürlichen Zahlen \(n \ge 1\) gilt.

 b) Bestimme das Vorzeichen von \(u_1 - u_0\) und zeige dann, dass \((u_n)\) monoton ist.

 c) Folgere daraus, dass \((u_n)\) konvergiert und bestimme den Grenzwert der Folge.

2.(a) Zeige durch Anwendung des Mittelwertsatzes auf \(g\) in einem  geeigneten Intervall, dass für alle \(n \in {\mathbb N}\)      \[ \frac{g(u_n)-3}{u_n-3} < \frac12 \]   gilt. Folgere daraus für \(n \ge 1\), dass   \( u_n - 3 < \frac1{2^{n-1}} \)  gilt.      

Zeige, dass \((u_n)\) konvergiert, und bestimme den Grenzwert dieser  Folge.

(b) Bestimme ein \(n \in {\mathbb N}\) mit \(u_n - 3 < 10^{-3}\).

3.  Für alle \(n \in {\mathbb N}\) sei    \( v_n = \frac{u_n - 3}{u_n + 3}. \) 

(a)  Zeige, dass \((\ln v_n)\) eine geometrische Folge ist; gib deren erstes Glied und das konstante Verhältnis an.

(b) Drücke \(u_n\) als Funktion von \(v_n\) aus und berechne den Grenzwert von \((u_n)\).



 

Mittwoch, 16. August 2023

Abi Russland 1999

Hier Abituraufgaben aus einem russischen Abitur von 1999. Bis auf zwei Ableitungen ist das solide Mittelstufenmathematik, die wir - PISA-Schleicher sei's gedankt - nach 2000 abgeschafft haben.

  • Löse die Gleichung  \[ \Big(\frac14\Big)^x + 2^{3-x} = 9. \]
  
Wenn man die Gleichung in der Form
  \[ 2^{-2x} + 8 \cdot 2^{-x} - 9 = 0 \]
schreibt, kann man sie zerlegen:
  \[ (2^{-x}+9)(2^{-x} - 1) = 0. \]
Weil \( 2^{-x}+9 = 0\) keine Lösung besitzt, ist \( x_1 = 0\) die einzige reelle Lösung.
  • Löse die Gleichung  \[ \sin^2 x - \cos^2 x = (\cos x - \sin x)^2. \]

 Ausmultiplizieren liefert
  \[ \sin^2 x - \cos^2 x = \cos^2 x - 2 \sin x \cos x + \sin^2 x, \]
  also 
  \[ 2\cos x(\cos x - \sin x) = 0. \]
Aus \( \cos x = 0\)  ergibt sich (bis auf Vielfache von \( 2\pi\) )   \( x_1 = \frac{\pi}2\), \( x_2 = \frac{3\pi}2\).   Die Gleichung \( \sin x = \cos x\)  (oder \( \tan x = 1\) ) hat die beiden Lösungen \( x_3 = \frac{\pi}4\)  und \( x_4 = \frac{5\pi}4\) .

  • Bestimme die Stelle, an welcher die Ableitung der Funktion \( f(x) = \sqrt{3x-5}\)  gleich 0,15 ist.

 Es ist die Gleichung  
  \[ f'(x) = \frac{3}{2 \sqrt{3x-5}} = 0,15 \]
 zu lösen. Schreibt man dies in der Form
  \[ \frac1{\sqrt{3x-5}} = \frac1{10}, \]
 so sieht man, dass \( 3x-5 = 100\) , also \( x_1 = 35\)  sein muss.
  •  Löse die Ungleichung  \[ \log_3(x+7) < \log_3(5-x) + \log_3(3-x). \]
Die linke Seite ist für \(x > -7\), die rechte für \(x < 3\) definiert.  Zusammenfassen ergibt
  \[  \log_3(x+7) < \log_3[(5-x)(3-x)], \]
  und dies ist äquivalent zu
  \[ x+7 < x^2 - 8x + 15, \quad \text{also zu} \quad x^2 - 9x + 8 > 0. \]
Schreibt man dies in der Form \( (x-1)(x-8) > 0\), so sieht man, dass entweder \( x < 1\) oder \( x > 8\) sein muss. Die Lösungsmenge ist also
  \[ ]-7, 1[ . \]

  •  Zeige, dass \( F(x) = \ln x + 2 \sqrt{3x-1} - 1999\) eine Stammfunktion von   \[ f(x) = \frac{3x-1 + 3x\sqrt{3x-1}}{x(3x-1)} \]  auf dem Intervall \( ]\frac13; \infty[\) ist. 
Ableiten ergibt
  \[ F'(x) = \frac1x + \frac3{\sqrt{3x-1}}  = \frac1x + \frac{3\sqrt{3x-1}}{3x-1}  = \frac{3x-1}{x(3x-1)} +  \frac{3x\sqrt{3x-1}}{x(3x-1)}   = f(x). \]
  
  • Für welche Werte von \( a\) hat die Gleichung  \[ x^3 - 3x^2 - 24x + a = 0 \]  genau zwei verschiedene Lösungen?

Dies ist genau dann der Fall, wenn einer der beiden Extrempunkte der kubischen Funktion auf der linken Seite  auf der  \( x\)-Achse liegt. Aus \( f'(x) = 3x^2 - 6x - 24 = 0\) folgt  \( x^2 - 2x - 8 = (x+2)(x-4) = 0\), also \( x_1 = -2\) und \( x_2 = 4\).  Wegen \( f(-2) = 28\) und \( f(4) = -80\) muss also \( a = -28\) oder  \( a = 80\) sein.

Montag, 14. August 2023

Und wir düsen düsen düsen

 Die Schulmathematik und Flugzeuge, die auf geraden Bahnen mit konstanter Geschwindigkeit vor sich hinfliegen und in der Regel mit Geschwindigkeiten auf der Landebahn aufsetzen, die zum Totalschaden führen würde, haben eine lange Geschichte. So in etwa 20 Jahre, seit man eben die Lebenswelt unserer Schüler in den Mittelpunkt des Mathematikunterrichts gesetzt hat. Mein Leidensgenosse A.R. hat mir wieder einmal einen Auszug aus Elemente der Mathematik 10 (NRW, in BW machen wir Trigonometrie in der 9, wir haben schließlich G8 und Sommerferien im Herbst - weil wir das können) geschickt. Der Plan ist perfide: Man bringt so viel Unsinn über Flugzeuge in die Texte unserer Schulbücher, dass, wenn in 20 Jahren  ChatGPT 5.0 den Airbus 550 konstruiert, das Ding einfach nicht fliegen kann, weil die KI sich seine Weisheiten aus allen möglichen Quellen saugt. Nimm das, Greta Thunberg! Andere wiederum behaupten, Schulbuchautoren wären zu doof, sich einen solchen Plan auszudenken. Man wird sehen. 

Die Einführung in die Trigonometrie läuft, das ist heute heilige Pflicht, über ein realitätsnahes Problem:


Mathematik ist immer und überall, auch beim Segelfliegen. Die Gleitzahl, das ist immerhin fast richtig, ist das Verhältnis von Höhenverlust und zurückgelegter Entfernung. Ganz richtig wäre es gewesen, wenn man das Verhältnis von zurückgelegter Entfernung und Höhenverlust genommen hätte - nobody's perfect. Die zurückgelegte Entfernung wird in der beigefügten Skizze zur "Länge der überwundenen Entfernung"; offenbar haben die Autoren den Ratschlag beherzigt, nicht zu oft das gleiche Wort für die gleiche Größe zu benutzen, weil das sonst langweilt. Die Länge einer Entfernung hat mich etwas stutzen lassen; es klingt ein wenig wie die Länge der Breite eines Rechtecks. Aber die Autoren (und Autorinnen beiderlei Geschlechts) werden sich schon was dabei gedacht haben.

Überhaupt: Das Segelflugzeug in der Skizze sieht nicht aus wie die Segelflugzeuge, die ich  bisher so gesehen habe. Vermutlich ist es ein Segelflugzeug aus der Welt der Schüler. Das Flugzeug steht parallel zur Flugbahn; ich vermute, so einen Unfug bekommt man schnell ausgetrieben, wenn man den Pilotenschein macht. 

Selbstverständlich wird nicht einfach gefragt, welche Höhe das Segelflugzeug verliert, wenn es 10 m weit fliegt (also - so viel Genauigkeit muss sein -  die Länge der überwundenen Entfernung von 10 m). Das hätte mit der Lebenswelt nichts zu tun, Stattdessen fragt sich Schüler Lukas (Pronomen unbekannt), welche Höhe das Segelflugzeug verliert, wenn es 10 m weit fliegt. Und weil Lukas allein nicht genderkonform wäre, fragt sich Emily (Pronomen ebenfalls unbekannt) auch was. Das ist jetzt spannend, gell?

Am Ende darf man wie Lukas und Emily Skizzen anfertigen, obwohl schon eine im Buch steht und obwohl Emily gar keine gemacht hat (Lukas malt, Emily überlegt; die Gendergerechtigkeit in heutigen Mathematikbüchern ist noch nicht ganz erreicht). Oder die Skizze von Emily ist diejenige im Buch - aber wäre das nicht sexistisch, wenn man so tut, als könne Emily ein Segelflugzeug nicht von einem Jet unterscheiden?

Samstag, 12. August 2023

Brandstifter und die Brandstifter

 Man mag von Bernd Höckes Ansichten zu Inklusion und Gendermainstreaming halten, was man will; das ist aber hier nicht mein Thema, Mein Thema ist, wie die Presse mit diesen Äußerungen umgeht. Da ist der Spiegel, der sich in 20 Jahren vom Gewissen der Nation zu einem Schmierenblatt sondergleichen heruntergewirtschaftet hat. Der klärt uns über Gendermainstreaming auf:

Dabei meint das lediglich die Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen – also auch von Mädchen und Jungen. Gleichberechtigung ist im Grundgesetz verankert.

Das hätte dem Redaktör schon auffallen können, dass zwar die Gleichberechtigung im Grundgesetz verankert ist, aber nicht die Gleichstellung. Wortklauberei? Ich denke nicht.

Noch schlimmer als der Spiegel ist Münchens Ex-OB Ude.  In der SZ wird er so zitiert:

"Das sind Leute, die mit Euthanasie mehr am Hut haben als mit Inklusion."

Der Nazivergleich schon im ersten Satz. Respekt.

Wenn die Inklusion behinderter Menschen in den Schulen als angebliches "Ideologieprojekt" abgeschafft werden solle, bereite das einen "Rückfall in die Barbarei" vor.

 Deutschland hat die entsprechende UNO-Konvention 2009 unterschrieben. Und davor waren wir in der Barbarei? Ernsthaft? Aus meinem Jahrgang haben sehr viele Sonderpädagogik studiert, mit dem Ziel, behinderten Menschen an eigens dafür eingerichteten Schulen mit eigens dafür ausgebildetem Personal in kleinen Gruppen die Förderung zukommen zu lassen, die sie benötigen und verkraften. Was, bitteschön, soll daran barbarisch sein? Barbarisch ist es, wenn Eltern lernbehinderte Kinder auf Schulen schicken, in denen sie jeden Tag erleben müssen, dass die anderen Schüler Dinge können, die sie selbst nicht können. Und die personell gar nicht dafür eingerichtet sind, mit diesen Kindern anständig zu arbeiten. 

Auch die Vorsitzende des Behindertenverbandes schlägt in dieselbe Kerbe:

Sie erinnerte vor rund hundert Zuhörerinnen und Zuhörern an die "tief verwurzelte Behindertenfeindlichkeit" in der deutschen Geschichte, gipfelnd im Massenmord der Nationalsozialisten an mehr als 200 000 kranken und behinderten Menschen.

Auch sie verwechselt den Rückfall in die Barbarei vor 2009 mit dem Rückfall in die Barbarei nach 1933. Und weiter:

Koller nannte zahlreiche Beispiele von Diskriminierung, Ausgrenzung, Bevormundung und Unterdrückung. Behinderte Menschen könnten an Veranstaltungen nicht teilnehmen, hätten keinen Zugang zu vielen Restaurants oder Arztpraxen, könnten Verkehrsmittel nicht selbstbestimmt nutzen, fänden keine Behindertentoiletten.

Beim Zugang zu Arztpraxen haben gesetzlich Versicherte, nebenbei bemerkt, bisweilen auch Schwierigkeiten.  Butter bei die Fische: Wäre es nicht wichtiger, sich um diese praktischen Probleme von Behinderten zu kümmern als um die leidige Inklusion? Die funktioniert nämlich, wenn man den Kommentaren von Lehrern im Netz Glauben schenkt, alles andere als gut.

Ich habe im SZ-Artikel nicht ein einziges Argument gefunden, das sich mit den Thesen von Höcke auseinandersetzen würde. Stattdessen wird mit Stimmungsmache auf allerunterstem Stammtischniveau gearbeitet. Und ich fürchte, dass die AfD das besser kann als der Spiegel, die SZ oder der Ude. 


Dienstag, 8. August 2023

No more heroes

 Podcasts sind nicht so meins - Lesen funktioniert bei mir um ein Vielfaches schneller, weil ich Dinge, die nicht wichtig sind, überfliegen kann; das geht bei podcasts nicht. Aber jedem das Seine.

Die ARD jedenfalls hat eine podcast-Serie über "Sheroes". Man ahnt es schon: weibliche Helden. Oder Heldinnen. Und ein podcast handelt vom "Mathe-Genie, das kaum jemand kennt". Nämlich von Emmy Noether. Kaum jemand ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Kaum jemand in der ARD trifft die Sache schon eher. Deshalb haben sie sich eine Expertin geholt. Allerdings nicht von außen; schließlich zahlen wir ja auch deswegen Rundfunkbeiträge, damit sich die Öffentlich-Rechtlichen eigene Expertinnen leisten können. In diesem Falle Johanne Burkhardt.

Zurück zu Emmy Noether. Der Begleittext zum podcast auf dieser Seite lautet wie folgt:

Ihre Theorien waren revolutionär und wahnsinnig komplex. Ohne Emmy Noether hätte Albert Einstein seine Relativitätstheorie nicht beweisen können. Nach heutigen Maßstäben wäre sie mindestens Co-Autorin gewesen. 

Ich habe keine Ahnung, ob die Autorin dieser Zeilen Frau Burkhardt gefragt hat, ob sie dem zustimmen kann. Aber einen größeren Blödsinn über Emmy Noether kann man nur schwerlich schreiben. Zum einen hat sie keine "Theorien" aufgestellt. Sie hat mathematische Sätze bewiesen und, und das dürfte ihre Hauptleistung gewesen sein, eine Art zu denken gepflegt, die ihren Zeitgenossen in der Tat Schwierigkeiten bereitete; allerdings war dies, wie fast alles in der Mathematik, keine Revolution, sondern eine natürliche Entwicklung. Emmy Noether hat vielleicht als erste verstanden, was Richard Dedekind wirklich gemeint hat. 

Als Einstein 1916 die Hauptgleichungen seiner allgemeinen Relativitätstheorie veröffentlichte, hatte Emmy Noether mathematisch noch kaum etwas geleistet. Promoviert hatte sie in Invariantentheorie, auf ihre Ergebnisse in dieser Richtung ist sie später nie mehr zurück gekommen - andere Mathematiker, soweit ich weiß, auch nicht. Einstein hat seine ART natürlich auch nicht bewiesen; schließlich geht es dabei um Physik und nicht um Mathematik. Den Satz über die Co-Autorin kann ich nicht kommentieren, ohne ausfallend zu werden.

Auch auf dieser Seite weiß der Begleittext zum podcast wieder mehr als ich:

Ohne sie wäre Einstein aufgeschmissen gewesen, weil seine Arbeit erst durch Emmy Noether bewiesen werden konnte.

Ach.

Emmy Noethers Ausflug in die Physik hat 1918 die Noetherschen Sätze hervorgebracht, wonach Symmetrien der Raumzeit Erhaltungsgrößen erzeugen: die Homogenität der Zeit etwa liefert den Energieerhaltungssatz. Ein großartiges Ergebnis, das auch auf Einstein Eindruck machte. Seine Relativitätstheorie war damals aber schon fertig. 

Die Behauptung, dass Emmy Noether in den Geschichtsbüchern fehle, ist ein Witz. Es gibt inzwischen wohl ein gutes Dutzend Biographien, die meisten gut bis sehr sehr gut, oder ganze Bücher über ihre Noetherschen Sätze. Ich weiß auch nicht, ob es überhaupt ein Buch über die Geschichte der Algebra gibt, in welchem Noethers Name nicht steht. Aber die Idee hinter dieser Serie ist ja die, dass die Geschichtsschreibung die Rolle der Frauen absichtlich nicht erwähnt. Und ich wüsste jetzt nicht, dass Mathematiker von Euklid bis Hilbert in Standardwerken der Geschichte außerhalb der Wissenschaften großartig Erwähnung finden würden.
 
Deshalb fragt die nervige podcast-Tussi Milena zu Beginn ja auch, 

   "Oder an wen denkt ihr, wenn ihr an große Mathe-Dschenies denkt?"

Warum diese Leute Wörter wie Genie oder Journalist nicht mehr richtig aussprechen können, weiß ich nicht. Sei's drum. Jedenfalls denken die podcast-Hörer, wenn man Lena glaubt, bei Mathe-Dschenie vor allem an Einstein. Der war aber keins, weil er in Mathe eine 4 hatte, wie die Einblendung eines doofen Lieds mit der entsprechenden Textzeile beweist (der Titelsong der Serie Schloss Einstein). Suchmaschinen braucht man nicht, wenn man alles selber weiß, sonst würde man vielleicht auf einer Seite landen, die beispielsweise Einsteins Matura-Zeugnis zeigt.  

Die Expertin Johanne hat ein "Feature" zu Emmy Noether gemacht (die ARD bewirbt es mit den Worten "Sie hat für SWR2 Wissen ein Feature über Emmy Noether gemacht, dass hier in der ARD Audiothek anhören könnt", in welcher Emmy Noether gar die "unsichtbare Mitautorin der allgemeinen Relativitätstheorie" genannt wird. Die Leichtigkeit, mit welcher frau sich hier über die Regeln der deutschen Grammatik hinwegsetzt, ist nicht das einzig Erstaunliche an diesem Satz.

Im Begleittext zur ersten Folge der podcast-Reihe findet man übrigens noch etwas, was die wenigsten Männer wissen:

Der erste Autor der Menschheit? Eine Frau

Und zwar En-hedu-anna.  Die gilt zwar nicht als der erste Autor der Menschheit, sondern, wie man bei Wikipedia hätte nachlesen können, als "erste namentlich bekannte Autorin" der Menschheitsgeschichte. Das scheint mir etwas anderes zu sein. Aber ich bin halt keine Frau. 






Dienstag, 25. Juli 2023

Abitur Marokko

Ich hab mich jetzt etwas über das marokkanische Abitur schlau gemacht. Marokko hat etwa halb so viele Einwohner wie Deutschland und etwa halb so viele Abiturienten; weil die Bevölkerungspyramide dort ganz anders aussehen dürfte als hier, darf man daraus nicht schließen, dass die Abiturientenquote wie hierzulande etwa 40 % beträgt; die wirkliche Zahl dürfte deutlich darunter liegen. Außerdem wählt man in den letzten beiden Jahren eine Fachrichtung aus: entweder Literatur oder Naturwissenschaften oder Mathematik. Über den Daumen gepeilt dürften also weniger als 10 % eines Jahrgangs das Mathe-Abitur dort schreiben. 

Ansonsten ist die Durchfallquote im Abitur etwa ein Drittel - wer sich nicht anstrengt, ist weg. Man vergleiche das mit unserem glorreichen Bildungssystem, wo man bis in die K1 hochgehievt wird und man  dann, wenn klar ist, dass man das bisschen Abi nicht schafft, die Fachhochschulreife ausgehändigt bekommt, ohne auch nur einmal in seinem Leben eine Prüfung absolviert zu haben.

Und noch eins: Das marokkanische Abitur wird in Deutschland als Realschulabschluss anerkannt. Immerhin.