Montag, 27. Mai 2019

Früher MINT wagen!

Artikel über Bildung in Zeitschriften, egal ob in der Süddeutschen, im  Spiegel oder in der lokalen Presse, sind meist nur schwer zu ertragen. "Früher MINT wagen" in der Schwäbischen Zeitung ist da keine Ausnahme. Schon der erste Satz ist blanker Unsinn:

    Die Gleichung ist simpel: Wer sich für Naturwissenschaften 
    interessiert, so die Erfahrung, schlägt in seinem Leben eher 
    eine Karriere als Ingenieur oder Techniker ein.

Das, lieber Herr Schwarz, ist keine Gleichung, ebensowenig wie "wer Papst werden wird, sollte Theologie studieren" eine Gleichung ist. Für eine Gleichung braucht man zwei Dinge, die auf irgend eine Art und Weise gleich sind. Keine Gleichung also, sondern eine Binsenweisheit, und damit immerhin nicht ganz falsch. 

Dann aber kommt eine Professorin der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd zur Wort, also der Einrichtung, die jahrzehntelang das Schreiben nach Gehör gepredigt hat und, jedenfalls wenn Frau Eisenmann nicht zuhört, immer noch predigt. Man ahnt schon, worauf das hinausläuft, und es kommt, wie es kommen muss:

      Die Förderung von naturwissenschaftlichen Fächern darf 
      nicht erst in der achten oder neunten Klasse, sondern muss
      im Kindergarten und der Grundschule beginnen.
     
Ich habe nichts gegen Förderung von naturwissenschaftlichen Fächern, aber Kindergärten heißen aus einem ganz bestimmten Grund Kindergärten, nämlich aus demjenigen, dass er meist von Kindern besucht wird. Für meinen Teil wäre es genug Physik, wenn diese Kinder lernen würden, dass Dinge nach unten fallen, dass es mehr weh tut, wenn man auf der Straße hinfällt als wenn man das auf Gras macht, und genug Biologie, wenn sie eine Biene von einer Kuh unterscheiden können und wissen, dass die einen für Honig und die andern für Milch zuständig sind. 

Was mir dagegen fürchterlich auf die Nerven geht sind Leute, die predigen, dass man diesen Kindern, damit sie später in der Welt der Wirtschaft überlebensfähig sind (wenn ein Satz so los geht, lese ich eigentlich nicht mehr weiter), etwa Chinesisch oder Quantentheorie lernen müssen. Müssen sie nicht. Sie müssen im Sandkasten spielen, einen Ball durch die Gegend kicken, oder Bilder malen, für die sie sich 5 Jahre später schämen. Sie müssen hinfallen, wieder aufstehen, andern Kindern auf die Nerven gehen, und lernen wie man ein Spiel zu Ende spielt, ohne dass die halbe Runde in Tränen ausbricht. 

Was die Naturwissenschaften angeht: die sind nicht deswegen so unbeliebt, weil die heutigen Kinder im Kindergarten nicht in dieser Richtung gefördert werden (warum hat es früher genug Leute gegeben, die ein MINT-Fach studiert haben?), sondern weil durch
Schulzeitverkürzung und Akademisierungswahn wesentliche Teile des Physik- und Mathematikunterrichts gestrichen worden sind. Was man heute im Mathematikunterricht noch lernt (wie sich Raubvögel mit konstanter Geschwindigkeit auf Geraden bewegen oder wie zwei Züge in einem Tunnel, der von einer Geraden beschrieben wird, aneinander vorbei fahren), kann man zu nichts gebrauchen, und in der Physik ist der Großteil der Schüler, die man später auf irgendeine Hochschule schicken will, damit sie irgendwas mit Medien studieren können, bereits mit dem einfachsten Fall einer zusammengesetzten Bewegung überfordert, sodass außer dem freien Fall nicht arg viel mehr drankommt.

Dort liegt der Hase im Pfeffer: ohne ordentlichen Unterricht in Mathematik und Physik wird es nichts mit MINT-Studenten. Ganz anders der Schluss von Frau Prof.in Ladel:

     Der Grund ist so simpel wie die Gleichung zu Beginn: 
     „Je früher Kinder für diese Fächer begeistert werden, 
       umso leichter fällt es ihnen, sich damit intensiv und 
       gut auseinanderzusetzen."  

Ach so. Und wo sollen sie sich mit diesen Fächern intensiv und gut auseinandersetzen? In den kümmerlichen Resten des Physikunterrichts, den uns die professoralen Kollegen Frau Ladels aus den Erziehungswissenschaften an den Universitäten übrig  gelassen haben?

Was befähigt Frau  Ladel nun zu ihrem Schluss? Ihr Lebenslauf lässt darauf nur eine Antwort zu: nichts. Studiert hat sie Lehramt für Grund- und Hauptschule. Kein M, kein I, kein N und auch kein T. Anscheinend reicht das heute für eine Professur aus, jedenfalls wenn man von morgens bis abends das Lied singt, das die Politik gerne hört: Di-gi-ta-li-sie-rung. Kinder, die nachmittags und nachts an ihrem Smartphone kleben, müssen auch vormittags im Kindergarten und der Grundschule verkabelt werden:




    Die Digitalisierung und ihre Möglichkeiten haben ein großes 
    Potenzial – dieses müssen wir nutzen und sinnvoll in den 
    Unterricht integrieren.“ Deshalb setzt sie sich für eine verstärkte 
    Einbindung von digitalen Medien an den Schulen ein.

Das Potenzial müssen wir also sinnvoll in den Unterricht integrieren. Ich habe schon Schwierigkeiten damit, den Satz zu verstehen: wie werden Potenziale integriert? Ich vermute, dass der Satz nur eine Art Sammelbecken für gut klingende Schlagwörter  sein soll, bei dem niemand nachfragt, was er bedeuten soll. Warum man digitale Medien in den Unterricht integrieren muss, habe ich auch nicht verstanden. Fernsehen, Autofahren oder schlechte Musik gehören auch zur Lebenswelt der Schüler - müssen wir sie deswegen in den Unterricht integrieren? Ich habe beileibe nichts gegen digitale Medien im Unterricht - wenn sie gegenüber andern Techniken einen Vorteil bieten. Aber dass man sie benutzen muss, weil es sie gibt, ist Unsinn.

Und wenn man schon die mangelhafte Digitalisierung an deutschen Schulen beklagt: Wie wäre es dann mit einem Informatikunterricht, der diesen Namen verdient hat? Stattdessen lernt man an deutschen Schulen eigentlich nur, wie man mit US-amerikanischer Software (MS office etc.) umgeht. Anfixen nennt man das wohl.

Donnerstag, 16. Mai 2019

CAS oder nicht CAS

An manchen Tagen wird von Meldungen, die man kaum glauben mag, förmlich zuge...müllt. Manche sind so unglaublich, dass man sie kaum glauben mag, wie etwa die folgende aus Glienicke: 58 Schüler haben dort die falschen Aufgaben bekommen. Das ist noch nicht unglaublich, es geht ja um Berlin. Und Fehler passieren ja auch anderswo. Aber irgendetwas an der Schilderung von Stefanie kam mir nicht koscher vor:

    "Meine Tochter ist gut in Mathe", sagt Stefanie Julier, deren
      Tochter zu den Betroffenen gehört. " Die Arbeit wäre für sie 
      eigentlich kein Problem gewesen. Aber sie kam ganz 
      unglücklich nach Hause, weil die Aufgaben nicht zu 
      schaffen gewesen seien."

Im Artikel wird erklärt, dass es hier um eine CAS-Klasse ging, die beim Abitur ein Computer-Algebra-System benutzen dürfen. Das erledigt dann alle Gleichungen, Ableitung und Integrale auf Knopfdruck. Was ich nicht verstanden habe, ist der Grund der Beschwerde: Sie werden doch nicht aus Versehen die Aufgaben aus dem Spanisch-Abitur bekommen haben - da wäre ein CAS, das gebe ich zu, keine große Hilfe gewesen. Aber die "normalen" Aufgaben können es doch auch nicht gewesen sein, denn die sind ohne CAS von Hand bzw. mit Taschenrechner lösbar, sodass die CAS-Klasse einen Vorteil und keinen Nachteil gehabt hätte.

Ich habe also weiter gesucht und dann diesen Artikel gefunden: tatsächlich haben die CAS-Abiturienten die Aufgaben für Schüler ohne CAS bekommen und haben das (zumindest offiziell) leichtere Abitur als zu schwer empfunden. Jetzt müssen sie nachschreiben, was aber, so Schülersprecher Carl Exner (17), ein Problem ist:

     Es betrifft fast alle. Die Schüler haben keine Lust, unvorbereitet 
     innerhalb einer Woche Mathe nachzuschreiben.  Die haben die
     Themen gar nicht mehr im Kopf.

Wenn man eine Woche nach dem Abitur und mit einer zusätzlichen "Probeklausur" unvorbereitet ist, weil man die Themen gar nicht mehr im Kopf hat, lieber Carl, dann war das Gymnasium die falsche Schule.

Was die Sache noch unglaublicher macht ist die Tatsache, dass die Aufgaben für Schüler mit und ohne CAS in Berlin und BW praktisch identisch sind. Im wesentlichen gibt man dem CAS-Abitur ein oder zwei einfache Teilaufgäbchen mehr, damit man sagen kann, es sei schwerer als die normale Prüfung zum ausgleich dafür, dass man als CAS-Abiturient nichts mehr rechnen muss. 2019 ging es in beiden Prüfungen (Aufgabe Fischlogo) etwa um die Funktion f(x) = x/a ln(x/a). In a) war Definitionsbereich und Nullstellen gefragt, die CAS-Schüler mussten zusätzlich noch die Gleichung f(x) = 1 nach x auflösen lassen. Die Teile b), c), e), f) und h) sind identisch, in d) müssen die ohne CAS das Schaubild zeichnen, die CAS-Schüler die Schnittpunkte mit den Koordinatenachsen bestimmen (auch das geht im Kopf), und in h) hatten die CAS-Schüler zusätzlich ein Integral einzutippen.

Die CAS-Schüler hatten also statt der CAS-Prüfung diejenige bekommen, in welchen ein paar Aufgabenteile weggelassen worden sind, und die seien mit CAS nicht zu schaffen gewesen. Ich weiß nicht, was ich dazu noch sagen mag. Außer vielleicht "Herzlichen Glückwunsch zur Hochschulreife".

Herr schmeiß Hirn vom Himmel!

Auch das Abitur in Berlin ist dieses Jahr viel zu schwer gewesen. So klagt die Mathe-LK-Schülerin Larissa:

         Es sei eine Logarithmusfunktion zu bearbeiten gewesen, 
         die die Lehrer nur am Rande behandelt hätten.

Das ist nun schon arg frech. Wer wie ich unter einem Gedächtnis leidet, das sich nur die seltsamsten Dinge merken kann, der kann sich an eine Meldung aus den letzten Jahren erinnern, in der es schon einmal um Brandenburg und schon einmal um den natürlichen Logarithmus ging:

      Nach der schriftlichen Mathematik-Prüfung am 3. Mai hatten
      zahlreiche Lehrer und Schüler kritisiert, dass Fragen aus dem 
      Zentralabitur gar nicht im Unterricht behandelt worden waren. 
      Konkret ging es um Aufgaben zum natürlichen Logarithmus. 
      Das Ministerium bot rund 6.000 Schülern daraufhin an, die   
      Prüfung am 12. Juni wiederholen zu können. Rund 2.600 
      nahmen das Angebot an.

Wie heißt es so schön: Kein Mensch macht denselben Fehler zweimal. Er macht ihn drei Mal, vier Mal, fünf Mal . . .

Auf der andern Seite muss man konstatieren, dass es bei der Logarithmusfunktion ja nun nicht arg viel zu üben gibt. Die zwei Eigenschaften, die man vielleicht braucht, stehen in der Formelsammlung. 

Logarithmus hin oder her, die Abiturprüfung in Berlin war auch aus einem zweiten Grund viel zu schwer:

       Und es ist auch total ungewöhnlich, dass zwei binomische 
       Formeln in einer Funktionsgleichung drangekommen sind.      

Da muss ich ihr zustimmen. Binomische Formeln im Abitur, das geht gar nicht. Wie soll man denn ein duales Studium bei Penny ergattern, wenn einem die Abi-Note von zwei binomischen Formeln versaut wird? Aber schauen wir uns das corpus delicti einmal an.

    Gegeben ist die Funktion fk mit fk(x) = 8k(kx-1)2 (kx+1)2.

Die erste Aufgabe war, die drei Schnittpunkte mit den Koordinatenachsen zu bestimmen und damit das mitgelieferte Schaubild zu skalieren. Dazu, liebe Larissa aus dem Mathe-LK, braucht man nicht nur keine binomischen Formeln, sie sind geradezu hinderlich, denn einmal muss man nur x = 0 einsetzen, zum andern nach y=0 den Satz vom Nullprodukt anwenden und die Quadrate mit Wurzelziehen entsorgen.

     Die zweite Aufgabe war dann, das gebe ich zu, selbst für Berliner Verhältnisse etwas ungewöhnlich:

      Begründen Sie, dass  fk(x) = 8k(k2x2-1)2 gilt.
   
Hier musste man einfach abschreiben, was dasteht:

        fk(x) = 8k(kx-1)2 (kx+1)= 8k(k2x2-1)2  

Die ganz guten aus dem LK hätten vielleicht noch dazuschreiben können, dass dies die 3. binomische Formel ist.

Larissa ist mit ihrer Einschätzung, dass das Abitur in Berlin-Brandenburg aber sowas von viel zu schwer gewesen sei, aber echt, nicht allein. Schützenhilfe erhält sie von dem Mathe-Physik-Lehrer Hartmut Stäker, der für das Berliner Abitur unter Mithilfe der Musterlösung schlappe 15 Stunden gebraucht hat. Ich könnte jetzt böse sein und sagen, dass das für einen Beamten eine respektable Leistung darstellt. Bin ich aber nicht, daher stelle ich kurz und schmerzlos fest, dass jemand, der so langsam rechnet, nicht auch noch in der Bildzeitung damit angeben sollte. Schon gar nicht sollte er mit unbedachten Aussagen dokumentieren, dass er für seine Aufgabe als Zweitkorrektor beim diesjährigen Abitur gnadenlos überfordert ist:

       Auch tauchten in den Aufgaben Worte wie „Nullhypothese“ 
      oder „Entscheidungsregel“ auf, die vielen Schülern kaum 
      bekannt sein dürften. 

Ungefähr ähnlich kaum bekannt wie "Nullstelle" oder "binomische Formel", würde ich sagen. Meine Schülerinnen haben sich jedenfalls darüber beschwert, dass in ihren Aufgaben Wörter (nicht Worte - Deutsch kann er auch nicht) wie "Nullhypothese" oder "Entscheidungsregel" nicht vorgekommen sind. Das kann nachvollziehen, wer die Aufgaben aus BW gesehen hat: Kein natürlicher Logarithmus, keine Exponentialfunktion, kein eigentlich fast alles, und dann auch noch kein Hypothesentest. 

So schwer war's dann doch

Die SZ, die schon in der Vergangenheit in schöner Regelmäßigkeit durch bescheuerte Artikel über Mathematik aufgefallen ist, hat das Mathe-Abi 2019 in Bayern zum Anlass genommen, sich ein weiteres Mal zu blamieren. Sie lässt einen Christian Endt die erste und einfachste Teilaufgabe erklären, der es dann aber fertig bringt, in die Lösung mindestens zwei Fehler einzubauen.

Hier die Aufgabe:

        Jeder sechste Besucher eines Volksfests trägt ein 
        Lebkuchenherz um den Hals. Während der Dauer 
        des Volksfests wird 25-mal ein Besucher zufällig
        ausgewählt. 

Bereits beim Erklären der Aufgabenstellung ist Herr Endt überfordert: bei 1:15 erklärt er die zufällige Auswahl der 25 Personen so, dass man beispielsweise 25 Personen auf einem Kettenkarussell auswählen könnte. Kann man aber nicht, weil das nicht zufällig ist. Zum einen sind die Personen im Kettenkarussel vermutlich altersmäßig noch keine Ü-40er, zum andern kann es durchaus sein, dass jemand, bevor er in das Karussell steigt, sein Lebkuchenherz der Mama gibt. Aber weiter im Text:

        Die Zufallsgröße X beschreibt die Anzahl der ausgewählten
        Besucher, die ein Lebkuchenherz tragen.
        a) Bestimmen Sie die Wahrscheinlichkeit dafür, dass unter 
             den ausgewählten Besuchern höchstens ein Besucher ein 
             Lebkuchenherz trägt. 

Das kann man nun fast nicht versauen, denn man braucht die Antwort ja nur den Lösungen zu entnehmen, die Herr Endt im Gegensatz zu den Abiturienten zur Verfügung hat, und korrekt auf die Tafel zu schreiben. Das ist Herrn Endt nur fast gelungen:

     

Ich weiß nicht, wie oft ich jedes Jahr in meiner 9. Klasse predige, dass in solchen Ausdrücken erst die Potenz, dann Produkte und endlich die Summen gerechnet werden, dass also 22/3 oder 2/32 etwas anderes ist als (2/3)2. Kann sich die SZ niemanden leisten, der die Videos erst einmal auf ihre Richtigkeit prüft, besonders wenn es um Mathematik geht? Oder haben sie das einen Abiturienten machen lassen?

Sonntag, 12. Mai 2019

Schmidchen Schleicher II

Der "größte Bildungsexperte Deutschlands", wie er gerne genannt wird, oder der größte Vollidiot nach Trump, wie PISA-Schleicher bei mir heißt, hat sich in Sachen Abitur zu Wort gemeldet. Offenbar gebe es Schwierigkeiten, also fragt er sich:

  • War die Vorbereitung im Unterricht nicht optimal? 
Vorbereitung auf was? Auf das Abitur? Die war so optimal wie jedes Jahr. Vorbereitung auf ein MINT-Studium? Ist leider nicht mehr möglich, seit die Lehrer gezwungen sind, Schülern das Lösen dieser PISA-Aufgaben anzutrainieren, die sie im Abitur vorgesetzt bekommen. 

  • Eines ist für mich aber klar: Die Richtung, in die sich die deutsche Abiturprüfung in Mathe entwickelt hat, ist eindeutig richtig. 
Das sehen die Leute, die mit unseren Abiturienten etwas anfangen sollen, leicht anders. 
  • In der Vergangenheit sei es vergleichsweise leicht gewesen, die Mathe-Prüfung zu bestehen – wenn Schüler Formeln auswendig gelernt hätten.
Ich kann mich dunkel daran erinnern, dass es schon zu meiner Zeit eine Formelsammlung im Abitur gab. Ich weiß beim besten Willen nicht, wovon Schleicher hier redet.
  • Die PISA-Ergebnisse zeigen: Deutsche Schüler sind gut darin, etwas auswendig zu lernen.
Ich sag's mal so: Die Lehrer, die ich kenne, machen täglich andere Erfahrungen. Und da Auswendig-Lernen bei PISA-Tests (kennen Sie Ihre eigenen Tests nicht? Oder haben Sie die Fragen schon wieder vergessen, weil Sie nichts auswendig lernen können?) nicht abgefragt wird, darf man sich fragen, aus welchen Daten und Dätchen Sie diesen Schluss gezogen haben. Meine Vermutung: Sie haben das einfach mal so behauptet. Es gibt, wie bei jedem Tweet von Trump, immer Idioten, die jeden Scheiß glauben.
  • Jetzt erwarten wir von den Schülern etwas Anspruchsvolleres: Es geht darum, wie ein Mathematiker zu denken, komplexe mathematische Zusammenhänge zu analysieren.
Ich könnte meinen Schülern durchaus beibringen, wie ein Mathematiker denkt, denn im Gegensatz zu Ihnen, Herr Schleicher,  weiß ich, wie  Mathematiker denken. Gut, Sie haben in Australien ein Aufbaustudium Mathematik absolviert, anscheinend erfolgreich, haben aber damit offenbar ebensowenig anfangen können wie mit Ihrem Physikstudium. Warum hätten Sie sich sonst mit Bildungsfragen beschäftigen sollen? Sicher, auf die Idee, mit ein und demselben multiple-choice-Test die Bildungssysteme von Dutzenden von Ländern vergleichen zu wollen, muss man erst einmal kommen. Sie werden mir aber verzeihen, dass ich das nicht als Ausdruck Ihrer unglaublichen Intelligenz anerkennen mag.
  • Schleicher, der selbst Physiker und Mathematiker ist
schreibt news4teachers und hat offenbar keine Ahnung davon, dass jemand, der Kunst studiert hat, nicht automatisch ein Künstler ist, und nicht jeder, der eine Vorlesung in Philosophie über sich ergehen lassen hat, als Philosoph durchgeht, selbst wenn sein Name mit P anfängt und mit recht aufhört.

Schauen wir doch einmal in das Abitur BW, um zu sehen, wo die Schüler wie Mathematiker hätten denken müssen. Weil ich mich vermutlich strafbar mache, wenn ich die Aufgabe hier im Original wiedergebe (die Bayern stellen ihre Aufgaben nach der Prüfung postwendend ins Netz, in BaWü ist das verboten, vermutlich weil man sich doch ein ganz klein wenig schämt), habe ich sie leicht modifiziert. 

Wir beginnen also mit der Wahlteilaufgabe in Analysis, bei der es um das Wachstum von irgendwas geht. Erstaunlicherweise wird dieses nicht durch eine Funktion beschrieben, sondern durch ein Schaubild: 

Ohne Funktion wird es wohl nichts zu rechnen geben; meines Wissens ist das die erste Abituraufgabe in Analysis seit Einführung des Abiturs durch Preußen Anfang des 19. Jahrhunderts, in welcher es nichts zu rechnen gab. Aber, so Schleicher:
  • Das sind andere Anforderungen als früher, aber sie sind  richtig und zeitgemäß. Im realen Leben stehen auch keine Formeln und Gleichungen vor uns.
Im realen Leben messe ich, wenn ich Mais anpflanze, nicht wöchentlich seine Länge und trage das in ein Schaubild ein, sondern sehe zu, dass die Pflanzen genügend Wasser haben, wenn es längere Zeit nicht geregnet hat. Aber zurück zum "Denken wie ein Mathematiker": Diese Abbildung zeigt das Schaubild einer Funktion, welche die Größe von Schleichers Ego während der ersten 17 Jahre nach PISA in cm beschreibt. 

a) Geben Sie den Zeitraum an, in dem die Höhe von Schleichers 
    Ego von 20 cm auf 40 cm zunimmt.

Die erste Frage im baden-württembergischen Mathematik-Abitur im Wahlteil Analysis, das predige ich meinen Schülern seit Jahren, ist einfach. Man muss da weder ableiten, noch integrieren, sondern nur etwas in die Funktion einsetzen. Dieses Mal nicht einmal das: Man musste zwei Koordinaten ablesen. Ich frage mich, wie viele Grundschüler in der Lage sind, diese Frage halbwegs richtig zu beantworten. Heißt das, dass diese Grundschüler schon in der Lage sind, komplexe Zusammenhänge zu analysieren und wie Mathematiker zu denken? 

      Bestimmen Sie die momentane Änderungsrate der Größe des
      Schleicherschen Egos 4 Jahre nach PISA. 

Hier muss man die Steigung der Tangente ablesen, darf aber nicht vergessen, dass auf der y-Achse zwei Kästchenlängen 10 cm sind. Grundschüler sind damit vielleicht überfordert, aber irgendetwas muss man zwischen Klasse 4 und 12 ja auch noch lernen.

     Beschreiben Sie die Bedeutung der Wendestelle t = 6,5 der 
     Funktion im Sachzusammenhang.

Im Auswendiglernen sind unsere Schüler gut, also werden Sie hingeschrieben haben, dass in der Wendestelle die Steigung extremal ist; im vorliegenden Fall ist die Wachstumsgeschwindigkeit von Schleichers Ego dort also am größten.

     b) Formulieren Sie zu der Gleichung f(t+2) - f(t) = 5 eine 
          Fragestellung im Sachzusammenhang

Diese Frage steht ja schon in der Sammlung der Musteraufgaben für das Abi 2019 auf der Seite des RP (siehe etwa Seiten 40-42 hier oder Seite 12 hier); überrascht haben kann sie also niemanden, Nach der vorgegebenen Musterlösung musste man hinschreiben, dass nach einem Zwei-Jahres-Zeitraum gefragt ist, in dem Schleichers Ego um 5 cm gewachsen ist. Wie der Maestro selbst sagt:
  • Da gilt es, Zusammenhänge zu erkennen und in die Sprache der Mathematik zu übersetzen.
Eigentlich andersrum: Jemand hat eine Banalität in die Sprache der Mathematik übersetzt, und der Schüler muss jetzt zurückübersetzen. Eine Frage noch, dann ist diese Aufgabe überstanden:

    Geben Sie eine Lösung der Gleichung an.

Man muss also nachschauen. wann das Schaubild ein Kästchen nach oben geht, wenn man 4 Kästchen nach rechts geht. Natürlich muss man dazu erst den komplexen Zusammenhang zwischen Realität und dem Schaubild analysieren und dann Denken wie ein Mathematiker. Aber danach ist die Aufgabe dann doch lösbar, sogar ohne Taschenrechner.

Ich selbst habe etwas bedauert, dass die realitätsbezogene Wahlteilaufgabe damit schon vorbei war. Hätte ich die Aufgabe vorher gesehen und einen Wunsch frei gehabt, hätte ich mir als Aufgabenteil c) den folgenden gewünscht:

     Malen Sie die Fläche unterhalb des Schaubilds mit Ihrer
     Lieblingsfarbe an.

Zum Abschluss, man kann es gar nicht oft genug sagen, noch einmal die Einschätzung von PISA-Schleicher:
  • Eines ist für mich aber klar: Die Richtung, in die sich die deutsche Abiturprüfung in Mathe entwickelt hat, ist eindeutig richtig.
Das muss wohl so sein, denn wenn es nicht so wäre, hieße es nicht Richtung, sondern Falschung. 

     Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, 
     gibt's einen, der die Sache regelt. 

Und je nach Schiff heißen die Kapitäne Westerwelle, Schettino oder eben Andreas Schleicher.


Mittwoch, 8. Mai 2019

Unglaublich

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber jetzt ist es passiert: Es gibt eine Petition, in der für die Senkung des Notenschlüssels im Mathematik-Abitur 2019 in Baden-Württemberg plädiert wird. Nicole etwa meint

  • Weil ich selber noch Schülerin bin und weiß das es manchmal Aufgaben gibt an denen Lehrer verzweifeln. Man sollte Grundsätzlich die Aufgaben oder den Mathe Unterricht zurück Schrauben! 

Hier fehlen zwei Kommas, dass wird mit das verwechselt, Groß- und Kleinschreibung erscheint binomialverteilt, und am Deutsch Unterricht scheint man bereits zurück geSchraubt zu Haben. Dennis haut in dieselbe Kerbe:

  • Sie lassen überall drastisch die Aufgaben erhöhen vom Schwierigkeitsgrad, dies ist nicht fair. Zum Vergleich vor den Jahren zuvor..

Diese Sprache hat ebenfalls Migrationshintergrund.

  • Ich bin der Meinung, dass dem Unterricht entsprechend anspruchsvolle Aufgaben im Abitur gestellt werden müssen und nicht solche, die Klausuren im Mathematikstudium nahe kommen!!!!
  • Ich habe das Abitur 2019 mitgeschrieben und die gesamte Stufe fand es viel zu schwer

Dann tun wir mal Butter bei die Fische. Der Pflichtteil und der Wahlteil Geometrie hatten das übliche Niveau und waren eher leichter als in den Vorjahren. Im Wahlteil Stochastik waren praktisch alle Fragen entweder Standard oder leicht, und er konnte komplett mit dem Stoff der Klasse 10 gelöst werden; zwei Drittel hätten sogar gute Neuntklässler hinbekommen.  Der Wahlteil Analysis war ein Skandal: Hier war noch nicht einmal eine Funktion gegeben, mit der man irgendetwas anstellen sollte, sondern man musste Funktionswerte und Steigungen aus dem Schaubild ablesen, hinschreiben, dass die Funktion im Wendepunkt am schnellsten wächst, die Gleichung f(t+2) - f(t) = 5 im Sachzusammenhang interpretieren und deren Lösung aus dem  Schaubild ablesen. Ich hätte mich geschämt, eine solche Aufgabe in der 10. Klasse zu stellen. Im "innermathematischen" Teil musste man den Tiefpunkt einer kubischen Funktion "berechnen" (das Ergebnis stand schon da), eine Fläche durch Integrieren bestimmen, erklären wie g(x) =  -3f(x) + 6 aus dem Schaubild von f entsteht, "damit" den Tiefpunkt bestimmen, dann etwas mit Berührpunkten machen und zum Schluss ausrechnen, welche Funktionen einer Schar kubischer Funktionen in x=1 die Steigung 8 haben.

Sieht man vom Integral ab, konnte man den ganzen Wahlteil Analysis also mit dem Stoff der 10. Klasse erschlagen. Wer meint, auch nur irgend eine Aufgabe hätte etwas mit solchen aus Klausuren im Mathematikstudium zu tun, der . . .












. . . ist seiner Zeit ein paar Jahre voraus.


Montag, 6. Mai 2019

SairSs Abitur

Ich weiß - das Mathe-Abitur in BaWü gibt mir eigentlich kein Recht, über die Abiturienten anderswo zu lästern, die Aufgaben zu bearbeiten hatten, die noch nicht auf das Niveau hierzulande gesunken sind. Aber: Wenn ihr euch schon per Petition über die schwierigen Prüfungen beschwert, dann doch nicht so (Kommentare aus der Online-Petition in NRW):

  • Da mein Abitur, sehr stark von den Ergebnis, der Mathe Prüfung abhängt.

Das wirft dann, doch ein sagen, wir schlechtes Licht, auf eure Zeichensetzungskompetenz.

  • Weil mit nicht bestehenden des Abitur die Ausbildungsstelle weg ist

Das mag wohl wahr sein. Aber im Ernst: Ist das nicht einmal Sinn der Abschlussprüfungen gewesen?

  • Kein Plan
Ehrliche Antwort. Aber warum ist daran die Prüfung schuld?
  • Ich fand die Klausur selbst viel zz schwierig, trotz wochenlanger Vorbereitung
Diesen Kommentar habe ich zigfach gelesen. Liebe Leute: das heißt nicht "trotz", sondern "wegen" (Pluspunkt für den Genitiv). Was kommt als nächstes? Ich habe keinen Job bekommen, obwohl ich zwei Bewerbungen geschrieben habe?

Und ich weiß nicht, ob der Verfassungsschutz Fotos hat, auf denen ich auf irgendwelchen Demos zu sehen bin. Ich bin mir aber sicher, dass es keine Photographie (oder Fotografie, wer weiß das schon) gibt, auf der ich ein Plakat hochhalte, das auch nur annähernd so dämlich ist wie das da:




Ich verlange von keinem heutigen Abiturienten Kenntnisse des griechischen Alphabets. Aber ich erwarte dann doch, dass ihr wenigstens wisst, dass ihr das griechische Alphabet nicht könnt. Sokrates lässt grüßen. Googelt mal nach, wer das war.

Die Kunst, Aufgaben zu formulieren

     Zwei kreisrunde Kondensatorplatten mit einem Abstand 
     von 4 cm, an denen eine Spannung von 50 V liegt, sind 
     Teil eines Kunstwerks.

So könnte eine Physikaufgabe begonnen haben, welche die Abiturienten heute hätten lösen sollen. Hat sie aber nicht. In der Physik sind Kondensatorplatten nie Teil eines Kunstwerks.

In Mathematikabituraufgaben ist das anders. Dort musste man von einer Pyramide ABCS das Volumen ausrechnen (Manche fragen sich, inwiefern man damit seine Studierfertigkeit nachweisen kann; das gehört zu den Fragen, auf die ich keine Antwort weiß.  Die alten Ägypter haben schon vor 4000 Jahren ihre Schreiber darin unterrichtet, wie man das Volumen eines Pyramidenstumpfs berechnet. Zugebeben, das waren Pyramidenspezialisten, die damals schneller eine Pyramide in die Wüste gestellt haben als wir heute einen funktionsfähigen Flughafen in Berlin oder einen Bahnhof in Stuttgart bauen können. Aber ich schweife ab.). Hat man das zur Zufriedenheit der Aufgabensteller erledigt, geht es so weiter:

       In einem Koordinatensystem . . . stellt die Pyramide 
      ABOS ein Kunstwerk dar.

Warum? Das Volumen hat man bestimmen können, ohne dass die Pyramide zum Kunstwerk erklärt wurde, warum soll das mit dem Schatten eines Stabs auf der Pyramide nicht gehen?

Dass es in BaWü keine Petition gegen das zu schwere Mathe-Abi gibt, kann jeder nachvollziehen, der die "Analysis"-Aufgabe mit eigenen Augen gesehen hat und nicht vor Scham gestorben ist. Aber warum gibt es keine Petition gegen die bescheuerten Aufgabentexte? Und warum gibt es keine Kunstwerkaufgaben in andern MINT-Fächern? Weil die Physiklehrer sonst Emails nach Stuttgart schicken und fragen, ob man dort noch alle Tassen im Schrank hat?