Freitag, 27. Dezember 2019

Mathematik in Seattle

Die USA sind uns, was neue Trends in der Bildung angeht, in der Regel um 10 Jahre voraus. Seattle, das hoffe ich inbrünstig, ist den USA nochmal um 10 Jahre voraus, denn wenn nicht, dann werde ich das hier unter Umständen auch in Deutschland noch miterleben müssen. Die öffentlichen Schulen in Seattle bieten jetzt "ethnische Studien" im Mathematikunterricht an, mit einem erstaunlichen Curriculum. Fangen wir an:
  • SWBAT know the continents and countries that were and are at the core of the development of mathematics.
SWABAT ist die kompetenzorientierte Wunschvorstellung par excellence: Students Will Be Able To. Schülerinnen und Schüler können, verstehen, analysieren, argumentieren, präsentieren usw. usf. Schüler kennen die Kontinente, auf denen Mathematik entwickelt worden ist. Die Antarktis ist damit raus, auch wenn ich befürchte, dass dieser Kontinent bei einem solchen Lehrplan bald an Amerika und Europa vorbeiziehen wird, was die Entwicklung der Mathematik angeht.
  • SWBAT create counter narratives about the origins of mathematical knowledge.
Counter narratives. Gemeint ist damit eine positive Gegendarstellung; implizit ist die Behauptung wohl, dass die übliche Vorstellung die ist, dass Mathematik von alten weißen Männern entwickelt worden ist, und die SuS jetzt lernen, wie man diese Behauptung in der Luft zerpflückt. Da spricht nichts dagegen, jedenfalls nicht, wenn man wenigstens so viel Mathematik versteht wie die Babylonier vor 4000 Jahren.
  • SWBAT extract mathematical concepts in stories and problems that aren’t traditionally seen as mathematical.
Ganz wichtig. Mathematik ist überall. Rechnen, Gleichungen lösen, beweisen, verstehen ist von gestern. Diskussionen um Schminktips werden traditionell zwar nicht als mathematisch betrachtet, aber das soll sich ändern.
  • SWBAT see the mathematical value in making mistakes both as individuals and as a community.
Der mathematische Wert des Fehlermachens? Rechnen nach Gefühl? Willkommen im 21. Jahrhundert.
  • SWBAT analyze the ways in which ancient mathematical knowledge has been appropriated by Western culture.
Wie bitte? Die Westliche Kultur hat sich antikes mathematisches Wissen einverleibt, die anderen Kulturen nicht?
  • SWBAT identify how math has been and continues to be used to oppress and marginalize people and communities of color.
Langsam wird die Luft dünn. Mathematik wurde und wird dazu benutzt, Menschen zu unterdrücken, außer deren Hautfarbe ist oder war weiß? Ist das jetzt schon Rassismus? Vermutlich nicht, denn das kommt ja von den Guten.
  • SWBAT explain how math and technology and/or science are connected and how technology and/or science have been and continues to be used to oppress and marginalize people and communities of color.
Irgendwann beginnt auch Sprache, sich zu wehren. "Have been and continues to be". Auch Englisch lässt nicht alles mit sich machen. Wobei zwei der Fragen die Grenzen der Grammatik schon ausloten:

  • Why/how does data-driven processes prevent liberation?
  • Who are resources for math learning?
They she it, das s muss mit. Aber was ist Grammatik? Doch nur ein weiteres Mittel zur Unterdrückung der Geknechteten.

  • SWBAT critique systems of power that deny access to mathematical knowledge to people and communities of color.
So wird es sein. Google verweigert Nichtweißen den Zugang zu jedem pdf-Dokument, in dem eine Formel auftaucht. 
  • SWBAT identify the inherent inequities of the standardized testing system used to oppress and marginalize people and communities of color.
Das ist jetzt wirklich etwas frech, weil hier gar nicht darauf eingegangen wird, dass die bisherigen Methoden, Schüler und Studenten zu testen, Frauen benachteiligt. Liest man in den USA keine Zeitung? Ist die Seite der DailyMail in den USA geblockt? Dort hätte man nämlich lesen können, dass Oxford den Studenten jetzt 105 statt 90 Minuten für denselben Test gibt, weil Jungs bei solchen Tests besser waren als Mädchen. 
  • SWBAT explain how math dictates economic oppression.
  • Can you advocate against oppressive mathematical practices?
Dabei haben  Monty Python zum Thema Unterdrückung eigentlich schon alles gesagt:



Es hat keinen Wert, sich zeilenweise über den Zeitgeist in diesem Dokument lustig zu machen. Ich weiß beim besten Willen nicht, warum man Leute, die einen solchen Mist zusammenschreiben, auch noch dafür bezahlt anstatt ihnen im Sommer einen Besen und im Winter eine Schneeschippe in die Hand zu drücken.  Eine Frage noch, und zwar die zentrale, weil sie klar macht, aus welcher Richtung die Unterdrückung kommt:

  • Who gets to say if an answer is right?
Vermutlich soll in Seattle darüber künftig demokratisch entschieden werden. Aber nur als Zwischenschritt bis zur endgültigen Befreiung der Menschheit vom mathematischen Diktat. Danach wird einfach jede Antwort richtig sein.

Bedeutende Parteien

Die SPD ist eine alte Partei. Manche kennen sie noch aus der Zeit von Notstandsgesetzen und NATO-Doppelbeschluss. Manche Wähler wissen aber nicht mehr, warum man sie wählen soll. Dabei ist das doch ganz einfach.

Die SPD diskutiert derzeit über ein Tempolimit auf Hitlers Autobahnen. Das ist komisch, denn vor zwei Monaten haben sie im Bundestag darüber abgestimmt. Ergebnis: von den abgegebenen Stimmen waren bei der SPD 122 dagegen und 2 dafür. Damals hatte man vermutlich noch Angst vor Autofahrern wie dem mit dem Kennzeichen AA-JR-71, der auf einer Straße, auf der 50 km/h
erlaubt sind, durch Drängeln, Hupe und Lichthupe auf sich aufmerksam macht, mich danach über eine Bushaltestelle in Rindelbach überholt, um dann bis Ellwangen vor mir herzufahren, weil morgens im Berufsverkehr - wer hätte das erwartet -  mehr als zwei Autos auf den Straßen unterwegs sind.

Ich frage mich auch, warum jemand wie Scheuer immer noch Minister ist, obwohl er an die 560 Millionen Euro aus dem Portokässchen des Steuerzahlers für seine feuchten Maut-Träume rechtswidrig verpulvert hat. Die Antwort: weil die SPD nicht auf dessen Abberufung besteht.  Dabei hat die CSU in den letzten Jahren ein ums andere Mal bewiesen, dass ihre Minister sich durch ein Maß an Inkompetenz auszeichnen, das selbst für deutsche Politiker ganz erstaunlich hoch ist.

Donnerstag, 26. Dezember 2019

Bedeutende Frauen III

Hypatia war die Tochter des Mathematikers Theon von Alexandria. Zweifellos war sie eine gelehrte Frau, die in Alexandria Philosophie unterrichtet hat, und es gilt ebenso als sicher, dass sie von einem christlichen Mob gelyncht wurde. So ziemlich alles andere, was man über Hypatia lesen kann, ist bestenfalls Spekulation.

Die übelste Webseite ist einmal mehr das Lexikon der Philosophinnen. Wussten Sie, fragt der Autor dort,

     dass im 5. Jhr. Hypathia erkannte, dass die Planeten ihre
     Bahnen in Ellipsen um die Sonne vollenden?

Wussten wir nicht. Nicht, bevor es im Film Agora zum Zwecke der Unterhaltung erfunden wurde. Schlimmer als dort wurden die Ellipsenbahnen der Planeten noch nirgendwo erklärt: die Brennpunkte, so Hypatia,

      represent the two extreme positions of the sun in relation to 
      it, in winter and in summer.

Keine Ahnung, was damit gemeint ist, aber es hört sich so an, als würde die Sonne im Winter in einem anderen Brennpunkt stehen als im Sommer. Das Lexikon der Philosophinnen spinnt dieses Märchen so weiter:

        Hypathia erkannte, dass aufgrund der unterschiedlichen 
        Helligkeit der Sonne, je nach Jahreszeit, die Erde und damit 
        alle Planeten in einer Ellipse um die Sonne kreisen müssen.

Weil die Sonne im Winter heller ist als im Sommer, muss die Erdbahn eine Ellipse sein? Oder andersrum? Decken wir den Mantel des Schweigens darüber und wenden uns der nächsten Quelle zu:  Michael Bradleys Pioneers of Mathematics. Es beginnt damit, die Eltern Hypatias als Bürger Griechenlands zu bezeichnen. Kann sein, wissen wir aber nicht.

        Hypatia spent many hours each day running, hiking, horseback
        riding, rowing, and swimming. Theon often accompanied her in
        these physical activities.

Kann sein, wissen wir aber nicht.

        To complement her academic education, she traveled to Greece and 
        to other countries around the Mediterranean Sea.

Kann sein, wissen wir aber nicht.

Lustig wird es, wenn es um Hypatias Kommentierung von Diophant geht. Diese Geschichte geht auf eine Bemerkung in einem recht unzuverlässigen Lexikon aus dem 10. Jahrhundert, der Suda, zurück; dort steht etwas davon, dass Hypatia einen astronomischen Text eines gewissen Diophant kommentiert habe. Paul Tannery hat dieses Zitat 1880 etwas modifiziert und daraus einen Kommentar zu Diophants Arithmetika gemacht, einem vermutlich 13-bändigen Werk, von welchem 6 Bücher in griechischer Sprache und 4 weitere in arabischer Übersetzung erhalten sind.  Aus einer Zeile, die Diophants Werk Arithmetika gar nicht erwähnt, werden im Laufe der Jahre ein 13-bändiger Kommentar zu Diophants Arithmetika; Beispiele dafür sind:

  • Margaret Alic (Hypatia's heritage)
  • Gabriella Bernardi (The unforgotten sisters)
  • Lisa Yount (A to Z of Women in Science and Math)
  • Rahel Kern, Brien Masters (Kindling the Word: The Karmic Background of Marie Steiner-von Sivers)

und wahrscheinlich ein gutes Dutzend weitere Bücher, der Großteil davon von Frauen verfasst. Auch diverse Mathematiker haben sich an Spekulationen beteiligt, welche Teile von Diophants Arithmetika auf Hypatia zurückgehen könnten, allen voran einmal mehr Paul Tannery. Alan Cameron beschreibt Tannerys Technik der Interpretation klassischer Zitate in einem seiner Artikel so:

       Tannery's own interpretation is so remarkable
       that no summary could do it justice.

Warum Tannery immer noch als Autorität in Sachen Geschichte der Mathematik gilt, weiß ich nicht.

Die genauen Gründe für den Mord an Hypatia sind unbekannt. Tatsache ist, dass es in Alexandria, einer griechischen Siedlung in Ägypten, regelmäßig Auseinandersetzungen zwischen den Religionen gab, so etwa den jüdischen Aufstand aus dem Jahre 116 n.Chr. Weitere Unruhen folgten, als 391 der christliche Bischof Theophilos die heidnischen Feiertage abschaffte und Tempel schließen ließ; die Machenschaften seines Neffen, dem heiligen Kyrill, könnten Hypatia letztendlich das Leben gekostet haben - nichts genaues weiß man nicht. Bekannt dagegen ist, dass Kyrill auf dem Konzil von Ephesos fast eine halbe Tonne Gold als Bestechungsgeld ausgegeben hat, um das Dogma von der Gottesmutterschaft Marias durchzusetzen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Mittwoch, 25. Dezember 2019

Bedeutende Frauen II

Eine weitere Frau, die in der feministischen Geschichtsschreibung ganz oben steht, ist Theano. Je nach Quelle ist sie eine Schülerin, eine Tochter, eine Frau oder eine Schwester von Pythagoras. Weil diese Buntheit selbst für Feministinnen unübersichtlich wird, greift man zur Annahme, dass es sich dabei gleich um zwei Frauen handelt, deren Geschichten vermengt worden sind. So weit, so gut. Seltsam wird es, wenn dieser Frau, wenn es sie denn gegeben hat, mathematische Leistungen zugeschrieben werden. Hier kann man lesen, die Hauptergebnisse Theanos seien Arbeiten zum goldenen Schnitt und zum goldenen Rechteck:

      Theano not only worked in the areas of physics, medicine and child psychology, 
      but was an astronomer/mathematician in her own right. Her work on the 
      theorem of the Golden Mean (still in use today) and the corresponding 
      Golden Rectangle are considered to be her most important contribution 
      [Reference: "The Hidden Giants" by Sethanne Howard].

Die Bezeichnung goldener Schnitt stammt aus der Neuzeit, das goldene Rechteck ist definitiv eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Die Quelle, aus der hier geschöpft wird, ist eines der vielen Bücher zur feministischen Wissenschaftsgeschichte, die uns die letzten 40 Jahre beschert haben. Die Besprechung von "Hidden Giants" im Journal of International Women Studies stammt von Maluka Munoz und beginnt mit der überraschenden Erkenntnis, dass die Bibliothek in Alexandria um 400 CE existiert habe. Dabei steht CE für common era, also für Leute, die kein Problem mit einer Zeitrechnung haben, die nach einem Mann benannt ist, für "nach Christus". Wie man bei einer Geschichte von  400 n.Chr. bis zum Jahr 2000 auf 4000 Jahre Geschichte von großen Frauen kommt, habe ich nicht verstanden, aber ich kenne ja auch nur männliche Mathematik. Die Bibliothek in Alexandria gibt es seit etwa 300 v.Chr., und 400 n.Chr. war von diesem Zentrum antiker Gelehrsamkeit kaum mehr etwas vorhanden.

Die US-amerikanische Webseite zu Pythagoras ist, wie so oft, alles andere als verlässlich. Für die Legenden zur Familie von Pythagoras werden zwar Verweise gegeben, allerdings auf ein Buch von Kitty Ferguson. Liebe Wikipedia-Autorinnen: wenn ein Buch den Titel

      The music of Pythagoras: How an ancient brotherhood cracked the code 
      of the universe and lit the path from antiquity to outer space 

hat, dann taugt es nicht als Literaturverweis für wikipedia.

Was von Theano erhalten ist, ist schnell erzählt: nichts. Es gibt zwar Briefe, die von ihr (oder von ihnen, wenn es mehrere sind) stammen sollen, allerdings sind sich alle Historiker einig, dass diese Hunderte von Jahren nach ihrem Tod geschrieben worden sind. Weiter im Text:

      According to Mary Ritter Beard, Theano told Hippodamus of Thurium 
      (may be Hippodamus of Miletus, who according to Aristotle planned the 
      city of Thurium in 440 BC), the treatise On Virtue contains the doctrine of 
      the Golden Mean.

Mary Ritter Beard war eine Feministin, und zwar zu einer Zeit, als die Frauen tatsächlich noch um ihre Gleichberechtigung kämpfen mussten. Wie man schreiben kann, Theano habe nach Mary Ritter Beard irgendwas zu irgendwem gesagt, ist mir ein Rätsel. Wenn Theano Hippodamus etwas erzählt haben soll, muss sie sich Zeit gelassen haben; Pythagoras lebte in etwa von 570-500 v.Chr., Hippodamos soll etwa um 500 v.Chr, geboren sein und lebte in der Gegend von Milet, Theano dagegen in Süditalien.

Die Sache mit Theano und dem goldenen Schnitt steht auf vielen Seiten; sehr schön ist diese hier:

      Theano unterrichtete Mathematik in Samos und Kroton und 
      es ist gewiss, das Sie die Autorin  (Fragmente Polyklet`s) der
             “Abhandlung über die Goldene Mitte,”
      ein wichtiges Konzept in der Mathematik, ist. 

Vielleicht ist es unfair, eine Webseite zu zitieren, deren Autor (!) den Unterschied zwischen das und dass nicht versteht (über den Deppenapostroph sehe ich großzügig hinweg) und auch nicht in der Lage ist, den Begriff "golden mean" korrekt ins Deutsche zu übersetzen. Tatsächlich steht auf der Startseite des Lexikons der Philosophinnen mehr Unsinn als man korrigieren kann. Wussten Sie etwa,

        Dass Pythagoras von  Themistokleia gelehrt, seine ethischen Grundlehren 
       abgeleitet hat?

Dass man lehren und lernen verwechseln kann, ist mir bekannt: allerdings war es bisher üblich, statt lehren lernen zu sagen und nicht umgekehrt.

Sämtliche bekannten Quellen zu Theano werden hier aufgelistet. Der Autor ist zumindest ansatzweise kritisch; immerhin muss man ihm zugute halten, dass er nicht alles glaubt, was irgendwo geschrieben steht, nur weil er gern hätte, dass es so wäre. Und was Theanos Satz von der "goldenen Mitte" angeht, wird er hier deutlich:

       Every account I have found of Theano’s connection to the Golden Mean, 
       where it gives any detail at all, derives from a passage in Lynn Osen’s book 
       Women in Mathematics (MIT Press, 1975).   
      Regrettably, this is an appallingly bad book, utterly and 
      completely unreliable.
     
Wenn ein Mathematiker einen historischen Vortrag hält, dann darf man erwarten, dass er seine Quellen prüft. Wie ein Artikel wie dieser auf die Webseite der respektablen  Banff International Research Station kommen kann, ist mir ein Rätsel, das nur unwesentlich weniger rätselhaft wird, wenn man lernt, dass es zu einem workshop Impact of Women Mathematicians on Research and Education in Mathematics gehört, den Amenda und Lillian organisiert haben.

Dienstag, 24. Dezember 2019

Bedeutende Frauen I

Lisa Glagow-Schicha ist eine Gender-Frau der ersten Stunde. Seit Jahrzehnten kämpft sie gegen die Barrieren, die Mädchen in Deutschland davon abhalten, ein MINT-Fach zu studieren. Einer ihrer Lieblingssätze  (vgl. auch hier) ist der folgende:

      Der Anteil der Schülerinnen in der Informatik liegt wie bei 
      allen naturwissenschaftlichen Fächern weit hinter dem der 
      männlichen Jugendlichen. Eine Ursache dieser Entwicklung 
      könnte auch in der mangelnden Kenntnis der Leistungen von 
      Naturwissenschaftlerinnen liegen.

Das ist wahr. Es könnte auch an der Kleidung, der Frisur oder Mikroplastik in Lippenstiften liegen - man weiß es nicht.  

       In der Geschichtsschreibung der Naturwissenschaften werden 
       vorwiegend bedeutende Männer genannt, wie Aristoteles, 
       Kopernikus, Newton, Einstein, die unser Weltbild drastisch 
       verändert haben.

Der Grund hierfür ist wohl der, dass es in erster Linie bedeutende Männer und nicht unbedeutende Frauen gewesen sind, die unser Weltbild drastisch verändert haben. Weil aber nicht sein darf, was ist, muss die Geschichte umgeschrieben werden. Damit steht Frau Glagow-Schicha nicht allein:

       Die ehemalige Bundestagspräsidentin Annemarie Renger 
       konstatiert: "Bereits im antiken Athen war es den Frauen bei 
       Todesstrafe untersagt, Medizin oder Heilkunde zu studieren 
       oder auszuüben."

Ich habe nicht herausfinden können, ob Annemarie Renger diesen Satz je gesagt hat. Aber ich habe herausgefunden, worauf sie anspielt: auf Agnodike. Auch wikipedia zitiert im Wesentlichen nur die feministische Literatur dazu. 

       In Athen war es zu Lebzeiten von Agnodike Weibern und Sklaven 
       verboten, die Heilkunst auszuüben. Als Frau konnte Agnodike als Medizinerin 
       damit nicht arbeiten, noch nicht einmal den gewünschten Beruf erlernen. 
        Auch die Geburtshilfe blieb den Frauen verwehrt. Agnodike verkleidete 
        sich daher als Mann und ging bei dem berühmten Arzt Herophilus 
        in die Lehre.

So steht es auf zahlreichen Webseiten und in nicht minder zahlreichen Büchern. Eine schöne Geschichte, die wir von Hyginus Mythographus kennen. Und zwar aus seinem Buch Genealogiarum liber - Fabulae. Nun sind fabulae bekanntlich Geschichten. Solche, die man erzählt, um Lesern damit etwas beizubringen. Hyginus schrieb also nicht Geschichte, sondern Geschichten.

Was nun das Gesetz betrifft, wonach es Frauen bei Todesstrafe verboten gewesen sein soll, Kranken und Schwangeren zu helfen: mir ist ein solches unbekannt. Das will nichts heißen. Aber ich kenne Sokrates. Nicht persönlich, sondern aus den Schriften Platons. Dort steht, dass Sokrates' Mutter Hebamme war. 
Und dass alle Hebammen Frauen waren, genauer Frauen, die selbst schon geboren hatten (da sind wir heute weiter als die Griechen: bei uns kann man an Universitäten Didaktik unterrichten, obwohl man selbst nie vor einer Klasse gestanden hat). 

Fassen wir zusammen: Ein solches Gesetz ist nicht bekannt, es widerspricht der damals gängigen Praxis, dass alle Hebammen Frauen waren, und die Geschichte stammt aus einem Buch mit dem Titel fabulae. Dazu kommt, dass Hyginus diese Dinge etwa 500 Jahre nach Agnodike aufgeschrieben hat. Was schließen wir daraus? Ich vermute, die Schlussfolgerung hängt vom gender des Lesers oder der Leserin ab.

Tatsächlich hat dieselbe Kritik vor mir, wie google mir eben erklärt, ein gewisser Dr. Friedrich Harless in seinem Buch Die Verdienste der Frauen um Naturwissenschaft und Heilkunde aus dem Jahre 1830 genau so geäußert (S. 109 ff.). Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: ich habe nichts gegen bedeutende oder unbedeutende Frauen. Ich habe etwas dagegen, bedeutende Frauen zu erfinden, weil man glaubt, anders könne man Mädchen nicht dazu bringen, ein MINT-Fach zu studieren.

Montag, 23. Dezember 2019

Rätsel

Das  Bild unten zeigt das Team von Schülern bei ihrem Training für die Physik-Olympiade in Portugal 2018. Letztendlich wurden fünf  davon für die Teilnahme ausgewählt, nämlich D. Zhu, M. Song, G.  Goel, Y. Xie, und A. Ou.

Das Rätsel: für welches Land startete dieses Team?





















Die Antwort: Hier geht es um das Team der USA. Offenbar hängt auch dort der schulische Erfolg stark von der Herkunft ab. Da stellt sich die Frage, wie ein Land wie Deutschland wirtschaftlich  und wissenschaftlich überleben kann, wenn es nicht wie die USA aus dem asiatischen Pool schöpfen kann.

Gruppenarbeit und Lernstationen

Die Studenten Baden-Württembergs haben einen Landesvertreter, den Landesstudierendenvertreter Andreas Bauer. Der meint, die Evaluation der Professoren durch seinesgleichen sei ein wichtiges Instrument zur Verbesserung der Lehre, auch wenn sie nichts tauge. Jedenfalls hab ich ihn so verstanden:

    Die Bewertung habe Mängel wie Frontalunterricht, langweilige
    Tafelaufschriebe und wenig Interesse an digitalen Angeboten 
    nicht abgestellt. 

Nein, hat es wohl nicht. Da päppelt man die Schüler mit Lernstationen, Gruppenunterricht und Präsentationen durch Experten (also Schülern, die sich 10 Minuten mit einem Thema beschäftigt haben, von denen  8 Minuten für's googeln drauf gingen) groß und dann wollen sie ihren  Professoren erklären, wie eine Vorlesung funktioniert?

Da bleibt nur das Aufteilen der Studenten. Die einen bekommen über das Semester eine Frontalvorlesung, die andern schauen nach, was der Mathefuchs auf youtube über Differentialrechnung weiß und diskutieren  dann Füllgraphen eines Behälters oder den knickfreien Verlauf von Straßen. Am Ende schreiben alle die gleiche Klausur. Problem gelöst.

Und was langweilige Tafelaufschriebe angeht: Ich habe in Vorlesungen, die mich interessiert haben, in meinem ganzen Leben keinen langweiligen Tafelaufschrieb gesehen. Das mag daran gelegen haben, dass ich etwas studiert habe, was micht interessiert hat und immer noch interessiert. Liebe Studenten - wenn ihr mit Langeweile kämpft, seid ihr an der  falschen Einrichtung: Geht arbeiten!

Sonntag, 15. Dezember 2019

Diskriminierung und Rassismus

Die Universität von British Columbia in Vancouver stellt ein. Und zwar so ziemlich alles außer weißen Männern:

         the selection will be restricted to members of the following 
         designated groups: women, visible minorities (members of 
         groups that are racially categorized), persons with disabilities, 
         and Indigenous peoples.

Diese Praxis ist inzwischen auch anderswo gang und gäbe. Ob die Universitäten früher die besten Leute bekommen haben, sei mal dahingestellt. Aber man hat doch ziemlich oft die besten haben wollen. Jetzt steht die wissenschaftliche Leistung von Bewerbern ganz offiziell hinter Hautfarbe und Geschlecht bzw. Gender.

       

Get Brexit Done

Ich unterstütze Johnsons Plan ausdrücklich, jedenfalls wenn wir an der richtigen Stelle anfangen: beim englischen Transportunternehmen go-ahead, das seit Juni 2019 für den lokalen Bahnbetrieb hier in der Gegend zuständig ist, aber sich als komplett unfähig erwiesen hat, ihren Kunden den Service zu bieten, den sie bezahlt haben. In den ersten Monaten fuhr bei uns gar kein Zug, weil die Software für die Türen nicht funktionierte. Inzwischen fahren sie zumindest im Fahrplan, und manchmal sogar richtig.

Trotz bezahlter Fahrkarten muss man seine Kinder regelmäßig auf einem Bahnhof abholen, an dem sie wieder mal gestrandet sind; Schüler, die mit dem Zug zur Schule fahren, kommen regelmäßig zu spät.

Ich habe nach dem letzten Zwischenfall dann eine Email geschrieben:

    Guten Abend,

    Ich habe weder Sie, noch Ihren Vorstand oder Ihre Schaffner oder Zugführer 
    je angebrüllt, nicht einmal, wenn einer Ihrer Züge wieder einmal ausgefallen ist,
    meine Tochter nachts am Bahnhof in Aalen oder Ellwangen gestanden hat 
    und ich sie, obwohl sie ein gültiges Ticket hatte, mit dem Auto abgeholt habe.

     Ich erwarte umgekehrt, dass meine 15-jährige Tochter von ihren Zugbegleitern
     nicht angebrüllt und beleidigt wird, wenn sie merkt, dass sie ihre Monatsfahrkarte 
     vergessen hat und der Zug ausnahmsweise mal pünktlich fahren würde. Einem
     Unternehmen, das im letzten Jahr so viel Mist gebaut hat wie das Ihre, stünde
     ein wenig Freundlichkeit gut zu Gesicht. Wir sind nämlich noch Ihre Kunden.

    mit freundlichen grüßen,

       franz lemmermeyer

Ich habe natürlich nicht erwartet, dass sich go-ahead entschuldigt. Nicht erwartet habe ich aber auch eine Antwort wie diese:

      Sehr geehrte(r) Frau (Herr) hb3@ix.urz.[...].de, 

      [ . . . ]

     Sonja (KB) Alzner  
     Kundenbetreuer

Einen Pluspunkt gibt es für das nicht gegenderte Kundenbetreuer, aber der Rest zeugt einmal mehr von Inkompetenz beim Kerngeschäft von go-ahead, nämlich der Betreuung von Kunden. Wenn ich mit meinem Namen unterschreibe, dann empfinde ich es als unverschämt, wenn man mich mit  Frau (Herr) hb3@ix.urz.[...].de anredet. Sicher, die Firma hatte Schwierigkeiten, ihr Personal zu schulen:

     Beim Einsatz ab 9. Juni 2019 ergaben sich aber zahlreiche      
     technische Probleme; zudem war die Zeit zu kurz gewesen, um 
     ausreichend Personal zu schulen, so dass Verspätungen und  
     Zugausfälle sich häuften. Einzelne Leistungen wurden von DB 
     Regio übernommen, andere fielen dauerhaft aus. Mit einer 
     Stabilisierung ist erst im Oktober 2019 zu rechen.

Wikipedia hat jedenfalls recht (außer mit der Orthographie): im Oktober 2019 haben sich die Verhältnisse stabilisiert. Die Kunden wissen jetzt, woran sie sind: Wer ein Ticket bei go-ahead kauft, sollte Harry schon mal den Wagen vorfahren lassen.

Vorgestern stand am hiesigen Bahnhof auf der Anzeigetafel 10 Minuten vor der Abfahrt zu lesen: "Der Zug nach Crailsheim fährt heute pünktlich". So eine Meldung ist wichtig, damit die Kunden nicht vor Schreck in Ohnmacht fallen, wenn ein Zug, der um 18:00 einfahren soll, um 18:00 einfährt. 5 Minuten später wurde die frohe Botschaft allerdings korrgiert: "Der Zug nach Crailsheim hat 20 Minuten Verspätung". 

Sonntag, 1. Dezember 2019

Präzise Fachsprache

Ich gestehe, dass ich in der Vergangenheit hin und wieder über deutsche Didaktiker gelästert habe. Da ist es nur recht und billig, wenn ich jetzt vor allen Lesern erkläre, dass ich in Sack und Asche gehen werde, weil ich das Licht gesehen habe, mich von Saulus zu Paulus gewandelt habe und künftig voll des Lobs über die Hilfestellung der modernen Didaktik für uns verbohrte Lehrer sein werde.

Schauen wir uns beispielsweise die Leistungen von Frau Prof. Dr. Susanne Prediger an, die zu den hervorragendsten Vertretern der deutschen Mathematikdidaktik gehört. Bereits ihre Publikationsliste zeigt, dass sie es, wenn man ihre Produktivität ansieht, locker mit Leonhard Euler aufnehmen kann, den Kleingeister wie ich bisher für den produktivsten Mathematiker aller Zeiten gehalten haben. Im Schnitt veröffentlicht Frau Prof. Dr. Prediger etwa alle zwei Wochen einen Forschungsartikel; wenn sie so weiter macht, wird sie die Zahl von fast 900 Artikeln und Bücher, die Euler verfasst hat, bald überholt haben. Google scholar kennt derzeit bereits 375 Artikel von ihr.

Und ihre Publikationen zur Fachwissenschaft Mathematik können sich sehen lassen: zwar hat sie sich ausschließlich mit Begriffsgraphen beschäftigt, dort aber eine Tiefe der Resultate erreicht, von der andere Mathematiker nur träumen können. So untersucht sie in  Terminologische Merkmalslogik in der formalen Begriffsanalyse  etwa die Merkmale der Mitglieder der englischen Königsfamilie in den 1990er Jahren, beackert also ein Thema, vor dem Euler hätte kapitulieren müssen:
 
Auf didaktischem Gebiet erforscht sie vor allem die Sprache im Mathematikunterricht. In Kapital multiplizirt mit Faktor halt erklärt sie beispielsweise, welche sprachlichen Kompetenzen sie von Achtklässlern, die einen mittleren Bildungsabschluss erreichen möchten,  erwartet:

Das mathematische Pendant zu "Isch far Zug" sollte man als Lehrer also nicht durchgehen lassen; als Mindestqualifikation muss "Isch far mit Zug" gelten, und wenn man Abitur haben will, sollte auch noch ein Artikel mit in den Satz. Germanistikstudenten sollten bis dahin auch von den Grundsätzen von Orthographie und Zeichensetzung gehört haben.

"Alltagssprache bringen Lernende in den Unterricht mit, wir nutzen sie als Ressource", schreibt Frau Prof. Dr. in Wege zum sprachsensiblen Mahtematikunterricht in der Oberstufe.  Das ist revolutionär, haben Mathematiklehrer bisher doch immer eine andere Sprache gesprochen als ihre Schüler, oder, wie es inzwischen heißt, als ihre Lernenden, selbst wenn es um Schüler geht, die nichts lernen. Was sie mit "trennbare Verben wie lösen . . . auf" meint, ist etwas schwer zu verstehen, denn trennbar ist das Verb auflösen; in "lösen . . .  auf" ist es schon getrennt. Jedenfalls sind trennbare Verben oder Wenn-Dann-Konstruktionen oder gar das Passiv keinesfalls Bestandteile der Alltagssprache gymnasialer Oberstufenschüler, sondern gehören der Bildungssprache an. Diese gilt es erst einmal zu entwickeln.

Wortplakate, wie sie inzwischen, wie Frau Prof. Dr. weiß, in vielen Klassen der Oberstufe hängen, helfen wenig, weil die Gymnasiasten dann hilflos vor den einzelnen Wörter stehen und nicht wissen, wie sie sie zu sinnvollen Sätzen verbinden sollen:



Eine Schwierigkeit, welche die Lehrer hier übersehen, wurde ja bereits oben angesprochen: das trennbare Wort auflösen. Effizienter sind daher "strukturierte Sprachspeicher", also ganze Satzteile, die man auswendig lernen und dann ausspucken kann, wenn ein Bild sie triggert:



Hier sind trennbare Wörter bereits getrennt, was ihre Benutzung deutlich erleichtert; keine zunehmende Änderung mehr, sondern: "die Änderung nimmt zu". Leider wird uns Älteren nicht erklärt, was dieser Sprachbaustein bedeutet; vermutlich geht es darum, dass heute nichts mehr so ist wie früher.

Auch Lehrpersonen, die bereits teilweise mit der Bildungssprache vertraut sind, können hier noch etwas lernen. Etwa den Sprachspeicherinhalt "das Wachstum bremst". Ein Artikel ist schon eingebaut, die Präposition und das Objekt, das vom Wachstum gebremst wird (Passiv!) fehlen noch. Vielleicht wäre "das Wachstum bremst den Bestand" noch hilfreicher gewesen.

Die großartigste Leistung von Frau Prof. Dr. ist allerdings ihr qualitativer Einstieg in die Analysis. Selbstverständlich geht es hierbei von Anfang an um Probleme aus der Lebenswelt der Lernenden:


Mathematiklehrer vom alten Schlag hätten sich vielleicht über eine mitgelieferte Lösung gefreut; ich jedenfalls bin von der Aufgabe etwas überfordert. So muss Schaubild 1 ja wohl zu A oder C gehören, aber keines der beiden passt zu einer Hyperbel mit einer Polstelle bei t=0.

Wer gemeint hat, mit dem Zuordnen von Graphen in Koordinatensystemen ohne Einheiten sei es jetzt gut, sieht sich angenehm überrascht: im ganzen qualitativen Einstieg in die Analysis geht es nämlich um nichts anderes. Ganz wichtig ist die Tatsache, dass Wachstum bremsen kann:


Wie man aus einem Satz (der Mietanstieg ist erstmalig gesunken) wenige Sätze machen kann, muss man vermutlich im Neuen Testament nachlesen, vor allem, wen der Sprachspeicher leer ist. Immerhin erhalten die Gymnasiasten als Hilfe, dass sie beim Schreiben in den rechteckigen Kasten einen Stift zu nehmen haben.

Als nächstes kommt ein Darstellungswechsel:

Schön, dass die Lernenden an  die Beschriftung der Achsen denken sollen; auch damit bin ich überfordert. Oder sollen die Achsen nur qualitativ beschriftet werden? Wie die Lösungen von Layla und Emir zeigen, liege ich mit meiner Vermutung richtig.

Wichtig ist auch, dass man zu jedem Aufgabentyp auch eine Umkehraufgabe formuliert (Transfer!). Voila:


Danach lernt man, wie man politische Debatten richtig interpretiert und mathematisiert. Wobei Spötter bemerken könnten, dass es eigentlich nicht um eine richtige politische Debatte geht, sondern um zwei aus dem Zusammenhang gerissene Sätze. Aber es ist halt nicht jedem gegeben, solche Unterrichtsmaterialien sinnverstehend zu lesen.

Nach einem Ausflug in einen Produktlebenszyklus wird am Ende die Speicherkiste gefüllt, und die qualitative Einführung in die Analysis ist erfolgreich abgeschlossen. 

Ich hätte von dieser grundlegenden Arbeit nichts erfahren, hätte ich die zweite Rundmail "Mathe im Leben" nicht gelesen. Dort steht nämlich:

         Die Professorin Susanne Prediger und ihr 19-köpfiges Team 
         von der Technischen Universität Dortmund und dem Deutschen 
         Zentrum für Lehrerbildung Mathematik (DZLM) gewann am
         21. Oktober 2019 den 1. Polytechnik-Preis. Der mit 50.000 Euro 
        dotierte Preis der Stiftung Polytechnische Gesellschaft zeichnet 
        besonders innovative fachdidaktische Unterrichtskonzepte aus. 

       Das Konzept zur Sprachbildung im Mathematikunterricht (SiMa) hat
       Unterrichtsmaterialien entwickelt und umgesetzt. Mit SiMa wird allen
       Lernenden ermöglicht, nicht nur mathematische Rezepte zum Rechnen zu
       lernen, sondern auch zu erklären und mit ihnen zu argumentieren. 
       Sprachlich reichhaltige Lernsituationen und grafisch gestützte 
       Sprachspeicher helfen dabei.

Dass Frau Prof. Dr. Prediger für die Mühen ihrer Arbeit (und der ihres 19-köpfigen Teams), also das Erstellen von etwa 100 Seiten derartigem Material zu einzelnen Themen des Mathematikunterrichts, mehr Preisgeld erhält als ich in einem Schuljahr überwiesen bekomme, ist nur recht und billig.  Schließlich wären mir solche Aufgaben für meine künftigen Abiturienten in 10 Jahren nicht eingefallen. 

Freitag, 29. November 2019

Basisfach Mathematik Nachtrag

Eine Kleinigkeit habe ich das letzte mal vergessen: Auf S. 28 wird die Aufgabe gestellt, man möge die Funktionen u und v bestimmen, für die f(x) = (x+2)2 = u(v(x)) ist, und dann anschließend f(x) = v(u(x)) bestimmen. Sehen wir einmal darüber hinweg, dass die zweite Gleichung g(x) = v(u(x)) lauten muss, dann bleibt zu konstatieren, dass der bestimmte Artikel hier vollkommen fehl am Platze ist. Man kann nämlich jede Funktion f als Verkettung von u und v schreiben, indem u(x) = f(x) und v(x) = x setzt; oder u(x) = f(2x) und v(x) = x/2, oder . . . Insbesondere kann man auch g(x) = v(u(x)) nicht bestimmen, weil diese Funktion wesentlich von der Wahl von u und v abhängt. Auch Aufgabe 6 ist unsinnig, weil dort ebenfalls die innere und die äußere Funktion bestimmt werden muss.

Weil man die Verkettung zweier Funktionen durch die Verkettung zweier Termbausteine "definiert" hat, muss man sich anscheinend auch keine Sorgen um irgendwelche Definitionsbereiche machen. Dass die Verkettung zweier Funktionen, etwa f(x) = u(v(x)) für u(x) = ln(x) und v(x) = - x2 - 1, unter Umständen gar keine anständige Funktion ist, scheint jenseits des mathematischen Horizonts der Autoren zu liegen.

Montag, 25. November 2019

Basisfach Mathematik

C.C.Buchner hat mir letzte Woche eine Leseprobe für ihr Buch zum Basisfach Mathematik geschickt; das Basisfach wurde dieses Schuljahr eingeführt, das Buch wird, befürchte ich, nächstes Jahr erscheinen. Die erste Aufgabe, die mir in der Leseprobe aufgefallen ist, war die folgende:



Wer sie selbst lösen will, möge das jetzt tun. Meinen Kommentar zu diesem Buch findet man hier als pdf-file.

Mittwoch, 20. November 2019

Schreiben nach Gehör

Der Vater des Schreibens nach Gehör an deutschen Grundschulen, Hans Brügelmann (über den ich schon mehr als genug geschrieben habe, ebenso wie über seine Kollegin Erika Brinkmann), hat sich kürzlich von seinem Grundschulverband den Erwin-Schwartz-Grundschulpreis verleihen lassen. Irgendwann in naher Zukunft wird der Verfall des Bildungssystems auch zu einem ökonomischen Problem werden; mit etwas Schadenfreude habe ich zur Kenntnis genommen, dass das Schreiben nach Gehör bereits heute die SPD gebissen hat. Bei einer Kranzniederlegung in Mülheim bei Essen lautete die Inschrift, die wohl vorher niemand gegengelesen hat:

    DEN OPFERN VON KRIEG UND VERSCHISSMUSS.


Mit doppeltem SS. Schade, dass dieser Satz in der Laudatio für Brügelmann keinen Platz mehr gefunden hat.


Dienstag, 19. November 2019

Gender Pay Gap

Die GEW kämpft unerschrocken für die gleiche Bezahlung von Grundschul- und Gymnasiallehrern. Da hab ich nichts dagegen, wenn beide eine vergleichbare Ausbildung (etwa ein Universitätsstudium) genossen haben. Die Argumente, welche Frau Gützkow aber anführt, nähren in mir den Verdacht, dass es sich hier um einen Quotenfrau handelt, also eine Frau, die sich ein Amt nicht wegen ihrer geistigen Qualitäten verdient hat (in etwa so wie Dobrindt und Scheuer Quotenmänner sind).

Der wahre Grund, warum man Grundschullehrern dasselbe Gehalt zahlen möchte wie Gymnasiallehrern, wird jedenfalls erst ganz am Ende enthüllt:

          Sie machte darauf aufmerksam, dass zurzeit insbesondere 
          Frauen diese anspruchsvolle Arbeit übernehmen: 
          „Über 90 Prozent der Grundschullehrkräfte sind Frauen.
          Frauenarbeit ist genau so viel wert wie die Arbeit der Männer.“

Daher weht der Wind.




   

Freitag, 1. November 2019

Ein Zeichen!

Offiziell haben letzte Woche eine Reihe von "Glaubensführern" (faith leaders) mit dem POTUS gebetet, aber das Bild
sieht eher nach Anbetung aus. Wie man sehen kann, starren einige Bekehrte auf die Sandale auf dem Tisch, die für Ungläubige leider unsichtbar ist.

Donnerstag, 31. Oktober 2019

Vorwärts immer, rückwärts nimmer

Der von Honecker noch 1989 benutzte Slogan ist auch das Motto der deutschen Bildungspolitik. Selbst wenn ein westliches Bundesland nach dem anderen einsieht, dass es G8 verkackt hat, trauen sich die einen nicht, die Reformen zurückzunehmen, und die anderen verkaufen die Rückkehr zu G9 als Fortschritt, weil man ja nicht zu dem G9 vor G8 zurückkehrt, sondern zu einem G9 auf G8-Niveau.

Auch Baden-Württemberg hat dieses Schuljahr die Leistungskurse wieder eingeführt. In Mathematik darf der Basiskurs den bisherigen Stoff in 3 Wochenstunden abhandeln statt in 4, was zweifellos ein großer Erfolg werden wird, während der Leistungskurs den bisherigen Stoff in 5 Wochenstunden durchkaut, was die Lücke zwischen Schule und Hochschule zweifellos verkleinern wird.

Auf einen wesentlichen Niveau-Unterschied zwischen Basis- und Leistungsfach will ich allerdings hinweisen. Beim Lösen von Gleichungen darf in unserem Abitur weder im Basis-, noch im Leistungsfach ein Nenner vorkommen, der aus einer Potenz von x und einem Linearfaktor besteht; beispielsweise ist die Gleichung 2/(x(x+1)) = 1 für baden-württembergische Leistungskursschüler zu schwer, wie man den Mustaufgaben für das Abitur 2021 entnehmen kann (S. 9). Neu ist dagegen, dass man im Leistungskurs ab 2021 jetzt die

       Anwendung einer binomischen Formel "rückwärts"

verlangen darf. Dass hinter der binomischen Formel "vorwärts" irgend ein Bildungsziel versteckt ist, wüsste ich jetzt nicht: auf binomische Formeln "vorwärts" könnte ich, was den eigentlichen Nutzen angeht, getrost verzichten. Seit 4000 Jahren besteht die Anwendung der binomischen Formel immer darin, dass man sie "rückwärts" anwendet, im einfachsten Fall etwa bei der quadratischen Ergänzung zum Lösen quadratischer Gleichungen.

Dass man im baden-württembergischen Mathematikabitur jetzt etwas verlangen darf, was man vor 4000 Jahren jedem Schreiberlehring in Ur und Babylon beigebracht hat, könnte eine erfreuliche Nachricht sein. Diese wird allerdings getrübt von der Vorahnung, dass die Aufgaben zu binomischen Formeln "rückwärts" am Ende so bescheuert sind, dass man bedauert, dass die Sintflut schon vorbei ist.

Mittwoch, 30. Oktober 2019

Kreativität statt Einmaleins

Einen neuen Stern, der in den letzten Jahren am Himmel der deutschen Mathematikdidaktik aufgegangen ist, scheine ich übersehen zu haben: Prof. Dr. Volker Ulm kümmert sich an der Uni Bayreuth um guten Mathematikunterricht. Wie der aussieht, weiß er nach 5 Jahren, in denen er selbst (an drei verschiedenen Gymnasien) unterrichtet hat:

    Stures Rechnen und Auswendiglernen von Einmaleins-Aufgaben
    gehören der Vergangenheit an [. . .]

Beim Abschaffen des kleinen Eimaleins in Bayern wird er von der EU gefördert. Was mir das Messer in der Tasche aufgehen lässt ist der Titel des Projekts: Man hat sich als Namensgeber nämlich niemand anderen einfallen lassen als Fibonacci, der vor 800 Jahren mit der Einführung der arabischen Ziffern nach Europa wesentlich dazu beigetragen hat, der Bildungsbarbarei auf europäischem Boden ein Ende zu bereiten.

Auch vom Computer im Mathematikunterricht hält Prof. Ulm viel; anders kommt man an den Geldkuchen der Digitalisierung ja auch nicht ran.

Dienstag, 29. Oktober 2019

Bildung statt Satz des Pythagoras

    Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder 
   Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse schreiben. 
   In 4 Sprachen.

So tönte Naina vor vier Jahren, und schon damals dachte ich mir, dass die meisten Schüler, die ich kenne, schon von einer Gedichtsanalyse in ihrer Muttersprache an die Grenzen ihrer sprachlichen Fähigkeiten geführt werden. Und dass der liebe Gott, wenn er jemanden bestrafen will, dessen Wünsche erfüllt.

Jetzt hat der Bundesschülerrat diese Forderung aufgegriffen, und möchten von der Schule wissen, wie es mit Mietvertrag, Versicherung und Steuererklärung aussieht. Man möchte fast vermuten, dass im Bundesschülerrat nur Vollwaisen sitzen, und empfindet als Lehrer ein Gefühl der Dankbarkeit denjenigen Eltern gegenüber, die ihrem Nachwuchs wenigstens beigebracht haben, wie man eine Toilette benutzt.

Richtig ärgerlich wird es, wenn sich deutsche Journalisten des Themas annehmen. Die Stuttgarter Zeitung untermalt den Bericht mit einem Bild, auf dem es um den Steigungswinkel von Geraden geht, und die Südwestpresse titelt gleich "Rentenvorsorge statt Satz des Pythagoras". Anscheinend hält sie heutige Schüler für so beschränkt wie Al Bundy seine Tochter "Dumpfbacke", die für jede Information, welche ihr Gehirn aufnimmt, eine andere vergisst. Und mir ist durchaus bewusst, dass Journalisten den Satz des Pythagoras vollkommen umsonst gelernt haben. Allerdings frage ich mich, was die Schreiberlinge, die vor jedem, als ein Komma setzen (so in etwa sieht das bei 95% der Artikel aus, die ich von euch lese),  anstatt Interpunktion gelernt haben. Ich komme nicht drauf.

Freitag, 25. Oktober 2019

Fridays for Hubraum

Wir Deutsche, das wird man ja wohl noch sagen dürfen, haben bisweilen wirklich einen an der Waffel. Halb Deutschland regt sich auf, wenn 1000 Schüler wegen einer Klima-Demo die Schule schwänzen; man könnte fast meinen, diese Hälfte wäre nie selbst auf die Schule gegangen. Ich jedenfalls habe hin und wieder die Schule wegen ganz anderer Sachen geschwänzt. Dieselbe Hälfte hält die Klimadiskussion ohnehin für linksgrünversifftes Geschwafel und macht bei "Fridays for Hubraum" mit. VW & Co. bescheißen beim Diesel, zahlen den US-Käufern Milliarden und den Deutschen keinen Cent; zum Ausgleich verkaufen sie jetzt so viele Autos wie nie zuvor. Die Politik schiebt den schwarzen Peter den Dieselfahrern zu, deren Kisten 5 - 6 Liter auf 100 km fressen, während die Diskussion über SUVs gar nicht stattfindet - jedenfalls nicht hierzulande; wohl dem, der den Guardian liest.

Dabei ist die VW-Methode natürlich nicht von VW patentiert: Auch Monsanto-Bayer hat eine Pille verkauft, von der sie wussten, dass sie gefährlich ist, es aber wohlweislich verschwiegen haben. In den USA haben sie, bevor es zu Prozessen kam, den Geschädigten 2,1 Milliarden $ bezahlt, in Deutschland führen sie Prozesse gegen einzelne Frauen und weigern sich, auch nur einen Cent Entschädigung zu zahlen. Denn wenn die  Pille amerikanischen Frauen geschadet hat, heißt das noch lange nicht, dass das auch bei detuschen Frauen passieren kann. Und diese Pille wird immer noch verschrieben - solange Verbrecherfirmen hierzulande keine Zahlungen zu fürchten haben, weil sie von der Politik geschützt werden, ist Geld verdienen wichtiger als ein Paar tote Frauen.

"Wirtschaft fordert mehr Gentechnik im Essen", lautete die Schlagzeile in vielen Tageszeitungen gestern. Ich weiß, dass Gentechnik nicht gleich Gentechnik ist, aber ich hätte gern das Recht, das zu essen, was ich will - das hatte ich früher nämlich auch. Guido Bohsem, Kommentator der Schwäbischen Post, ist anderer Meinung: wir Deutschen, so meint er, sollen gentechnische
Erzeugnisse fressen, um Arbeitsplätze zu sichern. Ich sag's mal so: früher waren manche Kommentatoren zwar arg weit rechts, aber sie hatten noch einen IQ über 100.

A propos Essen was ich will: ich war dieses Jahr in Frankreich und habe dort etwas getrunken, das es in Deutschland seit gefühlt 20 Jahren nicht mehr gibt: Milch. Richtige Milch. Eine, die nach 3 Tagen sauer wird. In Supermärkten der Bretagne habe ich gesucht, was es hierzulande in jedem Discounter gibt: Knoblauch aus China, Tomaten aus Ägypten, Zwiebeln aus Neuseeland. Ich habe davon nichts gefunden. Knoblauch war aus Frankreich, Tomaten waren aus Frankreich, Zwiebeln waren aus Frankreich. Und dann habe ich mich gefragt, warum man auf Frankreichs Autobahnen Autofahren kann, ohne dass man vorn, hinten, links und rechts von LKWs eingekeilt ist wie hierzulande. Dafür wird es viele Gründe geben;  aber einer  ist sicherlich, dass man den Billigfraß aus China, Ägypten und Neuseeland nicht per LKW in jeden Discounter in jedem Kuhnest karren muss.

Als ich mich vor drei Wochen mal in einen Norma verirrt hatte, hat die Frau hinter mir Birnen gekauft. Im Oktober, Aus Spanien. It takes two to tango: Damit man in Oktober in Deutschland Birnen aus Spanien kaufen kann, muss es einen bescheuerten Discounter gegen, der im Oktober Birnen aus Spanien einkauft. Und es muss bescheuerte Käufer geben, die im Oktober Birnen aus Spanien in ihren Einkaufswagen legen. Wenigstens war die Käuferin nicht deutsch - Deppen gibt es auch nichtdeutsche. Und vielleicht wollte die Frau mit Migrationshintergrund ja auch nur Birnen mit Migrationshintergrund essen.

Wohl bekomms.


Samstag, 19. Oktober 2019

Freie Fahrt für doofe Politiker

Der Bundestag hat diese Woche ein Tempolimit 130 auf deutschen Bahnen abgelehnt. Dafür waren die Grünen und die Linke, 0 Stimmen gab es, dazu hätte man nicht abstimmen müssen, von den Brüdern im Geiste AfD und FDP, und CDU/CSU bzw. SPD lieferten je zwei Stimmen für den Antrag. Als einzige Gründe, die gegen eine Stimme für ein Tempolimit sprechen, fallen mir Dummheit und Schiss vor Trump- und AfD-Wählern ein. Wer wissen will, was Tempo 130 und stressfreies Autofahren miteinander zu tun haben, soll mal nach Frankreich fahren. Ich gelobe hiermit feierlich, diesen Hosenscheißer-Parteien in diesem Leben keine Stimme mehr zu geben, nicht einmal aus taktischen Gründen. Oder, liebe SPD, aus Mitleid.

Freitag, 9. August 2019

Das zweite Monster von links

Kurz nach meinem Umzug in die USA vor 19 Jahren habe ich nach einem der vielen Massaker einen Leserbrief an die dortige Lokalzeitung geschrieben mit dem Tenor, dass man sich die Entrüstung sparen könne, wenn man nichts gegen die Waffen unternimmt.

Some things change, hat Arlo Guthrie einmal gesagt, and some things don't. Was sich geändert hat, kann man an folgendem Bild ablesen, welches das dritte Monster von links auf ihrem twitter account auch noch selbst verbreitet hat:



Die Eltern des Kleinkinds auf dem Arm von "I don't care do u?" sind in El Paso bei dem Massaker mit 22 Toten erschossen worden. Smells like a handmaid's tale.

Samstag, 22. Juni 2019

Sexistischer Antisexismus

Die Universität Eindhoven hat die Nase voll von der Benachteiligung der Frauen: Nur 39 % aller Wissenschaftler und Ingenieure in den Niederlanden sind weiblichen Geschlechts. Die Bevorzugung von Frauen bei Bewerbungen hat in der jüngsten Vergangenheit an diesen Zahlen nur wenig geändert, also tut man jetzt Butter bei die Fische und stellt nur noch dann Männer ein, wenn man nach 6 Monaten keine geeignete Frau gefunden hat.

Eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Wobei ich darauf hinweisen möchte, dass derzeit etwa 10 % der Soldaten in der niederländischen Armee weiblich sind. Das geht gar nicht. Weiter dürften die meisten Wissenschafter und Ingenieure in den Niederlande, vermute ich jetzt einfach mal, einen IQ von über 100 besitzen. Diskriminierung aufgrund der Intelligenz ist allerdings auch sowas von gestern: Ich fordere hiermit offiziell Professorinnenstellen für Frauen mit einem IQ von unter 100 - Gerechtigkeit muss sein!

Vielleicht reicht auch einfach eine Blondinenquote.

Sonntag, 16. Juni 2019

Digitalisierungsexpertinnen

Die Digitalisierung der Schulen steht an. In den nächsten Jahren überweisen Bund und Länder einige Milliarden Euro an die Firmen, die digitale Bildung versprechen, und danach werden die Schulen sich fragen, was sie damit anfangen können. Zum Glück gibt es jetzt schon Expertinnen, die in der Lage sind, die Gretchenfrage zu stellen. Eine davon ist Frau Prof. Dr. Katja Eilerts, die in Berlin an der Universität ein Mathe-Labor entwickelt hat:

     Es gibt Roboter, die ein perfektes Dreieck zeichnen können. 
     Warum aber soll ich 2500 Euro in etwas investieren, dass den 
     Kindern beim Erwerb mathematischer Fähigkeiten überhaupt   
     nicht weiterhilft?

Eine Antwort auf diese Frage gibt sie nicht, aber manchmal ist es wichtiger, eine gute Frage gestellt als eine gute Antwort gegeben zu haben.

     Im Labor stehen die Roboter Ozobot und Bob3, der 
     Minicomputer Calliope, Lego-Bausätze, iPads mit diversen 
     Mathe-Apps, ein interaktiver Tisch und andere Geräte bereit.
   
Leider verrät sie nicht, welcher der drei Roboter  für 2500 Euro ein Dreieck zeichnen kann. Auch wozu sie sonst gut sein sollen, wird nicht verraten. Einen konkreten Nutzen für Mathelehrer hat das Labor aber dann doch:

     Es gibt Erklärvideos in Gebärdensprache für hörgeschädigte 
     Kinder. Das sind inklusive Ansätze, die den Unterricht 
     bereichern.

Erklärvideos. Ohne Scheiß?

Einmal mehr sei dann noch die Frage gestellt, auf welchem Bildungsweg Frau Dr. Eilerts ihre Einsichten in die Notwendigkeit digitaler Bildung gewonnen hat. Wer hier schon eine Weile mitliest, kann diesen Bildungsweg fast erraten: Studium Grundschullehramt, Referendariat,  Promotionsaufbaustudium Mathematik und bevor man sich versieht, ist man Professorin an der HU Berlin. Dort kann man dann forschen und in Dublin einen Vortrag über die "Importance and possibility of integrating gender competence as a key qualification in mathematics teacher education" halten.

Wer den Begriff Promotionsaufbaustudium nicht kennt, googelt nach. Hab ich gemacht und gelernt, dass man dort in zwei Semestern ein "abgeschlossenes Hochschulstudium" vertiefen kann. Diese Stecknadel der Beschreibung eines Studiengangs zu finden war aber nicht ganz leicht, denn die allermeisten Treffer waren Biographien von ErziehungswissenschaftlerInnen, die sich damit ihren Doktor als Eintrittskarte auf eine Professur an Universitäten verdient haben. Wobei "verdient" vielleicht ein etwas zu großes Wort ist.

Hofberichterstattung

news4teachers hat einen Bildungsforscher nach den "Gefahren und Chancen digitalen Lernens" befragt. Ein Lehrbeispiel, möchte ich meinen, für schlechten Journalismus und überbezahlte Bildungsforscher.

      N4T: Herr Prof. Dr. Hurrelmann, inwiefern prägen digitale 
      Medien die heutige Generation der Jugendlichen?

Eine Frage, die sich auch eine wache 12jährige hätte ausdenken können, und die sie problemlos auch selbst beantworten könnte, indem sie etwa sagt, dass Jugendliche heute mit diesen Geräten groß werden. Die Antwort von Herrn Professor Doktor Hurrelmann zeigt, dass heutige 12jährige einem Experten in Bildungsfragen durchaus das Wasser reichen können:

      Hurrelmann: Junge Menschen werden heute unvermeidlich mit 
      diesen neuen Techniken groß und das prägt sie sehr.

Dass wir da aber nicht selbst draufgekommen sind.

      N4T: Verfügen Jugendliche denn automatisch über 
      Medienkompetenz, wenn sie mit Smartphones und Computern 
      aufwachsen?

Diese Frage ist so gestellt, als würde der Fragesteller die richtige Antwort schon kennen. Mit einer solchen Fragetechnik kann man bei Jauch problemlos die Million einsacken. Selbst Herr Professor Doktor Hurrelmann kriegt das hin:

     Hurrelmann: Nein, nur über eine intuitive Nutzerfähigkeit.

Brav gemacht, Herr Professor! Welches Schweinderl hätten's denn gern?

       N4T: Müsste die Vermittlung von Medienkompetenz in der 
       Lehreraus- und -fortbildung eine größere Rolle spielen?

Das Ping-Pong-Spiel geht weiter: N4T legt dem Herrn Professor eine Antwort in den Mund, und dieser tut seine Pflicht:

       Hurrelmann: Ganz entschieden. 

5 Mark ins rote Schweinchen. Sehr gut gefallen hat mir die professorale Klassifikation der Lehrer. Dabei geht er vor wie 9-Klässler, wenn ich ihnen die folgende Aufgabe vorlege: Herr Hurrelmann findet 4 Pilze. Gib das Gegenereignis von "Alle 4 Pilze sind giftig" an. Im Unterricht sind sich alle Schüler einig, dass das Gegenereignis "Kein Pilz ist giftig" lauten muss, in der Klassenarbeit fangen viele an, die Wahrscheinlichkeit des Gegenereignisses auszurechnen. Dabei gehen sie automatisch davon aus, dass ein Pilz mit Wahrscheinlichkeit 0,5 giftig ist.
Der Herr Professor geht ebenso vor: Es gibt drei Arten von Lehrern, die digital kompetenten, die Unentschiedenen, und diejenigen, die digital nichts blicken. Und wie meine Neuntklässler schließt er aus der Tatsache, dass es drei Arten von Lehrern gibt, dass auch jede mit Wahrscheinlichkeit 1/3 auftritt:

       Etwa ein Drittel der Lehrkräfte in Deutschland sind den neuen
       technischen Herausforderungen für Lernprozesse wirklich
       gewachsen. Sie haben die Kompetenz, damit souverän 
       umzugehen, sodass für die Kinder Vorteile entstehen. 
       Ein weiteres Drittel dürfte sich einigermaßen zurechtfinden.
       Das letzte Drittel wird abgehängt und lehnt möglicherweise 
       das digitale Lernen sogar ab und hält es für schädlich.

Eine Frage noch, dann haben wir das Interview überstanden:

     N4T: Was passiert, wenn Lehrkräfte die technische Entwicklung
     im Unterricht tatsächlich ausklammern?

     Hurrelmann: Das können wir ja schon besichtigen. Die Schule 
     verliert an Autorität, weil Schüler merken, dass in den 
     Schulbüchern veraltetes Wissen steht. 

Die Schulbücher wurden 2000 auf die neue Rechtschreibung und den Euro umgeschrieben, dann 2004 mit dem neuen Bildungsplan überarbeitet und auf G8 getrimmt. Selbst in Mathematik kommt demnächst die 4. Generation von Schulbüchern seit 2004 heraus, weil ja hierzulande die Grund- oder Basiskurse eingeführt werden. Und ich nehme an, die meisten Lehrer (und die Schüler auch) wären froh, wenn überhaupt noch Wissen in den Büchern stünde. Wer schon einmal mit seinem Nachwuchs und einem Erdkundebuch auf die nächste Klassenarbeit lernen wollte, wird wissen, was ich meine.

Dass irgendwo veraltetes Wissen steht, merkt man nicht, wenn man gar nichts weiß. Hurrelmann gehört wie der größte Teil der Bildungsforschern zu denjenigen, die meinen, Wissen sei generell überflüssig in einer Welt, in der Schüler alles googeln können:

     Sie können elektronisch auf neuere Informationen zugreifen.
     Das wird aber in der Schule oft nicht geduldet.

Was für ein Unsinn. Vermutlich hat er noch keinen Lernbegleiter in Mathematik live erlebt, der seiner Klasse sagt, er könne sich grad nicht an den Inhalt des Satzes von Pythagoras erinnern, und sie mögen diesen bitte im Netz nachschauen.

Hausaufgabe für alle Leser:
1. Welchem Drittel gehören diese Lernbegleiter an?
2. Was haben Sie aus dem Interview über "Gefahren und Chancen
    digitalen Lernens" erfahren?
Wer mit der Beantwortung der Fragen Schwierigkeiten hat, darf im Internet recherchieren und danach als Experte seine Mitleser aufklären. Einen Anspruch auf ein Professorengehalt erwirbt man dadurch aber nicht.

Donnerstag, 13. Juni 2019

Angstfach Mathe

Ranga Yogeshwar gehört zu den Menschen, von denen böse Schwaben behaupten, man müsse deren Mundwerk nach ihrem Ableben extra totschlagen. Es gibt wohl wirklich kein Thema, in dem dieser Mann (und einige andere seiner TV-Kollegen - dass ich Precht und Leesch für Dampfplauderer halte, habe ich wohl schon erwähnt) sich nicht für einen Experten hält. Der Sueddeutschen (die weiß Gott ein goldenes Händchen dabei hat, Sprachrohr für Leute zu spielen, die nun wirklich keine Ahnung haben) hat er jedenfalls erzählt:

      Mathematik wird für Prüfungszwecke missbraucht.

Das unterscheidet es nach Ansicht des Experten fundamental von anderen Fächern. Mathematik, so Yogeshwar, werde als Inquisition erlebt. Eine Nummer kleiner geht es wohl nicht - immerhin hat er den Lesern die Nazikeule erspart.

Auch das Studium siebt mit Mathematik aus:

     Die Abbrecherquoten sind enorm hoch, und der wesentliche 
     Killer dabei ist die Mathematik. Wie absurd, wir kämpfen doch 
     um Fachleute, wir brauchen die Leute, die Maschinenbauer, 
     Physiker, Elektrotechniker werden wollen!

Dem ist wohl so. Die meisten Maschinenbauer, Physiker und Elektrotechniker, die ich kenne (eigentlich alle) sind aber der Meinung, dass man dazu Studenten braucht, die Mathematik verstehen. Wollen Sie, Herr Yogeshwar, jetzt ernsthaft Physiker ausbilden, die nichts von Mathematik verstehen? Oder war Ihre Zunge nur schneller als Ihr Hirn?

Als Rezept gegen den inquisitorischen Mathematikunterricht an Schulen und Hochschulen empfiehlt er youtube-Videos, etwa von 3Blue1Brown.

      Das ist ein Blogger, der komplexe mathematische Phänomene 
      mit toll animierten Grafiken und in einfacher Sprache erklärt.

Wenn man komplexe mathematische Phänomene mit toll animierten Grafiken erklärt bekommen hat, wird, so Yogeshwar, das Physikstudium künftig nicht mehr an der Matheprüfung scheitern. Weil es keine Matheprüfungen mehr gibt, denn wenn man die Leute mit Videos begeistert, lernen sie von alleine.

Ob die Schüler damit besser unterhalten werden als, sagen wir mal, von mir, mag ich nicht entscheiden. Ich bin nach einer Minute 3Blue1Brown eingeschlafen. Aber ich gehöre auch zu denen, die die Inquisition überlebt haben.

Donnerstag, 6. Juni 2019

Aufgabenkultur

Von kleinen redaktionellen Änderungen abgesehen ist dies ein Gastbeitrag von Herrn M.S. Die Sache erinnert mich ein wenig an Hannes Waders Textzeile

      und weil die Ärzte meinen, dass es gut wär das zu tun,
      schrieb ich die Geschichte nieder und hier ist sie nun.

Es handelt sich hierbei um eine Art therapeutische Übung, mit dem Unsinn der modernen Aufgabenkultur irgendwie zurecht zu kommen. Schauen wir also dem IQB mal über die Schulter:

           *********************************************

 Am Beispiel einer Stochastikaufgabe für den Mathe-Lk 2020 empfehlen wir offene Aufgabenstellungen, die praxisnah sind und die Versprechungen der Kompetenzorientierung auch wirklich erfüllen – hier: Modellierungskompetenz, Praxiskompetenz, Lesekompetenz, mathematische Kompetenz, Problemlösekompetenz etc.

Aufgabe: Eine Aufgabenkommission möchte die Mathematik-Abituraufgaben für ein Bundesland zusammenstellen. Dabei kann sie auf umfangreich erhobene Daten zurückgreifen. Die genannten Daten wurden in einer umfassenden, repräsentativen Umfrage erhoben, für welche Gelder im Umfang von 50 Lehrerstellen freigegeben wurden. An der Erhebung war mindestens ein Excellenzcluster beteiligt sowie selbstverständlich die OECD und Bertelsmann. Um trotzdem die Vergaberichtlinien und die Datenschutzgrundverordnung zu erfüllen, wurde eine umfangreiche europaweite Ausschreibung erstellt, wofür Gelder im Rahmen weiterer 20 Lehrerstellen bewilligt worden. Dadurch weiß die Kommission nun zu jedem Aufgabentyp (in Klammern angegeben) die Wahrscheinlichkeiten dafür, dass bei Verwendung dieses Typs eine erfolgreiche Petition gegen das Abitur gestartet wird sowie die mit dieser Aufgabe im landesweiten Durchschnitt zu erreichenden Noten.

Die Kommission muss 4 Aufgabenteile zusammenstellen (der Einfachheit halber mit je 25 Punkten): 1. Hilfsmittelfreier Teil 2. Analysis 3.Algebra 4. Stochastik. Dafür stehen zur Verfügung (die Themen wurden aus den Eingangsvoraussetzungen der Hochschulen für eine Vielzahl von Studienfächer entnommen):

1. a) Addition und Subtraktion maximal 3-stelliger Zahlen (0%; 1,5)
b) Multiplikation maximal zweistelliger Zahlen und Quadrieren (1%; 1,9)
c) Division (10%; 3,0)
d) Zahlen mit 4 und mehr Stellen oder Kommata (25%; 3,8)
e) Brüche mit Nenner 2 oder 10 (2%; 2,2)
f) Brüche mit anderen Nennern (40%; 4,0)
g) Wurzeln, trigonometrische Funktionen, Logarithmen (95%; 5,8)

2. a) Ganzrationale Funktionen maximal 3. Grades (1%; 2,5)
b) e-Funktionen einfachen Typs (5%; 3,0)
c) gebrochen-rationale Funktionen (60%; 4,3)
d) Trigonometrische Funktionen, Logarithmus (90%; 5,5)
e) Hyperbolische Funktionen (110%; 6,0)

3. a) Würfel oder Quader (2%; 2,3)
b) Pyramide (40%; 3,1)
c) kompliziertere Körper wie Pyramidenstumpf (90%; 4,8)

4. a) einfachste Kombinatorikaufgaben aus der Mittelstufe (5%; 2,2)
b) Binomialverteilungen mit möglichst praxisfernem Arrangement (14%; 2,8)
c) Stochastische Matrizen (5%; 2,7)
d) Gaußverteilung und Testverfahren (55%; 3,9)

Die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Petition sinkt um je 5% (und der Notenschnitt steigt um je 0,1) bei Vergabe von mindestens 4 Punkten auf die Frage, warum sich eine vorgegebene Funktion nicht für die Modellierung insgesamt eignet (die Antwort muss dringend heißen, weil sie negativ oder weil sie unendlich wird); ebenso bei 4 Punkten für das Einzeichnen einiger Punkte in ein vorgegebenes Koordinatensystem sowie bei Bestimmung von Hoch- oder Tiefpunkten, deren Koordinaten zwingend im Lösungshinweis direkt anzugeben sind.

Modellieren Sie unter diesen Bedingungen ein Musterabitur, dessen Ergebnisse zwischen 2,5 und 3 zu liegen haben und bei dem die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Gegenpetition minimal ist!

 [Lösungshinweis: Wir möchten nicht auf die schöne Tradition verzichten, nahezu alle gesuchten Lösungen direkt unter der Aufgabe anzugeben. Deshalb könnte hier z.B. das Matheabitur 2019 stehen. Das Abschreiben der Lösung ergibt volle Punktzahl, wer aber vergisst, die Jahreszahl von 2019 auf 2020 zu ändern, erhält 3 Noten Abzug, so dass auch der Durchschnitt wieder stimmt!]

Montag, 3. Juni 2019

Kapitänsaufgaben

Kapitänsaufgaben sind ein beliebtes Hilfsmittel der Didaktik, mit dem man beweisen kann, wie schlecht der aktuelle Unterricht in Mathematik ist, selbst nach all den Verbesserungen, mit denen uns die ständigen Reformen beglückt haben. Insofern verwundert es etwas, wenn man feststellen muss, dass solche Aufgaben jetzt ganz offiziell in Klasse 3 geübt werden:

Mit herzlichem Dank an B. K.

Sonntag, 2. Juni 2019

Hassfach Mathematik

Auf news4teachers fragt man sich, warum das Fach Mathematik bei vielen Schülern so unbeliebt ist, obwohl doch die Didaktiker überzeugend bewiesen haben, dass die realitätsnahen Aufgaben die Schüler problemlos vom Sinn der Mathematik überzeugen. Mich würde allerdings auch interessieren, wie viele Mathematiklehrer ihr Fach nicht mehr so recht leiden mögen, seit die Mathematikdidaktik das Fach besiegt hat. 

Zu den Kommentaren der Lehrer (vor allem aus der Grundschule, will mir scheinen) wäre auch so Einiges zu sagen - ich belasse es bei dem Kommentar, dass mich nichts mehr wundert.

Das wirklich Ärgerliche an diesem Artikel beginnt aber hier:

      Mathe-Professor Reinhard Oldenburg von der Uni Augsburg 
      sagt, beim Abspecken der Lehrpläne seien Themen aus 
      Algebra und Geometrie wie Kegelschnitte weggefallen.

1. Liebes news4teachers-Team: Herr Oldenburg ist kein Mathe-Professor. Er ist Professor für Mathematik-Didaktik.

2. Kegelschnitte, Lieber Herr Oldenburg, sind bereits aus dem Mathematik-Unterricht weggefallen, da waren Sie noch gar nicht geboren.  Si tacuisses . . .  Aber Sie reden natürlich einfach weiter, wenn Sie als Experte gefragt sind:

   Diesen Prozess könnte man weitertreiben. Man sollte neu 
   bewerten, welchen Bildungswert beispielsweise der Kathetensatz 
   hat oder die Flächenberechnung unter irgendwelchen   
   Funktionsgraphen.

In Baden-Württemberg hat der Kathetensatz überhaupt keinen Bildungswert, weil ihn vermutlich nur einer von 1000 Abiturienten kennt. Dass der Augsburger "Mathe-Professor" die  Integralrechnung abschaffen will, weil er keinen Bildungswert in ihr erkennt (wie oft hat er wohl schon gesagt, dass er diese in seinem Leben noch nie gebraucht hat?), lässt mich hoffen, dass das Interview nach 6 Maß Bier in einem Biergarten geführt worden ist. Aber vermutlich hoffe ich vergebens.

      Oldenburg sagt, moderne Bildung sollte Fragen etwa nach 
     kürzesten Wegen (Navigationssysteme) und mathematische 
     Grundlagen von Bild- und Videoverarbeitung berücksichtigen.

Erde an Augsburg:

  1. interessiert das kaum einen Schüler. Es macht nichts, wenn Sie das nicht glauben.
  2. Navigationssysteme haben mit kürzesten Wegen praktisch überhaupt nichts zu tun (außer man will seinen BMW tatsächlich über ungeteerte Waldwege jagen, weil man wirklich den absolut kürzesten Weg zwischen A und B fahren will), ebensowenig wie die Stationierung von Rettungshubschraubern in Südtirol etwas mit dem Fermat-Punkt zu tun hat. Man hat Sie in Ihrer Ausbildung angelogen, und Sie haben es nicht gemerkt.
  3. Die mathematischen Grundlagen von Bild- und Videoverarbeitung sind Algebra und Geometrie. Und man braucht dazu deutlich mehr als binomische Formeln oder den Kathetensatz. Jedenfalls außerhalb der Uni Augsburg.

Ein Gutes hat die Sache dann doch: Man muss jetzt keine Angst vor dem bevorstehenden intellektuellen Niedergang der Universitäten mehr haben.

Montag, 27. Mai 2019

Früher MINT wagen!

Artikel über Bildung in Zeitschriften, egal ob in der Süddeutschen, im  Spiegel oder in der lokalen Presse, sind meist nur schwer zu ertragen. "Früher MINT wagen" in der Schwäbischen Zeitung ist da keine Ausnahme. Schon der erste Satz ist blanker Unsinn:

    Die Gleichung ist simpel: Wer sich für Naturwissenschaften 
    interessiert, so die Erfahrung, schlägt in seinem Leben eher 
    eine Karriere als Ingenieur oder Techniker ein.

Das, lieber Herr Schwarz, ist keine Gleichung, ebensowenig wie "wer Papst werden wird, sollte Theologie studieren" eine Gleichung ist. Für eine Gleichung braucht man zwei Dinge, die auf irgend eine Art und Weise gleich sind. Keine Gleichung also, sondern eine Binsenweisheit, und damit immerhin nicht ganz falsch. 

Dann aber kommt eine Professorin der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd zur Wort, also der Einrichtung, die jahrzehntelang das Schreiben nach Gehör gepredigt hat und, jedenfalls wenn Frau Eisenmann nicht zuhört, immer noch predigt. Man ahnt schon, worauf das hinausläuft, und es kommt, wie es kommen muss:

      Die Förderung von naturwissenschaftlichen Fächern darf 
      nicht erst in der achten oder neunten Klasse, sondern muss
      im Kindergarten und der Grundschule beginnen.
     
Ich habe nichts gegen Förderung von naturwissenschaftlichen Fächern, aber Kindergärten heißen aus einem ganz bestimmten Grund Kindergärten, nämlich aus demjenigen, dass er meist von Kindern besucht wird. Für meinen Teil wäre es genug Physik, wenn diese Kinder lernen würden, dass Dinge nach unten fallen, dass es mehr weh tut, wenn man auf der Straße hinfällt als wenn man das auf Gras macht, und genug Biologie, wenn sie eine Biene von einer Kuh unterscheiden können und wissen, dass die einen für Honig und die andern für Milch zuständig sind. 

Was mir dagegen fürchterlich auf die Nerven geht sind Leute, die predigen, dass man diesen Kindern, damit sie später in der Welt der Wirtschaft überlebensfähig sind (wenn ein Satz so los geht, lese ich eigentlich nicht mehr weiter), etwa Chinesisch oder Quantentheorie lernen müssen. Müssen sie nicht. Sie müssen im Sandkasten spielen, einen Ball durch die Gegend kicken, oder Bilder malen, für die sie sich 5 Jahre später schämen. Sie müssen hinfallen, wieder aufstehen, andern Kindern auf die Nerven gehen, und lernen wie man ein Spiel zu Ende spielt, ohne dass die halbe Runde in Tränen ausbricht. 

Was die Naturwissenschaften angeht: die sind nicht deswegen so unbeliebt, weil die heutigen Kinder im Kindergarten nicht in dieser Richtung gefördert werden (warum hat es früher genug Leute gegeben, die ein MINT-Fach studiert haben?), sondern weil durch
Schulzeitverkürzung und Akademisierungswahn wesentliche Teile des Physik- und Mathematikunterrichts gestrichen worden sind. Was man heute im Mathematikunterricht noch lernt (wie sich Raubvögel mit konstanter Geschwindigkeit auf Geraden bewegen oder wie zwei Züge in einem Tunnel, der von einer Geraden beschrieben wird, aneinander vorbei fahren), kann man zu nichts gebrauchen, und in der Physik ist der Großteil der Schüler, die man später auf irgendeine Hochschule schicken will, damit sie irgendwas mit Medien studieren können, bereits mit dem einfachsten Fall einer zusammengesetzten Bewegung überfordert, sodass außer dem freien Fall nicht arg viel mehr drankommt.

Dort liegt der Hase im Pfeffer: ohne ordentlichen Unterricht in Mathematik und Physik wird es nichts mit MINT-Studenten. Ganz anders der Schluss von Frau Prof.in Ladel:

     Der Grund ist so simpel wie die Gleichung zu Beginn: 
     „Je früher Kinder für diese Fächer begeistert werden, 
       umso leichter fällt es ihnen, sich damit intensiv und 
       gut auseinanderzusetzen."  

Ach so. Und wo sollen sie sich mit diesen Fächern intensiv und gut auseinandersetzen? In den kümmerlichen Resten des Physikunterrichts, den uns die professoralen Kollegen Frau Ladels aus den Erziehungswissenschaften an den Universitäten übrig  gelassen haben?

Was befähigt Frau  Ladel nun zu ihrem Schluss? Ihr Lebenslauf lässt darauf nur eine Antwort zu: nichts. Studiert hat sie Lehramt für Grund- und Hauptschule. Kein M, kein I, kein N und auch kein T. Anscheinend reicht das heute für eine Professur aus, jedenfalls wenn man von morgens bis abends das Lied singt, das die Politik gerne hört: Di-gi-ta-li-sie-rung. Kinder, die nachmittags und nachts an ihrem Smartphone kleben, müssen auch vormittags im Kindergarten und der Grundschule verkabelt werden:




    Die Digitalisierung und ihre Möglichkeiten haben ein großes 
    Potenzial – dieses müssen wir nutzen und sinnvoll in den 
    Unterricht integrieren.“ Deshalb setzt sie sich für eine verstärkte 
    Einbindung von digitalen Medien an den Schulen ein.

Das Potenzial müssen wir also sinnvoll in den Unterricht integrieren. Ich habe schon Schwierigkeiten damit, den Satz zu verstehen: wie werden Potenziale integriert? Ich vermute, dass der Satz nur eine Art Sammelbecken für gut klingende Schlagwörter  sein soll, bei dem niemand nachfragt, was er bedeuten soll. Warum man digitale Medien in den Unterricht integrieren muss, habe ich auch nicht verstanden. Fernsehen, Autofahren oder schlechte Musik gehören auch zur Lebenswelt der Schüler - müssen wir sie deswegen in den Unterricht integrieren? Ich habe beileibe nichts gegen digitale Medien im Unterricht - wenn sie gegenüber andern Techniken einen Vorteil bieten. Aber dass man sie benutzen muss, weil es sie gibt, ist Unsinn.

Und wenn man schon die mangelhafte Digitalisierung an deutschen Schulen beklagt: Wie wäre es dann mit einem Informatikunterricht, der diesen Namen verdient hat? Stattdessen lernt man an deutschen Schulen eigentlich nur, wie man mit US-amerikanischer Software (MS office etc.) umgeht. Anfixen nennt man das wohl.

Donnerstag, 16. Mai 2019

CAS oder nicht CAS

An manchen Tagen wird von Meldungen, die man kaum glauben mag, förmlich zuge...müllt. Manche sind so unglaublich, dass man sie kaum glauben mag, wie etwa die folgende aus Glienicke: 58 Schüler haben dort die falschen Aufgaben bekommen. Das ist noch nicht unglaublich, es geht ja um Berlin. Und Fehler passieren ja auch anderswo. Aber irgendetwas an der Schilderung von Stefanie kam mir nicht koscher vor:

    "Meine Tochter ist gut in Mathe", sagt Stefanie Julier, deren
      Tochter zu den Betroffenen gehört. " Die Arbeit wäre für sie 
      eigentlich kein Problem gewesen. Aber sie kam ganz 
      unglücklich nach Hause, weil die Aufgaben nicht zu 
      schaffen gewesen seien."

Im Artikel wird erklärt, dass es hier um eine CAS-Klasse ging, die beim Abitur ein Computer-Algebra-System benutzen dürfen. Das erledigt dann alle Gleichungen, Ableitung und Integrale auf Knopfdruck. Was ich nicht verstanden habe, ist der Grund der Beschwerde: Sie werden doch nicht aus Versehen die Aufgaben aus dem Spanisch-Abitur bekommen haben - da wäre ein CAS, das gebe ich zu, keine große Hilfe gewesen. Aber die "normalen" Aufgaben können es doch auch nicht gewesen sein, denn die sind ohne CAS von Hand bzw. mit Taschenrechner lösbar, sodass die CAS-Klasse einen Vorteil und keinen Nachteil gehabt hätte.

Ich habe also weiter gesucht und dann diesen Artikel gefunden: tatsächlich haben die CAS-Abiturienten die Aufgaben für Schüler ohne CAS bekommen und haben das (zumindest offiziell) leichtere Abitur als zu schwer empfunden. Jetzt müssen sie nachschreiben, was aber, so Schülersprecher Carl Exner (17), ein Problem ist:

     Es betrifft fast alle. Die Schüler haben keine Lust, unvorbereitet 
     innerhalb einer Woche Mathe nachzuschreiben.  Die haben die
     Themen gar nicht mehr im Kopf.

Wenn man eine Woche nach dem Abitur und mit einer zusätzlichen "Probeklausur" unvorbereitet ist, weil man die Themen gar nicht mehr im Kopf hat, lieber Carl, dann war das Gymnasium die falsche Schule.

Was die Sache noch unglaublicher macht ist die Tatsache, dass die Aufgaben für Schüler mit und ohne CAS in Berlin und BW praktisch identisch sind. Im wesentlichen gibt man dem CAS-Abitur ein oder zwei einfache Teilaufgäbchen mehr, damit man sagen kann, es sei schwerer als die normale Prüfung zum ausgleich dafür, dass man als CAS-Abiturient nichts mehr rechnen muss. 2019 ging es in beiden Prüfungen (Aufgabe Fischlogo) etwa um die Funktion f(x) = x/a ln(x/a). In a) war Definitionsbereich und Nullstellen gefragt, die CAS-Schüler mussten zusätzlich noch die Gleichung f(x) = 1 nach x auflösen lassen. Die Teile b), c), e), f) und h) sind identisch, in d) müssen die ohne CAS das Schaubild zeichnen, die CAS-Schüler die Schnittpunkte mit den Koordinatenachsen bestimmen (auch das geht im Kopf), und in h) hatten die CAS-Schüler zusätzlich ein Integral einzutippen.

Die CAS-Schüler hatten also statt der CAS-Prüfung diejenige bekommen, in welchen ein paar Aufgabenteile weggelassen worden sind, und die seien mit CAS nicht zu schaffen gewesen. Ich weiß nicht, was ich dazu noch sagen mag. Außer vielleicht "Herzlichen Glückwunsch zur Hochschulreife".