Samstag, 31. Dezember 2022

Santa ist in Schwierigkeiten

Dass ich von real existierenden Dissertationen in Didaktik im allgemeinen eher wenig halte, dürfte kein Geheimnis sein. Aber wenn sie schon bei Springer erscheinen, wird man diese intellektuellen Leistungen ja wohl auch kommentieren dürfen.

In  der Dissertation "Sprachsensibler Aufbau des Vektorbegriffs" von Sarah-Sofie Armbrust geht es, wie der Titel schon sagt, um einen sprachsensiblen Aufbau des Vektorbegriffs. Die ersten 100 Seiten sind mathematikdidaktisches Blabla (also eher wenig sprachsensibel); auf Seite 136 kommen dann Schüler (oder wie Sarah-Sofie sagt: SchülerInnen) ins Spiel, und zwar im Zusammenhang mit einer Prätest- und einer Posttest-Aufgabe.

So ist es:

So stellt man sich also bei Didaktikers die Lebenswelt der SchülerInnen vor. Nikolaus ist tot, es lebe Santa - Ho!Ho!Ho! Wo ist Knecht Ruprecht, wenn man ihn braucht?

Verwirrt hat mich die Angabe mit den zwei Kästchen für 100 N. Zum einen ist er wohl für Schülerinnen gedacht, deren Lebenswelt eher von Santa als von Pythagoras geprägt ist, zum anderen sind gar nicht zwei Kästchen (eine Fläche) gemeint, sondern die Grundseite zweier Kästchen (eine Länge). Hauptsache sprachsensibel. 

Sinn und Zweck der Darstellung wird jedenfalls erläutert; das kann man in einer Dissertation ja schon erwarten:

Fachliche Entlastung ist Blödsinn: Die Angaben über Größe und Richtung der Kräfte kann man dem Aufgabentext selbst ja nicht entnehmen. 

Wo es einen Prätest gibt, das gibt es natürlich auch einen Posttest. Dessen Aufgabenstellung hat mich dann aber doch überrascht:

Wenn die Schleppschiffe in der angegebenen Richtung weiterschippern, wird das über kurz oder lang (eher kurz) ein Problem werden, spätestens wenn sich der rechte Winkel in \(180^\circ\) verwandelt hat. Während Santa ein Problem hatte, haben die Schleppschiffe aber keines. Dass die Schülerinnen ein Problem haben, wenn sie dieslbe Aufgabe mit anderen Worten lösen müssen, lässt tief blicken und verrät, dass im vorliegenden Fall Sprachsensibilität vielleicht nicht der wirkliche Knackpunkt ist.

Und ich will ja nicht meckern, aber 500 N für den Schlitten von Santa sind schon bescheiden; wie die Schleppschiffe ein Kreuzfahrtschiff mit 500 N abschleppen sollen, ist mir ein Rätsel. Wie so vieles an zeitgenössischen Publikationen zur Didaktik der Mathematik.

Freitag, 30. Dezember 2022

Beweisen mit Vektoren im LS

 Beweise zu führen ist oft eine schwierige Angelegenheit. Zum Glück erklärt der neue LS für das Leistungsfach auf S. 246, wie man Beweise mit Vektoren führt:

  • Zum Beweisen mit Vektoren kann man folgendermaßen vorgehen:
  • Formulieren der Voraussetzung mithilfe von Vektoren.
  • Formulieren der Behauptung mithilfe von Vektoren.
  • Beweis der Behauptung durch Rechnen mit diesen Vektoren unter Verwendung der Voraussetzung.
Wenn das mal keine große Hilfe ist.

In Aufgabe 1 ist dann zu zeigen, dass ein Parallelogramm mit gleich langen Diagonalen ein Rechteck ist. Weil LS den eigenen Hilfestellungen nicht so recht traut, hat man die ganze Sache dadurch infantilisiert, dass man den Beweis auf bunte Kärtchen geschrieben hat, welche die Schüler im LK jetzt noch in die richtige Reihenfolge bringen müssen. Am besten in Gruppenarbeit und bei laufender Kamera, damit auch noch eine Dissertation in der Didaktik dabei rausspringt.

Donnerstag, 29. Dezember 2022

Awfully complex

Es gibt viele Menschen in Deutschland, die über komplexe Zahlen wenig wissen und sich nicht in korrektem  Englisch ausdrücken können. Tatsächlich gab es die schon immer. Das war auch nie ein Problem. Ein Problem wird das erst, wenn jemand, der über komplexe Zahlen wenig weiß und mit der englischen Sprache auf Kriegsfuß steht, beschließt, ein Buch über komplexe Zahlen auf Englisch zu verfassen. 

Das hat Jörg Kortemeyer gemacht. Erschienen ist das Büchlein als Teil der unsäglichen essentials-Reihe bei Springer-Spektrum. Unsäglich deswegen, weil die Autoren dort den Anschein erwecken, als könne man auf 50 Seiten eine ordentliche Einführung in irgendeine mathematische Theorie geben. 50 Seiten, damit man bei Modulformen mitreden kann? Nein danke.

50 Seiten komplexe Zahlen dagegen ginge durchaus, wenn man das Thema ordentlich durchdacht hat. Aber manche haben schon mit den reellen Zahlen so ihre Schwierigkeiten. In der deutschen Version des Buchs heißt es

  • Welche Zahlen liegen nun in der Menge der reellen Zahlen, also \(\mathbb R\), sind also irrational? 

Eine seltsame Frage, weil \(\mathbb R\) ja auch rationale Zahlen enthält.

Die englische Version ist eine Sammlung falscher Freunde. Wir begnügen uns mit einigen wenigen:

  • p. 4: It holds with the third binomial formula:
  • p. 8: The fraction is expanded
  • p. 17: Sine and cosine are usually introduced as aspect ratios in  rectangular triangles.  
  • p. 33: The angle is n-folded
  • p. 35: This gives the \(n\) different roots from \(z\)
  • p. 36: By pulling the third root

Bei den meisten Ausdrücken ahnt ein deutscher Leser, was gemeint ist. Aspect ratio bezeichnet im Englischen übrigens das Verhältnis von Umkreisradius zum doppelten Inkreisradius. 

Die Germanismen gehören noch zu den originellsten Beiträgen des Buchs. Ein Vergleich mit den Manuskripten von HELM, insbesondere demjenigen über complex numbers, spricht nämlich Bände. Man kann da schon ein bisschen Original und Fälschung spielen. Zum einen deckt sich der Inhalt zu 100%: Grundrechenarten, kartesische Form, Polarform, Eulersche Form komplexer Zahlen, und der Satz von "de Moivre" im Original und von "Moivre" in der Fälschung. An vielen Stellen sind die Ähnlichkeiten verblüffend:

HELM:

Kortemeyer:




"Thus it holds" ist selten blöd, schließlich setzt er die Gleichheit voraus. Und ein "if and only if" wäre eigentlich ebenfalls angebracht gewesen um die Verwirrung, die er angestiftet hat, auf ein erträgliches Maß zu stutzen.

HELM

Kortemeyer
Im Manuskript von HELM ist der Satz von de Moivre für rationale Exponenten formuliert. Das ist natürlich Unsinn, weil die linke Seite dann mehrdeutig ist, die rechte aber nicht:

Bei Kortemeyer ist der Satz von "Moivre" korrekt formuliert (wenn man vom Pidgin-Englisch mal absieht), die Ausweitung auf rationale Exponenten erfolgt später und ohne Ankündigung:
Als zusätzliches Bonbon gibt es bei Kortemeyer noch das Missverständnis, dass man damit 
Gleichungen vom Grad \(n\) lösen kann:


Mein Gott Walter.

Einen Unterschied zwischen HELM und Kortemeyer gibt es aber doch: Kortemeyer besteht darauf, dass \(i \ne \sqrt{-1}\) ist, denn dann wäre ja 
\[1 = \sqrt{1} = \sqrt{(-1)^2} = (\sqrt{-1})^2 = i^2 = -1.\]
Allerdings hat das nichts mit \(i = \sqrt{-1}\) zu tun, sondern mit der nur für reelle Zahlen gültigen Identität \(\sqrt{ab} = \sqrt{a} \cdot \sqrt{b}\) und der Tatsache, dass man im Komplexen die Wurzeln nicht eindeutig festlegen kann. Letzteres kann Kortemeyer natürlich schon: Zum einen rechnet er anstandslos mit Wurzeln aus negativen Zahlen beim Lösen quadratischer Gleichung mit der Lösungsformel, und zum andern gibt er in (4.11) die  "Moivresche" Formel 

Setzt man hier \(\phi = \pi\) ein, kommt justament \(\sqrt{-1} = i \) heraus.

Im Buch "Lineare Algebra und Geometrie" von W. Kimmerle, geschrieben für Ingenieure, Informatiker und Physiker im esten Semester, wird der Inhalt von Kortemeyers Werk auf sieben Seiten abgehandelt - vollkommen korrekt und einschließlich des Beweises der Additionstheoreme für Sinus und Cosinus. Mit deutlich mehr Tiefgang wird die Sache im Büchlein "komplexe zahlen" von Helmut Dittmann behandelt; der Autor kennt nicht nur den Fundamentalsatz der Algebra, er beweist ihn sogar - erschienen dieses Buch 1993 im BSV, dem Bayrischen Schulbuchverlag. Nimm das, Zeitgeist!

Zusammenfassend kann man feststellen, dass Kortemeyer gelernt hat, was man ihm auf der Schule beigebracht hat: 
  • Der Weg vom Laien zum Experten besteht aus 10 Minuten googeln.
  • Plagiate gibt es nur, wenn spätere Politiker eine Doktorarbeit schreiben.
Was das Plagiat angeht, muss man konstatieren, dass Kortemeyer immerhin weniger frech war als Mario  Gerwig mit seinem Buch "Der Satz des Pythagoras in 365 Beweisen". Mehr als 80 % seines Buches bestehen aus einer Übersetzung des Buchs "The Pythagorean Proposition" von Elisha Loomis, dessen Namen man auf dem Cover vergeblich sucht. 

Mittwoch, 28. Dezember 2022

Wie Kinder mathematisch denken lernen

Wer wissen will, wie Kinder mathematisch denken lernen, muss einen Fachmann fragen. Oder eine Fachfrau. Zum Glück gibt es da jemand: Sabine Czerny. Die hat man in Bayern strafversetzt, weil sie bei der Notengebung nur Einsen und Zweien benutzt hat. Oder, wenn man sie selbst fragt, weil ihre Schüler und Schülerinnen zu gut waren. Inzwischen plädiert sie für die Abschaffung der  Noten, weil das Leistungsprinzip unsere Kleinen psychisch versaut. Oder die Verkaufszahlen ihres Buchs nach oben treibt. Oder beides.

Jedenfalls darf Frau Czerny für das Deutsche Schulportal schreiben, das von der Robert-Bosch-Stiftung finanzierte Onlineportal. Dort erklärt sie uns den Unterschied zwischen 20 und 20. Ausgangspunkt ist die etwas, sagen wir, eigenwillige Korrektur einer ihrer Kolleginnen:


Nicht nur, so Frau Czerny, sei die Lehrerin im Recht. Vielmehr ist es unglaublich wichtig zu verstehen, warum \(5 \cdot 4\) etwas vollkommen anderes ist als \(4 \cdot 5\). Man muss nämlich zuerst die Hände zählen (4) und dann die Finger pro Hand (5) und dann \(4 \cdot 5 = 20\) rechnen. Wer dagegen erst die Finger zählt (5) und dann die Hände (4) und \(5 \cdot 4 = 20\) rechnet, aus dem wird nie ein Mathematiker. Frau Czerny muss es wissen. 
Erstaunlicherweise ist die Plusaufgabe richtig; wer 4 Daumen, 4 Zeigefinger, 4 Mittelfinger, 4 Ringfinger und 4 kleine Finger zählt und \(4 + 4 + 4 + 4 + 4 = 20\) rechnet - nun ja, Sie wissen schon . . .
"Denken heißt auch, zu wissen was man tut und erklären zu können, warum etwas so ist, wie es ist." Mir hat Frau Czerny jedenfalls nicht erklären können, warum das so ist, wie es ist. Daraus darf ich dann schließen, dass sie nicht denkt. 



Dienstag, 27. Dezember 2022

Das Kreuz mit den Umkehrfunktionen

 Wie ich bereits erwähnt habe, hat das KuMi BW die Abiturienten dieses Schuljahr mit Definitions- und Wertebereichen, sowie mit Umkehrfunktionen beglückt. Wie immer bei neuen Themen hat sich das IQB eine Falltür überlegt, die so wichtig ist, dass man ständig nach ihr gefragt wird. Beim Thema Umkehrfunktionen ist das die Tatsache, dass Schnittpunkte einer Funktion \(f\) mit der ersten Winkelhalbierenden auch auf dem Schaubild der Umkehrfunktion \(\overline{f}\) liegen.

Warum das so wichtig ist, weiß keiner: Im so viel gepriesenen realitätsnahen Mathematikunterricht werden Funktionen und ihre Umkehrfunktionen nie geschnitten, weil sie verschiedene Einheiten haben. Jedenfalls ist es für das Abitur wichtig, und das ist ja auch was.

Der LS jedenfalls betrachtet auf Seite 141 die Funktion \(f(x) = \sqrt{6-x}\) und fragt im Aufgabenteil c):

  • Berechnen Sie die Koordinaten des Schnittpunktes der Graphen von \(f\) und \(\overline{f}\).
Schüler bestimmen in der Regel die Umkehrfunktion  \(\overline{f}(x) = 6-x^2\) und schneiden dann, haben aber bei der Lösung der Gleichung \(\sqrt{6-x} = 6-x^2\) das Problem, dass nach dem Quadrieren \(6-x = (6-x^2)^2\) da steht, was mit den Hilfsmitteln, die ihnen heutzutage zur Verfügung stehen, nicht lösbar ist.
Die Idee der Autoren ist, die Funktion mit der Winkelhalbierenden zu schneiden: \(x = \sqrt{6-x}\) führt auf \(x_1 = -3\) und \(x_2 = 2\).  Weil \(x_1 = -3\) keine Lösung ist, bleibt als Schnittpunkt \(S(2|2)\).

Aufgabe gelöst! Oder doch nicht? Tun wir mal so, als wären wir vor 20 Jahren auf die Schule gegangen. Da hätte man die Gleichung \(6-x = (6-x^2)^2\) in \(g(x) = x^4  - 12x^2 + x+ 30 = 0\) verwandeln können, um dann nach ganzzahligen Lösungen unter den Teilern von \(30\) Ausschau zu halten. Findet man dann \(x_1 = -3\) und \(x_2 = 2\), kann man mit Polynomdivision faktorisieren:
\[ x^4  - 12x^2 + x+ 30 = (x+3)(x-2)(x^2 - x - 5). \]
Also bekommt man zwei weitere Lösungen, nämlich
\[x_3 = \frac{1-\sqrt{21}}2 \quad \text{und} \quad x_4 = \frac{1+\sqrt{21}}2 . \]
Hier ist \(x_4\) keine Lösung von \(\sqrt{6-x} = 6-x^2\), weil \(6-x_4^2\) negativ ist. Allerdings ist \(x_3\) eine Lösung, und \( (x_3,x_4) \) ein weiterer Schnittpunkt von \(f\) und \(\overline{f}\). Es gibt also zwei verschiedene Schnittpunkte. Oder doch nicht?





Tatsächlich ist der zweite Schnittpunkt ein Schnittpunkt der beiden algebraischen Kurven \(y=6-x^2\) und \(y^2 = 6-x\); diese beiden Kurven haben insgesamt vier Schnittpunkte. Funktion \(f\) und Umkehrfunktion \(\overline{f}\) schneiden sich dagegen nur in einem Punkt, weil die Umkehrfunktion von \(f\)  nicht  \(\overline{f}(x) = 6-x^2\) ist, sondern nur der Teil der Parabel rechts von der \(y\)-Achse; der Teil links von der \(y\)-Achse hat die Umkehrfunktion \(f_1(x) = - \sqrt{6-x}\).


Wie sieht es nun allgemein aus? Liegen alle Schnittpunkte von Funktion und Umkehrfunktion auf der ersten Winkelhalbierenden? Bei Funktionen wie \(f(x) = x\), \(f(x) = -x\) oder \(f(x) = \frac1x\), die ihre eigenen Umkehrfunktionen sind, liegen unendlich viele Schnittpunkte nicht auf \(y = x\). Im Falle von \(f(x) = -\frac1x\) haben \(f\) und \(\overline{f}\) unendlich viele Schnittpunkte, von denen kein einziger auf der Winkelhalbierenden \(y = x\) liegt. Ein weniger triviales Beispiel ist \(f(x) = -x^3\) und \(\overline{f}(x) = -\sqrt[3]{x}\); diese beiden Paare haben drei Schnittpunkte, nämlich \((-1|1)\), \((0|0)\) und \((1|-1)\). Wir dürfen also wieder mal eine Methode unterrichten, die manchmal funktioniert und manchmal nicht. 

Im Namen meines Abi-Jahrgangs jedenfalls ein ganz herzlicher Gruß an das KuMi BW für die großartige Idee, das Thema Umkehrfunktionen auf das Abitur draufzupacken, ohne uns zu sagen, wie viele dieser Fitzeleien für die Fragen aus dem IQB relevant sind oder ob es sich tatsächlich lohnt, dafür 8 Wochen zu verbraten, wenn die dazugehörige Frage am Ende nur 1 Verrechnungspunkt wert ist. 




















Montag, 26. Dezember 2022

DDD1 (Deutschland, deine Didaktiker)

Die Didaktik ist vielleicht die erfolgreichste Wissenschaft, die an deutschen Universitäten noch betrieben wird. Sie bekommt Finanzspritzen vom Bund, vom DFG, von den Ländern, und von den großen Digitalisten von Bertelsmann über die Telekom bis zu TI, und es gibt Professuren und Assistentenstellen noch und nöcher.

Wer wissen will, wie man an diese Futtertröge kommt und was man dazu können muss, könnte auf die Idee kommen, sich bei diesen Leuten mal umzusehen. Gesagt getan: Greifen wir uns also wahllos eine Vertreterin dieser Zunft heraus, etwa Prof. Dr. Karin Rolka von der Ruhr-Universität Bochum. Ihr Lebenslauf ist typisch für die heutigen Vertreter der Didaktik der Mathematik: Studium (in diesem Fall Mathematik und Französisch) bis zum ersten Staatsexamen, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Juniorprofessur, Professur. Schüler hat sie keine unterrichtet. 

"Wie kann sie dann gutes Lehren unterrichten?", mögen sich da manche fragen. Ein Denkfehler, wie Silja Rüedi, Prorektorin der PH Zürich, weiß: Wenn man von Schule, Schülern und dem Lehrerdasein keine Ahnung hat, dann bekommt man einen übergeordneten Blick. Vermutlich für das Wesentliche.

Was forscht man, wenn man nie unterrichtet hat? Nichts leichter als das. Man teilt Schülern oder Studenten Fragebogen aus und wertet sie aus. Im Artikel "Affective variables in the transition from school to university mathematics" beispielsweise untersucht Prof. Rolka zusammen mit Sebastian Geisler das Problem, dass von Studienanfängern in Mathematik 80% aufgeben oder das Fach wechseln (Stand 2012). Das ist in der Tat ein Problem. Zum Glück hat Deutschland Didaktiker und Didaktikerinnen, die solche Probleme untersuchen.  Prof. Dr. Karin Rolka hat das gemacht und herausgefunden, dass Studenten, die sich für das Fach interessieren, weniger oft aufgeben als solche, bei denen das nicht der Fall ist. Problem gelöst!

Eine ebenfalls von Frau Rolka untersuchte Frage ist, wie sich Hinz und Kunz (also Schüler) Wissenschaftler*innen vorstellen. Zusammen mit ihren Kolleginnen Ramona Hagenkötter, Valentina Nachtigall und Nikol Rummel hat sie herausgefunden, dass der Irrglaube, Wissenschaftler*innen trügen meist Brillen, unter  Schülern weit verbreitet ist. Witzig ist der Grund dafür; Weil die vermutlich viel lesen müssen! Heutige Schüler sind ja so was von gestern. Ebenfalls nett: Personen mit Bart werden verstärkt als mathematikaffin betrachtet. Was sind das für Personen, die Personen mit Bart? Bartende? Barttragende im selben (oder entgegengesetzten?) Sinne wie Menstruierende? Männer war früher - heute muss man schon aufpassen, was man sagt. 

A propos Nikol Rummel:  Die Seite der Uni Bochum weiß, dass Frau Prof. Dr. Nikol Rummel was kann:

             "Methodisch ist Nikol Rummel breit aufgestellt. So nutzt sie sowohl quantitative als auch qualitative Methoden".

Nein! Doch! Ohhhh! Auch Ramona Hagenkötter kann was, schließlich hat sie sich mit einer Bachelorettearbeit über Entwicklungspfade der Kreise in NRW vor und nach der Weltwirtschaftskrise 2008 und einer Masterarbeit über Zusammenhänge in Experimenten zum Thema Nachhaltigkeit entdecken in die Mathematikdidaktik hochgearbeitet. Und zu den Interessengebieten von Valentina Nachtigall gehören, wer hätte es gedacht, Schüler*innenvorstellungen über Wissenschaftler*innen.

Und weil Didaktiklehrstühle Kaderschmieden sind, sammelt auch Frau Rolka die Koryphäen des Gebiets. Wie zum Beispiel Nadine König.  Ich habe nichts gegen Nadine König. Oder gegen Frau Rolka. Ich habe etwas gegen das System, das diese Leute da hinspült, wo sie jetzt sind, und sie in den Augen unserer Lügenpresse Dschornalisten (als ich noch jung war, hat man das so ausgesprochen, dass die französische Herkunft des Wortes noch hörbar war; inzwischen ist es angliziert) zu Experten in Sachen Bildung macht. Lebenslauf Nadine König? Biddeschön:

  • Bachelor of Arts in Mathematik und Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum (Thema der Bachelorarbeit: Können Maschinen denken? Das Argument des chinesischen Zimmers gegen  den Funktionalismus)
  • Master of Education in Mathematik und Philosophie (mit Bildungswissenschaften) an der  Ruhr-Universität Bochum (Thema der Masterarbeit: Die moralische Relevanz von Freundschaft didaktisch aufbereitet am Beispiel von Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz")

Das hat noch nicht einmal ansatzweise etwas mit Mathematik zu tun. Keine Ahnung von Schülern, keine Ahnung von Mathematik: Qualifiziert!

Die Frage, die sich aufdrängt, ist die: Was verliert Deutschland auf wissenschaftlichem Gebiet, wenn es die Didaktik aufgibt?


Sonntag, 25. Dezember 2022

Alle Jahre wieder . . . kommt der LS

Durch die Einführung des Leistungsfach in BW war klar, dass die Verlage wieder einmal neue Bücher herausbringen dürfen. Mit etwas Verspätung - die Sache mit den Leistungskursen kam etwas plötzlich und ganz unvorhergesehen - haben wir jetzt auch ein Buch für das Leistungsfach Mathematik. Es besticht, wie wir das von Lambacher-Schweizer kennen, durch klare Definitionen und verständliche Beweise.

Auf der zweiten Seite von Kapitel 1 (S. 11) wird der maximale Definitionsbereich erklärt:

  • Die maximale Definitionsmenge einer Funktion \(f\) umfasst alle Zahlen \(x\), für die man \(f(x)\) berechnen kann.
Hängt die Definitionsmenge dann vom Benutzer ab? Manche können ja 18:3 berechnen, andere nicht. Ist  \(\sqrt{2}\) oder \(\pi\) Teil der Definitionsmenge? Was heißt berechnen können?

Definitionsbereiche und Umkehrfunktionen sind ja das Geschenk des Kultusministeriums an den diesjährigen Corona-Jahrgang. Während Bayern den Themenumfang abgespeckt hat (kein Hypothesentest!), bekamen die Schüler in BW den Stoff von 6 Wochen obendrauf, nämlich alles, was mit Mengenschreibweisen, Definitions- und Wertebereichen samt Umkehrfunktionen usw. zu tun hat.

Und wie es der Teufel will, hat der LS gleich die allererste Aufgabe im Buch versaut: Man soll zu einer Funktion die maximalen Definitionsbereiche von \(f\) und \(f'\) angeben. Dazu sollte man vielleicht doch wissen, was damit gemeint sein könnte. Ist nämlich \(f(x) = \ln(x)\), dann ist klar, dass der Definitionsbereich von \(f\) gleich der Menge \(\mathbb R^+\) der positiven reellen Zahlen ist. Was aber ist der maximale Definitionsbereich der Ableitung \(f'(x) = \frac1x\) ? Vielleicht \(\mathbb R \setminus \{0\}\) ? Dann wäre die Ableitung an Stellen definiert, wo es gar keine Funktion gibt. 

Mir ist die Antwort ziemlich wurscht. Aber man könnte sich bei abiturrelevanten Fragen ja irgendwie vorher drauf einigen, was man macht.

Samstag, 24. Dezember 2022

Mathematik down under

 In Australien haben Sie noch Angebote an Gymnasiasten, von denen wir in Deutschland nur träumen können, etwa den VCE specialist-Zweig, in dem komplexe Zahlen, Differentialgleichungen, Integrationstechniken und auch Beweise behandelt werden. Für Letzteres gibt es jetzt Anweisungen für Lehrer, damit die das auch richtig machen. Und da hört der Unterschied zu Deutschland dann auch auf: Hier wie dort sitzen an den entscheidenden Stellen Idioten.

Und es ist nicht so, dass man das nicht beweisen könnte. Im obigen Pamphlet geht es um Beweise durch Widerspruch. Und die führt man so:

  • Assume that the given statement is false – write a statement which contradicts the statement which is to be proven.
  • Nimm an, dass die gegebene Aussage falsch ist - schreibe eine Aussage, welche der zu beweisende Aussage widerspricht.
Das ist Unsinn. 1 = 2 ist eine Aussage, die jeder zu beweisenden Aussage widerspricht, und das hinzuschreiben hilft nie. Was man hinschreiben sollte ist das Gegenteil der zu beweisenden Aussage. 

  • Prove that the written (contradictory) statement is false.
  • Zeige, dass die aufgeschrieben Aussage falsch ist.
Ist, wie gesagt, geschenkt.
  • We can then conclude that if the contradictory statement is false, the original statement has been proven to be true.
  • Wir können dann folgern, dass wenn die widersprüchliche Aussage falsch ist, die ursprüngliche Aussage als richtig bewiesen ist.
Eben nicht. In Teaching Example 1 kommt ein Beispiel: Man soll zeigen, dass \(n^3+1\) gerade ist, wenn \(n\) ungerade ist. Das ist, gelinde gesagt, ein bescheuertes Beispiel, weil man dazu keinen Beweis durch Widerspruch braucht: Mit \(n\) ist auch \(n^3\) ungerade und folglich \(n^3+1\) gerade. Was erstaunlich ist, ist dass der Vorzeigebeweis gar kein Beweis durch Widerspruch ist. Vielmehr geht der Beweis so: Man zeigt, dass \(n^3+1\) gerade ist und vollendet den Beweis dann dadurch, dass man annimmt, \(n^3+1\) sei ungerade, was der Annahme aber widerspricht.

Noch großartiger ist der Beweis, dass \(\log_e(5)\) irrational ist. Die Aussage selbst ist richtig und beruht auf der Tatsache, dass \(e\) transzendent ist. Dass \(\log_{10}(5)\) irrational ist stimmt auch, und kann sogar elementar bewiesen werden: aus \(log_{10}(5) = \frac pq\) folgt ja \(10^p = 5^q\), und weil die rechte Seite ungerade ist, muss \(p = 0\) sein, was aber Unsinn ist. 

Die australischen Mathematikexperten schlagen für den Beweis der Irrationalität von  \(\log_e(5)\)  folgende Methode vor: Aus   \(\log_e(5) = \frac ab\) folgt \(e^a = 5^b\);  
  • The right side is divisible by 5, the left side is not which is a contradiction.
  • Die rechte Seite ist durch \(5\) teilbar, die linke Seite nicht, was ein Widerspruch ist.
Wer so etwas schreibt, kann ja nicht einmal den Beweis der Irrationalität von \(\sqrt{2}\) verstanden haben. Das Peter-Prinzip in Reinform.

Freitag, 23. Dezember 2022

Wir können alles . . .

 . . . außer Deutsch. Nun ja - vielleicht ein klein bisserl übertrieben. Richtig dagegen ist, dass wir im Süden kein Deutsch können. Weder auf der Grundschule, noch danach. Den Beweis liefert das Landesmedienzentrum BW:

Online-Barcamp für Schüler-Medienmentorinnen und -mentoren (SMEP)

Am 24. November findet der nächste SMEP-Tag als Online-Barcamp statt. Unter dem Titel „Netz- und Gamekultur zwischen Fun, Fame und Fake“ beschäftigen sich Smepper und SMEP-Begleitungen u.a. mit dem Lernen mit Games, Körperidealen in Social Media und guter Peer-to-Peer-Beratung. Spieleprogrammiererin Kathrin Radtke (Spellgarden Games) gibt außerdem Einblicke in die Produktion von Games. Anti-Mobbing-Aktivist Hannes Dezulian spricht über seine Mobbingerfahrungen und sammelt mit den Smeppern Tipps zum Umgang mit (Cyber-)Mobbing.

Zwischen 11:45 Uhr und 12:15 Uhr haben die Smepper darüber hinaus die Möglichkeit, selbst eine Session zu gestalten – hier ist alles erlaubt: jedes Thema, jedes Format. Sie kennen eine Schule, deren Smepper einen Workshop, Vortrag oder eine Projektvorstellung umsetzen könnten? – Spread the word! Fragen beantwortet gern Kathrin Müller (LMZ).

Wenn von denen jemand über seine (oder ihre) Erfahrungen mit der deutschen Sprache sprechen müsste, herrschte Schweigen im Walde. Aber das ganz große. Weniger Schweigen im Walde bei genauso großen Deutschkenntnissen gibt es bei QuaMath: Die suchen nämlich Multiplizierende. Ich war versucht, meinen Taschenrechner vorzuschlagen.

Aber immerhin lernen die Smepper im Barcamp des LMZ, Spiele zu programmieren, und zwar von einer Meisterin ihres Fachs: Kathrin Radtke. Die programmiert bei spellgarden games Spiele, die visuell an die Anfänge der Games in den 1980ern erinnern (Figuren, die aus ca. 20 Pixeln bestehen) und inhaltlich zwischen Ponyhof und Esoterik herumschweben. Und die haben sogar einen Preis gewonnen. Auch Programmiererinnen können Deutsch: Frau Radtke ist ihren eigenen Angaben zufolge (auf der Seite speakerinnen.org) seit November 2020 "Creatorin für den Youtube-Kanal So Many Tabs". Die Speakerin ist also Creatorin. Und dass Thesen dazu da sind, an Kirchentüren geschlagen zu werden, stimmt auch nicht mehr: Nachdem aus der Geschichte immer öfter eine Historie wird (vermutlich, damit sich manche daran aufgeilen können, stattdessen Herstorie zu sagen), heißen Abschlussarbeiten inzwischen schon Thesen

Dass  Kathrin Müller (LMZ) gern Fragen beantwortet, stimmt übrigens nicht. Meine Frage, ob sie im LMZ einfach kein Deutsch können oder die deutsche Sprache absichtlich so verhunzen, hat sie mir bis heute nicht beantwortet. 

Donnerstag, 22. Dezember 2022

Lernexperte Jürgen Möller

 Der Kölner Stadtanzeiger interviewt "Lernexperte" Jürgen Möller, der sich als "Bildungsaktivist" versteht. Im Interview lobt er digitales Lernen. Wenn man die Hausaufgabe der Redakteuse macht, lernt man auch schnell, warum: Weil der Herr Möller ein Programm "Lernen lernen" aufgezogen hat, das für 1400 Euro im Jahr die Kinder digital beschult. So wird man schnell zum Fan von flipped classroom.

Der Artikel:



Mittwoch, 21. Dezember 2022

Eingangstests

 An der Uni Paderborn lässt man Studienanfänger seit einigen Jahren vor Beginn des Studiums eine Eignungsprüfung schreiben:

Die Eignungsprüfungen in den allgemeinbildenden Fächern Deutsch,  Englisch und Mathematik müssen von Studienbewerbern, die keine allgemeine  Hochschulreife erworben haben und keine beruflich qualifizierte Bewerber gem. Berufsbildungshochschulzugangsordnung sind, abgelegt werden, um zum  Studium an der Universität Paderborn zugelassen zu werden. 

Gedacht sind diese Prüfungen also für Schüler, welche nach Klasse 11 vom Gymnasium abgegangen sind und (zumindest in BW) ganz ohne jegliche Abschlussprüfung eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben.

Dass die Studienanfänger immer schlechter werden, ist eine Sache. Eine ganz andere ist, dass die Eignungsprüfungen mathematisch so miserabel sind, dass man sich in Grund und Boden schämen müsste.  Ich will im Folgenden die offensichtlichsten Schwächen der Eignungsprüfung Mathematik (Klausur 1 im Sommersemester 2021) an der Universität Paderborn aufzeigen.

Zu erwähnen ist hierbei, dass die Didaktiker in Paderborn mit Berufung auf das Urheberrecht ein Video von Bernhard Krötz auf youtube haben sperren lassen, in dem es um eine solche Klausur ging. Das ist insofern rechtlich nicht in Ordnung, weil das Urheberrecht nicht greift, wenn man keine intellektuelle Leistung erbracht hat. 



  •  (2 Punkte)  Geben Sie drei irrationale Zahlen an.
  Gerne: \(\sqrt{2}\),   \(\sqrt{2}\) und  \(\sqrt{2}\).  Drei verschiedene gefällig?  \(\sqrt{2}\),   \(2\sqrt{2}\) und  \(3\sqrt{2}\) .

 Eine sinnlose Frage, wenn der Student nicht weiß, wie er diese Behauptung beweisen kann. Offenbar geht es nicht um Verständnis, sondern um die Kenntnis von Fakten, die man nicht versteht. Eine sehr gute Vorbereitung auf ein MINT-Studium.

 Was ich mich auch frage: Wie viele Punkte gibt es für (e^\pi\)?  Oder für \(\sqrt{2}^{\sqrt{2}}\)?  
  •  (1 Punkt) Drücken Sie die Menge aller reellen Zahlen ohne  \(-3\) und \(7\) in der Mengenschreibweise aus.
 Da muss man schon zwei Mal lesen, um zu verstehen, dass es um die Menge der reellen Zahlen ohne  \(-3\) und \(7\) geht und nicht darum, die Menge der reellen Zahlen in der Mengenschreibweise darzustellen, ohne  \(-3\) und \(7\) zu benutzen. Über den Sinn der Übung mögen sich andere streiten.
  • (2 Punkte) Geben Sie den Definitionsbereich und Wertebereich der natürlichen Exponential- sowie Logarithmusfunktion an.
 Was für ein Blödsinn. Natürlich weiß ich, was gemeint ist: Man soll die maximale Teilmenge von \(\mathbb R\) angeben, auf denen \(f(x) = e^x\)  und \(g(x) = \ln x\) definiert sind (also den maximalen Definitionsbereich, wie man ihn von der Schule her vielleicht kennt) und die dazugehörigen Wertebereiche. Trotzdem sollte der  Aufgabensteller wissen, wonach er fragt; die Exponentialfunktion lebt ja auch auf \(\mathbb C\) und sogar auf Matrizen \ldots; wäre es da nicht besser zu fragen, auf welches der maximale reelle Definitionsbereich einer Funktion wie \(\frac{x}{x-1}\) ist?

 Auch hier fragt man sich, wie viele Studenten, die den Wertebereich von  \(g(x) = \ln x\) kennen, auch begründen können, warum das so ist.  Vermutlich niemand.  Aber man kann ja mal danach fragen.
  • (1 Punkt) Beschreiben Sie eine Faustregel, wie man visuell die Stetigkeit einer Funktion überprüfen kann.
Die Stetigkeit einer Funktion kann man visuell nicht überprüfen. Den Blödsinn mit zeichnen, ohne abzusetzen kann man schon bei Funktionen wie \(f(x) = \frac1x\) und allgemein bei allen Funktionen, die auf den natürlichen Zahlen definiert sind, vergessen.

 Es ist mir ein Rätsel, warum man hier nach Dingen fragt, die auf der  Schule gar nicht mehr thematisiert, geschweige denn definiert werden.
  • (2 Punkte) Die Ableitung einer Funktion \(f\) an der Stelle \(x_0\) definiert man als die _________  der ____________ im Punkt \((x_0; f(x_0))\) des Graphen von \(f\).
Großer Gott. Das sieht jetzt so aus, als wollten die hören, dass die Ableitung einer Funktion als die Steigung der Tangente an deren Schaubild definiert ist. Kann man natürlich machen, wenn man die Tangente an  das Schaubild einer Funktion anders als über die Ableitung definiert. Wie viele Schüler haben so eine Definition gesehen, und in wie vielen  Schulbüchern wird das so gemacht? Und wie viele Didaktiker in Paderborn wissen, wie das geht?
  • (1 Punkt) Was bedeutet lineare Unabhängigkeit bei 2 Vektoren?
 Es bedeutet bekanntlich, dass die Gleichung \(r \vec{a} + s \vec{b} = \vec{0}\) nur die Lösung \(r = s = 0\) hat. Aber vermutlich ist das nicht, was die Leute gerne gehört hätten.
  • (1 Punkt) Was bedeutet, dass eine Funktion monoton steigend bzw. monoton fallend ist.
 Da fehlt entweder der Hauptsatz oder ein Fragezeichen am Ende, und  eigentlich auch noch ein Subjekt wie ``es'' nach ``bedeutet'', aber das ist noch das Wenigste. Auch hier gehe ich jede Wette ein, dass  die erwartete Antwort nichts mit \(x < y \implies f(x) < f(y)\) oder  dergleichen zu tun hat, sondern irgendwas mit positiver oder negativer  Ableitung. Was wieder Blödsinn ist, weil die Funktion weder auf einem  Intervall definiert oder differenzierbar zu sein braucht, wenn man das  nicht explizit fordert. Und selbst wenn die Funktion auf einem Intervall  definiert ist, ist die Frage, wie Monotonie mit der Ableitung zusammenhängt,  eine sehr schwierige. 
  •  (1 Punkt) Besitzt jede lineare Funktion eine Nullstelle? Begründen Sie.
 Noch so eine Fangfrage. Ist die Funktion \(f(x) = x\) mit Definitionsbereich \(\mathbb D = [1, 2]\) linear? Oder wollen sie darauf hinaus, dass man auf der  Schule \(y = 1\) eine lineare Funktion nennt? Man weiß es nicht.

 A propos ``Begründen Sie'': Wenn das eine Aufforderung sein soll, fehlt ein Ausrufezeichen. Und ``Begründen Sie'' was? Anständiges Deutsch sollte an Universitäten kein überflüssiger Luxus sein, den
  man sich manchmal gönnt und manchmal nicht.
  • (2 Punkte) Visualisieren Sie zeichnerisch, was man unter der Dreiecksungleichung versteht.
 Vermutlich meinen sie die Dreiecksungleichung der elementaren Geometrie und nicht etwa die Ungleichung \(|x+y| \le |x| + |y|\) für reelle Zahlen. Im ersten Falle ist die Sache banal. Und dass man etwas zeichnerisch visualisieren soll ist nicht weiter überraschend, weil das rechnerisch zu visualisieren vielleicht etwas schwierig ist.
  •   (4 Punkte) Denken Sie an eine 2-mal differenzierbare Funktion \(f: {\mathbb R} \longrightarrow {\mathbb R}\). Skizzieren Sie jeweils \(f(x)\), \(f'(x)\) und \(f''(x)\).
 Warum sollte ich an eine 2-mal differenzierbare Funktion denken? Vermutlich soll ich sie auch im Kopf behalten, damit ich weiß, was ich bei der Aufgabe skizzieren soll. Eine schräge Formulierung . . .
  
Die schulischen Korinthenkacker geben sich alle Mühe, zwischen Funktionen \(f\), Funktionstermen \(f(x)\) und dem Schaubild einer Funktion \(f\) zu unterscheiden; schön, dass man das an Universitäten nicht mehr so eng sieht.
  
Skizzieren ist natürlich leicht, insbesondere wenn man an die Funktion \(f(x) = 0\) gedacht hat. Dafür hat man 4 Punkte verdient.
  • 2.c) \(h(x) = (x-3)(x+1)\frac12 x\)
Es gibt viele Möglichkeiten, Funktionsterme aufzuschreiben, aber \(h(x) = (x-3)(x+1)\frac12 x\) ist eine, die ich einem Mathematiker nicht zutrauen würde. Man schreibt ja, aus guten Gründen, auch nicht \(y = x2\).
  •  3.a) (4 Punkte) Formen Sie die folgende Gleichung nach \(x\) um und bestimmen Sie, für welches \(x \in \mathbb R\) die folgende Gleichung gilt:  \[ \frac{\sqrt[3]{(x+3^2)^3}}{6} + \frac{\sqrt{243}}{\frac{\sqrt{3}}2} = e^0. \]
 Da hätte mich interessiert, wie viele das hinbekommen haben. Bis ich  festgestellt habe, dass die Studenten bei dieser Klausur einen Taschenrechner benutzen dürfen, weil weiter unten ein Winkel mit Hilfe trigonometrischer Funktionen zu bestimmen ist. Mit TR ist diese lineare Gleichung (!) aber banal.
  • (3 Punkte) Bestimmen Sie \(x \in \mathbb R\) mittels quadratischer Ergänzung und geben Sie den Scheitelpunkt an: \( x^2 + 2x - 8 = 0.\)
  Gleichungen haben keinen Scheitelpunkt.
  • (3 Punkte) Bestimmen Sie den Flächeninhalt, den folgende Funktion mit der \(x\)-Achse im Intervall \([-2, 3]\) einschließt:
Funktionen schließen keinen Flächeninhalt mit der \(x\)-Achse ein. Die Schaubilder schließen eine Fläche ein (jedenfalls wenn die Funktion anständig ist), und diese Fläche hat womöglich einen Inhalt. Bei c) nochmal dieselbe Schlamperei.
  •  (3 Punkte) Geben Sie die fehlenden Werte in der Tabelle an:

\( F(x) \) \( e^{-2x} \) \( \ln(7x) \) \( \sin^2(x)\)
\(f(x)\)

Schön wäre es, wenn man wüsste, dass \(F\) eine Stammfunktion von \(f\) ist und man daher ableiten soll. Es sind also keine Funktionswerte (und  schon gar keine Werte) gesucht, sondern Funktionsterme.
  • (2 Punkte) Stellen Sie die Gleichung der Geraden \(g\) auf, die durch die Punkte \(A(2;1;4)\) und \(B(-\) 
     \(2;3;-4)\) geht.
Korrekturlesen hätte eine Trennung nach dem Vorzeichen von \(-2\) vielleicht verhindert. Vielleicht aber auch nicht. Und es gibt viele mögliche  Gleichungen der Geraden; es hätte also ``eine Gleichung'' heißen sollen.
  • Die Größe der Bakterienkolonie Beta kann durch folgende Funktion \(\beta: \mathbb R \longrightarrow  \mathbb R\) mit        \[ \beta(t) = 800 \cdot \Big(1 + \frac{20}{100}\Big)^t \]
         beschrieben werden, wobei \(t\) in Tagen seit Beginn der Untersuchung des Teiches.

Heutzutage Sätze keine Verben mehr. In welcher Einheit die Größe gemessen wird, steht auch nicht da, dafür wird danach gefragt:
  •  (3 Punkte)  Beschreiben Sie, wofür die Parameter \(800\), \(1\) und \(\frac{20}{100}\) in der Gleichung \(\beta\) stehen.
Zum einen ist \(\beta\) keine Gleichung, sondern eine Funktion. Zweitens  bin auch ich überfragt, wenn ich beschreiben soll, wofür der Parameter \(1\) hier steht. Außer wenn die Antwort ``Der Parameter \(1\) steht für  die \(1\)'' die richtige sein sollte.
  •  (5 Punkte) Bestimmen Sie den Zeitraum in dem sich die Größe von Kolonie Alpha verdoppelt hat.
Zuerst einmal fehlt da ein Komma. Dann sollte der Zeitraum, damit man den bestimmten Artikel benutzen kann, einen Anfangspunkt haben, weil es sonst ``ein'' Zeitraum ist. Am besten fragt man gleich nach der Zeit, in welcher sich die Größe verdoppelt. Und 5 Punkte für die Lösung der Gleichung \(1,6^t = 2\) zu vergeben ist nett.
  •  Ein Flugzeug landet am Flughafen in Tokio. Zur Zeit \(t = 0\) ist es im Punkt \(P(5000|-3000|600)\). Man simuliert die Flugbahn durch  eine Gerade \( \vec x  = \bigl(\begin{smallmatrix} 5000 \\ -3000 \\ 600 \end{smallmatrix} \bigr) + r  \bigl(\begin{smallmatrix} 60 \\ 60 \\ -30 \end{smallmatrix} \bigr)\) }  (\(r > 0\) in Sekunden, alle Angaben in Metern).
Simulanten, wo man hinguckt. Gemeint ist natürlich modelliert.

Die Zeit \(t\) hat in der Gleichung von \(g\) die Bezeichnung \(r\);  kann man machen, wenn Verwirrung das Ziel ist. Dass die \(x_3\)-Koordinate die Höhe über dem Boden ist, muss man ja auch erraten. Und was die Einheiten angeht, sind die Angaben im Richtungsvektor nicht in Metern, sondern in Meter pro Sekunde angegeben. 
  
Das Flugzeug, dessen Bahn hier simuliert wird, setzt mit \(30\) m/s Vertikalgeschwindigkeit auf und muss 5 Sekunden vor der Landung ein 200 m hohes Hochhaus überfliegen (auf Wikipedia kann man ein Bild des Flughafens von Tokio sehen - so wie es aussieht muss man schließen, dass die Japaner Hochhäuser auf dem Wasser bauen können; Teufelskerle!). Wer rechnen kann: das Flugzeug fällt mit \(108\) km/h auf die Landebahn. Böse Menschen würden bedauern, dass es nicht mit Didaktikern besetzt war.




Inhaltlich war da fast nichts dabei, was ein guter Schüler nach Klasse 10 nicht hinbekommen sollte. Zum Bestehen braucht man jedenfalls deutlich weniger als ein Abitur: Da kann man aus G8 noch G7 oder gar G6 machen, bevor die Luft zum Studieren in Paderborn zu dünn wird. Wobei das an anderen deutschen Universitäten inzwischen wohl ähnlich aussehen dürfte: Man nimmt, was man kriegen kann.

Dienstag, 20. Dezember 2022

Äch bin wieder da

Die Vorstellung, man könne den Absturz des deutschen Bildungswesens bremsen oder gar aufhalten finde ich heute so absurd wie vor 5 Monaten. Kann man vergessen. Grundschulen und Gymnasien sind bereits ruiniert (und werden von den digitalen Heilsversprechern beiderlei Geschlechts (und Hermaphroditen)  weiter in den Abgrund getrieben), und was in zwischen an Universitäten los ist (sowohl auf studentischer als auch auf professoraler Seite) spottet jeder Beschreibung.

Ich habe mich aber dazu durchgerungen, hin und wieder zu aufzuschreiben, was ich da an mir vorbeiziehen sehe. Und ich habe mir vorgenommen, dabei mindestens ebenso politisch korrekt zu sein wie Walter Moers in seinen Comics.

Ansonsten begnüge ich mich für heute mit einem Hinweis auf einen Artikel von Marty Ross, einem australischen Leidensgenossen (hier als pdf zum Weitergeben).


Freitag, 15. Juli 2022

S'isch over

 Ich hatte im Dezember schon was zur Strahlensatzkatastrophe im Lambacher-Schweizer (BW) geschrieben; ich hab jetzt mal spaßeshalber nachgesehen, wie das 2004 gehandhabt worden ist. Da haben die Autoren einen Teil des Beweises von den Bayern übernommen (Barth et al - so gut waren Schulbücher in Mathematik davor nicht und werden es künftig nie wieder sein); da hat man den Strahlensatz für einen rationalen Faktor mittels Parkettierung und den Kongruenzsätzen bewiesen und dann per Stetigkeit auf alle reellen Streckfaktoren erweitert. Die Autoren in BW haben sich gedacht, dass sie die Geradentreue bei der zentrischen Streckung genau so beweisen wollen, haben dann aber statt der Kongruenzsätze  den Strahlensatz benutzt - den kennen sie ja. Und danach haben sie den Strahlensatz mit Hilfe der zentrischen Streckung bewiesen. Ein veritabler Zirkelschluss, der beweist, dass der Strahlensatz im Lambacher-Schweizer in diesem Jahrtausend noch nicht korrekt bewiesen worden ist.

Ich hab mich dann gefragt, wie das die Didaktiker in der Lehrerausbildung handhaben, Die einen lassen den Beweis der Geradentreue weg, weil er zu "aufwändig" sei, die andern gehen ohne Begründung nicht auf den Beweis ein. Und wenn der Strahlensatz mal aus Versehen bewiesen wird, dann nicht mit den Mitteln, die einem in der 9. Klasse  zur Verfügung stehen. Das ist einigermaßen erstaunlich, weil Didaktiker in Österreich und der Schweiz den Strahlensatz beweisen können. In Frankreich können das sogar die Schulbuchautoren. 

Was soll man dazu noch sagen? Ich habe jetzt fertig. Ich kapituliere. Es ist mir künftig wurscht, was Didaktiker  und Bildungsforscher von sich geben. Man kann gegen diese Leute nicht anstinken. Ich nicht, und andere auch nicht. Dass die OECD- und PISA-Hörigen das Bildungssystem ruiniert haben, weil sie es an das amerikanische System anpassen wollten und einer Akademikerrate von 50 % hinterhergerannt sind, beginnt sich jetzt zu rächen. Schreinereien schließen, weil sie keinen  Schreiner mehr finden, Flüge fallen aus, weil Personal fehlt, Wirtschaften öffnen nicht, weil keiner mehr bedienen will, und wer Handwerker haben will, braucht Geduld. Viel Geduld.

Immerhin steht heute in der Tageszeitung ein Bild der "Absolventinnen und Absolventen der Technikerschule aus dem Bereich Mechatronik". Eine Absolventin sucht man auf dem Foto allerdings vergeblich. 

Dann gibt es noch die woke-Faschisten, die überall und immer ihr Unwesen treiben. Die einem das Tragen von Rasta-Locken verbieten, weil es rassistisch ist (Fridays for Future), die schon mal etymologische Lügen erzählen, um zu erklären, warum der Begriff Mohr rassistisch sein soll und die, wenn sie wüssten, was Blues ist, vermutlich auch Clapton verbieten würden, Robert Johnson zu spielen. Aber bisher sind sie nur bis Gwen Stefani gekommen. Ich bin mal gespannt, wie viele Jahre wir noch haben, bevor sie anfangen, CDs zu verbrennen. Bücher sind diesmal sicher - die wissen vermutlich gar nicht, was ein Buch ist. Marta Kauffmann, Schöpferin der sitcom Friends, hat sich genötigt gesehen, ihrer Alma Mater 4 Mio Dollar zu spenden, weil bei Friends (das lief zwischen 1994 und 2004) kaum Schwarze, Schwule oder Transen mitgespielt haben. Immerhin sind die Macher der jüngsten Tatortfolgen sicher. Die kann man sich vor lauter politischer Korrektheit aber nicht mehr ansehen.

"Ich sitze nur da und sehe zu, wie die ganze Scheiße vorbeizieht", hat mein Namenskollege Lemmy Kilmister gesagt. So mache ich das ab jetzt auch. 

In diesem Sinne: Fare thee well.

Dienstag, 31. Mai 2022

Kletteradatsch

 Kladderadatsch, so weiß es das Internet, ist "lautmalend für das Krachen und Klirren, das zu hören ist, wenn etwas Festes, Hartes [zu Boden] fällt". Kletteradatsch möchte ich ab jetzt für das Geräusch verwenden, das entsteht, wenn ein Schulbuchverlag wie Klett zu Boden fällt und zerspringt. Hier schwingt ein wenig Hoffnung mit: gefallen ist er schon, auf das Zerspringen warte ich noch.

Heute geht es um das Arbeitsbuch Stochastik für die Kursstufe, das Klett eigentlich für  16,50 Euro verkaufen möchte, andererseits (vermutlich aus Doofheit, aber ich mag mich täuschen) auf ihrer Webseite zum Herunterladen anbietet: das Arbeitsbuch samt Lösungen. Verantwortlich für den Inhalt sind Felix Fähnrich, Dieter Markert und Carsten Thein. Fähnrich und Thein sind Mathe-Botschafter der unsäglichen Stiftung Rechnen, werben dort für Unterricht via flipped classroom und stellen sich so vor:

Wir sind beide seit nun 4 Jahren Lehrer für die Fächer Mathematik und Physik im Gymnasium. Mittlerweile unterrichten wir aber auch noch NWT, Theater, Informatik und das Präsentationstraining der Schule. Dafür mussten wir uns immer wieder neues Wissen aneignen

So ist das, wenn man nicht über die Gnade der frühen Geburt verfügt. Heutzutage muss man lebenslang lernen, früher hatte man mit dem Abitur den Zenit des Wissens erreicht. Und wie lernen die beiden?

 Oft benutzen wir dazu Erklärvideos, die uns einen Sachverhalt besser erklären konnten als dies ein Buch geschafft hätte.

Es ist schon richtig, dass man bei einem Buch lange darauf warten muss, bis es anfängt, sich selbst vorzulesen. Aber wer braucht Lehrer, die ihr Wissen aus Erklärvideos haben und zu doof zum Lesen sind? Dann lasst die Schüler doch gleich youtube gucken.

Warum ich so gereizt bin? Eigentlich sollte ich das gelassener nehmen, denn dass Klett einen Haufen Müll produziert, ist ja nicht mehr so neu. Aber das Arbeitsbuch Stochastik für die Oberstufe (mit Erklärvideos für die Leidensgenossen der beiden Autoren) hat schon was.

Das geht schon mit der Wiederholung der Bruchrechnung los. Wiederholung der Bruchrechnung, liebe Junglehrer, ist sehr wichtig. In Klasse 7, Klasse 8, Klasse 9 und Klasse 10. Aber gehören solche Aufgaben in ein Buch für die gymnasiale Oberstufe?

Ich behaupte mal frech, dass diejenigen, die es bis dahin nicht verstanden haben, das auch als Lehrer nicht mehr lernen. Wie sonst erklärt man sich die folgende Aufgabe?
Zum Glück wird erklärt, wie das geht:


In jeder 9. Klasse beginne ich damit, meinen Schülerinnen beizubringen, dass 1/3 nicht dasselbe ist wie 0,33 und schon gar nicht dasselbe wie 0,3. Und dann geht es um sinnvolles Runden wie etwa \(\frac13 \approx 0,33\). 

Natürlich braucht man Bruchrechnung in der Stochastik; ebenfalls braucht man Zufallsvariablen oder, wie das Arbeitsbuch sie nennt, Zufallsgrößen:


Eine exakte Zeichensprache in der Mathematik ist wichtig: noch wichtiger ist, dass man sie auch versteht. Wenn \(X = \{1; 2; 3\}\) ist, was zum Henker bedeutet dann \(P(X=1)\)? Wenn man einsetzt, steht da erstmal \(P(\{1; 2; 3\} = 1)\). Was soll das sein?

Nachdem das mit den Zufallsgrößen geklärt ist, geht es zum Erwartungswert und zu fairen Spielen. Das ist ganz einfach:

Der Erwartungswert eines Spiels? Da haben die Erklärvideos ganze Arbeit geleistet. Gemeint ist natürlich der Erwartungswert des Gewinns bei einem Glücksspiel. Wenn man schon alles weiß, was man lernen soll, ist das ein wunderbares Arbeitsbuch.


Wenn X eine Menge ist, wie kann dann \(X \le E(X)\) sein? Was soll man aus diesem Arbeitsbuch lernen? Wie es nicht geht? 


Zusatzfrage: Benennen Sie das Zufallsexperiment. Entweder ist es die Klausur selbst, oder es ist die Notengebung des Lehrers. Nichts genaues weiß man nicht.

Manchmal muss man allerdings wissen, was die Autoren meinen, wenn sie eine Aufgabe stellen. Das ist oft leichter gesagt als getan:

Die Anzahl der Münzen ist der Gewinn. Türkische Eltern regen sich über "Murat und Aische gehen dursch Wald" auf, dabei ist das besseres Deutsch als das Kauderwelsch da oben. Ich vermute, dass man für zwei Mal Zahl eben 2 Euro bekommt. Schön wäre es im Sinne der Kompetenz des mathematischen Kommunizierens, wenn das auch dastünde. 
Hier muss man die Aufgabe bis ganz zum Schluss rechnen um herauszufinden, ob es um ein Ziehen mit oder ohne Zurücklegen geht. Kann passieren.

Mathe ist überall. Nur nicht im Klett Arbeitsbuch. Bei a) ist mir klar, was gemeint ist; bei b) nicht. Gehen die fünf Freunde 10 Mal durch den Zoll, und immer werden zwei der fünf kontrolliert? Wer ist doofer, die fünf Freunde oder die Zollbeamten? Und was meinen die Junglehrer mit "unerkannt durchkommen"? Ich will es gar nicht mehr wissen.

Die Antwort von a) hängt davon ab, wo ich sie kaufe, und wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie defekt sind. Vermutlich soll ich sie im Elektrogeschäft aus dem ersten Satz kaufen, und vermutlich stammen sie aus der Sendung, in der 0,5 % defekte Glühbirnen erwartet werden. Schlampiges Schreiben ist in der Stochastik ganz arg wichtig. Nebenbei bemerkt habe ich in meinem ganzen Leben noch nie eine defekte Glühbirne gekauft. 

Und damit sind wir bei meinen beiden Lieblingsaufgaben. Die erste:

Hier hab ich nicht den Hauch einer Idee, was das Diagramm soll und wie man die Frage so formulieren kann, dass sie Sinn ergibt. Manchmal hilft bei sowas der Blick in das Lösungsbuch, aber was dort steht, hilft mir nicht wirklich:


Die Wahrscheinlichkeit der drei blauen Balken ist zusammen etwa 0,9; zusammen mit den Wahrscheinlichkeiten der dazwischen liegenden Balken komme ich auf eine relativ große Gesamtwahrscheinlichkeit von deutlich mehr als 1. Hä?  Ich glaube, inzwischen hätte ich beim Entschlüsseln von Keilschrifttafeln mehr Erfolg als bei diesem Arbeitsbuch. 

Eine geht noch:

Ein Würfel hat 6 Seiten. Offenbar ist ein Spielwürfel mit 30 Seiten gemeint. Wenn die Wahrscheinlichkeiten gleich sein sollen, sollte das ein regelmäßiges Triantaeder sein. Offenbar der lange gesuchte sechste Platonische Körper. Welche Zahl da durch 4 teilbar sein soll, erfährt der Schüler auch nicht - aber das ist im Vergleich zum Triantaeder dann eine lässliche Sünde. 

Mein Fazit: Wenn man die ganze Scheiße, die in heutigen Schulbüchern steht, in Biosprit umwandeln könnte, dann müssten wir den russischen Krieg nicht mit dem Bezahlen von Gas und Öl mitfinanzieren. 





Montag, 23. Mai 2022

Die größte bekannte Zahl

 Jugendreporter Gustav König von Funky meint, dass es auch ohne Mathe geht:

       Warum das Fach vom Stundenplan gekürzt werden sollte.

Deutsch, das wird schon zu Beginn klar, ist nicht seine Stärke. Vom Stundenplan tilgen oder streichen geht, den Stundenplan kürzen geht auch, vom Stundenplan kürzen aber nicht.

 Wer gedacht hätte, in den Geistes- oder Sozialwissenschaften der Welt der Zahlen und Gleichungen zu entkommen, wird spätestens in der ersten Statistik-Vorlesung merken, dass auch hier gerechnet werden muss.

Wer gedacht hat, ein Jugendreporter könne Deutsch . . .  aber ich wiederhole mich.

Dass sich Abiturient*innen auch ohne den Druck der Benotung ,freiwillig mit einer „Bernoulli-Kette“ beschäftigen, ist schwerer vorstellbar als die Zahl „Zentillon“, die höchste, bekannte Zahl, die 10 zur 600sten Potenz erhoben bedeutet.

Offenbar hat er hier aus wikipedia abschreiben wollen. Dort heißt es:

„Die höchste benannte Zahl ist die Zentillion, die 10 zur 600sten Potenz erhoben bedeutet, also eine Eins mit 600 Nullen.“

Hätte er doch cut-and-paste benutzt. So hat er ein Komma eingefügt, wo keines hingehört, und aus der Zentillion ein Zentillon gemacht. Und er ist dämlich genug zu glauben, es gäbe eine größte bekannte Zahl. 

 Ist die „Polynomdivision“ oder die „Mitternachtsformel“ wirklich wichtig, um in der Carsharing-App das richtige Auto zu finden? 

Ist die Bedienung einer Carsharing-App das, was sich Gustav König unter einem erfüllten Leben vorstellt? Braucht man dazu irgendein anderes Fach? Und wer braucht eigentlich Gustav König? Warum schaffen wir den nicht ab? Und Professor Prof. Weitz, der den Mathematikunterricht streichen will, gleich mit:

       Man kann beweisen, dass man bestimmte Fragen nicht beantworten kann.

Kann ich auch. Die Frage nach der Anzahl der Buchstaben, die Goethe in seinem Leben geschrieben hat, lässt sich etwa nicht beantworten. Dazu braucht man Gödel nicht. Gödel braucht man, wenn man als Dödel was sagen will, was schlau klingt. Für Gustav König hat's jedenfalls gereicht.

Das Fach sollte auf das Wesentliche reduziert werden und es sollte viel mehr darum gehen, die Komplexität der Mathematik zu verstehen: Was bedeutet Unendlichkeit, warum lassen sich bestimmte Fragen nicht beantworten?

Klar. Wir reden mit Schülern, die den Zahlenraum bis 20 mäßig beherrschen, über die Bedeutung der Unendlichkeit - Reduktion auf das Wesentliche?. Wissen über die Unendlichkeit braucht man wahrscheinlich, wenn man eine Carsharing-App besitzt, die von deutschen Spezialisten geschrieben worden ist. Und wir klären, warum man manche Fragen  nicht beantworten kann. Etwa die, warum Leute, die man, weil sie Mathematikprofessoren sind, erst einmal für schlau hält,  jeden Zweifel an ihrer Beschränktheit beseitigen, indem sie Dinge reformieren wollen, von denen sie nicht den Hauch einer Ahnung haben.

P.S. (31.05.2022) Weitz erklärt, was er eigentlich hätte sagen wollen, hier. Kann man sich ganz anhören  . . .

Samstag, 21. Mai 2022

Schülerinnen und Schüler

Zweifelsohne gibt es zahlreiche Studien, die beweisen, dass Schülerinnen verstärkt ein Mathematikstudium aufnehmen, wenn man ihnen oft genug "Mathematiker und Mathematikerinnen" vorsagt. Die WiMINT-AG in Karlsruhe macht das vorbildlich:

Der Tutor der AG war selbst ehemaliger Schüler der Schule und dadurch besonders motiviert, mit den Schülerinnen und Schülern mathematische Grundlagen zu üben.

Insgesamt fünf Mal ist in dem kurzen Text (im Schnitt in etwa jedem zweiten Satz) von Schülerinnen und Schülern die Rede, die über schnelle Carrera-Autos oder Experimente mit 30000 Volt staunen.

Und ganz zum Schluss gibt es dann noch ein Bild mit den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern:



Man weiß natürlich nicht, wie viele der auf dem Bild abgebildeten Schülerinnen sich als Schüler identifizieren.

Jedenfalls deckt sich das so in etwa mit dem Wahlverhalten unserer eigenen Schülerinnen und Schüler. Das sieht für die jetzige 10. Klasse an unserer MINT-freundlichen Schule (mit Plakette!) so aus:

LK Chemie          4

LK Physik           4

Vertiefung Mathe 3

Astronomie          3

Psychologie       38

Mittwoch, 18. Mai 2022

In UUlm und um UUlm und um UUlm herum

 UUlm, das habe ich gestern gelernt, steht für die Universität Ulm. Die hat mir nämlich Flyer für ihr Mathe-Camp im Juni geschickt. Genauer war das Beate Mayer, ihres Zeichens Marketingreferentin der Fakultät für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften. Beim Lesen des Programms haben sich meinerseits  allerdings leise Zweifel an ihrer Qualifikation erhoben.

          13 - 14 Uhr Mathematik: Geometrie mit komplexe Zahlen

Ich hätte ja gemeint, das müsse Geometrie mit komplexen Zahlen heißen, aber was soll's.

      9 - 10 Uhr Mathematische Biometrie: Warum Studierende der mathematischen Biometrie sich beim  Nachweis der Impfwirksamkeit nicht zweimal um den Faktor 2 verrechnet hätten.

Diese Studierenden. Nachmittags kann man sie treffen, damit sie einem "einen guten Einblick in das Studierendenleben geben können". Lustig ist das Studierendenleben, faria faria ho, Mit Grammatik außerhalb des korrekten Genderns ist es aber nicht weit her. 

Am Donnerstag gibt es eine "Gruppen-Übung: die Binomial-Verteilung". Das wird Schüler aus der Kursstufe anlocken. Wie es scheint, werden zusammengesetzte Wörter heutzutage (also heut-zu-tage) mit Bindestrichen geschrieben, damit die Studierenden in spe sie auch lesen können. Etwa so:

           "Aktuarwissenschaften - eine Brücke zwischen Wirtschaft und Mathematik mit                                        Zukunfts-perspektive", überraschenden Zahlen zur Alters-vorsorge"

Dies wird angekündigt mit

        Aus der Fakultät für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften kommen an diesem Abend               folgende spannendes Beiträge:

Auch gut:

      "Verhaltensökonomik - Ökonomisch and Games"

Best of both worlds - denglish. 

Marketingreferentinnen, so habe ich mir ergoogelt, sollen Werbung für ihren Arbeitgeber machen. Früher hätte man dafür Deutsch können müssen.


Sonntag, 15. Mai 2022

Wahlteil Analysis

Im WT Ana A2 (BW) ging es dieses Jahr - Überraschung - um die momentane Änderungsrate des Wasservolumens in einem Becken. Immerhin haben sie darauf verzichtet, uns weismachen zu wollen, dass es sich bei dem Becken um ein Kunstwerk handelt.

Um ein Kunstwerk handelt es sich bei der Formulierung der Aufgaben. Inhaltlich nämlich sah die Sache so aus:  


Aufgabe Punkte
Bestimmung von f(1) 0,5 VP
\(f(2) = 0\) für \( f(t) = (2t-t^2)e^{2-t} \) nachrechnen 1,5 VP
f ableiten und quadratische Gleichung \(t^2 - 4t + 2 = 0\) lösen 2,5 VP
F(4) berechnen für \(F(t) = t^2 e^{2-t}\) 1,5 VP
\(f(3,41)\) ausrechnen und nachweisen, dass \( | f(3,41) | \cdot 5 < 6 \) ist 2 VP
\( F(t + 0,75) = F(t) + 1\) hinschreiben 1 VP
Schnittpunkte aus Schaubild ablesen 0,5 VP
Kästchen unter dem Schaubild von g zählen 2 VP
Kästchen unter dem Schaubild von h zählen 1,5 VP

Bis auf die Ableitung von f ist da nichts, was über die mathematischen Fertigkeiten von 8-Klässlern hinausgeht (die Aufgabe, eine Gleichung zur Aufgabe "in welchem 45-min-Zeitraum nimmt das Volumen um 1 zu" hinzuschreiben, ist ja eigentlich in jedem Jahr im Abi dran). An den mathematischen Hürden hat es also nicht gelegen, dass die Aufgabe so fürchterlich ausgefallen ist. Das Problem ist, dass ich  versucht habe, meinen Schülern in den letzten beiden Jahren etwas Mathematik beizubringen, Das war ein Fehler, weil sie damit im Abitur nichts anfangen konnten. Sie hätten jemanden gebraucht, der ihnen die Aufgaben so umformuliert, dass sie wissen, was sie denn nun ausrechnen sollen. 

Wozu macht man ein halbes Jahr lang Integralrechnung, wenn die im Abitur gar nicht dran kommen? Warum glaubt man in Stuttgart, die Kompetenz, Kästchen unter Schaubildern zu zählen, sei das, was die Leistungskursler fit für ein MINT-Studium macht?

Ich frage mich auch, ob es wirklich notwendig ist, die Abiturienten mit Operatoren in die Irre zu führen. Wenn man verlangt, sie mögen begründen, dass die Wahrscheinlichkeiten \( P(X=4)\) und \( P(X=10)\)  gleich sind, dann fallen natürlich etliche darauf herein, weil sie meinen, jetzt müsse eine Begründung kommen. Tatsächlich war nur verlangt nachzurechnen, dass die Wahrscheinlichkeiten für Augensumme 4 und Augensumme 10 bei zweimaligem Würfeln gleich sind. Das können Siebtklässler.

Einen Großteil der grottigen Aufgaben dürften aus dem IQB Aufgabenpool kommen. Den hat man eingeführt, um das Abi vergleichbarer zu machen, Tatsächlich gab es eine Aufgabe im Pflichtteil (für 2,5 von insgesamt 60 Verrechnungspunkten), welche auch bei den Bayern vorkam. Das, liebes RP,  nennt man Verarschung.

Sonntag, 8. Mai 2022

Abi BW 2022

Jetzt ist es also geschrieben, das Mathe-Abi 2022 in BW. Was inzwischen verstärkt auftritt sind Aufgaben, bei denen die Schüler 7 Dinge ausrechnen sollen  und wir dafür 2,5 Verrechnungspunkte verteilen dürfen.

Bei Aufgabe 3 im PT Aufgabensatz 2 war etwa eine Funktion vom Grad 3 gegeben, und von einer anderen Funktion f kannte man den Tiefpunkt  \(T(-1|2)\).   Das Schaubild von g entsteht, indem man das Schaubild von f um a nach rechts und um b nach unten verschiebt. Gefragt waren a und b.

Die Schüler haben jetzt erst einmal ein sprachliches Problem, weil sie herausfinden müssen, was sie tun sollen. Letztendlich läuft es darauf hinaus, den Tiefpunkt von g zu bestimmen und mit T zu vergleichen. Also muss man \(g'\) bilden, \(g'(x) = 0\) setzen, die Gleichung lösen, die Lösungen in \(g''\) einsetzen um herauszufinden, welches der Tiefpunkt ist, und dann die richtige Lösung in \(g\) einsetzen, um den Tiefpunkt von \(g\) zu finden. Dann kann man a und b ablesen. Dafür hätte es früher (zugegebenermaßen für etwas schwierigere Funktionen als \(g(x) = \frac19 x^3 - 3x\) ) 5 VP gegeben, heute sollen wir 2,5 VP auf diese Dinge verteilen. 

Entsprechend läuft es bei Aufgabe 4: Gegeben war eine Schar von Funktionen dritten Grades, welche die x-Achse im Ursprung berühren und in \(x=2\) eine Extremstelle besitzen. Gefragt war, ob der   Punkt \(P(-3|0)\) auf allen Graphen der Schar liegt. Hier ist eine Steckbriefaufgabe zu lösen, die auf eine Funktionenschar führt, und dann muss man prüfen, ob P auf allen Schaubildern liegt. Auch dafür hätte man früher mehr als 2,5 VP vergeben.

Dieses Aufblähen der Aufgaben und das Verschleiern der Fragestellung führt bei denen, welche die Fragen verstehen, zu Zeitproblemen (die andern haben halt Pech, dass sie die Mathematik, die sie gelernt haben, nicht anwenden können, weil sie die Fragen nicht verstehen). Man muss die Sachen im Akkord herunterschrubben - Mathematik geht anders.

Die Schwierigkeiten im Mathe-Abi BW 2022 waren sprachlicher, nicht mathematischer Natur. Dass es auch andersherum geht, kann man in Bayern sehen. Felix Bavaria.