Freitag, 19. Mai 2017

Mathe-Abi BW 2017: Max und Moritz, fünfter Streich

Ein Lob möchte ich dann doch noch loswerden: Unter den vielen bescheuerten Aufgaben aus dem diesjährigen Mathematikabitur in BW war eine, die tatsächlich sehr interessant war. Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, wie das passieren konnte.

Schüler übersetzen "interessant" mit "Einserbremse", und das war diese Aufgabe auch: Im Schnitt hat etwa ein Schüler pro Kurs die Aufgabe korrekt gelöst. Hier ist sie:
      Eine Funktion g ist gegeben durch g(x) = x - 1/x3; x ≠ 0.
      (b) Es gibt einen Punkt auf dem Graphen von g, der den kleinsten 
            Abstand zur  Geraden mit der Gleichung y = 2x-1 besitzt.
            Ermitteln Sie die x-Koordinate dieses Punktes.
Wie kann man hier vorgehen? Eine Möglichkeit ist, den Abstand zwischen zwei beliebigen Punkte auf f(x) = 2x-1 und g(x) hinzuschreiben und das Minimum zu bestimmen. Nehmen wir den Punkt P(a|f(a)) auf dem Schaubild von f und Q(b|g(b)) auf demjenigen von g, dann ist der Abstand d gegeben durch
                              d2 = (a-b)2 + (f(a) - g(b))2.
Das ist eine Funktion von zwei Variablen, die im Unterricht eher selten und im Schulbuch eher gar nicht vorkommt. Der Abstand d wird genau dann extremal, wenn dies für d2 gilt, folglich genügt es,  d2 zu betrachten. Nehmen wir b als fest an, wird  d2 zu einer Funktion von a:
       D(a) = (a-b)2 + (f(a) - g(b))2.
Setzt man die Ableitung gleich 0, erhält man
      a = (6b4 + 4b3 - 4)/(10b3).
Einsetzen in D(a) liefert
       d2 = (b8- 2b7 + b6 + 2b4 - 2b3 + 1)/(5b).
Wer sieht, dass im Zähler ein Quadrat steht, kann dies in der Form
      d =  (b4 - b3 +1)/(√5b3)
schreiben, jedenfalls wenn man sieht, dass der Zähler b4 - b3 +1 > 0 ist. Nachrechnen kann man das durch die Bestimmung des Tiefpunkts dieser Funktion. Der letzte Schritt besteht in nochmaligen Ableiten und Nullsetzen, was auf b = 31/4 führt.

Nicht einmal das IQB, das den Aufgabenpool überwacht, traut baden-württembergischen Gymnasiasten eine solche Lösung zu. Diese hätten wie folgt vorgehen sollen:
      Da der Graph von g die gegebene Gerade nicht schneidet,
Aber woher wissen wir das? Der GTR zeigt uns ja nur, dass es für, sagen wir, |x| < 10 keine Schnittpunkte gibt. In A 1.1. mussten wir die Käuferzahlen bis nach dem Ende des Universums als monoton steigend nachweisen, und hier mogeln wir uns mit dem GTR durch? Das verstehe, wer will. Der Nachweis, dass g die Gerade nicht schneidet, läuft auf die Gleichung x4 - x3 + 1 = 0 hinaus. Die üblichen Techniken (in BW gibt es nur noch zwei: Ausklammern und Substitution) greifen hier nicht, aber man kann, wie wir schon gesehen haben, das Problem umschiffen, indem man die Tiefpunkte dieser Funktion ausrechnet. Man muss halt nur darauf kommen.
        Da der Graph von g die gegebene Gerade nicht schneidet, muss
        die Tangente an den Graphen von g im gesuchten Punkt Q(v|g(v))
        parallel zur gegebenen Geraden sein.
Das wollen wir gerne glauben, aber wem? Im Schulbuch findet sich kein Satz,
der einem so etwas auch nur nahelegen würde. Ein solcher Satz könnte in etwa so aussehen:
      Satz 1. Sei g eine differenzierbare Funktion und f eine Gerade, welche das
      Schaubild von g nicht schneidet. Gibt es einen Punkt auf dem Schaubild
      von g, der von f minimalen Abstand hat, dann ist f '(x) = g '(x).
Man muss den Satz etwas genauer formulieren, um Probleme mit Randpunkten auszuschließen, etwa wenn g(x) = √x und f(x) = -x-1 ist.

Setzt man f(x) = mx + c, so kann man diesen Satz wie im Spezialfall oben beweisen (Ableiten nach a, Nullsetzen, Einsetzen, Ableiten nach b, Nullsetzen),
dass
      d2 = (f(b) - g(b))2/(m2+1)
gilt. Wenn sich f und g nicht schneiden, folgt durch Ableiten und Nullsetzen
     f'(b) = g'(b).

Man sieht auch, dass das Minimum von d dort angenommen wird, wo | f(x) - g(x) | minimal wird, wo also die vertikale Differenz am kleinsten ist:

      Satz 2. Sei g eine differenzierbare Funktion und f eine Gerade, welche das
      Schaubild von g nicht schneidet. Gibt es einen Punkt auf dem Schaubild
      von g, der von f minimalen Abstand hat, dann ist auch die vertikale 
      Differenz  | f(x) - g(x) | minimal.

Schüler, die den unbewiesenen Satz 1 benutzt haben, bekamen die volle Punktzahl.
Schüler, die den unbewiesenen Satz 2 benutzt haben, bekamen keinen Punkt, denn dieser Ansatz ist ja ein Denkfehler. Hier lautet die Frage also, wie richtig eine Lösung sein muss, damit man dafür Punkte vergeben kann.


   

Mittwoch, 17. Mai 2017

Mathe-Abi BW 2017: Max und Moritz, vierter Streich

Analysis also. Die momentane Änderungsrate der Anzahl der Käufer soll, so will es die Aufgabe, beschrieben werden durch die Funktion f mit (eine der beliebten "mit"-Konstruktionen; vermutlich lernt man heute auf der Grundschule, dass 2 * 2 gleich der Zahl a mit a = 4 ist)
       f(t) = 6000 t e-0,5 t
(t in Monaten nach der Einführung und f(t) in Käufer pro Monat).

Mathematisch betrachtet ist dies natürlich ein Ding der Unmöglichkeit: die Funktion, welche die Anzahl der Käufer beschreibt, ist eine Treppenfunktion, und deren Ableitung ist überall dort, wo sie existiert, gleich 0. Aber will wollen nicht päpstlicher sein als der Papst, jedenfalls noch nicht. Machen wir das Spiel also mit.

Dazu müssen wir zeigen, dass f für alle t > 2 streng monoton fallend ist und nur positive Werte annimmt. Das ist soweit kein Problem. Komisch ist der zweite Teil der Aufgabe b):

      Interpretieren Sie dies in Bezug auf die Entwicklung der Käuferzahlen.

Mit Käuferzahlen sind die Werte der Funktion F gemeint, die durch  F(0) = 0 und F' = f festgelegt ist, also nicht die Käuferzahlen pro Monat, wie die meisten Schüler und die meisten Erstkorrektoren gemeint haben. Manche Schüler haben den Aufgabenstellern auch die Dämlichkeit der Frage erklärt und geschrieben, dass die Anzahl der Käufer ja schlecht abnehmen könne, wenn niemand die App zurückgibt. Sei's drum.

 Weil f positiv ist, so die Musterlösung, muss die Anzahl der Käufer immer zunehmen, und weil f ' negativ ist, wird diese Zunahme immer kleiner.

Das sieht bestechend aus, weil man es genau so gelernt hat. Es ist aber falsch. Die Funktion F kann man ausrechnen, wenn man vor mindestens 25 Jahren in BW zur Schule gegangen ist oder derzeit in Thüringen zur Schule geht; partielle Integration ergibt nämlich
          F(t)  = 24000 - 24000 e-0,5t - 12000 t e-0,5t .
Hieraus folgt unmissverständlich, dass die Anzahl der Käufer gegen 24.000 strebt.
Die Anzahl der Käufer wird also nicht immer zunehmen, denn wenn der letzte der 24.000 die App gekauft hat, kauft sie keiner mehr. Und wenn die Anzahl der Käufer nicht mehr zunimmt, dann kann die Zunahme auch nicht geringer werden.

Dies zeigt, dass man die Positivität von f und die Monotonie von f ' gar nicht in Bezug auf die Käuferzahlen interpretieren kann, und dass die angegebene Lösung falsch ist. Das Bildungsministerium und das Regierungspräsidium wissen das seit letzten Mittwoch (oder, wenn sie genauso spät arbeiten mussten wie die Erstkorrektoren, denen man ganze 4 Werktage zum Korrigieren von 40 Abiturarbeiten gegeben hat, seit letzten Dienstag abend), halten aber still.
Vermutlich will man hier von Hamburg lernen, bei denen es manch ein Abitur in zwei Ausfertigungen gibt: eines, das die Schüler zu bearbeiten hatten, und eines, in dem man nachträglich Fehler korrigiert hat. Aber auch in Hamburg schweigt man dazu in den zuständigen Ministerien eisern und antwortet auf Nachfragen lieber nicht.

Und was bedeutet es, dass die Techniken, die man Schülern im Zusammenhang mit den Pseudomodellierungen beibringt, falsche Ergebnisse liefern? Mich erinnert das an einen Satz von Charlie Brown, der Mitleid mit seinem Kumpel Linus hatte, weil dieser doppelt so lange zur Schule gehen müsse wie er selbst: einmal, um all die Dinge zu entlernen, die Lucy ihm beigebracht hat, und dann noch einmal, um die Sachen richtig zu lernen. So ähnlich sieht es in BW wohl auch aus, außer dass es nicht nur Linus betrifft, sondern alle, die später irgendein mathematiklastiges Studium aufnehmen wollen. Alle andern werden den Schrott ohnehin schnell vergessen.

Dienstag, 16. Mai 2017

Mathe-Abi BW 2017: Max und Moritz, dritter Streich

Bevor wir zur ganz großen Katastrophe, dem Wahlteil Analysis A1, kommen, geben wir heute ein paar Kommentare zur Einkleidungen der Aufgaben ab. Und davor, wie auf youtube, etwas Werbung. Mein Kollege Hans-Jürgen Matschull hat auf seiner Seite einen großen Artikel zum Abitur 2016 in Niedersachsen und einen zum diesjährigen Abitur 2017, die beide gelesen werden möchten - es lohnt sich.

Ob man die Vektorrechnung erfunden hat, um Aufgaben über Quader zu lösen, wage ich zu bezweifeln. Aber was soll man machen, wenn der Geometrieunterricht nur noch Punkte, Geraden und Ebenen kennt. Nach schiefen Häusern, unpraktischen Pralinenschachteln und seltsamen Truhen ging es dieses Jahr um einen Quader. Damit das nicht nur ein ganz popeliger Quader ist, sondern einer aus der Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen, muss noch etwas dazu. Und weil man in Stuttgart Phantasie hat, ging die heurige Aufgabe so los:

     Ein Künschtler teilt einen quaderförmigen Container durch einen ebenen
     Schnitt in einen großen und einen kleinen Teilkörper.

 Gut, ich gebe zu, ich habe etwas gemogelt. In Wirklichkeit war es kein Künschtler, sondern ein Künstler. Vermutlich einer von der Sorte, die von Kunst soviel verstehen wie die meisten Mathematikdidaktiker von Mathematik. Der Künschtler jedenfalls taucht im Rest der Aufgabe nicht mehr auf, selbst dann nicht, als der kleine Teilkörper mit den Schnittkanten nach unten auf den großen Teilkörper gestellt wird. Vermutlich hat das seine Frau gemacht, denn hinter jedem großen Künschtler steckt eine große Frau. Allerdings fragen sich Frauen, das habe ich jetzt gelernt, wie man etwas "nach unten auf den großen Teilkörper" setzen kann.

Dass die Frau nicht mehr auftaucht, entspricht übrigens nicht den Richtlinien, die heutzutage an Aufgaben aus der Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen gestellt wird: in jeder Aufgabe müssen gleich viele Männlein wie Weiblein vorkommen. Oder wir sind schon einen Schritt weiter und der Künschtler war irgendwie transsexuell. Vorschlag für die Geometrieaufgabe für nächstes Jahr: Der Berliner Senat plant eine quaderförmige Unisex-Toilette. Darin fliegt eine Fliege auf einer Kreisbahn um den Punkt - aber ein bisschen was sollen die Experten in Stuttgart ja auch noch machen. Dafür werden sie ja bezahlt.

Die andere Aufgabe war eine, bei der man schon beim Lesen einschläft, weil sie schon ein gefühltes Dutzend mal dran war: zwei punktförmige Flugzeuge bewegen sich mit konstanter Geschwindigkeit auf Geraden. Leider wird nicht erklärt, wie punktförmige Flugzeuge ihren Auftrieb erzeugen, und dasselbe gilt für den punktförmigen Ballon, der in c) auftaucht. Damit die Fragen nicht ganz so banal klingen, werden sie sprachlich etwas aufpoliert: so soll nicht etwa der Steigungswinkel der Flugbahn bestimmt werden, sondern die Weite des Winkels, mit dem das zweite Flugzeug steigt.

Von allen Fragen über punktförmige Flugzeuge, die keinen normalen Menschen interessieren (würden Sie wissen wollen, dass sich die Flugbahnen der punktförmigen Flugzeuge schneiden?), war die in Teil c) sicherlich die bescheuertste der letzten 10 Jahre: Die Punkte auf der Meeresoberfläche, die zu dem Zeitpunkt, in dem die beiden Flugzeuge denselben Abstand zum Ballon haben, ebenfalls von beiden Flugzeugen gleich weit entfernt sind, liegen auf einer Geraden. Beschreiben Sie ein Verfahren, mit dem man eine Gleichung dieser Geraden bestimmen kann. Die Lebenswelt lässt grüßen.

Und jetzt zu Ana 1.1.

      Die Anzahl der Käufer einer neu eingeführten Smartphone-App soll
      modelliert werden. Dabei wird die momentane Änderungsrate beschrieben
      durch die Funktion f mit 

Es soll also etwas modelliert werden. Die Anzahl der Käufer. Wie macht man das? Man nimmt die Anzahl der Käufer in jedem Monat und legt per Regression irgendeine Funktion darüber, die der Taschenrechner kennt. Damit löst man dann die Probleme, die beim Verkauf von Smartphone-Apps so auftreten, etwa die Bestimmung  Gesamtzahl der Käufer in den ersten sechs Monaten. Sicherlich hätte man dazu einfach die Verkaufszahlen der ersten 6 Monate addieren können, aber dann hätte sich der Nutzen eines graphikfähigen Taschenrechners nicht gezeigt. Wenn man die Funktion F der Gesamtzahl aller Käufer hat, kann man die momentane Änderungsrate f = F' bestimmen - nicht dass das jemanden interessieren würde, aber man kann es machen. Man könnte sogar fragen, wann diese momentane Änderungsrate größer als 4000 Käufer pro Monat ist, aber warum sollte man das wissen wollen? Interessanter (nun ja) wäre es sicherlich zu fragen, wann die Anzahl der Käufer pro Monat größer als 4000 ist. Das ist aber erstens etwas ganz Anderes und zweitens etwas, was wir ja von Anfang an wussten, weil man das an den Verkaufszahlen ablesen kann, von denen wir ausgegangen sind.

Um den Nutzen der modernen Mathematik für die Lebenswelt der Schüler (und Schülerinnen) nachzuweisen, geht man jetzt von der momentanen Änderungsrate f aus und bestimmt rückwärts die Zahlen, die man beim Herleiten von F hineingesteckt hat. Wer sich davon nicht von der unglaublichen Anwendbarkeit der Mathematik überzeugen lässt, dem ist wohl nicht mehr zu helfen.

Ist übrigens jemandem aufgefallen, dass der Aufgabentext nicht erwähnt, wovon f die momentane Änderungsrate ist? Nicht dass das irgendeinen Schüler gestört hätte. Man hat das solange geübt, dass die Aufgaben auch mit dem halben Text auskommen würden.

 Im vierten Streich geht es morgen dann wieder um einen richtigen Fehler.

Montag, 15. Mai 2017

Mathe-Abi BW 2017: Max und Moritz, zweiter Streich

Heute schauen wir uns den zweiten Teil der Pflichtteilaufgabe 4 an:

       Jede ganzrationale Funktion vierten Grades hat eine Extremstelle.

Diese Frage ist verwandt mit einer, die in den letzten Jahren im Internet kursiert:

       Berechne 6/2*(1+2).

Natürlich weiß ich, dass man in einer solchen Verkettung von gleichberechtigten Operatoren die Aufgabe von links nach rechts zu lesen hat: Man muss also erst 6/2 = 3 und dann 3(1+2) = 9 rechnen.

Auf der andern Seite ist jemand, der statt des eindeutigen 6*(1+2)/2 die obige Variante hinschreibt und das gleiche meint, entweder bescheuert oder hinterhältig oder beides. Wenn ich x/2sin(x) schreibe, meine ich nämlich den Ausdruck, der 2 *sin(x) im Nenner hat, und wenn es um (x/2) * sin (x) geht, schreibe ich x sin(x)/2.

Ebenso vermute ich, dass die Aussage "Die Funktion f hat eine Nullstelle" bedeutet, dass sie mindestens eine Nullstelle besitzt. Wenn es aber darum geht, ob eine Funktion eine oder mehr als eine Extremstelle hat und man die Frage absichtlich so stellt, dass möglichst viele Schüler darauf hereinfallen, dann ist der Aufgabensteller ein geistiger Tiefflieger, wenn er die Probleme nicht gesehen hat, oder hinterhältig, wenn er es mit Absicht gemacht hat.

Jedenfalls haben die Erstkorrektoren der Arbeiten, die ich gerade korrigiere, nur die Musterlösung gelten lassen und Antworten wie "Die Aussage ist falsch, weil eine Funktion 4. Grades auch mehr als eine Extremstelle besitzen können" als falsch gekennzeichnet.

Die Musterlösung verrät uns, dass die Schüler wie folgt hätten vorgehen sollen: Die Ableitung einer ganzrationalen Funktion 4. Grades ist eine ganzrationale Funktion 3. Grades, und von der wissen wir, dass sie eine Nullstelle mit Vorzeichenwechsel besitzt.

Woher wissen wir, dass ganzrationale Funktionen 3. Grades einen Vorzeichenwechsel besitzen? Das Schulbuch kann es nicht bewiesen haben, weil man dazu eine Definition eines Vorzeichenwechsels braucht, und die findet man im Lambacher-Schweizer nicht. Wenn wir uns die Definition eines Vorzeichenwechsels aus Wikipedia holen, müsste man zu einem Beweis zeigen, dass eine ganzrationale Funktion f vom Grad 3 für x gegen unendlich nach oben geht, wenn sie für x gegen -unendlich nach unten geht, und andersherum, und dann aus der Stetigkeit schließen, dass eine Nullstelle mit Vorzeichenwechsel existiert. Weil der Begriff der Stetigkeit aber kein Schulstoff mehr ist, geht das auch nicht. Selbst der Beweis, dass x3 + ax2 + bx + c für große x gegen Unendlich geht, dürfte heutige Schulbuchautoren überfordern, denn mit mehr als zwei Buchstaben in einem Ausdruck kommen heutige Schüler wegen der Abschaffung der Algebra nicht mehr zurecht, und Ungleichungen kennen sie nicht einmal vom Hörensagen.

Im Wesentlichen müssen wir also den vielen Beispielen und dem GTR glauben, dass ganzrationale Funktionen dritten Grades eine Nullstelle mit Vorzeichenwechsel haben, und daraus schließen, dass ganzrationale Funktionen vom Grad 4 eine Extremstelle haben.

Ist das "mathematisches Argumentieren"? Arg viel besser als die Antwort, jede ganzrationale Funktion vom Grad 4 habe eine Extremstelle, weil sie parabelförmig aussieht, ist das wohl nicht, denn wenn ich wissen soll, wie eine Funktion 3. Grades aussieht, dann werde ich ja wohl auch wissen dürfen, wie Funktionen 4. Grades aussehen. Kann man die letzte Aussage daher als Begründung durchgehen lassen? Wenn ja, was ist mit "jede ganzrationale Funktion vom Grad 4 hat eine Extremstelle, weil sie eine Parabel ist"? Nun, ganzrationale Funktionen vom Grad 4 sind keine Parabeln (also Kegelschnitte - wobei kaum ein Schüler weiß, was das ist), außer man nennt sie Parabeln höherer Ordnung. Aber dann sind kubische Parabeln auch Parabeln, und die haben keinen Extrempunkt. Wir sind also wieder bei der Diskussion, wie falsch eine Antwort sein darf, bis sie nicht mehr als korrekt gewertet werden kann. Darauf gibt die Musterlösung leider keine Antwort.

Dieses war der zweite Streich, doch der dritte folgt sogleich.

Sonntag, 14. Mai 2017

Mathe-Abi BW 2017: Max und Moritz, erster Streich

Ich habe ja bereits angedeutet, dass einige Aufgaben im Mathematik-Abitur (mit Bindestrich für Leser aus Schleswig-Holstein) 2017 hierzulande etwas, sagen wir, gewöhnungsbedürftig sind. Ich habe das dem Ministerium am Dienstag zu verstehen gegeben, aber keine Antwort erhalten. Ich werde mir daher ab heute jeden Tag einen Fehler vornehmen und hoffe, bis zum Ende der Zweitkorrektur dann durch zu sein. Wer mir eine Dienstaufsichtsbeschwerde an den Hals wünscht, weil ich Details aus den Lösungen veröffentliche: ich unterrichte am Gymnasium St Gertrudis in Ellwangen.

Wir beginnen mit Aufgabe 4.(1) des Pflichtteils.

      Jede Funktion, deren Ableitung eine Nullstelle hat, besitzt eine Extremstelle.

Dies ist eine legitime Aufgabe, sieht man von der Tatsache ab, dass die Funktion auf einem offenen Intervall definiert und dort differenzierbar sein sollte, damit man diese Frage überhaupt stellen kann. Aber wir wollen nicht kleinlich sein.

Die Musterlösung gibt f(x) = x3  als Gegenbeispiel, obwohl f(x) = 0 ein schöneres gewesen wäre. Von 82 Lösungen, die ich bisher gesehen habe, hat aber keine das erste (und nur eine das zweite) Beispiel benutzt.

Vielmehr haben die meisten Schüler völlig richtig geschrieben, dass, wenn die Ableitung 0 ist, die Funktion auch einen Sattelpunkt haben könne. Manche Schüler allerdings haben noch mehr von ihrem Wissen preisgegeben und geschrieben, dass die Ableitung eine Nullstelle mit VZW von + nach - haben müsse, damit f dort einen Hochpunkt besitzt. Das lernt man auf der Schule zwar so, ist aber falsch. Richtig ist nur die Umkehrung: wenn f' einen Vorzeichenwechsel von + nach - besitzt, dann hat f dort einen Hochpunkt.

Natürlich ist es wenig sinnvoll, Schüler dafür zu bestrafen, dass man ihnen falsche Dinge beigebracht hat. Die Frage stellt sich aber doch, wie falsch eine Lösung denn nun sein darf, bevor man sie nicht mehr als korrekt werten kann.

Schauen wir erst einmal in den Lambacher-Schweizer 6 (Klasse 10), in dem es um Vorzeichenwechsel geht. Arg viel schlauer wird man daraus nicht, weil dort gar nicht definiert ist, was ein Vorzeichenwechsel (oder ein Hochpunkt) überhaupt ist, sondern nur eine Zeichnung mit einem Beispiel dafür drinsteht.

Die Probleme beginnen bei der Frage nach Montonie. Der Monotoniesatz auf S. 51 besagt, dass eine auf einem Intervall I differenzierbare Funktion f streng monoton wachsend ist, wenn dort f'(x) > 0 gilt. Weiter steht da, dass die Umkehrung falsch ist, wie das Beispiel f(x) = x3  zeigt.

Der Beweis ist ein Meisterwerk der modernen Lehrbuchliteratur, sodass wir ihn vollständig wiedergeben wollen:

     Ist die Ableitung positiv, so kann die Funktion nur streng monoton 
     wachsend sein.

Hoch- und Tiefpunkte folgen auf S. 54:

     Bei differenzierbaren Funktionen kann man die Extremstellen und
     Extremwerte mithilfe der Ableitung bestimmen.

     Damit f an der Stelle x0 ein lokales Maximum besitzt, muss die 
     Funktion in der Umgebung von x0 links von x0 monoton zunehmen 
     und rechts von  x0 monoton abnehmen.

     Dies ist nach dem Monotoniesatz der Fall, wenn f'(x) links von x0 
     größer als 0 und rechts von x0 kleiner als 0 ist. Man sagt dann, 
     dass f' an der Stelle x0 einen Vorzeichenwechsel (VZW) von  + 
     nach - hat.

Der Nachteil von "Definitionen durch Beispiel" ist, dass man damit nicht wirklich etwas anfangen kann. So ist es auf Grund dieses Vorgehens nicht möglich zu entscheiden, ob die Funktion f(x) = 1/x in x=0 einen Vorzeichenwechsel hat oder nicht. Nach dem, was im Lambacher-Schweizer steht, müsste die Antwort lauten, dass ein VZW vorliegt; andererseits hat die Stammfunktion F(x) = ln(x) dort keine Extremstelle.

Schauen wir uns den Beweis etwas genauer an: damit es ein Maximum gibt, muss
die Funktion links davon streng monoton steigen. Dann ist nach dem Monotoniesatz f'(x) > 0  und rechts davon ist f'(x) < 0, sodass die Ableitung in  x0 einen Vorzeichenwechsel von  + nach - hat. Ein Schönheitsfehler hierbeit ist, dass das gar nicht der Monotoniesatz ist, sondern dessen falsche Umkehrung. Der zweite Schönheitsfehler ist, dass das gar nicht dasteht. Was dasteht ist folgendes:
  • f ist links von   x0  streng monoton steigend, rechts davon fallend.
  • Wenn f'(x) > 0 links von  x0 und f'(x) < 0 rechts von  x0  dann ist f links von   x0  streng monoton steigend, rechts davon fallend.
Mit anderen Worten: es ist A ⇒ C und B ⇒ C, und wenn das mal kein Grund dafür ist, dass auch A ⇒ B ist, dann weiß ich auch nicht.

Der "Beweis" im Lambacher-Schweizer ist also eher peinlich als überzeugend. Das macht aber nichts aus, schließlich ist der dazugehörige Satz ja auch falsch. Das dazugehörige Gegenbeispiel ist die Funktion

      f(x) = x4 (2 + sin 1/x)

mit f(0) = 0. Diese ist differenzierbar mit

      f'(x) = x^2[4x(2 + sin 1/x) - cos(1/x)]

und f'(0) = 0. Nun ist es leicht zu sehen, dass f in x=0 einen Tiefpunkt hat, denn es ist f(0) = 0 und f(x) > 0 für alle x ≠ 0. Weiter ist der Term cos(1/x) dafür verantwortlich, dass f' in jeder noch so kleinen Umgebung von 0 das Vorzeichen unendlich oft wechselt. Es gibt also keinen VZW von - nach +.

Natürlich muss man das im heutigen Schulunterricht nicht erklären. Natürlich muss es auch nicht im Schulbuch stehen. Aber ebenso natürlich darf man dann halt im Abitur nicht danach fragen.

Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich.
    

Donnerstag, 11. Mai 2017

They shoot horses, don't they?

They shoot horses don't they? ist ein schönes und fast vergessenes Lied von den Racing Cars aus den späten 1970ern, und es gibt auch einen Film mit diesem Titel. Eigentlich ist es aber eine englische Redewendung, die besagt, dass man Pferde, die sich die Beine gebrochen haben, durch einen Gnadenschuss erlösen sollte.

Zum Thema: Klett hat mir heute wieder einmal einen Link geschickt, bei dem man ein kostenloses Arbeitsblatt herunterladen kann. Normalerweise lösche ich das Zeug ungelesen, aber heute wollte ich mal nachsehen, was die sich so ausdenken. Es geht, wie ich festgestellt habe, um eine Aufgabe aus der Lebenswelt der Schüler, nämlich den Fußballplatz. Schon der erste Satz ist vom Feinsten:

     Ein Sportplatz liegt in der positiven x1x2-Ebene.

Das hilft jedem weiter, der weiß, was eine positive x1x2-Ebene ist. Ich kann mir denken, was in den Köpfen der Aufgabensteller vorgegangen ist, wage aber dennoch zu fragen, was denn dann eine negative Ebene ist.

Dann folgt der übliche Schmuh mit punktförmigen Fußbällen auf Parabelbahnen. Ich kann den Scheiß nicht mehr hören. Echt. Aber dann geht es so weiter:

     Ein Fußballtor hat eine Höhe von 2,44 Metern und eine Breite von 7,32 
     Metern. Die Sonne steht im Punkt S (28 | ‒ 15 | 10) hinter dem Torwart. 

Die Einheiten sind in Meter angegeben. Die Sonne steht also keine 40 Meter hinter dem Torwart in der Luft. Heiß. Wie krank muss ein Hirn sein, das sich so etwas ausdenkt? Wie bescheuert muss der Klett-Verlag sein, wenn er mit solchen Aufgaben für seine Bücher wirbt? Ich weiß die Antwort nicht.

     Das Sonnenlicht kann als konzentrisch angenommen werden.

Oh ja. Das Sonnenlicht kann als konzentrisch angenommen werden. Ich gebe zu, dass ich etwas gebraucht habe, bis ich verstanden habe, was damit gemeint ist. Damit ist gemeint, dass die Sonne, wie der Fußball, punktförmig sein soll. Nur hat das nichts mit konzentrisch zu tun. Zwei Kreise sind konzentrisch, wenn sie denselben Mittelpunkt haben, aber Sonnenlicht ist kein Kreis. Die Aufgabensteller haben also inzwischen so wenig Ahnung von Geometrie, dass sie nicht mehr wissen, was konzentrisch bedeutet, schrecken aber gleichzeitig nicht davor zurück, Wörter zu benutzen, deren Bedeutung sie nicht kennen. Die wissen nicht einmal, dass sie nichts wissen. Es ist einfach nur schrecklich.

Natürlich muss man jetzt den Schatten des Tors ausrechnen (ohne die zusätzliche Angabe, dass die Latten keine Ausdehnung besitzen, also Strecken sind). Das, so das Arbeitsblatt, ist eine Aufgabe auf unterstem (man sagt: einfachstem) Niveau. Darauf folgt eine Aufgabe auf mittlerem Niveau:

      Berechnen Sie mithilfe der Vektorrechnung den Flächeninhalt des Tores.

Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich. Tatsächlich entblöden sich die Hanswurste (und Hanswurstinnen, vermute ich) von Klett nicht, den Flächeninhalt eines Rechtecks mit Hilfe des Kreuzprodukts auszurechnen.

Die Leitidee Daten und Zufall darf natürlich auch nicht fehlen:

       Bei einem Torwarttraining schießt er 100 Bälle von seinem Fünfmeterraum 
       in Richtung Mittelkreis. Es wird unterstellt, dass es sich dabei um ein 
       Bernoulli-Experiment handelt.

So stelle ich mir ein Torwarttraining vor. Als Bernoulli-Experiment. 100 mal schießen, ohne dass man sich verbessert. Da fragt man sich, wer hier am meisten Zeit totschlägt: Der Torwart, dem sein Training aber auch gar nichts nutzt, die Aufgabensteller, die allem Anschein nach nicht ganz bei Trost sind, oder Schüler, die solche Aufgaben rechnen. Freiwillig. Als Training.

       Berechnen Sie den Erwartungswert und die Standardabweichung dieses 
       Experiments.

Es wird nicht besser. Eine Zufallsvariable hat einen Erwartungswert, ein Zufallsexperiment dagegen nicht. Daten und Zufall können sie also auch nicht.

Es ist zum Heulen. Wer in den 1970ern aus den Lambacher-Schweizer-Büchern Mathematik gelernt hat, kann so einen Bockmist nicht ertragen. Es ist Zeit für den Gnadenschuss.

Mittwoch, 10. Mai 2017

Mathe-Abi 2017 BW: Hafer- und Bananenblues

Warum das Abitur in BW Staatsgeheimnis ist, bis die Korrektur vorbei ist, weiß ich nicht. In skandinavischen Ländern stehen die Abituraufgaben am nächsten Tag in der Tageszeitung, Bayern setzt sie am darauffolgenden Tag ins Netz, und in BW muss man Angst haben, ins Gefängnis zu kommen, wenn man die Lösungen veröffentlicht, bevor die Einspruchsfristen verjährt sind. Noch schlimmer ist es, glaube ich, nur noch in Hessen, wo man für einen Satz alter Abiaufgaben dem Ministerium Hunderte von Euro bezahlen muss.

Weil ich auch nicht gerne mit einem Fuß im Knast stehe, muss ich also Vorsicht walten lassen und stelle eine Frage, wie sie dieses Jahr im Abitur nicht dran war: Haben die Affen auf den folgenden Bildern eine Banane?




Nun kann man  bei allen drei Bildern sicherlich mit "Ja" antworten. Das Äffle hat eine Banane, der Schimpanse hat eine in der rechten und mindestens vier in der linken Hand, und der letzte hat sogar ganz viele.

Andererseits könnte man auch alle drei Fragen mit "Nein" beantworten, denn die Banane vom Äffle ist keine richtige, der Schimpanse hat mehr als eine, und im dritten Bild sieht es eher so aus, als hätten die Bananen einen Affen und nicht umgekehrt.

Wenn man so eine Aufgabe im Abitur stellt, muss man also präzisieren, was mit "Banane" und was mit "eine" gemeint ist.

Um die Sache etwas mathematischer zu machen: Die Antwort auf die Frage "Hat die Funktion f(x) = x2 - 1 eine Nullstelle?" hängt davon ab, ob man das Wort "eine" oder das Wort "Nullstelle" betont. Im ersten Fall lautet die Antwort Nein, weil die Funktion nicht eine, sondern zwei Nullstellen hat, im zweiten ist die Antwort "Ja" richtig. Wenn man also so eine Frage im Abitur stellt, dann muss man sie entweder vorlesen, oder man muss fragen, ob f genau eine Nullstelle oder mindestens eine Nullstelle hat. Dann hat die Frage eine eindeutige Antwort, egal wie man sie liest.

Wenn nun eine ganz ähnliche Frage in BW im Abitur steht, die von erfahrenen Lehrern erstellt und geprüft, im IQB noch einmal bearbeitet und dann aus dem Pool entnommen worden ist, dann fragt man sich schon, warum diese Zweideutigkeit keiner der Experten gesehen hat.

Montag, 1. Mai 2017

Gender und Genderinnen

Neulich fand der March for Science statt. Viele haben dafür geworben und mitgemacht, unter anderem auch die Uni Witten/Herdecke. Was auf den zweiten Blick etwas überrascht, denn dort gibt es etwas, was man an andern deutschen Unis bislang noch vergeblich sucht, nämlich eine Universitätsprofessur für Lebensqualität, Spiritualität und Coping.

Nicht mehr ganz so jung, aber auch aus der Reihe "Was es nicht so alles gibt", sind die Lehrstühle für Mathematik und Gender Studies, die neuerdings aus der deutschen Universitätslandschaft sprießen wie Löwenzahn. Auf diesen Gebiet wird also inzwischen ernsthaft geforscht. Ein Ergebnis dieser Forschung findet man hier. Bettina Langfeldt und Anina Mischau aus den Genderhochburgen Hamburg und Berlin beschweren sich in diesem Artikel darüber, dass sie mit ihrer Forschung der Zeit weit voraus sind. Dabei wäre ihre Arbeit für die gesunde Ausbildung von Lehrern eigentlich unabdingbar, denn

     Genderkompetente Lehre impliziert gute Lehre, gemäß der 
     Definition, dass eine gute Lehrkraft über ein "großes 
     Repertoire an wirksamen Lehrstrategien, Lehrmethoden und 
     Lehrfertigkeiten" (WEINERT, 1996, S.146) verfügt und diese 
     gendersensibel einsetzen kann.

Die Autorinnen berufen sich hier auf eine "Definition" einer guten Lehrkraft von Weinert. Bei ihm heißt es dazu

     ein guter Lehrender verfügt über ein großes Repertoire an 
     wirksamen Lehrstrategien, Lehrmethoden und Lehrfertigkeiten, 
     die sich durch enge, empirisch gesicherte Zusammenhänge mit 
     überdurchschnittlichen Schülerleistungen bewährt haben.

Dazu gibt es Einiges zu sagen.
  1.  Das ist keine Definition eines guten Lehrers, ebensowenig wie "Ein gutes Haus hat Fenster" eine Definition eines guten Hauses ist. Weinert gibt hier eine Eigenschaft an, die ein guter Lehrer seiner Meinung nach haben sollte. 
  2.  Die Autorinnen setzen an die zitierte Weinertsche Definition die Bedingung, dass der Lehrer dieses Repertoire "gendersensibel einsetzen kann". Das ist nicht Teil der Weinertschen Definition. So geht man nicht mit Quellen um.
  3. Selbst wenn es die Weinertsche Definition wäre und nicht die Erfindung der beiden Autorinnen, dann würde sie besagen, dass ein guter Lehrer sein Repertoire "gendersensibel einsetzen kann". Die Behauptung "Genderkompetente Lehre impliziert gute Lehre", welche die Autorinnen aus der gefälschten Definition ableiten wollen, zeigt, dass sie nicht verstanden haben, dass A ⇒ B und B ⇒ A zwei ganz verschiedene Aussagen sind. Aus "Jedes Quadrat ist ein Rechteck" folgt eben nicht, dass jedes Rechteck ein Quadrat ist, und aus "jeder gute Lehrer unterrichtet genderkompetent" folgt nicht, dass wer genderkompetent unterrichtet, ein guter Lehrer ist. Früher hat man das in der allerersten Vorlesung eines Mathematikstudiums gelernt, heute kann man die Arbeitsgruppe "Gender Studies in der Mathematik" an der FU Berlin leiten und es zur Gastprofessur für Gender Studies in der (Didaktik der) Mathematik bringen, wenn man vom einfachsten logischen Schluss keine Ahnung hat. Zumindest, würde ich bemerken, wenn ich böse wäre, als Frau. 
Gendergeforscht wird auch anderswo: Frau Prof.  Andrea Blunck zitiert in ihrer Präsentation die "These von Ellen Harlizius-Klück", wonach die Sätze der Arithmetik Euklids aus der von Frauen ausgeführten Musterweberei stammen.
Darauf muss man erst mal kommen. Man hat sich ja langsam daran gewöhnt, dass der Satz des Pythagoras von Frau Pythagoras (Theano) und die Relativitätstheorie von Frau Einstein stammen soll, während die Bücher Diophants ganz zweifellos zum größten Teil von Hypatia geschrieben worden sind. Ein Ende der genderbewussten Geschichtsschreibung ist noch nicht absehbar.

Auch an der PH Ludwigsburg ist die Genderista aktiv. Dor findet man den Artikel "Geschlechtsspezifische Unterschiede im Gehirn und mögliche Auswirkungen auf den Mathematikunterricht" von Birgit Ulmer,  für den sie den Genderpreis der PH Ludwigsburg im Jahr 2005 erhalten hat (das muss bitter sein, wenn man keine Preisin erhält).

Frau Ulmer zeigt gleich zu Beginn, wie viel sie von logischem Schließen versteht:

    Der Test wurde an einer Mädchenrealschule ohne eine 
    Begründung abgelehnt. Man hatte wahrscheinlich Bedenken 
    schlechter abzuschneiden als eine gemischte Realschule.

Dann beklagt sie sich über die schlechte Welt:

      Leider herrscht das Vorurteil, dass Mädchen in 
      Naturwissenschaften den Jungen unterlegen sind, immer noch 
      vor. Wie kann man diesen Vorurteilen entgegenwirken?      

Ganz einfach, sagt sie sich: mit einer Studie. Leider gibt es eindeutige Ergebnisse:

     Erschreckend ist, dass Mädchen generell schlechter abschneiden 
     als Jungen. . . .  Weiterhin ist ersichtlich, dass Mädchen bei 
    Transfer-Aufgaben große Schwierigkeiten haben.

Das scheint das Vorurteil nur vordergründig zu bestätigen. In Wirklichkeit ist alles viel komplizierter:

      Mathematik kann man eben oder kann man nicht - dieser Satz 
      kommt Mathematiklehrern nur allzu oft über die Lippen.
      Besonders den Mädchen wird suggeriert, dass Frauen und 
      Naturwissenschaften nicht zusammen passen.

Mathematiklehrer  sind also schuld, und zwar, wie man an der ungegenderten Berufsbezeichnung erkennen kann, nur die männlichen. Als Mathematiklehrer an einem Mädchengymnasium kann ich bestätigen, dass der Satz "Mädchen sind zu doof für Mathe" unser tägliches Mantra ist. Außer der Abschaffung männlicher Mathematiklehrer gibt es noch eine zweite Therapie:

     Dass Mathematik auch Spaß machen kann, ist leider vielen Schüler 
     nicht bewusst. Dem kann Abhilfe geschaffen werden, indem mehr 
     Alltagsphänomene mit der Mathematik verbunden werden.

Inzwischen gibt es kaum noch eine Mathematikstunde ohne Alltagsphänomene, aber der Spaßfaktor in Mathematik ist dadurch nicht gewachsen. Nicht einmal, möchte ich aus Erfahrung behaupten, bei Mädchen.

Da bleibt wohl nur die harte Kur, die man an der Wayne State University begonnen hat: dort hat man die Mathematikkurse zugunsten von "irgendetwas mit diversity" abgeschafft. Wenn also das ganze Gendern nicht hilft, bleibt das als Ausweg, und alle Universitäten, die jetzt schon Genderlehrstühle in Mathematik und Naturwissenschaften haben, werden dann im Vorteil sein.  

Zu guter Letzt ein Hinweis auf das Theaterstück Die Wolken des Aristophanes, das schon fast 2500 Jahre auf dem Buckel hat. Darin macht sich Aristophanes über die Sophisten seiner Zeit lustig, als deren Chef er Sokrates gesehen hat. Dieser soll dem verschuldeten Bauern Strepsiades die Kunst beibringen, Unrecht zu Recht zu machen, damit er seine Schulden nicht bezahlen muss. Sokrates lässt ihn männliche Tiere nennen, und Strepsiades nennt Widder, Stier, Bock, Hund und Spatz. Sokrates erklärt ihm, dass es nicht angehe, mit Spatz männliche und weibliche Spatzen zu bezeichnen, sondern dass es Spatz und Spätzin heißen müsse. Als Dank für diese Lehre befürchtet Strepsiades, er müsse den Backtrog von Sokrates bis zum Rand füllen, worauf dieser ihm erklärt, der Backtrog müsse ja wohl weiblich sein (mit einem Insiderwitz: der Backtrog ähnle Kleonymos; dieser Politiker war des öfteren das Ziel des Spotts von seiten des Aristophanes, weil Kleonymos in der Schlacht seinen Schild weggeworfen haben und desertiert sein soll). "Allein im Ernst - wie muss ich sagen?", fragt Strepsiades, und bekommt als Antwort:

      "Backtrögin"! Wie du sagst "die Demagögin".   

Oder, wie es bei manchen Grüninnen schon heißt: Elterinnen.