Dienstag, 4. Dezember 2018

Mathematik handlungsorientiert

Hamburg, so war jüngst zu lesen, hat eine Expertenkommission eingesetzt, um den Lehrern klar zu machen, wie guter Mathematikunterricht funktioniert. Die Experten waren dieselben, die Hamburg und den Rest der Republik dahin gebracht haben, wo Deutschland heute bildungspolitisch steht: Erziehungswissenschaftler, in diesem Fall geleitet vom Psychologen Olaf Köller vom IPN in Kiel, seines Zeichens Gründungsdirektor des IQB, das uns ab 2019 Abiaufgaben in Mathematik unterschiebt, bei denen die Abiturienten zeigen sollen, dass sie Daten aus Diagrammen und Schaubildern ablesen können.   Warum diese Expertenkommission sich erdreistet, den Hamburger Lehrern mehr Fortbildungen zu verschreiben, obwohl diese in Sachen Fortbildungen bereits einen Spitzenplatz unter den Ländern haben, mag verstehen wer will. Letztendlich geht es wohl nicht um den Schulerfolg der Hamburger Schüler, sondern um das Absichern der Pfründe der Didaktiker, die diese Fortbildungen steuern.

Der Tagesspiegel bringt es in seinem Artikel auch noch fertig, fake news über die Antwort auf den Brandbrief zu verbreiten: anstatt zu schreiben, die 50 Personen, die den Gegenbrief unterzeichnet haben, seien durch die Bank Didaktiker gewesen, wird hier das Märchen erzählt, er sei von "Mathematikverbänden" getragen worden. Dass sich die Didaktikverbände MNU und GDU hinter die Gegenseite gestellt haben, liegt daran, dass sie das Debakel mitzuverantworten haben. In der DMV dagegen ist zumindest ansatzweise eine Diskussion in Gang gekommen, die allerdings etwas darunter leidet, dass auch diese von einer Didaktikerin geleitet wurde.

Ebenfalls unlängst bin ich auf eine ganz große Sammlung von Mathematikaufgaben gestoßen, die es, was Lügen und fake news betrifft, locker mit Münchhausens gesammelten Werkten aufnehmen kann.

      1. Eine Amateuraufnahme vom Einwerfen der Diskuswerfer 
          bei den Olympischen Spielen in London zeigt angeblich 
          einen Weltrekordwurf des deutschen Werfers Robert Harting.
          Technikern ist es gelungen, drei Punkte der parabelförmigen 
          Flugkurve dieses Wurfes zu extrahieren  [ . . . ] Analysieren 
          Sie die Flugkurve des Hammers von Robert Harting

Dass ein Diskus kein Hammer ist - geschenkt. Gravierender ist die Tatsache, dass die Geschichte von vorn bis hinten erlogen ist, aber auch daran hat man sich inzwischen ja gewöhnt. Dass aber auch die Physik einmal mehr außer Kraft gesetzt wird, ist schon ärgerlich. Wenn man einen Diskus weit werfen will, macht man das wie bei einem Frisbee, um für Auftrieb zu sorgen. Wenn die Flugbahn eine Parabel ist, hat man, wie man in den USA vor 20 Jahren gesagt hätte,  geworfen wie ein Mädchen.

        2. Nachdem bei den Olympischen Spielen in London beim 
            Hammerwurf Wettbewerb der Damen die Weitenmessung 
            versagte, analysierten Wissenschaftler der Sporthochschule 
            in Köln den Wurf von Betty Heidler, [ . . . ]

Auch hier kann jeder, der schon einmal was von google gehört hat, nachprüfen, dass die Geschichte ein wahres Senfkörnchen enthält,  insofern es bei dem Wurf Probleme gegeben hat. Aber weder hat die Weitenmessung versagt, noch haben Wissenschaftler der Sporthochschule den Wurf analysiert. Und wenn sie das getan hätten und eine perfekte Parabelbahn herausgekommen wäre, würde man als Wissenschaftler nicht den Schluss ziehen, dass  Frau Heidler die Bronzemedaille gewonnen hat, sondern dass London auf dem Mond liegt.

         3. Sportwissenschaftler stellten kürzlich folgende These auf:
            „Je höher der höchste Punkt der Flugkurve der Kugel beim 
            Kugelstoßen ist, desto weiter fliegt die Kugel.“

Was für eine bescheuerte These. Dass die mit der Realität wenig zu tun haben kann, sieht man schon daran, dass die meisten Kugelstoßer die Kugel nicht senkrecht nach oben werfen, wenn sie eine Medaille gewinnen wollen.

         4. Der Benzinverbrauch eines Mittelklassewagens ist 
             abhängig von seiner Geschwindigkeit.

Das ist wohl wahr. Was nicht daraus folgt, Frau Bast, ist dass der Benzinverbrauch damit eine Funktion der Geschwindigkeit ist. Vielmehr hängt er auch davon ab, in welchem Gang man fährt, wieviel man geladen hat, ob es bergauf oder bergab geht oder ob der Wind von vorne oder von hinten bläst. Sehr gefallen hat mir der Arbeitsauftrag zur dritten (!) Benzinverbrauchsaufgabe:

      Geben Sie eine mathematisch fundierte Empfehlung für 
      eine besonders umweltschonende Fahrweise ab.

Zum Mitschreiben: Sie, Frau Bast,  saugen sich eine Funktion aus den Fingern, und ich soll daraus Empfehlungen für die Fahrweise ableiten? Für die Frechheit, dass die Empfehlung "mathematisch fundiert" sein soll, bekommen Sie von mir höchstens eine Bemerkung über Frauen am Steuer.

          5. Durch Auswertung von Messungen der Ariane 4 Rakete
              wurde festgestellt, dass sich der Zusammenhang zwischen
              der Zeit (in Sekunden) der Höhe der Rakete über dem 
              Startplatz (in Metern) bis zum Verlassen der 
              Erdatmosphäre durch eine quadratische Funktion 
              beschreiben lässt.

Schön, dass in der Natur so viele quadratische Funktionen vorkommen - Mathematik ist überall. Eine quadratische Abhängigkeit liegt bei konstanter Beschleunigung vor; bei gleichbleibender Leistung und abnehmender Masse ist das aber nicht der Fall. Dass Raketen mehrstufig sind, hat sich anscheinend auch noch nicht herumgesprochen.

An dieser Stelle habe ich die Lektüre aufgegeben. Ich kann diesen Scheißdreck nicht mehr ertragen. Besserer Mathematikunterricht in Hamburg? Damit? Oder so:

      In Mittel- und Oberstufe sollen schriftliche und mündliche
      Leistungen zudem künftig gleich gewichtet werden.

Damit haben dann alle, die bei solchen handlungsorientierten "Mathematik"-Aufgaben vor Scham in den Boden versinken möchten, automatisch eine schlechte Note. Man muss schon ein sehr großer Experte zu sein, um zu meinen, das würde den Mathematikunterricht verbessern. Vermutlich wäre uns mehr geholfen, wenn man den gelben Westen eine Zugfahrt von Paris nach Kiel bezahlen würde.

Nachtrag 04.12.: Die Liste der Vorschläge und die Namen der "Experten".  Darunter Prof. Dr. Regina Bruder,  Prof. Dr. Gabriele Kaiser, Prof. Dr. Susanne Prediger. Kann man da noch sagen, dass man den Bock zum Gärtner gemacht hat, oder brauchen wir hier ein gegendertes neues Sprichwort?