Der Strahlensatz in Klasse 9 ist in den letzten Jahren immer mehr zum Problem geworden: bei Aufgaben, in denen der Kartoffelbrei nicht vorgekaut war und man etwa selbständig eine Skizze machen musste, hatten die Schüler zunehmend Schwierigkeiten, um es mal vornehm auszudrücken. Glücklicherweise haben die Bildungsplaner (wie kann es sein, dass in einer Demokratie niemand weiß, wer das macht?) darauf reagiert und den Strahlensatz nach Klasse 8 geschoben (wo stattdessen der Satz des Pythagoras hingehören würde, weil dieser nämlich zur Einführung der Quadratwurzeln passt).
Der Band 8 des LS wurde für den Bildungsplan 2016 überarbeitet, folgerichtig kann man auch dem Autorenverzeichnis nicht ansehen, wer für die Änderungen in diesem Band zuständig ist, weil untern den Dutzenden von Autoren auch die stehen, die am entsprechenden Band von vor 20 Jahren mitgeschrieben haben. Dass die Einführung wohl recht schnell ging, kann man schon der Tatsache entnehmen, dass auf der zweiten Seite als Zusatzmaterial für LS Band 8 das Arbeitsheft LS 7 angepriesen wird. Ansonsten ist zu konstatieren, dass der Verlag keinen Lehrer gefunden hat, der über Physikkenntnisse verfügt, wie man sie früher auf der Hauptschule vermittelt hat - wie anders kann man sich die folgende Angabe auf Seite 77 erklären?
1 cm\(^3\) Stahl wiegt ca. 7,9 g/cm\(^3\);
1 Satz, 2 Fehler. Setzen 6 hätte man das früher kommentiert.
Aber jetzt zum Strahlensatz, oder was die Autoren des LS sich darunter vorstellen. Den Strahlensatz können heutige Autoren in Deutschland anscheinend nur noch mit Hilfe der zentrischen Streckung beweisen, oder zumindest glauben sie das. Also beginnt das Abenteuer mit einer Definition der zentrischen Streckung:
Dazu ist so Einiges zu sagen. Zuerst gehört die Voraussetzung \( k > 0\) an den Beginn ("mit dem Streckzentrum S und dem Streckfaktor \( k > 0\)"), denn sonst ist Aussage (1) schon falsch, weil P' im Falle \( k < 0 \) nicht auf dem Strahl SP liegt, sondern auf dem entgegengesetzten. In (2) dagegen ist k > 0 überflüssig, weil Streckenlängen grundsätzlich positiv sind. Zweitens ist zu sagen, dass eine zentrische Streckung durchaus auch S auf einen Punkt abbildet, nämlich auf sich selbst; würde man das sagen, dann könnte man sogar zeigen, dass eine zentrische Streckung genau einen Fixpunkt hat, wenn nicht gerade k=1 ist.
Ein flüchtiger Blick auf die Skizze lässt einen im Text nach den Größen i und j suchen; die findet man dort aber nicht. Auch ist nicht klar, was das k in der Skizze überhaupt zu bedeuten hat - mir deucht, dass es sich dabei gar nicht um den Streckfaktor handelt. Was andererseits nicht schlecht ist, denn die Abbildung zeigt alles Mögliche, nur keine zentrische Streckung: R' müsste in einem solchen Fall 1,5 mal so weit von S wegliegen wie R, aber das ist nicht der Fall.
Weiter im Text:
"Man kann zeigen" heißt übersetzt "Das müsst ihr jetzt glauben". Mathe 5, Religion 1: selig wer glaubt, ohne zu sehen. Warum man das zeigen kann, aber nicht im LS, bleibt das Geheimnis der Autoren. Dass Geraden auf parallele Geraden abgebildet werden, gehört anscheinend nicht mehr zum Glaubensbekenntnis; allerdings ist schon der erste Satz des Beweises falsch: selbstverständlich gibt es Geraden g, deren Bild g' mit g einen Punkt gemeinsam haben, nämlich alle Geraden durch S. Und wenn es um eine zentrische Streckung mit k=1 geht, sogar alle Geraden. Hätte man sich über Fixpunkte bei zentrischen Streckungen unterhalten, wären die Ausnahmefälle klar zu benennen gewesen, und der Beweis wäre ein Kinderspiel: offenbar hat die zentrische Streckung in der Skizze zwei Fixpunkte, nämlich S und P. Also ist entweder S = P (Gerade durch S) oder k=1.
Kommen wir jetzt zum eigentlichen "Beweis" des Strahlensatzes.
Natürlich gibt es, wenn g und h parallel sind, zentrische Streckungen, die g auf h abbilden. Sogar unendlich viele. Die helfen aber nichts, denn wir brauchen zentrische Streckungen, die P auf P' und Q auf Q' abbilden; wenn man diese vier Punkte nicht hat, bekommt man auch kein Streckzentrum S. Die Voraussetzungen sind also, dass es parallele Geraden PQ und PQ' gibt derart, dass PP' und QQ' sich in genau einem Punkt S schneiden. Und weil die Autoren offenbar Angst hatten, den Beweis zu versauen, haben sie ihn als Übungsaufgabe 15 an die Schüler delegiert. Vermutlich eine ihrer eher intelligenten Entscheidungen.
Wir halten fest: Zentrische Streckungen werden eingeführt, damit man den Strahlensatz beweisen kann. Ein Drittel des Beweises (Geradentreue) muss man glauben, ohne ihn sehen zu können, ein Drittel wird vorgeführt, aber mit Lücken und Fehlern, und das letzte Drittel ist Übungsaufgabe für Schüler.