Mittwoch, 3. Februar 2016

Physikunterricht in BW - ein Drama


Zusammen mit dem Lehrplan 2004 aus der Schavanschen Bildungsreform
(Einführung von G8, Abschaffung von Leistungskursen) kam die
Entropie in die Schulphysik, aufbauend auf dem Karlsruher Physikkurs (KPK).
Dieser war 1994 als Alternative angeboten worden, wurde danach ähnlich
beworben wie Banken damals Omas das Geld mit Aktienanlagen aus der Tasche
zogen, und wurden dann 2004 in die Lehrpläne geholt. Führungspositionen
in Regierungspräsidien und in der Lehrer- und Referendarausbildung
wurden mit KPK-Leuten besetzt, und Aufgaben in Vergleichsarbeiten und
im Abitur haben Lehrer dazu gezwungen, das Spiel mitzumachen (Vortrag
von Rudolf Lehn). 10 Jahre nach der Einführung erscheint auf der
Seite des RP ein Vorschlag, wie man Entropie unterrichten könnte:
nämlich indem man ein youtube-Video von Martin Buchholz abspielt,
der Entropie in seinem Siegerbeitrag zum science-slam 2010 behandelt.

Letztendlich hat sogar die Deutsche Physikalische Gesellschaft gegen den
KPK Stellung bezogen (in Mathematik ist Opposition gegen den Kompetenzwahn
und die Abschaffung sämtlicher Inhalte vom kleinen Einmaleins bis zur
Differentialrechnung ausdrücklich nicht Sache der Organisationen: MNU, DMV
und wie sie alle heißen begrüßen dort jeden Mist), was die KPK-Didaktiker
sofort zum Weinen gebracht hat:

"Die DPG macht eine furchtbare Entdeckung: Es gibt einen Physikkurs, der
 alte, bewährte Lehrtraditionen in Frage stellt; der behauptet, die Physik
 könne verständlicher und kürzer gelehrt werden und der Physikunterricht
 könne weniger frustrierend sein."

So funktioniert Argumentation auf Didaktiker-Niveau: nicht nur hat der
Unterricht in Sachen Entropie funktioniert, er war verständlicher und
weniger frustrierend und die DPG hat weder Ahnung von Physik, noch vom
Unterrichten. Buhuhuh.

Auch eine Stellungnahme zu Bildungsstandards und Lehrplänen im Fach Physik
von Physiklehrern und der Fakultät für Physik und Astronomie Heidelberg
ist deutlich:

"Die Behandlung der Entropie, wie sie in der Physik verstanden wird,
 erscheint uns zu schwierig für die Schule."

Außerdem plädieren sie dafür, das Gravitationsfeld wieder im Unterricht
zu behandeln.

Im neuen Bildungsplan 2016 taucht das Wort Entropie nicht mehr auf;
jetzt wird wieder wie in andern Bundesländern der Energiebgriff benutzt.
Allerdings geht der BP 2016 mit keinem Wort darauf ein, wieso
der verständliche und frustrationsfreie Unterricht mit Entropie jetzt
ad acta gelegt wird. Natürlich erwartet man keine Entschuldigung und
kein Eingestehen eines Irrtums, aber wie wär's wenigstens mal mit
einer Aussage a la "war halt mal so ne Idee"? Anscheinend ist selbst
das zu viel verlangt.



Montag, 1. Februar 2016

Fasching: Lehrplan 2016 BW

Für erhöhte Heiterkeit habe ich heute mit Zitaten aus dem neuen Lehrplan BaWü für Gymnasien ab 2016 gesorgt. Selbstverständlich ist der komplette Lehrplan eine einzige Ansammlung von Kompetenzsprech, aber auf eine Art und Weise, die dann doch stellenweise an eine gelungene Büttenrede erinnert. So soll man im Mathematikunterricht alles mögliche lernen, nur keine Mathematik. Als Ziele sind etwa genannt:


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  • Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV)


" Aus dem Stellenwert des Faches Mathematik erwächst die Verantwortung, im Unterricht seine Bedeutung durch häufigen Bezug zur realen Welt herauszuarbeiten. Mit geeigneten, anwendungsorientierten Aufgaben und durch die Art der Behandlung können Aspekte der Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt aufgegriffen werden."


  • Prävention und Gesundheitsförderung (PG)


"Mit den Arbeitsweisen und Methoden des Mathematikunterrichts wird ein
wesentlicher Beitrag zur Entwicklung der Persönlichkeit im Sinne der
Leitperspektive Prävention und Gesundheitsförderung geleistet. Die
Schülerinnen und Schüler erwerben durch Beobachtung von modellhaftem
Verhalten sowie durch eigene Erfahrungen Lebenskompetenzen vor allem
in den Lern- und Handlungsfeldern "Gedanken, Emotionen und Handlungen
selbst regulieren" und "ressourcenorientiert denken und Probleme lösen".
Insbesondere können sie sich im Mathematikunterricht in ihrem Handeln
als selbstwirksam erleben."

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Und dann wird noch explizit erklärt, dass der Standardstoff nicht ausreicht, um sich ein
MINT-Studium auch nur vorstellen zu können:


"Differenzierung und Individualisierung sollen auch genutzt werden, um
den Schülerinnen und Schülern, die sich ein Studium im MINT-Bereich
vorstellen können, inhaltlich über die Standards hinausgehende Vertiefungen
anzubieten."

Da verlangt man von Schülern, sie sollen in der Lage sein, beim Recherchieren im Netz
Internetseiten zu bewerten, und setzt ihnen dann einen Lehrplan vor, gegen den eine Esoterikseite
über Erdstrahlen und kosmische Energiepillen wie harte Wissenschaft aussieht. Darf das wahr sein?

Und wenn ich ehrlich bin: einen Satz wie "Insbesondere können sie sich im Mathematikunterricht in ihrem Handeln als selbstwirksam erleben" kann ich noch nicht einmal ins Deutsche übersetzen,