Montag, 25. März 2019

Frauenpower III

Man kann das Wort Brexit ja kaum noch hören. Was für eine Katastrophe der Brexit für den deutschen Michel ist, kann man im  Guardian nachlesen: Dass die Engländer das Auswandern einer professoralen Expertin für den gender pay gap nach Deutschland als brain drain bezeichnen, ist ein Humor, wie er schwärzer (oder heißt es Schwarzer?) nicht sein kann.

Dienstag, 19. März 2019

PISA macht Schule II

Nach der bereits im letzten Beitrag erwähnten Veröffentlichung PISA macht Schule  von 2006 ist es in Sachen "scientific literacy" (dass die Schlagworte alle aus dem Englischen kommen, überrascht nicht)  nicht, wie Marcus Hammermann auf S. 132 schreibt, das Ziel des Unterrichts, die Abiturienten auf ein Studium in den Naturwissenschaften vorzubereiten, sondern darauf, wie man PISA-Aufgaben löst:

      Stärker im Hintergrund steht, ob der Unterricht die 
      Schülerinnen und Schüler auf ein eventuelles Studium
      eines naturwissenschaftliches Faches gut vorbereitet. 

Damit sehen wir einmal mehr, dass Entwicklungen, die heute landauf und landab beklagt werden, von Didaktikern von langer Hand geplant worden sind. Auch PISA-Chef Schleichers erklärtes Ziel war und ist die Einheitsschule für alle. Wenn Abiturienten heute gezwungen sind, IWM (irgendwas mit Medien) oder gleich bei Penny und Aldi dual zu studieren, weil es mit den Abiturkenntnissen zu Maschinenbau oder gar Physik nicht mehr reicht, dann ist das für Didaktiker ein Grund zum Feiern: genau so wollten sie es haben.

Zurück zu PISA macht Schule. Einer meiner Leser (herzlichen Dank!) hat das Machwerk ebenfalls überflogen und ist an den 10 Quadraten hängen geblieben. Auch dort zeigt sich, dass die Professoren Blum und Leiß nicht nur beim Erstellen (ich vermute allerdings stark, dass sie die Aufgabe irgendwo abgeschrieben haben), sondern auch beim Lösen PISA-ähnlicher Aufgaben ebenso überfordert sind wie Teile unserer Schülerschaft.

Worum geht es? Es geht um ein großes Quadrat, das in kleinere Quadrate zerlegt ist:




Im Aufgabentext steht, dass die Ausdrücke die jeweilige Fläche bezeichnen, dass also ein Quadrat mit Inhalt cSeitenlänge c hat.
Die erste Aufgabe besteht darin, die Gleichung c = h + e nach h aufzulösen. Dazu bemerke ich nur, dass ich nicht einsehe, warum der Steuerzahler Leuten, die sich solche Aufgaben ausdenken, ein Professorengehalt bezahlt. In b) wird gefragt, wie groß e ist, wenn c = 44 und h = 16 ist. Auch an dieser Stelle möchte ich meine Bemerkung von eben geltend machen. Bei c) soll man die Gleichung h = e-i in die Gleichung c = h + e einsetzen und vereinfachen. Ich würde mich wiederholen müssen, wenn ich dazu etwas sagen wollte.

Bei d) endlich wird es anspruchsvoll:

        d) Finde eine passende Gleichung:
             e = ___________________

Anspruchsvoll bezieht sich hier auf die Deutung der Frage. Was ist eine "passende"  Gleichung? Ist eine Tautologie wie e = e passend? Ist e = e + 1 - 1 passend? Zum Glück haben wir Professor Blum, der in seiner Einleitung zu verstehen gibt, dass er die Aufgabe gelesen und verstanden hat. Es geht hierbei, wenn man Professor Blum glaubt, um die Kompetenz "Problemlösen" (K2), und darum, dass in dieser Aufgabe

        verschiedene Strategien zum Aufstellen unterschiedlicher aber
        jeweils wertgleicher Terme eingefordert werden.

So ist das also. Damit ist e = e unpassend, e = e + 1 - 1 dagegen nicht. Ausdrücklich wird der Aufgabenteil e) gelobt, in welchem man Strategien zum Aufstellen vier unterschiedlicher aber jeweils wertgleicher Terme entwickeln soll, wobei die linke Seite jeweils a + c sein soll. Eine der Lösungen ist dabei die Gleichung

         a + c = a + b,

der ein Mathematiker, der seinen Verstand nicht an die Didaktik verloren hat, entnehmen kann, dass wohl b = c sein muss. Entsprechend kann man aus der Gleichung

           c + e + d = b + f + d

wegen  b = c auch noch e = f folgern. Wegen g = b-f und h = c-e folgt dann aber auch g = h. Wegen f = g + k und e = h + i folgt jetzt k = i. Also ist g = h = 2k, e = f = 3k, b = c = 5k , d = f+k = 4k, und endlich a = c+h = 7k. Weil die Sache jetzt etwas unübersichtlich geworden ist, zeichnen wir die Figur mit k=1 und finden die folgende:



Statt zwei verschieden große Restquadrate bleiben also drei gleich große übrig. Eine Lösung wäre, daraus zu schließen, dass alle Seitenlängen = 0 sind. Dann verschwinden alle Probleme, und es sind alle Gleichungen richtig, auf denen auf beiden Seiten Linearkombinationen der Seitenlängen stehen. Nun ja, alle Probleme verschwinden nicht: die PISA-Didaktiker bleiben.

Es ist übrigens alles andere als einfach, ein Quadrat in Quadrate mit lauter verschiedenen Seitenlängen zu zerlegen. Die einfachste Lösung erfordert nicht 10, sondern 21 Quadrate, wie man hier nachlesen kann.

Dienstag, 12. März 2019

PISA macht Schule

Auch in Hessen schreitet der Fortschritt in der Bildung mit Siebenmeilenstiefeln voran. Jüngst erschien die Publikation PISA macht Schule,  in der die "neue Aufgabenkultur" über den grünen Klee gelobt wird - natürlich von den Leuten, die sie mitverbrochen haben, insbesondere Herrn Professor Werner Blum, seines Zeichens der Papst des Modellierens.

Eine schöne Mathematikaufgabe dreht sich um gespiegelte Pinguine:



Ich weiß nicht recht, was ich als Hobbymathematiker zu solchen Mathematikfragen sagen soll. Was würde man als Schüler antworten? Dass schwarz und weiß auch im Spiegelbild schwarz und weiß sind? Oder ist das keine Eigenschaft der Körper? Soll man was mathematisches sagen? Und was soll das "annähernd"? Was bleibt bei einer Spiegelung "annähernd" gleich? Man vermutet eine Fangfrage, sieht die Falle aber nicht.

In einem solchen Fall schaue ich gern in die Lösung, weil ich den Schülern dann sagen kann, wie die Frage gemeint ist und was von ihnen verlangt wird. Schau'n mer also mal:


Das Kompetenzraster erklärt uns, dass es sich bei dieser Aufgabe um die Kompetenz "Darstellung" handelt. Kein Wunder, dass ich überfordert bin.

Dann wird es doch noch mathematisch: Bei der Spiegelung soll es sich um eine Achsenspiegelung handeln, deren Achse das Ufer des Gewässers ist. Wieso, fragt man sich da als Schüler, sieht man dann das Spiegelbild der Füße der Pinguine nicht? Vielleicht ist das der gesuchte Unterschied? Und was gleich bleibt, ist dass der Rest des Spiegelbilds sich auch in Hellabrunn befindet?

So einfach ist es leider nicht.



Die Lösung erklärt als erstes, dass das obere Bild das Original und das untere Bild das Spiegelbild ist; das ist praktisch für alle Schüler, die noch nie ein Spiegelbild im Wasser gesehen haben. Und, so die Professoren Blum und Leiß, die Größe der Körper ist in Original und Spiegelbild "annähernd" gleich. Annähernd natürlich deswegen, weil es sich bei der Abbildung gar nicht um eine Spiegelung handelt. Aufgabe für richtige Mathematiker: Zeige, dass man die Linse des Fotoapparats nicht so plazieren kann, dass sich tatsächlich eine Spiegelung ergibt.

Was mich allerdings etwas wundert, Herr Professor Blum und Herr Professor Leiß, ist der letzte Satz:

      allerdings sind sie spiegelverkehrt, d.h., was im Original 
      rechts ist, ist im Spiegelbild links.

Da wäre ich ohne professorale Hilfe bei der Lösung wohl nicht drauf gekommen. Tölpel wie ich hätten vermutlich behauptet, dass im Spiegelbild, das keines ist, oben und unten vertauscht ist, rechts und links dagegen nicht.

Oder, wie es seinerzeit bei Jandl hieß (eines der wenigen Dinge, die ich aus einem meiner Deutschbücher aus den 70er-Jahren  behalten habe):

       lichtung

       manche meinen
       lechts und rinks
       kann man nicht velwechsern
       werch ein illtum

Tatsächlich kann man als empirischer Bildungsforscher außer lechts und rinks auch uben und onten verwechseln. Was so Einiges erklärt.

Sonntag, 3. März 2019

Neoliberalismus und PISA, oder: H is for Harry

"H is for Harry" ist ein britischer Dokumentarfilm über einen Jungen, der zu einer Minderheit gehört, mit dem es das britische Schulsystem (ebenso wie unseres) nicht gut meint: er ist weiß und ein Junge. In dem gelinkten Artikel stehen eine Menge richtiger Sachen über die Folgen mangelhafter oder nicht existenter Bildung, und ein Satz, der mich auf die Palme bringt:
 
    The cost to the economy is put at more than £37bn a year.
     
Dass ein Fünftel der Grundschulabgänger nicht richtig lesen und schreiben kann ist ein Skandal, und warum? Weil es der Wirtschaft schadet. Es ist dieser von OECD, PISA und Schleicher durchgesetzte Begriff von Bildung, wonach nur wichtig ist, was für die Wirtschaft zählt: die Kompetenzen, die realitätsnahe Mathematik und der ganze Murks, der unser Bildungssystem (ebenso wie diejenigen in den andern westeuropäischen Ländern mit Ausnahme der Schweiz, die aber auf einem guten Weg ist) in kaum 20 Jahren dahin gebracht hat, wo es heute steht, nämlich an den Rand einer ganz großen Klippe.

Lieber Guardian: euer letzter Satz

       17th 
       Where the UK ranks for literacy among 34 OECD countries.
       It ranks 15th for numeracy.

ist nicht die Diagnose. Es ist die Krankheit.

Samstag, 2. März 2019

To Bernoulli or not to Bernoulli

Ein Nachteil, wenn man keine Lehrbücher mehr benutzt, besteht sicherlich darin, dass die gröbsten Schnitzer unbemerkt an einem vorüberziehen. Außer man hat freundliche Kollegen, die einen auf solche Schnitzer hinweisen.

Im Lambacher-Schweizer der 10. Klasse werden Bernoulli-Experimente und Bernoulli-Ketten definiert, und zwar so:

     Definition: Ein Zufallsexperiment heißt Bernoulli-Experiment,
     wenn es genau zwei Ergebnisse hat. Eine Bernoulli-Kette 
     besteht aus mehreren Durchführungen eines Bernoulli-Experiments. 

So weit, so gut. Aufgabe 1d) auf S. 156 verlangt nun zu entscheiden, ob das folgende Experiment "als Bernoulli-Kette modelliert" werden kann. Das ist schon einmal seltsam, weil die Definition von "kann modelliert werden" nicht im Buch steht. Vermutlich ist einfach gemeint, man solle entscheiden, ob eine Bernoulli-Kette vorliegt oder nicht. Die Frage lautet nun:

     d) Eine Münze wird so lange geworfen, bis Zahl erscheint.

Offenbar gibt es genau zwei Ergebnisse, und offenbar sollen wir davon ausgehen, dass die Wahrscheinlichkeit für Zahl bei jedem Experiment dieselbe ist. Ein unbedarfter Schüler würde also wohl vermuten, dass eine Bernoulli-Kette vorliegt und das Experiment folglich als Bernoulli-Kette modelliert werden kann. Schauen wir uns zur Sicherheit die Lösung an:

     Das Zufalls-Experiment kann nicht als Bernoulli-Kette 
     modelliert werden, da die Anzahl der Würfe von der konkreten
     Durchführung des Zufallsexperiments abhängt. Damit wäre 
     die Länge nicht immer gleich.

Es ist nun so: Was man in der Mathematik von einer Definition erwartet, ist, dass sie das, was definiert wird, auch tatsächlich definiert. Man kann von einer Bernoulli-Kette natürlich verlangen, dass die Anzahl der Versuche, wenn man das Experiment noch einmal macht, genauso groß ist wie beim ersten Mal. Aber dann muss man das auch in die Definition reinschreiben.  Was nicht geht, ist dass man die Spielregeln zwischen Definition und Aufgabe einfach verändert. (Da fällt mir Hitlers Leasingvertrag ein: Doch, das geht!).

Es ist auch richtig, dass etwa die Zufallsvariable X, welche die Anzahl der geworfenen Zahlen zählt, nicht binomialverteilt ist, denn am Ende des Experiments hat man immer genau eine Zahl geworfen. Aber danach war nicht gefragt. Doof ist natürlich, dass auf S. 136 der Satz steht, dass die Anzahl X der Treffer in einer Bernoulli-Kette binomialverteilt ist. Wir haben also:

  • Eine Definition, die nichts definiert.
  • Einen Satz, der nicht bewiesen wird und der, wenn man die Definition unbedarft liest,  manchmal falsch ist.
Mein Vorschlag: wir kegeln die Binomialverteilung aus dem Lehrplan und befassen uns wieder mit dem Teil der Mathematik, den die Lehrbuchautoren und Bildungsplaner auch verstehen.