Samstag, 31. Dezember 2022

Santa ist in Schwierigkeiten

Dass ich von real existierenden Dissertationen in Didaktik im allgemeinen eher wenig halte, dürfte kein Geheimnis sein. Aber wenn sie schon bei Springer erscheinen, wird man diese intellektuellen Leistungen ja wohl auch kommentieren dürfen.

In  der Dissertation "Sprachsensibler Aufbau des Vektorbegriffs" von Sarah-Sofie Armbrust geht es, wie der Titel schon sagt, um einen sprachsensiblen Aufbau des Vektorbegriffs. Die ersten 100 Seiten sind mathematikdidaktisches Blabla (also eher wenig sprachsensibel); auf Seite 136 kommen dann Schüler (oder wie Sarah-Sofie sagt: SchülerInnen) ins Spiel, und zwar im Zusammenhang mit einer Prätest- und einer Posttest-Aufgabe.

So ist es:

So stellt man sich also bei Didaktikers die Lebenswelt der SchülerInnen vor. Nikolaus ist tot, es lebe Santa - Ho!Ho!Ho! Wo ist Knecht Ruprecht, wenn man ihn braucht?

Verwirrt hat mich die Angabe mit den zwei Kästchen für 100 N. Zum einen ist er wohl für Schülerinnen gedacht, deren Lebenswelt eher von Santa als von Pythagoras geprägt ist, zum anderen sind gar nicht zwei Kästchen (eine Fläche) gemeint, sondern die Grundseite zweier Kästchen (eine Länge). Hauptsache sprachsensibel. 

Sinn und Zweck der Darstellung wird jedenfalls erläutert; das kann man in einer Dissertation ja schon erwarten:

Fachliche Entlastung ist Blödsinn: Die Angaben über Größe und Richtung der Kräfte kann man dem Aufgabentext selbst ja nicht entnehmen. 

Wo es einen Prätest gibt, das gibt es natürlich auch einen Posttest. Dessen Aufgabenstellung hat mich dann aber doch überrascht:

Wenn die Schleppschiffe in der angegebenen Richtung weiterschippern, wird das über kurz oder lang (eher kurz) ein Problem werden, spätestens wenn sich der rechte Winkel in \(180^\circ\) verwandelt hat. Während Santa ein Problem hatte, haben die Schleppschiffe aber keines. Dass die Schülerinnen ein Problem haben, wenn sie dieslbe Aufgabe mit anderen Worten lösen müssen, lässt tief blicken und verrät, dass im vorliegenden Fall Sprachsensibilität vielleicht nicht der wirkliche Knackpunkt ist.

Und ich will ja nicht meckern, aber 500 N für den Schlitten von Santa sind schon bescheiden; wie die Schleppschiffe ein Kreuzfahrtschiff mit 500 N abschleppen sollen, ist mir ein Rätsel. Wie so vieles an zeitgenössischen Publikationen zur Didaktik der Mathematik.

Freitag, 30. Dezember 2022

Beweisen mit Vektoren im LS

 Beweise zu führen ist oft eine schwierige Angelegenheit. Zum Glück erklärt der neue LS für das Leistungsfach auf S. 246, wie man Beweise mit Vektoren führt:

  • Zum Beweisen mit Vektoren kann man folgendermaßen vorgehen:
  • Formulieren der Voraussetzung mithilfe von Vektoren.
  • Formulieren der Behauptung mithilfe von Vektoren.
  • Beweis der Behauptung durch Rechnen mit diesen Vektoren unter Verwendung der Voraussetzung.
Wenn das mal keine große Hilfe ist.

In Aufgabe 1 ist dann zu zeigen, dass ein Parallelogramm mit gleich langen Diagonalen ein Rechteck ist. Weil LS den eigenen Hilfestellungen nicht so recht traut, hat man die ganze Sache dadurch infantilisiert, dass man den Beweis auf bunte Kärtchen geschrieben hat, welche die Schüler im LK jetzt noch in die richtige Reihenfolge bringen müssen. Am besten in Gruppenarbeit und bei laufender Kamera, damit auch noch eine Dissertation in der Didaktik dabei rausspringt.

Donnerstag, 29. Dezember 2022

Awfully complex

Es gibt viele Menschen in Deutschland, die über komplexe Zahlen wenig wissen und sich nicht in korrektem  Englisch ausdrücken können. Tatsächlich gab es die schon immer. Das war auch nie ein Problem. Ein Problem wird das erst, wenn jemand, der über komplexe Zahlen wenig weiß und mit der englischen Sprache auf Kriegsfuß steht, beschließt, ein Buch über komplexe Zahlen auf Englisch zu verfassen. 

Das hat Jörg Kortemeyer gemacht. Erschienen ist das Büchlein als Teil der unsäglichen essentials-Reihe bei Springer-Spektrum. Unsäglich deswegen, weil die Autoren dort den Anschein erwecken, als könne man auf 50 Seiten eine ordentliche Einführung in irgendeine mathematische Theorie geben. 50 Seiten, damit man bei Modulformen mitreden kann? Nein danke.

50 Seiten komplexe Zahlen dagegen ginge durchaus, wenn man das Thema ordentlich durchdacht hat. Aber manche haben schon mit den reellen Zahlen so ihre Schwierigkeiten. In der deutschen Version des Buchs heißt es

  • Welche Zahlen liegen nun in der Menge der reellen Zahlen, also \(\mathbb R\), sind also irrational? 

Eine seltsame Frage, weil \(\mathbb R\) ja auch rationale Zahlen enthält.

Die englische Version ist eine Sammlung falscher Freunde. Wir begnügen uns mit einigen wenigen:

  • p. 4: It holds with the third binomial formula:
  • p. 8: The fraction is expanded
  • p. 17: Sine and cosine are usually introduced as aspect ratios in  rectangular triangles.  
  • p. 33: The angle is n-folded
  • p. 35: This gives the \(n\) different roots from \(z\)
  • p. 36: By pulling the third root

Bei den meisten Ausdrücken ahnt ein deutscher Leser, was gemeint ist. Aspect ratio bezeichnet im Englischen übrigens das Verhältnis von Umkreisradius zum doppelten Inkreisradius. 

Die Germanismen gehören noch zu den originellsten Beiträgen des Buchs. Ein Vergleich mit den Manuskripten von HELM, insbesondere demjenigen über complex numbers, spricht nämlich Bände. Man kann da schon ein bisschen Original und Fälschung spielen. Zum einen deckt sich der Inhalt zu 100%: Grundrechenarten, kartesische Form, Polarform, Eulersche Form komplexer Zahlen, und der Satz von "de Moivre" im Original und von "Moivre" in der Fälschung. An vielen Stellen sind die Ähnlichkeiten verblüffend:

HELM:

Kortemeyer:




"Thus it holds" ist selten blöd, schließlich setzt er die Gleichheit voraus. Und ein "if and only if" wäre eigentlich ebenfalls angebracht gewesen um die Verwirrung, die er angestiftet hat, auf ein erträgliches Maß zu stutzen.

HELM

Kortemeyer
Im Manuskript von HELM ist der Satz von de Moivre für rationale Exponenten formuliert. Das ist natürlich Unsinn, weil die linke Seite dann mehrdeutig ist, die rechte aber nicht:

Bei Kortemeyer ist der Satz von "Moivre" korrekt formuliert (wenn man vom Pidgin-Englisch mal absieht), die Ausweitung auf rationale Exponenten erfolgt später und ohne Ankündigung:
Als zusätzliches Bonbon gibt es bei Kortemeyer noch das Missverständnis, dass man damit 
Gleichungen vom Grad \(n\) lösen kann:


Mein Gott Walter.

Einen Unterschied zwischen HELM und Kortemeyer gibt es aber doch: Kortemeyer besteht darauf, dass \(i \ne \sqrt{-1}\) ist, denn dann wäre ja 
\[1 = \sqrt{1} = \sqrt{(-1)^2} = (\sqrt{-1})^2 = i^2 = -1.\]
Allerdings hat das nichts mit \(i = \sqrt{-1}\) zu tun, sondern mit der nur für reelle Zahlen gültigen Identität \(\sqrt{ab} = \sqrt{a} \cdot \sqrt{b}\) und der Tatsache, dass man im Komplexen die Wurzeln nicht eindeutig festlegen kann. Letzteres kann Kortemeyer natürlich schon: Zum einen rechnet er anstandslos mit Wurzeln aus negativen Zahlen beim Lösen quadratischer Gleichung mit der Lösungsformel, und zum andern gibt er in (4.11) die  "Moivresche" Formel 

Setzt man hier \(\phi = \pi\) ein, kommt justament \(\sqrt{-1} = i \) heraus.

Im Buch "Lineare Algebra und Geometrie" von W. Kimmerle, geschrieben für Ingenieure, Informatiker und Physiker im esten Semester, wird der Inhalt von Kortemeyers Werk auf sieben Seiten abgehandelt - vollkommen korrekt und einschließlich des Beweises der Additionstheoreme für Sinus und Cosinus. Mit deutlich mehr Tiefgang wird die Sache im Büchlein "komplexe zahlen" von Helmut Dittmann behandelt; der Autor kennt nicht nur den Fundamentalsatz der Algebra, er beweist ihn sogar - erschienen dieses Buch 1993 im BSV, dem Bayrischen Schulbuchverlag. Nimm das, Zeitgeist!

Zusammenfassend kann man feststellen, dass Kortemeyer gelernt hat, was man ihm auf der Schule beigebracht hat: 
  • Der Weg vom Laien zum Experten besteht aus 10 Minuten googeln.
  • Plagiate gibt es nur, wenn spätere Politiker eine Doktorarbeit schreiben.
Was das Plagiat angeht, muss man konstatieren, dass Kortemeyer immerhin weniger frech war als Mario  Gerwig mit seinem Buch "Der Satz des Pythagoras in 365 Beweisen". Mehr als 80 % seines Buches bestehen aus einer Übersetzung des Buchs "The Pythagorean Proposition" von Elisha Loomis, dessen Namen man auf dem Cover vergeblich sucht. 

Mittwoch, 28. Dezember 2022

Wie Kinder mathematisch denken lernen

Wer wissen will, wie Kinder mathematisch denken lernen, muss einen Fachmann fragen. Oder eine Fachfrau. Zum Glück gibt es da jemand: Sabine Czerny. Die hat man in Bayern strafversetzt, weil sie bei der Notengebung nur Einsen und Zweien benutzt hat. Oder, wenn man sie selbst fragt, weil ihre Schüler und Schülerinnen zu gut waren. Inzwischen plädiert sie für die Abschaffung der  Noten, weil das Leistungsprinzip unsere Kleinen psychisch versaut. Oder die Verkaufszahlen ihres Buchs nach oben treibt. Oder beides.

Jedenfalls darf Frau Czerny für das Deutsche Schulportal schreiben, das von der Robert-Bosch-Stiftung finanzierte Onlineportal. Dort erklärt sie uns den Unterschied zwischen 20 und 20. Ausgangspunkt ist die etwas, sagen wir, eigenwillige Korrektur einer ihrer Kolleginnen:


Nicht nur, so Frau Czerny, sei die Lehrerin im Recht. Vielmehr ist es unglaublich wichtig zu verstehen, warum \(5 \cdot 4\) etwas vollkommen anderes ist als \(4 \cdot 5\). Man muss nämlich zuerst die Hände zählen (4) und dann die Finger pro Hand (5) und dann \(4 \cdot 5 = 20\) rechnen. Wer dagegen erst die Finger zählt (5) und dann die Hände (4) und \(5 \cdot 4 = 20\) rechnet, aus dem wird nie ein Mathematiker. Frau Czerny muss es wissen. 
Erstaunlicherweise ist die Plusaufgabe richtig; wer 4 Daumen, 4 Zeigefinger, 4 Mittelfinger, 4 Ringfinger und 4 kleine Finger zählt und \(4 + 4 + 4 + 4 + 4 = 20\) rechnet - nun ja, Sie wissen schon . . .
"Denken heißt auch, zu wissen was man tut und erklären zu können, warum etwas so ist, wie es ist." Mir hat Frau Czerny jedenfalls nicht erklären können, warum das so ist, wie es ist. Daraus darf ich dann schließen, dass sie nicht denkt. 



Dienstag, 27. Dezember 2022

Das Kreuz mit den Umkehrfunktionen

 Wie ich bereits erwähnt habe, hat das KuMi BW die Abiturienten dieses Schuljahr mit Definitions- und Wertebereichen, sowie mit Umkehrfunktionen beglückt. Wie immer bei neuen Themen hat sich das IQB eine Falltür überlegt, die so wichtig ist, dass man ständig nach ihr gefragt wird. Beim Thema Umkehrfunktionen ist das die Tatsache, dass Schnittpunkte einer Funktion \(f\) mit der ersten Winkelhalbierenden auch auf dem Schaubild der Umkehrfunktion \(\overline{f}\) liegen.

Warum das so wichtig ist, weiß keiner: Im so viel gepriesenen realitätsnahen Mathematikunterricht werden Funktionen und ihre Umkehrfunktionen nie geschnitten, weil sie verschiedene Einheiten haben. Jedenfalls ist es für das Abitur wichtig, und das ist ja auch was.

Der LS jedenfalls betrachtet auf Seite 141 die Funktion \(f(x) = \sqrt{6-x}\) und fragt im Aufgabenteil c):

  • Berechnen Sie die Koordinaten des Schnittpunktes der Graphen von \(f\) und \(\overline{f}\).
Schüler bestimmen in der Regel die Umkehrfunktion  \(\overline{f}(x) = 6-x^2\) und schneiden dann, haben aber bei der Lösung der Gleichung \(\sqrt{6-x} = 6-x^2\) das Problem, dass nach dem Quadrieren \(6-x = (6-x^2)^2\) da steht, was mit den Hilfsmitteln, die ihnen heutzutage zur Verfügung stehen, nicht lösbar ist.
Die Idee der Autoren ist, die Funktion mit der Winkelhalbierenden zu schneiden: \(x = \sqrt{6-x}\) führt auf \(x_1 = -3\) und \(x_2 = 2\).  Weil \(x_1 = -3\) keine Lösung ist, bleibt als Schnittpunkt \(S(2|2)\).

Aufgabe gelöst! Oder doch nicht? Tun wir mal so, als wären wir vor 20 Jahren auf die Schule gegangen. Da hätte man die Gleichung \(6-x = (6-x^2)^2\) in \(g(x) = x^4  - 12x^2 + x+ 30 = 0\) verwandeln können, um dann nach ganzzahligen Lösungen unter den Teilern von \(30\) Ausschau zu halten. Findet man dann \(x_1 = -3\) und \(x_2 = 2\), kann man mit Polynomdivision faktorisieren:
\[ x^4  - 12x^2 + x+ 30 = (x+3)(x-2)(x^2 - x - 5). \]
Also bekommt man zwei weitere Lösungen, nämlich
\[x_3 = \frac{1-\sqrt{21}}2 \quad \text{und} \quad x_4 = \frac{1+\sqrt{21}}2 . \]
Hier ist \(x_4\) keine Lösung von \(\sqrt{6-x} = 6-x^2\), weil \(6-x_4^2\) negativ ist. Allerdings ist \(x_3\) eine Lösung, und \( (x_3,x_4) \) ein weiterer Schnittpunkt von \(f\) und \(\overline{f}\). Es gibt also zwei verschiedene Schnittpunkte. Oder doch nicht?





Tatsächlich ist der zweite Schnittpunkt ein Schnittpunkt der beiden algebraischen Kurven \(y=6-x^2\) und \(y^2 = 6-x\); diese beiden Kurven haben insgesamt vier Schnittpunkte. Funktion \(f\) und Umkehrfunktion \(\overline{f}\) schneiden sich dagegen nur in einem Punkt, weil die Umkehrfunktion von \(f\)  nicht  \(\overline{f}(x) = 6-x^2\) ist, sondern nur der Teil der Parabel rechts von der \(y\)-Achse; der Teil links von der \(y\)-Achse hat die Umkehrfunktion \(f_1(x) = - \sqrt{6-x}\).


Wie sieht es nun allgemein aus? Liegen alle Schnittpunkte von Funktion und Umkehrfunktion auf der ersten Winkelhalbierenden? Bei Funktionen wie \(f(x) = x\), \(f(x) = -x\) oder \(f(x) = \frac1x\), die ihre eigenen Umkehrfunktionen sind, liegen unendlich viele Schnittpunkte nicht auf \(y = x\). Im Falle von \(f(x) = -\frac1x\) haben \(f\) und \(\overline{f}\) unendlich viele Schnittpunkte, von denen kein einziger auf der Winkelhalbierenden \(y = x\) liegt. Ein weniger triviales Beispiel ist \(f(x) = -x^3\) und \(\overline{f}(x) = -\sqrt[3]{x}\); diese beiden Paare haben drei Schnittpunkte, nämlich \((-1|1)\), \((0|0)\) und \((1|-1)\). Wir dürfen also wieder mal eine Methode unterrichten, die manchmal funktioniert und manchmal nicht. 

Im Namen meines Abi-Jahrgangs jedenfalls ein ganz herzlicher Gruß an das KuMi BW für die großartige Idee, das Thema Umkehrfunktionen auf das Abitur draufzupacken, ohne uns zu sagen, wie viele dieser Fitzeleien für die Fragen aus dem IQB relevant sind oder ob es sich tatsächlich lohnt, dafür 8 Wochen zu verbraten, wenn die dazugehörige Frage am Ende nur 1 Verrechnungspunkt wert ist. 




















Montag, 26. Dezember 2022

DDD1 (Deutschland, deine Didaktiker)

Die Didaktik ist vielleicht die erfolgreichste Wissenschaft, die an deutschen Universitäten noch betrieben wird. Sie bekommt Finanzspritzen vom Bund, vom DFG, von den Ländern, und von den großen Digitalisten von Bertelsmann über die Telekom bis zu TI, und es gibt Professuren und Assistentenstellen noch und nöcher.

Wer wissen will, wie man an diese Futtertröge kommt und was man dazu können muss, könnte auf die Idee kommen, sich bei diesen Leuten mal umzusehen. Gesagt getan: Greifen wir uns also wahllos eine Vertreterin dieser Zunft heraus, etwa Prof. Dr. Karin Rolka von der Ruhr-Universität Bochum. Ihr Lebenslauf ist typisch für die heutigen Vertreter der Didaktik der Mathematik: Studium (in diesem Fall Mathematik und Französisch) bis zum ersten Staatsexamen, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Juniorprofessur, Professur. Schüler hat sie keine unterrichtet. 

"Wie kann sie dann gutes Lehren unterrichten?", mögen sich da manche fragen. Ein Denkfehler, wie Silja Rüedi, Prorektorin der PH Zürich, weiß: Wenn man von Schule, Schülern und dem Lehrerdasein keine Ahnung hat, dann bekommt man einen übergeordneten Blick. Vermutlich für das Wesentliche.

Was forscht man, wenn man nie unterrichtet hat? Nichts leichter als das. Man teilt Schülern oder Studenten Fragebogen aus und wertet sie aus. Im Artikel "Affective variables in the transition from school to university mathematics" beispielsweise untersucht Prof. Rolka zusammen mit Sebastian Geisler das Problem, dass von Studienanfängern in Mathematik 80% aufgeben oder das Fach wechseln (Stand 2012). Das ist in der Tat ein Problem. Zum Glück hat Deutschland Didaktiker und Didaktikerinnen, die solche Probleme untersuchen.  Prof. Dr. Karin Rolka hat das gemacht und herausgefunden, dass Studenten, die sich für das Fach interessieren, weniger oft aufgeben als solche, bei denen das nicht der Fall ist. Problem gelöst!

Eine ebenfalls von Frau Rolka untersuchte Frage ist, wie sich Hinz und Kunz (also Schüler) Wissenschaftler*innen vorstellen. Zusammen mit ihren Kolleginnen Ramona Hagenkötter, Valentina Nachtigall und Nikol Rummel hat sie herausgefunden, dass der Irrglaube, Wissenschaftler*innen trügen meist Brillen, unter  Schülern weit verbreitet ist. Witzig ist der Grund dafür; Weil die vermutlich viel lesen müssen! Heutige Schüler sind ja so was von gestern. Ebenfalls nett: Personen mit Bart werden verstärkt als mathematikaffin betrachtet. Was sind das für Personen, die Personen mit Bart? Bartende? Barttragende im selben (oder entgegengesetzten?) Sinne wie Menstruierende? Männer war früher - heute muss man schon aufpassen, was man sagt. 

A propos Nikol Rummel:  Die Seite der Uni Bochum weiß, dass Frau Prof. Dr. Nikol Rummel was kann:

             "Methodisch ist Nikol Rummel breit aufgestellt. So nutzt sie sowohl quantitative als auch qualitative Methoden".

Nein! Doch! Ohhhh! Auch Ramona Hagenkötter kann was, schließlich hat sie sich mit einer Bachelorettearbeit über Entwicklungspfade der Kreise in NRW vor und nach der Weltwirtschaftskrise 2008 und einer Masterarbeit über Zusammenhänge in Experimenten zum Thema Nachhaltigkeit entdecken in die Mathematikdidaktik hochgearbeitet. Und zu den Interessengebieten von Valentina Nachtigall gehören, wer hätte es gedacht, Schüler*innenvorstellungen über Wissenschaftler*innen.

Und weil Didaktiklehrstühle Kaderschmieden sind, sammelt auch Frau Rolka die Koryphäen des Gebiets. Wie zum Beispiel Nadine König.  Ich habe nichts gegen Nadine König. Oder gegen Frau Rolka. Ich habe etwas gegen das System, das diese Leute da hinspült, wo sie jetzt sind, und sie in den Augen unserer Lügenpresse Dschornalisten (als ich noch jung war, hat man das so ausgesprochen, dass die französische Herkunft des Wortes noch hörbar war; inzwischen ist es angliziert) zu Experten in Sachen Bildung macht. Lebenslauf Nadine König? Biddeschön:

  • Bachelor of Arts in Mathematik und Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum (Thema der Bachelorarbeit: Können Maschinen denken? Das Argument des chinesischen Zimmers gegen  den Funktionalismus)
  • Master of Education in Mathematik und Philosophie (mit Bildungswissenschaften) an der  Ruhr-Universität Bochum (Thema der Masterarbeit: Die moralische Relevanz von Freundschaft didaktisch aufbereitet am Beispiel von Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz")

Das hat noch nicht einmal ansatzweise etwas mit Mathematik zu tun. Keine Ahnung von Schülern, keine Ahnung von Mathematik: Qualifiziert!

Die Frage, die sich aufdrängt, ist die: Was verliert Deutschland auf wissenschaftlichem Gebiet, wenn es die Didaktik aufgibt?


Sonntag, 25. Dezember 2022

Alle Jahre wieder . . . kommt der LS

Durch die Einführung des Leistungsfach in BW war klar, dass die Verlage wieder einmal neue Bücher herausbringen dürfen. Mit etwas Verspätung - die Sache mit den Leistungskursen kam etwas plötzlich und ganz unvorhergesehen - haben wir jetzt auch ein Buch für das Leistungsfach Mathematik. Es besticht, wie wir das von Lambacher-Schweizer kennen, durch klare Definitionen und verständliche Beweise.

Auf der zweiten Seite von Kapitel 1 (S. 11) wird der maximale Definitionsbereich erklärt:

  • Die maximale Definitionsmenge einer Funktion \(f\) umfasst alle Zahlen \(x\), für die man \(f(x)\) berechnen kann.
Hängt die Definitionsmenge dann vom Benutzer ab? Manche können ja 18:3 berechnen, andere nicht. Ist  \(\sqrt{2}\) oder \(\pi\) Teil der Definitionsmenge? Was heißt berechnen können?

Definitionsbereiche und Umkehrfunktionen sind ja das Geschenk des Kultusministeriums an den diesjährigen Corona-Jahrgang. Während Bayern den Themenumfang abgespeckt hat (kein Hypothesentest!), bekamen die Schüler in BW den Stoff von 6 Wochen obendrauf, nämlich alles, was mit Mengenschreibweisen, Definitions- und Wertebereichen samt Umkehrfunktionen usw. zu tun hat.

Und wie es der Teufel will, hat der LS gleich die allererste Aufgabe im Buch versaut: Man soll zu einer Funktion die maximalen Definitionsbereiche von \(f\) und \(f'\) angeben. Dazu sollte man vielleicht doch wissen, was damit gemeint sein könnte. Ist nämlich \(f(x) = \ln(x)\), dann ist klar, dass der Definitionsbereich von \(f\) gleich der Menge \(\mathbb R^+\) der positiven reellen Zahlen ist. Was aber ist der maximale Definitionsbereich der Ableitung \(f'(x) = \frac1x\) ? Vielleicht \(\mathbb R \setminus \{0\}\) ? Dann wäre die Ableitung an Stellen definiert, wo es gar keine Funktion gibt. 

Mir ist die Antwort ziemlich wurscht. Aber man könnte sich bei abiturrelevanten Fragen ja irgendwie vorher drauf einigen, was man macht.

Samstag, 24. Dezember 2022

Mathematik down under

 In Australien haben Sie noch Angebote an Gymnasiasten, von denen wir in Deutschland nur träumen können, etwa den VCE specialist-Zweig, in dem komplexe Zahlen, Differentialgleichungen, Integrationstechniken und auch Beweise behandelt werden. Für Letzteres gibt es jetzt Anweisungen für Lehrer, damit die das auch richtig machen. Und da hört der Unterschied zu Deutschland dann auch auf: Hier wie dort sitzen an den entscheidenden Stellen Idioten.

Und es ist nicht so, dass man das nicht beweisen könnte. Im obigen Pamphlet geht es um Beweise durch Widerspruch. Und die führt man so:

  • Assume that the given statement is false – write a statement which contradicts the statement which is to be proven.
  • Nimm an, dass die gegebene Aussage falsch ist - schreibe eine Aussage, welche der zu beweisende Aussage widerspricht.
Das ist Unsinn. 1 = 2 ist eine Aussage, die jeder zu beweisenden Aussage widerspricht, und das hinzuschreiben hilft nie. Was man hinschreiben sollte ist das Gegenteil der zu beweisenden Aussage. 

  • Prove that the written (contradictory) statement is false.
  • Zeige, dass die aufgeschrieben Aussage falsch ist.
Ist, wie gesagt, geschenkt.
  • We can then conclude that if the contradictory statement is false, the original statement has been proven to be true.
  • Wir können dann folgern, dass wenn die widersprüchliche Aussage falsch ist, die ursprüngliche Aussage als richtig bewiesen ist.
Eben nicht. In Teaching Example 1 kommt ein Beispiel: Man soll zeigen, dass \(n^3+1\) gerade ist, wenn \(n\) ungerade ist. Das ist, gelinde gesagt, ein bescheuertes Beispiel, weil man dazu keinen Beweis durch Widerspruch braucht: Mit \(n\) ist auch \(n^3\) ungerade und folglich \(n^3+1\) gerade. Was erstaunlich ist, ist dass der Vorzeigebeweis gar kein Beweis durch Widerspruch ist. Vielmehr geht der Beweis so: Man zeigt, dass \(n^3+1\) gerade ist und vollendet den Beweis dann dadurch, dass man annimmt, \(n^3+1\) sei ungerade, was der Annahme aber widerspricht.

Noch großartiger ist der Beweis, dass \(\log_e(5)\) irrational ist. Die Aussage selbst ist richtig und beruht auf der Tatsache, dass \(e\) transzendent ist. Dass \(\log_{10}(5)\) irrational ist stimmt auch, und kann sogar elementar bewiesen werden: aus \(log_{10}(5) = \frac pq\) folgt ja \(10^p = 5^q\), und weil die rechte Seite ungerade ist, muss \(p = 0\) sein, was aber Unsinn ist. 

Die australischen Mathematikexperten schlagen für den Beweis der Irrationalität von  \(\log_e(5)\)  folgende Methode vor: Aus   \(\log_e(5) = \frac ab\) folgt \(e^a = 5^b\);  
  • The right side is divisible by 5, the left side is not which is a contradiction.
  • Die rechte Seite ist durch \(5\) teilbar, die linke Seite nicht, was ein Widerspruch ist.
Wer so etwas schreibt, kann ja nicht einmal den Beweis der Irrationalität von \(\sqrt{2}\) verstanden haben. Das Peter-Prinzip in Reinform.

Freitag, 23. Dezember 2022

Wir können alles . . .

 . . . außer Deutsch. Nun ja - vielleicht ein klein bisserl übertrieben. Richtig dagegen ist, dass wir im Süden kein Deutsch können. Weder auf der Grundschule, noch danach. Den Beweis liefert das Landesmedienzentrum BW:

Online-Barcamp für Schüler-Medienmentorinnen und -mentoren (SMEP)

Am 24. November findet der nächste SMEP-Tag als Online-Barcamp statt. Unter dem Titel „Netz- und Gamekultur zwischen Fun, Fame und Fake“ beschäftigen sich Smepper und SMEP-Begleitungen u.a. mit dem Lernen mit Games, Körperidealen in Social Media und guter Peer-to-Peer-Beratung. Spieleprogrammiererin Kathrin Radtke (Spellgarden Games) gibt außerdem Einblicke in die Produktion von Games. Anti-Mobbing-Aktivist Hannes Dezulian spricht über seine Mobbingerfahrungen und sammelt mit den Smeppern Tipps zum Umgang mit (Cyber-)Mobbing.

Zwischen 11:45 Uhr und 12:15 Uhr haben die Smepper darüber hinaus die Möglichkeit, selbst eine Session zu gestalten – hier ist alles erlaubt: jedes Thema, jedes Format. Sie kennen eine Schule, deren Smepper einen Workshop, Vortrag oder eine Projektvorstellung umsetzen könnten? – Spread the word! Fragen beantwortet gern Kathrin Müller (LMZ).

Wenn von denen jemand über seine (oder ihre) Erfahrungen mit der deutschen Sprache sprechen müsste, herrschte Schweigen im Walde. Aber das ganz große. Weniger Schweigen im Walde bei genauso großen Deutschkenntnissen gibt es bei QuaMath: Die suchen nämlich Multiplizierende. Ich war versucht, meinen Taschenrechner vorzuschlagen.

Aber immerhin lernen die Smepper im Barcamp des LMZ, Spiele zu programmieren, und zwar von einer Meisterin ihres Fachs: Kathrin Radtke. Die programmiert bei spellgarden games Spiele, die visuell an die Anfänge der Games in den 1980ern erinnern (Figuren, die aus ca. 20 Pixeln bestehen) und inhaltlich zwischen Ponyhof und Esoterik herumschweben. Und die haben sogar einen Preis gewonnen. Auch Programmiererinnen können Deutsch: Frau Radtke ist ihren eigenen Angaben zufolge (auf der Seite speakerinnen.org) seit November 2020 "Creatorin für den Youtube-Kanal So Many Tabs". Die Speakerin ist also Creatorin. Und dass Thesen dazu da sind, an Kirchentüren geschlagen zu werden, stimmt auch nicht mehr: Nachdem aus der Geschichte immer öfter eine Historie wird (vermutlich, damit sich manche daran aufgeilen können, stattdessen Herstorie zu sagen), heißen Abschlussarbeiten inzwischen schon Thesen

Dass  Kathrin Müller (LMZ) gern Fragen beantwortet, stimmt übrigens nicht. Meine Frage, ob sie im LMZ einfach kein Deutsch können oder die deutsche Sprache absichtlich so verhunzen, hat sie mir bis heute nicht beantwortet. 

Donnerstag, 22. Dezember 2022

Lernexperte Jürgen Möller

 Der Kölner Stadtanzeiger interviewt "Lernexperte" Jürgen Möller, der sich als "Bildungsaktivist" versteht. Im Interview lobt er digitales Lernen. Wenn man die Hausaufgabe der Redakteuse macht, lernt man auch schnell, warum: Weil der Herr Möller ein Programm "Lernen lernen" aufgezogen hat, das für 1400 Euro im Jahr die Kinder digital beschult. So wird man schnell zum Fan von flipped classroom.

Der Artikel:



Mittwoch, 21. Dezember 2022

Eingangstests

 An der Uni Paderborn lässt man Studienanfänger seit einigen Jahren vor Beginn des Studiums eine Eignungsprüfung schreiben:

Die Eignungsprüfungen in den allgemeinbildenden Fächern Deutsch,  Englisch und Mathematik müssen von Studienbewerbern, die keine allgemeine  Hochschulreife erworben haben und keine beruflich qualifizierte Bewerber gem. Berufsbildungshochschulzugangsordnung sind, abgelegt werden, um zum  Studium an der Universität Paderborn zugelassen zu werden. 

Gedacht sind diese Prüfungen also für Schüler, welche nach Klasse 11 vom Gymnasium abgegangen sind und (zumindest in BW) ganz ohne jegliche Abschlussprüfung eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben.

Dass die Studienanfänger immer schlechter werden, ist eine Sache. Eine ganz andere ist, dass die Eignungsprüfungen mathematisch so miserabel sind, dass man sich in Grund und Boden schämen müsste.  Ich will im Folgenden die offensichtlichsten Schwächen der Eignungsprüfung Mathematik (Klausur 1 im Sommersemester 2021) an der Universität Paderborn aufzeigen.

Zu erwähnen ist hierbei, dass die Didaktiker in Paderborn mit Berufung auf das Urheberrecht ein Video von Bernhard Krötz auf youtube haben sperren lassen, in dem es um eine solche Klausur ging. Das ist insofern rechtlich nicht in Ordnung, weil das Urheberrecht nicht greift, wenn man keine intellektuelle Leistung erbracht hat. 



  •  (2 Punkte)  Geben Sie drei irrationale Zahlen an.
  Gerne: \(\sqrt{2}\),   \(\sqrt{2}\) und  \(\sqrt{2}\).  Drei verschiedene gefällig?  \(\sqrt{2}\),   \(2\sqrt{2}\) und  \(3\sqrt{2}\) .

 Eine sinnlose Frage, wenn der Student nicht weiß, wie er diese Behauptung beweisen kann. Offenbar geht es nicht um Verständnis, sondern um die Kenntnis von Fakten, die man nicht versteht. Eine sehr gute Vorbereitung auf ein MINT-Studium.

 Was ich mich auch frage: Wie viele Punkte gibt es für (e^\pi\)?  Oder für \(\sqrt{2}^{\sqrt{2}}\)?  
  •  (1 Punkt) Drücken Sie die Menge aller reellen Zahlen ohne  \(-3\) und \(7\) in der Mengenschreibweise aus.
 Da muss man schon zwei Mal lesen, um zu verstehen, dass es um die Menge der reellen Zahlen ohne  \(-3\) und \(7\) geht und nicht darum, die Menge der reellen Zahlen in der Mengenschreibweise darzustellen, ohne  \(-3\) und \(7\) zu benutzen. Über den Sinn der Übung mögen sich andere streiten.
  • (2 Punkte) Geben Sie den Definitionsbereich und Wertebereich der natürlichen Exponential- sowie Logarithmusfunktion an.
 Was für ein Blödsinn. Natürlich weiß ich, was gemeint ist: Man soll die maximale Teilmenge von \(\mathbb R\) angeben, auf denen \(f(x) = e^x\)  und \(g(x) = \ln x\) definiert sind (also den maximalen Definitionsbereich, wie man ihn von der Schule her vielleicht kennt) und die dazugehörigen Wertebereiche. Trotzdem sollte der  Aufgabensteller wissen, wonach er fragt; die Exponentialfunktion lebt ja auch auf \(\mathbb C\) und sogar auf Matrizen \ldots; wäre es da nicht besser zu fragen, auf welches der maximale reelle Definitionsbereich einer Funktion wie \(\frac{x}{x-1}\) ist?

 Auch hier fragt man sich, wie viele Studenten, die den Wertebereich von  \(g(x) = \ln x\) kennen, auch begründen können, warum das so ist.  Vermutlich niemand.  Aber man kann ja mal danach fragen.
  • (1 Punkt) Beschreiben Sie eine Faustregel, wie man visuell die Stetigkeit einer Funktion überprüfen kann.
Die Stetigkeit einer Funktion kann man visuell nicht überprüfen. Den Blödsinn mit zeichnen, ohne abzusetzen kann man schon bei Funktionen wie \(f(x) = \frac1x\) und allgemein bei allen Funktionen, die auf den natürlichen Zahlen definiert sind, vergessen.

 Es ist mir ein Rätsel, warum man hier nach Dingen fragt, die auf der  Schule gar nicht mehr thematisiert, geschweige denn definiert werden.
  • (2 Punkte) Die Ableitung einer Funktion \(f\) an der Stelle \(x_0\) definiert man als die _________  der ____________ im Punkt \((x_0; f(x_0))\) des Graphen von \(f\).
Großer Gott. Das sieht jetzt so aus, als wollten die hören, dass die Ableitung einer Funktion als die Steigung der Tangente an deren Schaubild definiert ist. Kann man natürlich machen, wenn man die Tangente an  das Schaubild einer Funktion anders als über die Ableitung definiert. Wie viele Schüler haben so eine Definition gesehen, und in wie vielen  Schulbüchern wird das so gemacht? Und wie viele Didaktiker in Paderborn wissen, wie das geht?
  • (1 Punkt) Was bedeutet lineare Unabhängigkeit bei 2 Vektoren?
 Es bedeutet bekanntlich, dass die Gleichung \(r \vec{a} + s \vec{b} = \vec{0}\) nur die Lösung \(r = s = 0\) hat. Aber vermutlich ist das nicht, was die Leute gerne gehört hätten.
  • (1 Punkt) Was bedeutet, dass eine Funktion monoton steigend bzw. monoton fallend ist.
 Da fehlt entweder der Hauptsatz oder ein Fragezeichen am Ende, und  eigentlich auch noch ein Subjekt wie ``es'' nach ``bedeutet'', aber das ist noch das Wenigste. Auch hier gehe ich jede Wette ein, dass  die erwartete Antwort nichts mit \(x < y \implies f(x) < f(y)\) oder  dergleichen zu tun hat, sondern irgendwas mit positiver oder negativer  Ableitung. Was wieder Blödsinn ist, weil die Funktion weder auf einem  Intervall definiert oder differenzierbar zu sein braucht, wenn man das  nicht explizit fordert. Und selbst wenn die Funktion auf einem Intervall  definiert ist, ist die Frage, wie Monotonie mit der Ableitung zusammenhängt,  eine sehr schwierige. 
  •  (1 Punkt) Besitzt jede lineare Funktion eine Nullstelle? Begründen Sie.
 Noch so eine Fangfrage. Ist die Funktion \(f(x) = x\) mit Definitionsbereich \(\mathbb D = [1, 2]\) linear? Oder wollen sie darauf hinaus, dass man auf der  Schule \(y = 1\) eine lineare Funktion nennt? Man weiß es nicht.

 A propos ``Begründen Sie'': Wenn das eine Aufforderung sein soll, fehlt ein Ausrufezeichen. Und ``Begründen Sie'' was? Anständiges Deutsch sollte an Universitäten kein überflüssiger Luxus sein, den
  man sich manchmal gönnt und manchmal nicht.
  • (2 Punkte) Visualisieren Sie zeichnerisch, was man unter der Dreiecksungleichung versteht.
 Vermutlich meinen sie die Dreiecksungleichung der elementaren Geometrie und nicht etwa die Ungleichung \(|x+y| \le |x| + |y|\) für reelle Zahlen. Im ersten Falle ist die Sache banal. Und dass man etwas zeichnerisch visualisieren soll ist nicht weiter überraschend, weil das rechnerisch zu visualisieren vielleicht etwas schwierig ist.
  •   (4 Punkte) Denken Sie an eine 2-mal differenzierbare Funktion \(f: {\mathbb R} \longrightarrow {\mathbb R}\). Skizzieren Sie jeweils \(f(x)\), \(f'(x)\) und \(f''(x)\).
 Warum sollte ich an eine 2-mal differenzierbare Funktion denken? Vermutlich soll ich sie auch im Kopf behalten, damit ich weiß, was ich bei der Aufgabe skizzieren soll. Eine schräge Formulierung . . .
  
Die schulischen Korinthenkacker geben sich alle Mühe, zwischen Funktionen \(f\), Funktionstermen \(f(x)\) und dem Schaubild einer Funktion \(f\) zu unterscheiden; schön, dass man das an Universitäten nicht mehr so eng sieht.
  
Skizzieren ist natürlich leicht, insbesondere wenn man an die Funktion \(f(x) = 0\) gedacht hat. Dafür hat man 4 Punkte verdient.
  • 2.c) \(h(x) = (x-3)(x+1)\frac12 x\)
Es gibt viele Möglichkeiten, Funktionsterme aufzuschreiben, aber \(h(x) = (x-3)(x+1)\frac12 x\) ist eine, die ich einem Mathematiker nicht zutrauen würde. Man schreibt ja, aus guten Gründen, auch nicht \(y = x2\).
  •  3.a) (4 Punkte) Formen Sie die folgende Gleichung nach \(x\) um und bestimmen Sie, für welches \(x \in \mathbb R\) die folgende Gleichung gilt:  \[ \frac{\sqrt[3]{(x+3^2)^3}}{6} + \frac{\sqrt{243}}{\frac{\sqrt{3}}2} = e^0. \]
 Da hätte mich interessiert, wie viele das hinbekommen haben. Bis ich  festgestellt habe, dass die Studenten bei dieser Klausur einen Taschenrechner benutzen dürfen, weil weiter unten ein Winkel mit Hilfe trigonometrischer Funktionen zu bestimmen ist. Mit TR ist diese lineare Gleichung (!) aber banal.
  • (3 Punkte) Bestimmen Sie \(x \in \mathbb R\) mittels quadratischer Ergänzung und geben Sie den Scheitelpunkt an: \( x^2 + 2x - 8 = 0.\)
  Gleichungen haben keinen Scheitelpunkt.
  • (3 Punkte) Bestimmen Sie den Flächeninhalt, den folgende Funktion mit der \(x\)-Achse im Intervall \([-2, 3]\) einschließt:
Funktionen schließen keinen Flächeninhalt mit der \(x\)-Achse ein. Die Schaubilder schließen eine Fläche ein (jedenfalls wenn die Funktion anständig ist), und diese Fläche hat womöglich einen Inhalt. Bei c) nochmal dieselbe Schlamperei.
  •  (3 Punkte) Geben Sie die fehlenden Werte in der Tabelle an:

\( F(x) \) \( e^{-2x} \) \( \ln(7x) \) \( \sin^2(x)\)
\(f(x)\)

Schön wäre es, wenn man wüsste, dass \(F\) eine Stammfunktion von \(f\) ist und man daher ableiten soll. Es sind also keine Funktionswerte (und  schon gar keine Werte) gesucht, sondern Funktionsterme.
  • (2 Punkte) Stellen Sie die Gleichung der Geraden \(g\) auf, die durch die Punkte \(A(2;1;4)\) und \(B(-\) 
     \(2;3;-4)\) geht.
Korrekturlesen hätte eine Trennung nach dem Vorzeichen von \(-2\) vielleicht verhindert. Vielleicht aber auch nicht. Und es gibt viele mögliche  Gleichungen der Geraden; es hätte also ``eine Gleichung'' heißen sollen.
  • Die Größe der Bakterienkolonie Beta kann durch folgende Funktion \(\beta: \mathbb R \longrightarrow  \mathbb R\) mit        \[ \beta(t) = 800 \cdot \Big(1 + \frac{20}{100}\Big)^t \]
         beschrieben werden, wobei \(t\) in Tagen seit Beginn der Untersuchung des Teiches.

Heutzutage Sätze keine Verben mehr. In welcher Einheit die Größe gemessen wird, steht auch nicht da, dafür wird danach gefragt:
  •  (3 Punkte)  Beschreiben Sie, wofür die Parameter \(800\), \(1\) und \(\frac{20}{100}\) in der Gleichung \(\beta\) stehen.
Zum einen ist \(\beta\) keine Gleichung, sondern eine Funktion. Zweitens  bin auch ich überfragt, wenn ich beschreiben soll, wofür der Parameter \(1\) hier steht. Außer wenn die Antwort ``Der Parameter \(1\) steht für  die \(1\)'' die richtige sein sollte.
  •  (5 Punkte) Bestimmen Sie den Zeitraum in dem sich die Größe von Kolonie Alpha verdoppelt hat.
Zuerst einmal fehlt da ein Komma. Dann sollte der Zeitraum, damit man den bestimmten Artikel benutzen kann, einen Anfangspunkt haben, weil es sonst ``ein'' Zeitraum ist. Am besten fragt man gleich nach der Zeit, in welcher sich die Größe verdoppelt. Und 5 Punkte für die Lösung der Gleichung \(1,6^t = 2\) zu vergeben ist nett.
  •  Ein Flugzeug landet am Flughafen in Tokio. Zur Zeit \(t = 0\) ist es im Punkt \(P(5000|-3000|600)\). Man simuliert die Flugbahn durch  eine Gerade \( \vec x  = \bigl(\begin{smallmatrix} 5000 \\ -3000 \\ 600 \end{smallmatrix} \bigr) + r  \bigl(\begin{smallmatrix} 60 \\ 60 \\ -30 \end{smallmatrix} \bigr)\) }  (\(r > 0\) in Sekunden, alle Angaben in Metern).
Simulanten, wo man hinguckt. Gemeint ist natürlich modelliert.

Die Zeit \(t\) hat in der Gleichung von \(g\) die Bezeichnung \(r\);  kann man machen, wenn Verwirrung das Ziel ist. Dass die \(x_3\)-Koordinate die Höhe über dem Boden ist, muss man ja auch erraten. Und was die Einheiten angeht, sind die Angaben im Richtungsvektor nicht in Metern, sondern in Meter pro Sekunde angegeben. 
  
Das Flugzeug, dessen Bahn hier simuliert wird, setzt mit \(30\) m/s Vertikalgeschwindigkeit auf und muss 5 Sekunden vor der Landung ein 200 m hohes Hochhaus überfliegen (auf Wikipedia kann man ein Bild des Flughafens von Tokio sehen - so wie es aussieht muss man schließen, dass die Japaner Hochhäuser auf dem Wasser bauen können; Teufelskerle!). Wer rechnen kann: das Flugzeug fällt mit \(108\) km/h auf die Landebahn. Böse Menschen würden bedauern, dass es nicht mit Didaktikern besetzt war.




Inhaltlich war da fast nichts dabei, was ein guter Schüler nach Klasse 10 nicht hinbekommen sollte. Zum Bestehen braucht man jedenfalls deutlich weniger als ein Abitur: Da kann man aus G8 noch G7 oder gar G6 machen, bevor die Luft zum Studieren in Paderborn zu dünn wird. Wobei das an anderen deutschen Universitäten inzwischen wohl ähnlich aussehen dürfte: Man nimmt, was man kriegen kann.

Dienstag, 20. Dezember 2022

Äch bin wieder da

Die Vorstellung, man könne den Absturz des deutschen Bildungswesens bremsen oder gar aufhalten finde ich heute so absurd wie vor 5 Monaten. Kann man vergessen. Grundschulen und Gymnasien sind bereits ruiniert (und werden von den digitalen Heilsversprechern beiderlei Geschlechts (und Hermaphroditen)  weiter in den Abgrund getrieben), und was in zwischen an Universitäten los ist (sowohl auf studentischer als auch auf professoraler Seite) spottet jeder Beschreibung.

Ich habe mich aber dazu durchgerungen, hin und wieder zu aufzuschreiben, was ich da an mir vorbeiziehen sehe. Und ich habe mir vorgenommen, dabei mindestens ebenso politisch korrekt zu sein wie Walter Moers in seinen Comics.

Ansonsten begnüge ich mich für heute mit einem Hinweis auf einen Artikel von Marty Ross, einem australischen Leidensgenossen (hier als pdf zum Weitergeben).