Samstag, 23. Dezember 2023

Eine Insel mit zwei Bergen

In Lummerland sind seinerzeit die Züge pünktlich gefahren; heute steht das Buch unter Rassismusverdacht und die Bahn hat ungefähr so viele Lokführer auf dem Dienstplan wie seinerzeit ganz Lummerland. 

Von den letzten vier Zügen, auf die ich angewiesen war (meist bevorzuge ich Busse), sind drei ausgefallen, davon zwei nachts um 12:00 h, also die letzten. Gründe dafür gibt es viele: der erste fiel, wie mir zwei Bahnmitarbeiter versicherten, wegen Schienenbruchs aus; bis morgen früh um 5:00 h sei das aber repariert. Vermutlich hat die Bahn ein paar Italiener eingeflogen, die nachts um 1:00 h die Schienen mit Taschenlampen nach dem Schienenbruch absuchten und die neuen Gleise, die per Hubschrauber geliefert worden sind, auch gleich verlegt haben. In Lummerland wäre das wohl so gelaufen. Der zweite fiel wegen eingeschränkter Verfügbarkeit der Gleise aus; die Gleise lagen aber dort, wo sie immer lagen, und sie waren um diese Uhrzeit uneingeschränkt verfügbar. Ich vermute, dass die Verantwortlichen auf ihrem Handy eine Liste mit möglichen Gründen haben und bei Bedarf irgendeinen anklicken. Der dritte Zug fiel gar nicht aus; er war im Netz mit 10 min Verspätung angekündigt; auf der Anzeige im Bahnhof waren es 5 Minuten Verspätung. Diese Anzeige verschwindet, wie ich aus Erfahrung weiß, 10 min nach der geplanten Abfahrt. An 20:11h gab es also gar keine Hinweise mehr, ob der 20:01h-Zug verspätet fährt oder gar nicht. Um 20:20h bin ich heim und habe dort gelesen, dass es um 20:25h gefahren ist. Inzwischen fahre ich nachts wieder mit dem Auto, trotz Deutschlandticket.

In der Ukraine fahren die Züge allem Anschein nach pünktlich; dort wird auch die Geschichte erzählt, dass Bahnmitarbeiter nach einem Raketentreffer auf den letzten Waggon diesen abgehängt haben, weitergefahren und fast pünktlich angekommen sind.

In Deutschland läuft das Unternehmen DB so gut, dass die Manager Boni in Millionenhöhe bekommen. Und zwar wegen übererfüllter Ziele. Nicht übererfüllt wurde die Pünktlichkeitsrate, die inzwischen 52 % erreicht hat. Boni gab es wegen Übererfüllung der angestrebten der Erhöhung der Frauenquote im Vorstand. Mit anderen Worten: Während man Frauen in die Vorstände gehievt hat, ist die Pünktlichkeitsquote auf 52 % gefallen, und für diese Leistung kriegen die verantwortlichen Manager jetzt Millionenboni. Sauber. Warum man es mit der Frauenquote bei den Lokführern nicht so eng sieht (die steht derzeit bei 5,1%) ist mir nicht ganz klar. 

Die Schweiz ist auch nicht amüsiert, dass die DB ihnen den Fahrplan ruiniert. Die Hälfte aller Züge komme nicht pünktlich an der Grenze an, deswegen, so die BILD, biete die "Schweiz den hoch bezahlten Managern der Deutschen Bahn ihren Rat an. Unterdessen stehen an der Schweizer Grenze Schweizer Züge bereit, die immer dann eingesetzt werden, wenn die Züge der DB mehr als 10 min Verspätung haben. 

Freitag, 3. November 2023

Denken wie ein Mathematiker

 Diese Woche habe ich eine hübsche Aufgabe aus dem Cornelsen von Berlin zugeschickt bekommen (merci!).  Daran sieht man nicht nur, als ob man das noch zeigen müsste, dass physikalische Anwendungen zur Witznummer verkommen sind, sondern dass auch die Mathematik sich vom Rechnen über das Labern bis hin zum Raten entwickelt hat.

Was uns noch gefehlt hat: Ein Weg-Beschleunigungsdiagramm. Das kann nicht gut gehen. Teil a) ist das übliche Labern, in b) muss man eine Polynomdivision machen, was einem zwar nicht zeigt, wie man Mathematik im täglichen Leben anwenden kann, aber immerhin, dass man nicht in BW zur Schule geht. 

Teil c) ist großartig. In einem Zeit-Beschleunigungsdiagramm ist die Geschwindigkeit der Flächeninhalt unter dem Schaubild, aber hier? Die Fläche unter dem Schaubild hat hier die Einheit km\(^2/\)h\(^2\). Da kommt man ins Grübeln und schaut am besten in der Lösung nach:

Ob ich a) so unterschreiben möchte, weiß ich nicht. Wenn die Geschwindigkeit negativ ist und die Beschleunigung auch (freier Fall), dann wird das Motorrad schneller. 

Bei c) ist es "vermutlich" nach 4 km am schnellsten, von wegen weil vielleicht die Länge der Strecke des Bremsens. Das hat dann schon BW-Qualitäten. 

Aber was ist nun wirklich los? Das ist auf den ersten Blick schwer zu sagen. Wenn das Motorrad aus dem Stand beschleunigt, wann wird es "vermutlich" wegen der "Länge der Strecke des Bremsens" nach 9 s rückwärts fahren. Aber müsste dann \(x\) nicht abnehmen?

Wenn das Motorrad aber mit der Anfangsgeschwindigkeit 80 km/h beginnt, dann sorgt die Beschleunigung von  maximal 90 km\(^2/\)h\(^2\), also umgerechnet 0,007 m/s\(^2\), für derart kleine Änderungen der Geschwindigkeit, dass die Frage nach der größten Geschwindigkeit ziemlich irrelevant ist.

Mit Hilfe der Kettenregel kann man zeigen, dass \(v'(x) = \frac{a(x)}{v(x)}\) gilt, wobei \(a(x) = f(x)\) die "Beschleunigung" in Abhängigkeit vom Weg und \(v(x)\) die entsprechende "Geschwindigkeit ist. Damit ist \(v'(x) v(x) = a(x)\), und Integrieren liefert \[ v(x)^2 - v(0)^2 = 2\int_0^x f(t) dt .\]

Mit \(v(0) = 80\) km/h ist dann, wenn ich mich nicht vertan habe, \(v(4) = 82.8\) und v(9,5) = 79,2, und die 12 km sind in etwa 15 min durchfahren. 

Ist \(v(0) = 0\), so wird die Geschwindigkeit nach 7,75 km gleich 0, und es wäre \(v(9,5)^2 \approx -133\), d.h. die Geschwindigkeit wird danach imaginär. 



Montag, 30. Oktober 2023

Große Forschung einfach erklärt: Häufigkeitsnetze

Karin Binder ist Professorin für Mathematikdidaktik  and der LMU München. Damit ist sie Mitglied der mathematischen Fakultät einer doch recht angesehenen Universität im Land der Dichterinnen und Denkerinnen. Im Zentralblatt finden sich von ihrer Feder genau 0 Artikel. 

Dennoch hat sie natürlich Sachen publiziert, und zwar vor allem eine: Das Häufigkeitsnetz. Bevor wir uns diesem zuwenden, schauen wir uns einige andere Ergebnisse ihrer Forschungen an. In

erklärt sie zusammen mit Patrick Wiesner, Prof. Dr. Stefan Krauss, Nicole Steib und Celina Leusch, wie man sechs verschiedene Darstellungsformen von 25 % ineinander umrechnen kann. Diese sechs Darstellungsarten

  • 25 %; 0,25; 1/4; einer von vier; jeder Vierte; Verhältnis 1:3, 

haben Prof. Dr. Binder und  Prof. Dr. Krauss schon 2020 in einem fast 40-seitigen Artikel 

  • Natürliche Häufigkeiten als numerische Darstellungsart von Anteilen und Unsicherheit Forschungsdesiderate und einige Antworten

untersucht, und jetzt werden sie ineinander umgerechnet. Wenn man das mit den andern ganzzahligen Prozentzahlen von 0 bis 100 auch macht, hat man schon 100 Publikationen zusammen. Schwieriger wird es, wenn man versucht, Brüche wie 1/7 in Prozent umzuwandeln; vermutlich werden die Studierenden, die sich dafür interessieren, dazu an eine ausländische Universität gehen müssen.


Damit ist das auch geklärt. 

Nun zum eigentlichen Thema: Vierfeldertafel und Häufigkeitsnetz. Serge Lang, einer der ganz großen alten weißen Männer in der Mathematik des 20. Jahrhunderts, hat sein Buch über elliptische Kurven so begonnen:

It is possible to write endlessly on elliptic curves. (This is not a threat.) 

Über Häufigkeitsnetze und Vierfeldertafeln kann man auch endlos schreiben, aber das ist eine Drohung:
  • Binder, Krauss,  Wiesner,  A new visualization for probabilistic situations containing two binary events: the frequency net. Frontiers in Psychology.  2023
  • Binder, Krauss, Steib,  Bedingte Wahrscheinlichkeiten und Schnittwahrscheinlichkeiten GLEICHZEITIG visualisieren: Das Häufigkeitsnetz  2022
  • Binder, Steib, Krauss,   Von Baumdiagrammen über Doppelbäume zu Häufigkeitsnetzen – kognitive Überlastung oder  didaktische Unterstützung?  2022
  • Binder, Steib, Krauss,   Das Häufigkeitsnetz - Alle Wahrscheinlichkeiten auf einen Blick erfassen 2021
  • Wiesner, Binder, Krauss,  Das Häufigkeitsnetz – Häufigkeiten und Wahrscheinlichkeiten geschickt verNETZt.  2020
  • Binder, Weber, Krauss,   Visualisierungen als Begründungshilfen in der Stochastik, 2019
  • Binder, Krauss, Wassner,  Der Häufigkeitsdoppelbaum - Anteilswerte und bedingte Wahrscheinlichkeiten vorteilhaft visualisieren, 2019, 
  • Bruckmaier, Binder,  Krauss, Kufner,  An Eye-Tracking Study of Statistical Reasoning With Tree Diagrams and 2 × 2 Tables,  2019
  • Binder, Krauss, Wassner,  Der Häufigkeitsdoppelbaum als didaktisch hilfreiches Werkzeug von der Unterstufe bis zum Abitur,  2018
  • Binder, Förderung Bayesianischen Denkens. 2018 Dissertation Regensburg (Dr. phil. nat.)
  • Binder, Marienhagen, Bayes’sches Denken – Schritt für Schritt – Mit Häufigkeiten und Baumdiagrammen Einsichten in komplexe Probleme ermöglichen, 2017
  • Binder, Bruckmaier, Krauss,  Marienhagen, Was bedeuten medizinische Testergebnisse wirklich. Baumdiagramme zur Visualisierung Bayesianischer Aufgaben. 2016
  • Binder,  Krauss, Bruckmaier, Marienhagen, Visualization of Complex Bayesian Tasks, 2016
  • Binder,  Krauss, Bruckmaier,  Visualisierung komplexer Bayesianischer Aufgaben, 2016
  • Binder,  Krauss, Bruckmaier,  Effects of visualizing statistical information – An empirical study on tree diagrams and 2 x 2 tables,  2015
Ich habe mich dabei nicht um Vollständigkeit bemüht. 

Ihre Dissertation war kumulativ, d.h. sie hat drei Artikel, die sie zusammen mit Krauss, Bruckmaier und Marienhagen geschrieben hat, als Dissertation eingereicht. Erstaunlich, was heutzutage alles geht. Und drei Jahre später war sie Professorin an der LMU. 

Was ist nun ein Häufigkeitsnetz? Es dient, wie ein Baumdiagramm oder ein "Doppelbaum", der Visualisierung bedingter Wahrscheinlichkeiten. Schulisch liegt hier kein Problem vor: mit einem Baumdiagramm hat eigentlich niemand großartige Probleme. Aber man kann ja eines daraus machen, und das ist Prof. Binder gelungen:



Wenn man also wissen will, mit welcher Wahrscheinlichkeit Krebs vorliegt, wenn das Testergebnis positiv ist, rechnet man alle denkbaren bedingten Wahrscheinlichkeiten aus und sucht sich dann die richtige raus. Es versteht sich von selbst, dass sich revolutionäre Ideen wie diese  nicht von alleine durchsetzen, also muss man schon etwas Werbung dafür machen. Das erklärt die vielen Publikationen zu diesem Thema.

In ihrem Artikel
  • Im Vordergrund steht das Problem – oder: Warum ein Häufigkeitsnetz?
haben Norbert Henze und Reimund Vehling unmissverständlich klargemacht, dass das Häufigkeitsnetz schulisch Unsinn ist; die Schüler hätte ich gerne, die so ein Netz verstehen und korrekt berechnen können. Allerdings haben sie wohl das Kleingedruckte übersehen: Schüler müssen das Häufigkeitsnetz gar nicht berechnen, es wird ihnen mitgeliefert. Jedenfalls hat Prof. Binder das mit ihren Studenten so gemacht: die einen mussten die Wahrscheinlichkeiten ausrechnen, die anderen bekamen das vollständig ausgefüllte Häufigkeitsnetz mitgeliefert. 


Die große Überraschung war dann, dass die Studenten mit dem Häufigkeitsnetz viel öfter die richtige Antwort fanden als die Selbstrechner. Das ist ganz großes Kino. Offenbar war es Binder & Co ein wenig peinlich, dass Henze und Vehling das übersehen hatten.  Also haben sie in ihrem 30-seitigen Artikel über didaktische Unterstützung die Sache klargestellt:

In der vorliegenden Studie wurden vollständig ausgefüllte Visualisierungen gezeigt,  sodass weiterhin ungeklärt bleibt, ob nicht bei der eigenständigen Erstellung der  jeweiligen Visualisierungen die kognitive Belastung höher als die didaktische Unterstützung ist.

Das kann man nicht oft genug sagen, wenn die 30 Seiten voll werden sollen:

In Bezug auf das Häufigkeitsnetz fehlen diesbezüglich aber bislang Erkenntnisse,
inwiefern Schülerinnen und Schüler entsprechende Diagramme selbstständig anfertigen
können.

Seit 8 Jahren forscht sie also daran, dass das bayesianische Denken gefördert wird, wenn man die Ergebnisse gleich mitliefert. Und es ist nicht so, dass sie das alleine geschafft hätte:

Die vorliegende Forschungsarbeit ist Teil des übergeordneten Projekts „Bayesian Reasoning“, ein kooperatives Forschungsprojekt der Universitäten Freiburg, Kassel und Regensburg sowie der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und der Ludwig-Maximilians-Universität München zur Untersuchung der Unterstützung des Bayesianischen Denkens: http://www.bayesianreasoning.de/bayes.html.

Da könnte man jetzt noch was Schlaues dazu sagen, wenn einem was einfiele. 




Montag, 23. Oktober 2023

Lügenbeutel oder nur doof?

 Diese Frage stellt man sich oft, wenn man Nachrichten aus Wokistan liest. So haben sich schon vor einiger Zeit die Bayreuther "Literaturwissenschaftlerinnen" Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard  an der Etymologie des rassistischen Begriffs "Mohr" versucht. Anstatt bei Wikipedia nachzuschauen, haben sie die etymologische Herkunft des Wortes frei erfunden, damit auch wirklich jeder Mensch beiderlei oder dreielei Geschlechts einsieht, wie rassistisch das Wort ist. Wikipedia meint, im Einklang mit lateinischen Wörterbüchern wie pons, dass das Wort vom lateinischen maurus abstamme und Bewohner Mauretaniens (allgemeiner Nordafrikas) bezeichnet. Mauretanien tut den Autorinnen aber nicht den Gefallen, rassistisch zu sein, ebensowenig wie Niger oder Nigeria; also leitet man das Wort auch vom griechischen "moros" her, was dümmlich oder idiotisch bedeutet. Man nennt das wohl "Lügen für einen guten Zweck". Also dafür, dass man Leuten, die Mohrenkopfwecken sagen, Rassismus vorwerfen kann. Das heiligt allemal die Mittel.

Ein weiterer woker Lügner vor dem Herrn ist Prof. Timothy Kim von der ehemals angesehenen Yale University, der sich in einem Aufsatz für die Washington Post dem Thema Rassismus in der Mathematik hingibt.  Darin beschwert er sich, dass der euklidische Algorithmus nach Euklid benannt ist, während der chinesische Restsatz nicht nach Sun Tse benannt ist. Mathematik ist halt rassistisch. Dass Euklid seine Aussagen bewiesen hat und Sun Tse eine Regel aufgestellt hat, die viel später (ohne dass sie von den chinesischen Vorarbeiten wussten) Bezout, Euler und Gauss bewiesen haben, tut nichts zur Sache. Die Faktenlage ist die: Wiley hat 1852 in Europa bekannt gemacht, dass sich dieser Satz bei Sun Tse findet; diese Tatsache wurde relativ schnell bekannt, und in der Besprechung eines Artikels im Jahrbuch für die Fortschritte der Mathematik aus dem Jahre 1881 heißt es:

Man muss also Herrn Matthiessen und seinem Freunde, dem bekannten mathematischen Sinologen A. Wylie in Shanghai, für diese Ehrenrettung des Sun-tsè sehr dankbar sein; hoffentlich bestätigt sich auch die von Wylie ausgesprochene Hoffnung, demnächst noch weitere Materialien zum besseren Verständnis altchinesischer Zahlenwissenschaft aufzufinden.

 1929 hat Dickson den Satz dann "chinesischer Restsatz" genannt. Damit kann man, wenn man diesen Leuten Rassismus vorwerfen will, nicht viel anfangen. Bei Prof.  Kim sieht das Lügen für den guten Zweck dann so aus:

In 1929, a White mathematician at the University of Chicago named L.E. Dickson popularized the CRT in the English-speaking world and simultaneously stripped away Sun Tzu’s name.

Dickson war also Weiß. Schande. Zweitens hat er den Satz chinesischer Restsatz und nicht Satz von Sun-Tsu genannt; ich vermute, weil Dickson ein Weißer Mathematiker war, und als solcher der rassistischen Philosophie anhängt, dass man einen Satz nach demjenigen benennt, der ihn nach bestem Wissen und Gewissen zuerst bewiesen hat. Da ist Prof. Kim aber anderer Ansicht:

Why did Dickson remove Sun Tzu’s name from the theorem? We can’t know what was in his heart, but we know that Dickson made the choice amid a surge of anti-Asian violence in the United States stretching back to the late-19th century. For example, in Rock Springs, Wyo., in 1885, a White mob torched the local Chinatown and killed 28 Chinese immigrants.

So machen das Weiße Rassisten wie Dickson. Sie streichen den Namen eines chinesischen Mathematikers 1929 aus einem Satz, weil es 40 Jahre vorher in einem mehr als 1000 Meilen entfernten Bundesstaat ein Massaker an Chinesen gegeben hat. Belege braucht es keine; schließlich war Dickson Weiß, das muss reichen.


Jamshedji Tata

Jamshedji Tata (1839-1904) gilt laut Wikipedia als Vater der indischen Industrialisierung. Das folgende Zitat habe ich in der exzellenten Aufgabensammlung "Challenge and thrill of pre-college mathematics" gefunden:

Was eine Nation oder eine Gesellschaft voranbringt ist nicht so sehr das Aufpäppeln seiner schwächsten und hilflosesten Mitglieder, sondern das Hochheben der besten und talentiertesten.

Wir haben in Deutschland (wie in anderen Ländern Europas auch) einen  anderen Weg gewählt und versuchen verzweifelt, solchen Schülern realitätsnah die Integralrechnung beizubringen, die ein halbes Jahr nach dem Abi nichts mehr davon wissen und den Rest ihres Lebens herumlaufen werden und erzählen, dass sie das in ihrem ganzen Leben nicht mehr gebraucht haben.

Diese Art von Forschungsförderung in Deutschland schon ab dem Kindergarten trägt inzwischen Früchte. So erschien diesen Monat der Artikel "Fair coins tend to land on the same side they started: Evidence from 350,757 flips", in dem nachgewiesen wurde, dass eine faire Münze eher auf der Seite landet, die zuerst oben gelegen hat. Dazu haben ca  50 Wissenschaftler von niederländischen und deutschen Universitäten (vor allem aus den Bereichen Psychologie und Psychiatrie) sowie einige Schüler und Doktoranden mehr als 350.000 mal Münzen verschiedener Währungen geworfen und festgestellt, dass sie mit 51 % Wahrscheinlichkeit auf derselben Seite landet.

Von solchen Forschungsergebnissen kann man in Indien nur träumen. Im August dieses Jahres ist die indische Raumsonde Chandrayaan-3 sanft auf dem Mond gelandet.

Samstag, 21. Oktober 2023

Witzipedia

 Manche Pointen sieht man nicht kommen.

Wikipedia erklärt uns die Wissenschaft Mathematikdidaktik:

Mathematikdidaktik ist die Fachdidaktik für das Fach Mathematik und beschäftigt sich als Wissenschaft mit dem Lehren und Lernen von Mathematik  für alle Altersstufen.

Das kann man glauben oder auch nicht. Mir kommt es vor, als beschäftige sich die Mathematikdidaktik mit dem Erstellen von Tests und der Fehlinterpretation der gemessenen Resultate. In die Lehre eingegriffen hat die Didaktik mit dem forcierten Anwendungsbezug. Echte Anwendungen, etwa in der Physik, wurden eliminiert und dafür erfundene Anwendungen (beispielsweise die Berechnung der Schneehöhe aus deren Änderungsrate) eingeführt. Das eigentliche Rechnen (mit Ableitungen und Integralen) wurde ersetzt durch Ablesen der Steigung aus dem Schaubild, dem berüchtigten Kästchenzählen und den gefürchteten  Interpretationen im Sachzusammenhang, die mit Mathematik nur peripher etwas zu tun haben und begabten Schülern jede Lust an der Mathematik vertreiben. Und wenn tatsächlich jemand Mathematik studiert, weil sie gerne Schneehöhen berechnen möchte, dann wird sie im ersten Semester mit Dingen konfrontiert, die sie im schulischen "Mathematikunterricht" nie gehört hat. Die Frage, was jemand mit der Berechnung von Schneehöhen anfangen soll, der kein MINT-Fach studiert oder eine Ausbildung macht, harrt ebenfalls noch einer Antwort seitens der modernen Didaktik.

Und ganz zum Schluss des Wikipedia-Artikels der Treppenwitz, über den man lachen könnte, wenn es nicht so traurig wäre:

Im Rahmen der didaktischen Auseinandersetzungen, wie Mathematikunterricht an den Schulen und Hochschulen besser vermittelt werden kann, stellt sich in der Bundesrepublik (im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich) die Frage, wieso immer weniger Personen den Beruf des Mathematikers trotz guter Berufsaussichten ergreifen wollen und trotz des Anwendungsbezugs anscheinend ein gesellschaftlich sogar anerkanntes Desinteresse an der Mathematik vorherrscht.

"Trotz des Anwendungsbezugs" ein Desinteresse an der Mathematik? Man muss schon Didaktiker sein, um einen solchen Satz schreiben zu können.


Dienstag, 10. Oktober 2023

Fachkräftemangel

Seit Beginn des Schuljahres benutze ich neben Fahrrad und meinen Beinen hin und wieder die öffentlichen Verkehrsmittel, also Bus und Bahn, und lasse mein Auto stehen, auch wenn mich das Zeit kostet. Was die Bahn sich im letzten Monat alles geleistet hat, stellt die Katastrophe beim 9-Euro-Ticket in den Schatten. Dass das Landvolk mit seinen 49 Euro die Versorgung durch öffentliche Verkehrsmittel in den Städten und Ballungszentren bezahlt, ärgert mich nicht wenig; bei uns fährt alle 2 Stunden ein Zug, wenn er denn fährt.

Schon meine erste Reise nach Heidelberg mit dem Deutschlandticket war nach 10 km zu Ende. Die Verspätung meines Anschlusszugs in Crailsheim wurde alle 10 Minuten geändert, und letztendlich haben wir 2 Minuten vor dem Einsteigen erfahren, dass der Zug, der mit 35 min Verspätung angekommen war, nicht bis nach Heilbronn, sondern nur nach Öhringen fahre. Das wollte ich mir dann doch nicht antun.

Die Züge morgens um 8:00 fallen mit schöner Regelmäßigkeit wegen unvorhergesehener Erkrankung 10 min vor der Abfahrt aus. Auch die Heimfahrt um 14:00 ist mir wegen "Reparaturen" schon ausgefallen. Die Fahrt nach Stuttgart mit Klasse 9 fiel ins Wasser, weil der 8:00-Zug nicht fuhr.

Die ganz großartigen Leistungen erfährt man aber erst, wenn man sich ein bisschen umhört. Der Bahnhof Goldshöfe ist Schnittpunkt der Bahnlinien zwischen Aalen-Bopfingen und Aalen-Ellwangen; außer einem alten Bahnhofsgebäude gibt es da nichts. Keine Informationen, keine Toilette, einfach gar nichts. Wie man hört, hat ein Zug nach Aalen beim Halt in Goldshöfe den Fahrgästen erklärt, dass sie jetzt aussteigen müssen; dann ist er weitergefahren, wohin auch immer. Informationen gab es keine; entweder hat man ein Handy und lässt sich abholen,  oder man hat keines und schlägt sich 3 km bis zur nächsten Ortschaft durch, wo man jemanden um Hilfe bitten kann. 

Die andere Großleistung war das Fällen eines Baums entlang der Bahnlinien letzte Woche. Der Regionalzug fährt alle 2 Stunden. Also wartet man mit dem Baumfällen am besten, bis um 17:55 der Zug aus Ellwangen kommt. Dann sichert man den Baum nicht und sägt ihn so ab, dass er in den fahrenden Zug fällt. Den Fahrgästen erklärt man, dass sie den Zug nicht verlassen und die 800 m bis zum Bahnhof Jagstzell zu Fuß zurücklegen dürfen, sondern hält sie 3 h im Abteil, bis man die Feuerwehr und einen Ersatzbus organisiert hat. Die nächsten 2 Tage ist dann gar keine Bahn mehr gefahren.

Gut - zuerst hatten sie kein Glück, und dann kam noch Pech dazu. Aber hier auf dem Land ist die Bahn ein Witz. Und ich sehe mit Staunen, was bei der Bahn inzwischen als Fachkraft gilt. Insbesondere was das Fällen von Bäumen angeht.

Freitag, 6. Oktober 2023

Lesen, Rechnen, Schreiben, Lesch

 Unlängst durfte Herr Lesch im ZDF in einer Doku  dem geneigten Publikum erklären, was es mit der KI und der Zukunft und eigentlich mit allem so auf sich hat. Ich mag den Lesch nicht und hab mir das nicht angetan, aber in einer Werbepause bin ich dann über seine Präsentation der Kompetenzen gestoßen, die man künftig braucht, und derjenigen, die künftig nicht mehr relevant sind. Diese Kompetenzen (dort heißen sie skills) veröffentlicht das World Economic Forum (wieder so eine okkulte Organisation, die die Welt verbessern möchte) jedes Jahr, und es gibt Gewinner und Verlierer. Die hat Lesch in seiner Doku ab 27:30 vorgestellt. Ganz oben natürlich analytisches und kreatives Denken, KI und big data. Abgeschlagen auf den hinteren Plätzen und deutlich abgefallen ist die Kompetenz "Lesen, Schreiben und Mathematik". Die wird also künftig keine große Rolle mehr spielen. Da ist Deutschland, das muss man neidlos anerkennen, schon auf einem guten Weg. 

Dass ein studierter Physiker diesen Blödsinn, ohne ihn zu hinterfragen, als das neue Evangelium verkauft, lässt tief blicken und erklärt meine Abneigung gegen diesen Hansel. Wie, Herr Lesch, soll jemand analytisch und kreativ denken können, wenn es mit Lesen, Rechnen und Schreiben nicht weit her ist? Wir denken in Sätzen, und wer keine Sätze mehr lesen kann, die länger als 8 Wörter sind, dem möchte ich beim kreativen und analytischen Denken viel Glück wünschen. 

Aber wir leben halt in einer Zeit, in der eine Professorin, die die Grundlagen ihres Fachs nicht versteht, den Medienpreis der DMV für ihre tollen Videos bekommt. Oder, um es mit so wenig Wörtern zu sagen, dass man das auch in 10 Jahren noch lesen kann: Schein statt sein. 

Tupeldubbel

Mit einem Schreiben vom 13. September hat das KM BW seinen Untertanen kundgetan, dass die Anhörung des neuen Bildungsplans Gymnasium Mathematik am 18. September beginnt; Lehrer haben dann 6 Wochen Zeit, sich (unter Angabe der Kompetenznummer) zu einzelnen Punkten zu äußern.

Machen wir es kurz: Das Ding ist für die Tonne. Aber überfliegen sollte man es ja doch, damit man weiß, was in den nächsten Jahren auf einen zukommt. Und da war ich dann doch etwas überrascht, dass es in der Oberstufe Dinge gibt, die ich bisher übersehen hatte: In Klasse 11/12 gibt es unter der "Leitidee Zahl - Variable - Operation" Folgendes zu Lesen:

Komplexere Ableitungsregeln sowie grundlegende Integrationsregeln werden angewendet, das Operieren mit Tupeln wird auf Produkte erweitert und geometrisch interpretiert.

Da war ich kurz perplex, denn von Tupeln war in der Analysis bisher nie die Rede. Durchforsten des Dokuments zeigt, dass Tupel in Klasse 9 auftauchen:

Sie beantworten Fragestellungen im Zusammenhang mit exponentiellen Wachstumsvorgängen, auch unter Verwendung elektronischer Hilfsmittel. Sie lernen Tupel und die zugehörigen Operationen kennen. In der Analysis verwenden sie grundlegende Regeln zum Ableiten von Funktionstermen.

Ich habe bisher nie Tupel und ihre Operationen unterrichtet. Wahrscheinlich schneiden meine Schüler deswegen so schlecht im Abi ab. Das Rätsel der Tupel wird dann auf S. 32 gelüftet: Dort geht es darum,  "mit Vektoren in der Tupeldarstellung" zu arbeiten:

Tupel addieren, mit Skalaren multiplizieren sowie Tupel in einfachen Fällen als Linearkombination anderer Tupel darstellen und die Operationen geometrisch deuten.

Tupel sind also vermutlich so etwas ähnliches wie Vektoren: Man kann sie addieren, skalar multiplizieren, und in einfachen Fällen als Linearkombinationen anderer Tupel darstellen. Der Mathematiker würde sagen: Tupel sind Elemente eines Tupelraums. Allerdings ist es nicht so, dass Vektoren Tupel wären oder Tupel Vektoren, sonst würde sich ja niemand im RP die Mühe machen, einen neuen Begriff einzuführen. Aber immerhin kann man Vektoren als Tupel darstellen und dann interpretieren:

Vektoren in Tupeldarstellung entsprechend ihrer Verwendung geometrisch als Punkt oder Verschiebung interpretieren

Vor 15 Jahren hätten mir die Zweitkorrektoren noch erklärt, dass man Punkte weder addieren, noch subtrahieren kann, Vektoren dagegen schon; heute sind Vektoren auch Punkte: die Tupeldarstellung macht's möglich. Und dann lernt man eben in Klasse 11, wie man das Operieren mit Tupeln auf Produkte erweitert. Gemeint ist, dass man Tupel multiplizieren kann. Das Produkt zweier Tupel ist dann entweder ein 1-Tupel, etwa beim Skalarprodukt, oder ein 3-Tupel beim Kreuzprodukt. Damit kann man im Prinzip auch die Länge eines Punktes oder den Winkel zwischen zwei Punkten bestimmen, wenn man Punkte wieder  als Tupel interpretiert. 

Was glaubt man im Kultusministerium dadurch zu gewinnen, dass man statt Skalarprodukt und Kreuzprodukt von Vektoren jetzt vom Erweitern des Operierens mit Tupeln auf Produkte spricht? Ich vermute, da möchte jemand mit seinem Halbwissen angeben. Und ich werde meine Vermutung zurücknehmen, wenn man in 5 Jahren in BW das Operieren mit Tupeln auf die Division und das Wurzelziehen erweitert.



 

Donnerstag, 28. September 2023

Russland 2021

Jetzt also zum "einfachen" Abi 2021. Auch hier keine Garantie für die korrekte Übersetzung der Geometrieaufgaben.

  1.  Ermitteln Sie die natürliche Zahl, die durch den Ausdruck \[ \Big( \frac{25}{16} \Big)^{-\frac12} + \frac{\log_3(9^3)}{\sqrt{6} \cdot \sqrt{10} \cdot \sqrt{15}} \] gegeben ist.
  2. Dobrynya ist eineinhalb Mal älter als Aljoscha und eineinhalb Mal jünger als Ilya. Wie alt ist  Dobrynya, wen Ilya 20 Jahre älter ist als Alyosha?
  3. Lösen Sie die Gleichung \(\sin x - \cos 2x + \sin 3x = 1\).
  4. Lösen Sie die Ungleichung  \[ \log_2 x + \log_2 3 \cdot \log_x 3 + \log_{\sqrt{2}} 3 < 0. \]
  5. Ein konvexes Achteck \(A_1A_2A_3A_4A_5A_6A_7A_8\) ist einem Kreis einbeschrieben. Es ist bekannt, dass  \begin{align*}    \angle A_1A_4A_7 & = \frac13 \angle A_7A_2A_5 = \frac14 \angle A_2A_5A_8 \\   & = \frac15 \angle A_5A_8A_3   = \frac16 \angle A_8A_3A_6  = \frac17 \angle A_3A_6A_1  \end{align*}   ist. Finde \(\angle A_6A_1A_4\).
  6. Finden Sie den größten Wert, den der Ausdruck \(x + 7y\) annehmen kann, wenn wir wissen, dass \(x\) und \(y\) die Gleichung   \[ \sqrt{xy} + \sqrt{(1-x)(1-y)} = \sqrt{7x(1-y)} + \frac{\sqrt{y(1-x)}}{\sqrt{7}} \]  erfüllen.
  7.  Gegeben ist ein gerades dreieckiges Prisma \(ABCA'B'C'\) mit den Grundflächen \(ABC\) und \(A'B'C'\), sowie der Seitenkanten \(AA'\), \(BB'\)  und \(CC'\). Durch die Punkte \(B\) und \(C\) geht eine Ebene, die das Volumen  des Prismas in zwei Hälften teilt. Diese Ebene schneidet die Gerade \(AA'\)  im Punkt \(D\). Finde das Verhältnis \(AA' : A'D\).
  

Russland 2017

Russland 2017. Viel Spaß.

  1. Welche Zahl ist größer, \(\sqrt{\frac 67  + 7 + \frac76}\) oder \(3\)?
  2. Es ist \(a + b + c = 5\) und \(ab + bc + ac = 4\). Finde \(a^2 + b^2 + c^2\).
  3. Löse die Gleichung \(\sin(7x) + \sin(6x) = \sin(x)\).
  4. Löse die Ungleichung  \[ x^2 \log^2_7 (x) + 3 \log^2_6 (x) \le x \log_7 (x) \cdot \log_6 (x^4). \]
  5. Durch die Eckpunkte \(A\) und \(B\) des Dreiecks \(ABC\) wird ein Kreis gezeichnet, der die Geraden \(AC\) und \(BC\) berührt. Auf diesem  Kreis wird ein Punkt \(D\) gewählt (im Inneren des Dreiecks), der  Abstand \(\sqrt{2}\)  von der Geraden \(AB\) und  Abstand \(\sqrt{5}\)  von der  Geraden \(BC\) hat. Finde den Winkel \(\angle DBC\),  wenn  bekannt ist, dass \(\angle ABD = \angle BCD\) ist.
  6. Wassili und seine Freunde haben beschlossen, ein Picknick zu machen. Dazu müssen sie von Punkt \(A\) den Fluss hinunter bis zum  Punkt \(B\) fahren, und sie haben zwei Boote zur Verfügung. Wassily  meldet sich freiwillig, um mit dem schnelleren Boot zum Punkt \(B\)  zu fahren und mit der Vorbereitung des Picknickplatzes zu beginnen.  Beide Boote fahren zur gleichen Zeit von Punkt \(A\) ab. Doch nach  acht Kilometern Fahrt bemerkt Wassili  Grigorij, der ihm am Ufer  zuwinkt. Grigorij bittet ihn, ihn zum Punkt \(C\) zu bringen. Obwohl  Wassili den Punkt \(C\)  bereits passiert hatte, willigt er ein.  Auf dem Weg zum Punkt \(C\)  treffen Wassili und Grigorij das zweite  Boot mit Wassilis Freunden, das ihnen entgegenkommt; die Freunde  rufen ihnen zu, dass sie ein Drittel des Weges zum Punkt \(B\)  zurückgelegt haben und dass Wassili nicht aufgehalten werden sollte.  Nachdem er Grigorij zum Punkt \(C\) gebracht hat, beeilt sich Wassili  sofort, seine Freunde einzuholen.  Finde die Entfernung zwischen den Punkten \(B\) und \(C\), wenn bekannt ist,  dass beide Boote gleichzeitig in \(B\) ankommen; die Geschwindigkeiten der Boote sind konstant, und Wassily hat sich in  der Tat nirgendwo aufhalten lassen.
  7. Die Höhe \(DBC\) der Pyramide \(ABCD\) verläuft vom Scheitelpunkt \(D\)  zum Punkt \(H\) der Grundebene \(ABC\). Finde das Volumen dieser Pyramide,  wenn bekannt ist, dass die Flächen der Dreiecke \(HBC\), \(HAC\), \(HAB\)  jeweils gleich \(\frac29\), \(\frac13\) und \(\frac49\) sind, und dass alle  drei ebenen Winkel am Scheitelpunkt \(D\)  rechte Winkel sind.
  8.   Lösen Sie das folgende Gleichungssystem:  \begin{align*}  \frac{x}{\cos(x^2 - y^2)} - y \tan(x^2 - y^2) & = \sqrt{\frac{\pi}2}, \\    \frac{y}{\cos(x^2 - y^2)} - x \tan(x^2 - y^2) & = \sqrt{\frac{\pi}3}.  \end{align*}

Russland 2016

Ich habe mir inzwischen eine ganze Reihe von Abituraufgaben aus Russland angesehen. Themen wie Analysis, Vektorgeometrie oder Stochastik kommen dort nicht vor. Stattdessen wird das, was man anderswo precalculus nennt, also Algebra, Geometrie und Trigonometrie, auf ein solides Fundament gestellt. 

Den Vorwurf eines fallenden Niveaus muss sich auch Russland gefallen lassen.  Die Aufgaben aus den Jahren 2016 und 2017 haben ein erschreckend hohes Niveau; die poplige Einstiegsaufgabe dürften die meisten noch hinbekommen, beim Rest sind auch unsere Lehrer überfordert (und nicht nur die). Die Aufgaben von 2021 dagegen sind kaum halb so schwer wie die von 5 Jahren zuvor; dennoch würden deutsche Abiturienten auch davor kapitulieren müssen. Das soll kein Vorwurf an die Abiturienten sein, sondern an die Verbrecher, die diese Situation zu verantworten haben.

Legen wir also los: Russland 2016. Bei den Geometrieaufgaben bin ich mir nicht sicher, ob die Übersetzung vollkommen korrekt ist, weil ich die nicht gelöst habe.

  1. Finde \(f(\frac27)\) für \(f(x) = \frac{x}{1-x} + \frac37\).
  2. Die Differenz zwischen der größten und der kleinsten Wurzel der Gleichung \(x^2 + ax - 6 = 0\) beträgt \(5\). Finden Sie alle möglichen Werte von \(a\).
  3. Lösen Sie die Gleichung \(2 \cos^2 x + 3 \sin 2x = 4 + 3 \cos (2x)\).
  4. Lösen Sie die Ungleichung \(\log_{1 - \log_3 x} (1 + \log_x^2 3) \le 1\).
  5. Zwei Kreise berühren sich im Innern bei \(T\). Die Sehne \(AB\) des äußeren Kreises berührt den inneren Kreis in \(S\). Die Gerade \(TS\) schneidet den äußeren Kreis bei \(T\) und \(C\).  Finde den Flächeninhalt des Vierecks TACB, wenn wir wissen, dass  \(\overline{CB} = \overline{BT} = 3\) ist und die Radien der Kreise  verhalten  wie \(5:8\).
  6. Um genau 9:00 Uhr fuhr ein Auto von Punkt A nach Punkt B. Nachdem es zwei Drittel der Strecke zurückgelegt hatte, bemerkte der aufmerksame  Fahrer, dass ein Radfahrer an ihm in Richtung A vorbeifuhr. Im selben   Moment, in dem das Auto bei B ankam, fuhr ein Bus von B nach A.   Nach zwei Dritteln der Strecke nach A stellt der aufmerksame Busfahrer fest, dass er mit dem Radfahrer gleichauf ist. Wann wird der Radfahrer  in Punkt A ankommen, wenn bekannt ist, dass der Bus genau um 11:00 Uhr  im Punkt A angekommen ist? Dabei nehmen wir an, dass die Geschwindigkeiten  des Radfahrers, des Autos und des Busses konstant gewesen sind.
  7.  Gegeben ist eine Pyramide mit Spitze \(S\) und einem regelmäßigen  Sechseck ABCDEF mit Seitenlänge \(14\) als Grundfläche. Die Ebene \(\pi\) ist  parallel zur Kante \(AB\) und senkrecht zur Ebene \(DES\), und sie schneidet  die Kante BC im Punkt \(K\) so, dass \(\overline{BK} : \overline{KC} = 3:4\) ist.  Außerdem sind die Geraden, in denen \(\pi\) die Ebenen \(BCS\) und \(AFS\)  schneidet, parallel. Bestimmen Sie den Flächeninhalt des Dreiecks, das  durch die Ebene \(\pi\) aus dem Dreieck \(CDS\) abgeschnitten wird.
  8. Finden Sie den kleinsten Wert des Ausdrucks \[    \sqrt{106 + \log_a^2 \cos ax + \log_a \cos^{10} ax} \\  +      \sqrt{ 58 + \log_a^2 \sin ax - \log_a \sin^{ 6} ax}    \\  +  \sqrt{  5 + \log_a^2 \tan ax + \log_a \tan^{ 2} ax} \]  und alle Paare \((a,x)\), an denen das Minimum angenommen wird.


Donnerstag, 7. September 2023

Herr Schneider erklärt die Welt.

 Nein, nicht Helge. Der Mathematiklehrer Schneider. Und nicht die ganze Welt, sondern nur die Zahlbereiche \(\mathbb N\), \(\mathbb Z\), \(\mathbb Q\) und \(\mathbb R\). 


Oder, wie es zwei Zeilen später heißt, die Zahlenbereiche:

Wer Oskar Perron kennt, erinnert sich an einen Brief, in dem er erklärt, warum der Begriff Zahlbereiche eigentlich ein Unsinn ist. Weil es so schön ist und weil ich als Lehrer ja einen gewissen Bildungsauftrag hatte, sei er hier zitiert:

Wissen Sie wohl, was ein Zahltag ist? Natürlich ist das der stets freudig begrüßte Tag, an dem gezahlt wird, im allgemeinen der Lohn für geleistete Arbeit. In diesem zusammengesetzten Wort hat nämlich die Silbe „Zahl“ gar nichts mit dem Begriff „Zahl“ zu tun, sondern es handelt sich um das Verbum aus (be) zahlen. Genauso ist es bei allen anderen Wörtern, die ebenso zusammengesetzt sind: Zahlkellner, Zahlkarte, Zahlmittel etc. Überall geht es ums bezahlen, also ums Geld, um das leidige, etwas anrüchige Geld, von dem man mit vorgehaltener Hand oder mit Augenzwinkern spricht.

Wer nun zum erstenmal das Wort Zahlkörper hört, denkt: Das wird halt auch so irgendein Körper sein, bei dem irgendwas bezahlt wird, das ist mir wurscht, interessiert mich nicht. Das Wort Zahltheorie werden sie wohl noch nicht gehört haben, ich auch nicht. Das müsste eine Theorie des Bezahlens sein, in der also etwa untersucht wird, wie man bezahlt, wenn man kein Geld hat. Die schöne Zahlentheorie, von der Sie sicher schon gehört haben, wäre also zur Pumpologie herabgewürdigt.

Das Wort Zahlkörper hat Hilbert eingeführt, der aufs Genaueste definiert hat, welchen Begriff er damit meint. Nur nach der Suche nach einem Namen ist ihm, wohl aus Versehen, ein Malheur passiert und so kam das verkorkste Wort auf die Welt, das man, wohl aus Ehrfurcht vor Hilbert, nie abgeschafft hat.

Oskar Perron war ein solider Mathematiker, der aber dem Zeitgeist, vor allem in der abstrakten Algebra, etwas hinterhergehinkt ist. Und wenn wir schon einen Brief zitieren, sei hier ein zweiter, geschrieben im Jahre 1940 an den Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität München, ebenfalls zitiert:

Magnifizenz!

An der vom Herrn Reichsdozentenbundsführer Ministerialdirektor Professor Dr. Walter Schultze veranstalteten Feier der Dozentenbundsakademieen kann ich mich nicht beteiligen.

Grund:

Da ich weder Mitglied einer Dozentenbundsakademie noch überhaupt des Dozentenbundes bin, kann meine Beteiligung wohl nur in der Rolle eines wissenschaftlichen Ehrengastes gedacht sein. Nun bin ich aber Mitglied verschiedener deutscher wissenschaftlicher Akademieen, und gegenüber diesen Körperschaften und ihren Mitgliedern hat der Reichsdozentenbundsführer in der Festrede bei Gründung der Dozentenbundsakademie Kiel seiner Verachtung dadurch Ausdruck gegeben, dass er erklärte, die deutschen Akademieen hätten seit Leibniz wissenschaftlich nichts geleistet und seien heute nur als Gesellschaften von verkalkten wissenschaftlichen Veteranen anzusehen

Zweierlei ist denkbar. Entweder der Reichsdozentenbundsführer hat mit dieser geringen Einschätzung recht oder er hat nicht recht. Im ersten Fall kann es dem Reichsdozentenbundsführer gewiss keine Freude machen, unter seinen Ehrengästen so minderwertige wissenschaftliche Persönlichkeiten zu sehen; ich möchte ihm diesen Anblick, was meine Person anbelangt, jedenfalls ersparen. Im zweiten Fall kann es aber mir nicht zugemutet werden, Ehrengast bei einem Mann zu sein, der die Akademieen und ihre Mitglieder zu Unrecht derart verunglimpft hat, und vermutlich wehrlos zuzuhören, wenn die Ehrengäste abermals in der gleichen Weise verächtlich gemacht werden.

Heil Hitler !

O. Perron

Das haben sich seinerzeit nicht viele getraut.

Zurück zu Herrn Schneider. Der traut sich auch was. Denn er kann die Zahlbereiche anschaulich erklären. An einem Modell. Genauer: Am

Ohne Scheiß. Herrn Schneiders Spinat-Spiegelei-Modell funktioniert so:




Zum einen ist das bitter, dass man Gymnasiasten in NRW anhand eines Spinat-Spiegelei-Modells erklären muss, dass jede natürliche Zahl eine ganze Zahl ist. Zum andern hätte ich nicht wenig Lust, das in meinem Unterricht mal zu versuchen, wenn ich dabei die Gesichter meiner Schülerinnen filmen darf.

Die didaktischen Neuerungen sind noch nicht ganz vorbei. Oder hat jemand gemerkt, dass dies eine Aufgabe ist?

Sogar eine Aufgabe mit Lösung. Und zwar mit der hier:


In der Lösung ist das Spinat-Spiegelei-Modell zum Bratpfannenmodell mutiert, die Zahlbereiche sind wieder Zahlenbereiche, und die Zahl 3 liegt, wie es sich gehört, im Eigelb, während \(\sqrt{6}\) zwar auf dem Teller (also der Bratpfanne) liegt, aber nicht im Eigelb, im Eiweiß oder im Spinat.

So werden also schwierige mathematische Überlegungen durch den Transport in die Lebenswelt von Schülern und Schülerinnen auf ein Niveau heruntergebrochen, mit dem heutige Gymnasiasten etwas anfangen können.

Mein Leidensgenosse AR, der mir dieses Schuljahr eine Woche voraus ist, weist darauf hin, dass unter den Bearbeitern dieses Schulbuchs eine gewisse Kerstin Schäfer ist. Diese hat einen erstaunlichen Bildungsgang hinter sich:

Magisterstudium der Geschichte, der Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit und der Denkmalpflege an der Otto-Friedrich Universität Bamberg; Zusatzqualifikation als Kulturmanagerin; zur Zeit Promotionsvorhaben am Lehrstuhl für Denkmalpflege in Bamberg über die Bauwerke der Eisenbahn in Oberfranken.

Ich hatte bisher immer gedacht, heutige Schulbuchautoren hätten in ihrem Mathematikstudium kaum aufgepasst und von dem, was sie mitbekommen haben, das wenigste verstanden. So kann man sich irren. Jetzt werden die Bücher schon von Frauen (die zweite ist Mathematiklehrerin Ulrike Willms) bearbeitet, deren mathematische Qualifikation über ein Abitur nicht hinausgeht.

Schade, dass wir in BW keine so tollen Schulbücher haben. In gewisser Weise ist das ganze ja Kunst. Expressionismus, wenn ich so tun wollte, als wüsste ich, was das ist. Daher die ganze Seite noch einmal als Gesamtkunstwerk:


Auch das muss noch gesagt werden: Wenn man \(\mathbb Q\) um alle Zahlen erweitert, die nicht als Bruch darstellbar sind (also um alle Zahlen, die nicht zu \(\mathbb Q\) gehören), dann erhält man so einiges, aber ganz sicher nicht die reellen Zahlen. Wer sich noch an die Schulbücher von vor 40 Jahren erinnern kann, sollte ahnen, dass die Konstruktion der reellen Zahlen (Intervallschachtelung) ganz so einfach wie heute in NRW nicht funktioniert. 


Mittwoch, 23. August 2023

Abi Senegal 2010


Die folgenden Aufgaben stammen aus dem Mathematikabitur 2010 (S) in Senegal.
Erlaubt ist ein nicht graphikfähiger Taschenrechner; die Aufgaben müssen in 4 h erledigt sein. 

Das Abitur besteht aus den drei Teilen Geometrie, Zahlentheorie und Analysis (Lösungen folgen). Um das Niveau  von Senegals Mathematikabitur auf das deutsche zu heben, sollten wir in einem ersten Schritt im Rahmen der Entwicklungshilfe 10000 deutsche Mathematikdidaktiker dorthin schicken. Gerne auch mehr.

Geometrie

Seien \(A\) und \(B\) zwei Punkte in der Ebene mit Abstand \(\overline{AB} = 8\).
  1. Untersuche und konstruiere die Menge \({\mathcal E}\) aller  Punkte \(M\) der Ebene mit \(\overline{MA} = 4 \overline{MB}\).  
  2. Untersuche und konstruiere die Menge \({\mathcal F}\) aller  Punkte \(M\) der Ebene mit  \(\angle (\overrightarrow{MA}, \overrightarrow{MB}) \equiv \frac{\pi}4 \bmod 2\pi\).
  3.  Sei \(C\) das Bild von \(B\) unter der Drehung um das Zentrum \(A\) mit einem Winkel von \(\frac{3\pi}4\), und \(D\) das Bild von \(B\) unter der Streckung mit Zentrum \(A\) und Streckfaktor \(\frac34\). Sei \(s\) die  Drehstreckung, welche \(A\) auf \(B\) und \(C\) auf \(D\) abbildet.
  • Bestimme den Streckfaktor von \(s\).
  •  Sei \(I\) das Streckzentrum von \(s\). Drücke \(\overline{IB}\) in Abhängigkeit von \(\overline{IA}\) aus und bestimme den Winkel zwischen den Vektoren \(\overrightarrow{IA}\) und \(\overrightarrow{IB}\). Leite daraus die Lage von \(I\) her.
  •  Zeige, dass \(I\) auf dem Umkreis des Dreiecks \(ACD\) liegt.
Zahlentheorie

  Wir erinnern an den kleinen Fermatschen Satz: Ist \(p\) eine Primzahl und \(a\) eine zu \(p\) teilerfremde natürliche Zahl, dann ist  \(a^{p-1} \equiv 1 \bmod p\).
  1.  Zeige, dass \(193\) eine Primzahl ist
  2.  Sei \(a < 193\) eine natürliche Zahl; zeige, dass \(a^{192} \equiv 1 \bmod 193\) gilt.    
  3. Wir betrachten die Gleichung \begin{equation}  \tag{E} 83x - 192y = 1, \end{equation} wo \(x\) und \(y\) teilerfremd sind. 
Zeige, dass das Paar \((155,\ 67)\) eine Lösung von (E) ist.

 Löse die Gleichung (E).   

4. Sei \(A\) die Menge aller natürlichen Zahlen \(\le 192\), und betrachte die beiden Funktionen \(f\) und \(g\), die wie folgt  definiert sind:

  • jeder ganzen Zahl aus \(A\) ordnet \(f\) den Rest bei der euklidischen Division von \(a^{83}\) durch \(193\) zu;
  • jeder ganzen Zahl aus \(A\) ordnet \(g\) den Rest bei der euklidischen Division von \(a^{155}\) durch \(193\) zu.
(a) Zeige, dass \(g(f(a)) \equiv a^{83 \cdot 155} \bmod 193\) ist.
          (b) Folgere daraus, dass \(g(f(a)) = a\) für alle \(a \in A\) gilt.
(c) Bestimme \(f \circ g\).  


Analysis

Teil A

Sei \(a \ne 0\) eine reelle Zahl, und \(u\) und \(v\) reellwertige zweimal differenzierbare Funktionen auf \({\mathbb R}\) mit  \[u' = v \quad \text{und} \quad v' = au. \]

  1. Zeige, dass \(u\) und \(v\) der Differentialgleichung \( y'' - ay = 0 \) genügen.
  2. Löse diese Differentialgleichung in Abhängigkeit von \(a\).
  3. Sei \(a = 1\). Bestimme \(u\) und \(v\) mit den Nebenbedingungen \(u(0) = 3\) und \(v(0) = 0\).

Teil B

Sei \(G\) die Menge aller Punkte \(M\) der Ebene, für deren Koordinaten 

\[ \left\{ \begin{array}{rcl}  x(t) & = & \frac32 (e^t + e^{-t}), \\    y(t) & = & \frac32 (e^t - e^{-t}) \end{array} \right. \] gilt für alle \(t \ge 0\).

In dieser Aufgabe soll der Inhalt der Fläche berechnet werden, welche durch \(G\) und die Geraden \(x = 3\) und \(x = 5\) begrenzt wird.

  1.   (a) Zeige, dass \(G\) ein Teil des Kegelschnitts ist, dessen Gleichung  \[ x^2 - y^2 = 9 \] ist.

(b) Bestimme die Art des Kegelschnitts sowie seine charakteristischen geometrischen Eigenschaften. Konstruiere G.     

2. Seien \(f\) und \(g\) Funktionen mit

\[ \begin{aligned}  f(x) & = x - \sqrt{x^2-9} \quad \text{für} \quad x \in {\mathbb R}, \\   g(x) & = \frac x2 + \frac9{2x}    \quad \text{für} \quad x \in {\mathbb R} \setminus \{0\}. \end{aligned}\]

(a) Bestimme die Variation von \(f\). 

(b) Zeige, dass die Einschränkung \(\phi\) von \(f\) auf das Intervall  \(I = [3, + \infty [ \) eine Bijektion von \(I\) auf ein zu bestimmendes Intervall \(J\) ist.

(c) Zeige, dass für jedes \(x \in J\) die Gleichung \(\phi^{-1}(x) = g(x)\)  gilt. 

(d) Zeichne das Schaubild \(C\) von \(\phi\). Erläutere, wie man daraus das Schaubild von \(\phi^{-1}\) erhält, und zeichne dieses.     

  3. Sei \(\beta \in ]0; 3[\)  und \(\alpha = g(\beta)\).

  (a) Berechne \(\int\limits_\beta^3 g(x)\, dx\) und folgere daraus \[ \int_3^\alpha f(x)\, dx =   \frac{\beta^2}4 - \frac94 - \frac92 \ln\Big(\frac{\beta}3\Big). \]  Hinweis: Man kann beide Integrale als Flächen interpretieren.

(b) Bestimme damit den Inhalt der Fläche, welche von \(G\) und den Geraden \(y = 0\), \(x = 3\) und \(x = 5\) begrenzt wird.     

Teil C

 Wir betrachten die Folge \((u_n)_{n \in {\mathbb N}}\) mit  \( u_0 = 0, \quad u_{n+1} = g(u_n) \quad \text{für} \quad n \in {\mathbb N}. \) Ziel der Aufgabe ist die Bestimmung des Grenzwerts der Folge \((u_n)\) auf drei Arten.

  1. (a)  Bestimme das Monotonieverhalten von \(g\) und zeige, dass \(u_n > 0\) für alle \(n \in {\mathbb N}\) und  \[ \frac{g(u_n) - g(u_{n-1})}{u_n - u_{n-1}} > 0 \]    für alle natürlichen Zahlen \(n \ge 1\) gilt.

 b) Bestimme das Vorzeichen von \(u_1 - u_0\) und zeige dann, dass \((u_n)\) monoton ist.

 c) Folgere daraus, dass \((u_n)\) konvergiert und bestimme den Grenzwert der Folge.

2.(a) Zeige durch Anwendung des Mittelwertsatzes auf \(g\) in einem  geeigneten Intervall, dass für alle \(n \in {\mathbb N}\)      \[ \frac{g(u_n)-3}{u_n-3} < \frac12 \]   gilt. Folgere daraus für \(n \ge 1\), dass   \( u_n - 3 < \frac1{2^{n-1}} \)  gilt.      

Zeige, dass \((u_n)\) konvergiert, und bestimme den Grenzwert dieser  Folge.

(b) Bestimme ein \(n \in {\mathbb N}\) mit \(u_n - 3 < 10^{-3}\).

3.  Für alle \(n \in {\mathbb N}\) sei    \( v_n = \frac{u_n - 3}{u_n + 3}. \) 

(a)  Zeige, dass \((\ln v_n)\) eine geometrische Folge ist; gib deren erstes Glied und das konstante Verhältnis an.

(b) Drücke \(u_n\) als Funktion von \(v_n\) aus und berechne den Grenzwert von \((u_n)\).



 

Mittwoch, 16. August 2023

Abi Russland 1999

Hier Abituraufgaben aus einem russischen Abitur von 1999. Bis auf zwei Ableitungen ist das solide Mittelstufenmathematik, die wir - PISA-Schleicher sei's gedankt - nach 2000 abgeschafft haben.

  • Löse die Gleichung  \[ \Big(\frac14\Big)^x + 2^{3-x} = 9. \]
  
Wenn man die Gleichung in der Form
  \[ 2^{-2x} + 8 \cdot 2^{-x} - 9 = 0 \]
schreibt, kann man sie zerlegen:
  \[ (2^{-x}+9)(2^{-x} - 1) = 0. \]
Weil \( 2^{-x}+9 = 0\) keine Lösung besitzt, ist \( x_1 = 0\) die einzige reelle Lösung.
  • Löse die Gleichung  \[ \sin^2 x - \cos^2 x = (\cos x - \sin x)^2. \]

 Ausmultiplizieren liefert
  \[ \sin^2 x - \cos^2 x = \cos^2 x - 2 \sin x \cos x + \sin^2 x, \]
  also 
  \[ 2\cos x(\cos x - \sin x) = 0. \]
Aus \( \cos x = 0\)  ergibt sich (bis auf Vielfache von \( 2\pi\) )   \( x_1 = \frac{\pi}2\), \( x_2 = \frac{3\pi}2\).   Die Gleichung \( \sin x = \cos x\)  (oder \( \tan x = 1\) ) hat die beiden Lösungen \( x_3 = \frac{\pi}4\)  und \( x_4 = \frac{5\pi}4\) .

  • Bestimme die Stelle, an welcher die Ableitung der Funktion \( f(x) = \sqrt{3x-5}\)  gleich 0,15 ist.

 Es ist die Gleichung  
  \[ f'(x) = \frac{3}{2 \sqrt{3x-5}} = 0,15 \]
 zu lösen. Schreibt man dies in der Form
  \[ \frac1{\sqrt{3x-5}} = \frac1{10}, \]
 so sieht man, dass \( 3x-5 = 100\) , also \( x_1 = 35\)  sein muss.
  •  Löse die Ungleichung  \[ \log_3(x+7) < \log_3(5-x) + \log_3(3-x). \]
Die linke Seite ist für \(x > -7\), die rechte für \(x < 3\) definiert.  Zusammenfassen ergibt
  \[  \log_3(x+7) < \log_3[(5-x)(3-x)], \]
  und dies ist äquivalent zu
  \[ x+7 < x^2 - 8x + 15, \quad \text{also zu} \quad x^2 - 9x + 8 > 0. \]
Schreibt man dies in der Form \( (x-1)(x-8) > 0\), so sieht man, dass entweder \( x < 1\) oder \( x > 8\) sein muss. Die Lösungsmenge ist also
  \[ ]-7, 1[ . \]

  •  Zeige, dass \( F(x) = \ln x + 2 \sqrt{3x-1} - 1999\) eine Stammfunktion von   \[ f(x) = \frac{3x-1 + 3x\sqrt{3x-1}}{x(3x-1)} \]  auf dem Intervall \( ]\frac13; \infty[\) ist. 
Ableiten ergibt
  \[ F'(x) = \frac1x + \frac3{\sqrt{3x-1}}  = \frac1x + \frac{3\sqrt{3x-1}}{3x-1}  = \frac{3x-1}{x(3x-1)} +  \frac{3x\sqrt{3x-1}}{x(3x-1)}   = f(x). \]
  
  • Für welche Werte von \( a\) hat die Gleichung  \[ x^3 - 3x^2 - 24x + a = 0 \]  genau zwei verschiedene Lösungen?

Dies ist genau dann der Fall, wenn einer der beiden Extrempunkte der kubischen Funktion auf der linken Seite  auf der  \( x\)-Achse liegt. Aus \( f'(x) = 3x^2 - 6x - 24 = 0\) folgt  \( x^2 - 2x - 8 = (x+2)(x-4) = 0\), also \( x_1 = -2\) und \( x_2 = 4\).  Wegen \( f(-2) = 28\) und \( f(4) = -80\) muss also \( a = -28\) oder  \( a = 80\) sein.

Montag, 14. August 2023

Und wir düsen düsen düsen

 Die Schulmathematik und Flugzeuge, die auf geraden Bahnen mit konstanter Geschwindigkeit vor sich hinfliegen und in der Regel mit Geschwindigkeiten auf der Landebahn aufsetzen, die zum Totalschaden führen würde, haben eine lange Geschichte. So in etwa 20 Jahre, seit man eben die Lebenswelt unserer Schüler in den Mittelpunkt des Mathematikunterrichts gesetzt hat. Mein Leidensgenosse A.R. hat mir wieder einmal einen Auszug aus Elemente der Mathematik 10 (NRW, in BW machen wir Trigonometrie in der 9, wir haben schließlich G8 und Sommerferien im Herbst - weil wir das können) geschickt. Der Plan ist perfide: Man bringt so viel Unsinn über Flugzeuge in die Texte unserer Schulbücher, dass, wenn in 20 Jahren  ChatGPT 5.0 den Airbus 550 konstruiert, das Ding einfach nicht fliegen kann, weil die KI sich seine Weisheiten aus allen möglichen Quellen saugt. Nimm das, Greta Thunberg! Andere wiederum behaupten, Schulbuchautoren wären zu doof, sich einen solchen Plan auszudenken. Man wird sehen. 

Die Einführung in die Trigonometrie läuft, das ist heute heilige Pflicht, über ein realitätsnahes Problem:


Mathematik ist immer und überall, auch beim Segelfliegen. Die Gleitzahl, das ist immerhin fast richtig, ist das Verhältnis von Höhenverlust und zurückgelegter Entfernung. Ganz richtig wäre es gewesen, wenn man das Verhältnis von zurückgelegter Entfernung und Höhenverlust genommen hätte - nobody's perfect. Die zurückgelegte Entfernung wird in der beigefügten Skizze zur "Länge der überwundenen Entfernung"; offenbar haben die Autoren den Ratschlag beherzigt, nicht zu oft das gleiche Wort für die gleiche Größe zu benutzen, weil das sonst langweilt. Die Länge einer Entfernung hat mich etwas stutzen lassen; es klingt ein wenig wie die Länge der Breite eines Rechtecks. Aber die Autoren (und Autorinnen beiderlei Geschlechts) werden sich schon was dabei gedacht haben.

Überhaupt: Das Segelflugzeug in der Skizze sieht nicht aus wie die Segelflugzeuge, die ich  bisher so gesehen habe. Vermutlich ist es ein Segelflugzeug aus der Welt der Schüler. Das Flugzeug steht parallel zur Flugbahn; ich vermute, so einen Unfug bekommt man schnell ausgetrieben, wenn man den Pilotenschein macht. 

Selbstverständlich wird nicht einfach gefragt, welche Höhe das Segelflugzeug verliert, wenn es 10 m weit fliegt (also - so viel Genauigkeit muss sein -  die Länge der überwundenen Entfernung von 10 m). Das hätte mit der Lebenswelt nichts zu tun, Stattdessen fragt sich Schüler Lukas (Pronomen unbekannt), welche Höhe das Segelflugzeug verliert, wenn es 10 m weit fliegt. Und weil Lukas allein nicht genderkonform wäre, fragt sich Emily (Pronomen ebenfalls unbekannt) auch was. Das ist jetzt spannend, gell?

Am Ende darf man wie Lukas und Emily Skizzen anfertigen, obwohl schon eine im Buch steht und obwohl Emily gar keine gemacht hat (Lukas malt, Emily überlegt; die Gendergerechtigkeit in heutigen Mathematikbüchern ist noch nicht ganz erreicht). Oder die Skizze von Emily ist diejenige im Buch - aber wäre das nicht sexistisch, wenn man so tut, als könne Emily ein Segelflugzeug nicht von einem Jet unterscheiden?

Samstag, 12. August 2023

Brandstifter und die Brandstifter

 Man mag von Bernd Höckes Ansichten zu Inklusion und Gendermainstreaming halten, was man will; das ist aber hier nicht mein Thema, Mein Thema ist, wie die Presse mit diesen Äußerungen umgeht. Da ist der Spiegel, der sich in 20 Jahren vom Gewissen der Nation zu einem Schmierenblatt sondergleichen heruntergewirtschaftet hat. Der klärt uns über Gendermainstreaming auf:

Dabei meint das lediglich die Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen – also auch von Mädchen und Jungen. Gleichberechtigung ist im Grundgesetz verankert.

Das hätte dem Redaktör schon auffallen können, dass zwar die Gleichberechtigung im Grundgesetz verankert ist, aber nicht die Gleichstellung. Wortklauberei? Ich denke nicht.

Noch schlimmer als der Spiegel ist Münchens Ex-OB Ude.  In der SZ wird er so zitiert:

"Das sind Leute, die mit Euthanasie mehr am Hut haben als mit Inklusion."

Der Nazivergleich schon im ersten Satz. Respekt.

Wenn die Inklusion behinderter Menschen in den Schulen als angebliches "Ideologieprojekt" abgeschafft werden solle, bereite das einen "Rückfall in die Barbarei" vor.

 Deutschland hat die entsprechende UNO-Konvention 2009 unterschrieben. Und davor waren wir in der Barbarei? Ernsthaft? Aus meinem Jahrgang haben sehr viele Sonderpädagogik studiert, mit dem Ziel, behinderten Menschen an eigens dafür eingerichteten Schulen mit eigens dafür ausgebildetem Personal in kleinen Gruppen die Förderung zukommen zu lassen, die sie benötigen und verkraften. Was, bitteschön, soll daran barbarisch sein? Barbarisch ist es, wenn Eltern lernbehinderte Kinder auf Schulen schicken, in denen sie jeden Tag erleben müssen, dass die anderen Schüler Dinge können, die sie selbst nicht können. Und die personell gar nicht dafür eingerichtet sind, mit diesen Kindern anständig zu arbeiten. 

Auch die Vorsitzende des Behindertenverbandes schlägt in dieselbe Kerbe:

Sie erinnerte vor rund hundert Zuhörerinnen und Zuhörern an die "tief verwurzelte Behindertenfeindlichkeit" in der deutschen Geschichte, gipfelnd im Massenmord der Nationalsozialisten an mehr als 200 000 kranken und behinderten Menschen.

Auch sie verwechselt den Rückfall in die Barbarei vor 2009 mit dem Rückfall in die Barbarei nach 1933. Und weiter:

Koller nannte zahlreiche Beispiele von Diskriminierung, Ausgrenzung, Bevormundung und Unterdrückung. Behinderte Menschen könnten an Veranstaltungen nicht teilnehmen, hätten keinen Zugang zu vielen Restaurants oder Arztpraxen, könnten Verkehrsmittel nicht selbstbestimmt nutzen, fänden keine Behindertentoiletten.

Beim Zugang zu Arztpraxen haben gesetzlich Versicherte, nebenbei bemerkt, bisweilen auch Schwierigkeiten.  Butter bei die Fische: Wäre es nicht wichtiger, sich um diese praktischen Probleme von Behinderten zu kümmern als um die leidige Inklusion? Die funktioniert nämlich, wenn man den Kommentaren von Lehrern im Netz Glauben schenkt, alles andere als gut.

Ich habe im SZ-Artikel nicht ein einziges Argument gefunden, das sich mit den Thesen von Höcke auseinandersetzen würde. Stattdessen wird mit Stimmungsmache auf allerunterstem Stammtischniveau gearbeitet. Und ich fürchte, dass die AfD das besser kann als der Spiegel, die SZ oder der Ude. 


Dienstag, 8. August 2023

No more heroes

 Podcasts sind nicht so meins - Lesen funktioniert bei mir um ein Vielfaches schneller, weil ich Dinge, die nicht wichtig sind, überfliegen kann; das geht bei podcasts nicht. Aber jedem das Seine.

Die ARD jedenfalls hat eine podcast-Serie über "Sheroes". Man ahnt es schon: weibliche Helden. Oder Heldinnen. Und ein podcast handelt vom "Mathe-Genie, das kaum jemand kennt". Nämlich von Emmy Noether. Kaum jemand ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Kaum jemand in der ARD trifft die Sache schon eher. Deshalb haben sie sich eine Expertin geholt. Allerdings nicht von außen; schließlich zahlen wir ja auch deswegen Rundfunkbeiträge, damit sich die Öffentlich-Rechtlichen eigene Expertinnen leisten können. In diesem Falle Johanne Burkhardt.

Zurück zu Emmy Noether. Der Begleittext zum podcast auf dieser Seite lautet wie folgt:

Ihre Theorien waren revolutionär und wahnsinnig komplex. Ohne Emmy Noether hätte Albert Einstein seine Relativitätstheorie nicht beweisen können. Nach heutigen Maßstäben wäre sie mindestens Co-Autorin gewesen. 

Ich habe keine Ahnung, ob die Autorin dieser Zeilen Frau Burkhardt gefragt hat, ob sie dem zustimmen kann. Aber einen größeren Blödsinn über Emmy Noether kann man nur schwerlich schreiben. Zum einen hat sie keine "Theorien" aufgestellt. Sie hat mathematische Sätze bewiesen und, und das dürfte ihre Hauptleistung gewesen sein, eine Art zu denken gepflegt, die ihren Zeitgenossen in der Tat Schwierigkeiten bereitete; allerdings war dies, wie fast alles in der Mathematik, keine Revolution, sondern eine natürliche Entwicklung. Emmy Noether hat vielleicht als erste verstanden, was Richard Dedekind wirklich gemeint hat. 

Als Einstein 1916 die Hauptgleichungen seiner allgemeinen Relativitätstheorie veröffentlichte, hatte Emmy Noether mathematisch noch kaum etwas geleistet. Promoviert hatte sie in Invariantentheorie, auf ihre Ergebnisse in dieser Richtung ist sie später nie mehr zurück gekommen - andere Mathematiker, soweit ich weiß, auch nicht. Einstein hat seine ART natürlich auch nicht bewiesen; schließlich geht es dabei um Physik und nicht um Mathematik. Den Satz über die Co-Autorin kann ich nicht kommentieren, ohne ausfallend zu werden.

Auch auf dieser Seite weiß der Begleittext zum podcast wieder mehr als ich:

Ohne sie wäre Einstein aufgeschmissen gewesen, weil seine Arbeit erst durch Emmy Noether bewiesen werden konnte.

Ach.

Emmy Noethers Ausflug in die Physik hat 1918 die Noetherschen Sätze hervorgebracht, wonach Symmetrien der Raumzeit Erhaltungsgrößen erzeugen: die Homogenität der Zeit etwa liefert den Energieerhaltungssatz. Ein großartiges Ergebnis, das auch auf Einstein Eindruck machte. Seine Relativitätstheorie war damals aber schon fertig. 

Die Behauptung, dass Emmy Noether in den Geschichtsbüchern fehle, ist ein Witz. Es gibt inzwischen wohl ein gutes Dutzend Biographien, die meisten gut bis sehr sehr gut, oder ganze Bücher über ihre Noetherschen Sätze. Ich weiß auch nicht, ob es überhaupt ein Buch über die Geschichte der Algebra gibt, in welchem Noethers Name nicht steht. Aber die Idee hinter dieser Serie ist ja die, dass die Geschichtsschreibung die Rolle der Frauen absichtlich nicht erwähnt. Und ich wüsste jetzt nicht, dass Mathematiker von Euklid bis Hilbert in Standardwerken der Geschichte außerhalb der Wissenschaften großartig Erwähnung finden würden.
 
Deshalb fragt die nervige podcast-Tussi Milena zu Beginn ja auch, 

   "Oder an wen denkt ihr, wenn ihr an große Mathe-Dschenies denkt?"

Warum diese Leute Wörter wie Genie oder Journalist nicht mehr richtig aussprechen können, weiß ich nicht. Sei's drum. Jedenfalls denken die podcast-Hörer, wenn man Lena glaubt, bei Mathe-Dschenie vor allem an Einstein. Der war aber keins, weil er in Mathe eine 4 hatte, wie die Einblendung eines doofen Lieds mit der entsprechenden Textzeile beweist (der Titelsong der Serie Schloss Einstein). Suchmaschinen braucht man nicht, wenn man alles selber weiß, sonst würde man vielleicht auf einer Seite landen, die beispielsweise Einsteins Matura-Zeugnis zeigt.  

Die Expertin Johanne hat ein "Feature" zu Emmy Noether gemacht (die ARD bewirbt es mit den Worten "Sie hat für SWR2 Wissen ein Feature über Emmy Noether gemacht, dass hier in der ARD Audiothek anhören könnt", in welcher Emmy Noether gar die "unsichtbare Mitautorin der allgemeinen Relativitätstheorie" genannt wird. Die Leichtigkeit, mit welcher frau sich hier über die Regeln der deutschen Grammatik hinwegsetzt, ist nicht das einzig Erstaunliche an diesem Satz.

Im Begleittext zur ersten Folge der podcast-Reihe findet man übrigens noch etwas, was die wenigsten Männer wissen:

Der erste Autor der Menschheit? Eine Frau

Und zwar En-hedu-anna.  Die gilt zwar nicht als der erste Autor der Menschheit, sondern, wie man bei Wikipedia hätte nachlesen können, als "erste namentlich bekannte Autorin" der Menschheitsgeschichte. Das scheint mir etwas anderes zu sein. Aber ich bin halt keine Frau. 






Dienstag, 25. Juli 2023

Abitur Marokko

Ich hab mich jetzt etwas über das marokkanische Abitur schlau gemacht. Marokko hat etwa halb so viele Einwohner wie Deutschland und etwa halb so viele Abiturienten; weil die Bevölkerungspyramide dort ganz anders aussehen dürfte als hier, darf man daraus nicht schließen, dass die Abiturientenquote wie hierzulande etwa 40 % beträgt; die wirkliche Zahl dürfte deutlich darunter liegen. Außerdem wählt man in den letzten beiden Jahren eine Fachrichtung aus: entweder Literatur oder Naturwissenschaften oder Mathematik. Über den Daumen gepeilt dürften also weniger als 10 % eines Jahrgangs das Mathe-Abitur dort schreiben. 

Ansonsten ist die Durchfallquote im Abitur etwa ein Drittel - wer sich nicht anstrengt, ist weg. Man vergleiche das mit unserem glorreichen Bildungssystem, wo man bis in die K1 hochgehievt wird und man  dann, wenn klar ist, dass man das bisschen Abi nicht schafft, die Fachhochschulreife ausgehändigt bekommt, ohne auch nur einmal in seinem Leben eine Prüfung absolviert zu haben.

Und noch eins: Das marokkanische Abitur wird in Deutschland als Realschulabschluss anerkannt. Immerhin. 

Freitag, 21. Juli 2023

Der Schwingung

Helga Jungwirth forscht seit über 30 Jahren zu Gender und Mathematik, ist Autorin diverser (!) Bücher und Expertin auf ihrem Gebiet. Also eine Frau, von der mal als alter weißer Lehrer was lernen kann. Etwa über genderproblematische Aufgaben wie die folgende (aus diesem Heft auf Seite 24):

Gegeben ist eine Graphik, in der der zeitliche Verlauf der Stromstärke \(I(t)\) mit \(I(t) = I_0 \cdot \sin(w \cdot t) \) dargestellt ist (\(I\) in Ampere, \(t\) in Sekunden). Aufgabenstellung: Lesen Sie aus der Graphik den Scheitelwert \(I_0\)  der Stromstärke und den Wert der Kreisfrequenz \(w\) ab.

Dass Forschung in Sachen Gender und Mathematik wichtig ist, erkennt man daran, dass den meisten Lesern (und Leserinnen beiderlei Geschlechts und Hermaphroditen) vielleicht gar nicht klar ist, was daran gendertechnisch problematisch sein könnte.  Darum bekommen wir das auch erklärt:

Genderproblematisch bei dieser Aufgabe ist der Kontext, dem sie entstammt. Der Kontext Schwingungen weist im Gebiet Physik eine besonders starke männliche Konnotation auf. Denjenigen, die sich viel mit Elektrotechnik beschäftigen, sind Diagramme wie das gegebene vertrauter, was die Lösung der Aufgabe erleichtert. Außerdem betonen die Bezeichnungen Scheitelwert \(I_0\)  der Stromstärke und der Wert der Kreisfrequenz \(w\) in der Aufgabenstellung sowie die Nennung der Maßeinheiten noch den physikalischen Hintergrund. Dieses Szenario hat eine ganz direkte Verbindung zu der Aufgabenkultur des Mathematikunterrichts sowie zur Leistungsfeststellung.

So ganz überzeugt bin ich davon nicht. Bei einer Sinusfunktion den Scheitelwert abzulesen sollte funktionieren, ob es nun die Stromstärke oder die Geschwindigkeit eines süßen Einhorns ist. Auch die Kreisfrequenz ist kein Problem, wenn man den Text vergisst (sollte man heutzutage ohnehin können) und sich auf die auswendig gelernte Formel \(p = \frac{2\pi}w\) für die Periodenlänge verlässt. Ich habe bei der ganzen Sache auch eher das Gefühl, als würde Frau Jungwirth die ganze Physik für männlich konnotiert halten; jedenfalls sehe ich auf Anhieb nicht, inwiefern Mechanik, Quantentheorie oder Relativitätstheorie weniger männlich konnotiert sein sollen als Schwingungen.

Andererseits bin ich ja auch so etwas wie ein Fachmann für gendersensiblen Mathematikunterricht. Zumindest weiß ich noch, dass ich schon meine allererste Abiturklasse (Abi 2010) gefragt habe, warum um alles in der Welt gerade Frauen so ein großes Problem mit der Bestimmung der Periode einer Sinusfunktion haben. Seit heute weiß ich es: Schwingungen sind männlich.


Samstag, 15. Juli 2023

Marokko III

 Der Vollständigkeit halber die marokkanische Aufgabe zu komplexen Zahlen.

\(m\) sei eine komplexe Zahl \(\ne 2\) und \(\ne -i\). Wir betrachten die Gleichung

\[ z^2 - (m-i)z - im = 0 \]

in der Unbekannten \(z\). 

    1. Zeige, dass die Diskriminante der Gleichung \((m+i)^2\) ist.
    2. Bestimme die beiden Lösungen \(z_1\) und \(z_2\) dieser Gleichung.
    3. Schreibe \(z_1+z_2\) für \(m = e^{i \pi /8} \) in Exponentenschreibweise.
    4. Seien \(A = 2\), \(B = -i\) und \(M = m\) drei Punkte in der komplexen Ebene. Sei \(M'\) der Punkt, den man durch Spiegeln von \(M\) an der imaginären Achse erhält. Bestimme \(M'\) als Funktion von \(m\).
    5. Bestimme den Punkt \(N\), für den \(ANM'B\) ein Parallelogramm ist.
    6. Zeige, dass die Geraden \(AM\) und \(BM'\) genau dann orthogonal sind, wenn \[\text{Re}\ (2-i)m = \text{Re}\ m^2 \] gilt.
1. Offenbar ist die Diskriminante gleich \((m-i)^2 + 4im = (m+i)^2\). 
2. Die Lösungen erhält man am einfachsten mit Vieta:
    \[ z^2 - (m-i)z - im = (z + i)(z - m) = 0 \] 
   Also ist \(z_1 = -i\) und \(z_2 = m\). Die Berechnung der Diskriminante erlaubt auch die Anwendung     der abc-Formel.

3. Mit \(m = e^{\pi i/8} \)  ist \(z_1 + z_2 = -i + e^{\pi i/8} =  e^{2 \pi i/16} -  e^{8 \pi i/16} = e^{2 \pi i/16} (1 - e^{6 \pi i/16})\) errechnet sich der Betrag dieser Zahl mit \(t = \frac{2\pi}{16} \) zu \(|m-i|^2 = |1 - \cos(3t) - i \sin (3t)|^2 = (1 - \cos(3t))^2 + \sin(3t)^2 = 2 - 2 \cos(3t) \).  

Diese Rechnungen haben mir nicht gefallen wollen, weil die meisten Lösungen doch kürzer und eleganter sind. In der Tat geht es besser. Sei \(\zeta_n = e^{2\pi i /n} \) eine normierte \(n\)-te Einheitswurzel. Dann ist
\[ \zeta_{16} + i = \zeta_{16} + \zeta_{16}^4  = \zeta_{32}^2 + \zeta_{32}^8  =   \zeta_{32}^5  (\zeta_{32}^3+ \zeta_{32}^{-3}).\]
Der Ausdruck in der Klammer ist reell, und weil die Einheitswurzel vorne Betrag \( 1 \) hat, ist dies die gewünschte Darstellung.

4. Mit \(M = a+bi\) ist \(M' = -a+bi = - \overline{m}\).

5. Das Viereck \(ANM'B\) bildet genau dann ein Parallelogramm, wenn \(B-A = M'-N\) ist. Es muss also \(N = M' - B + A = -\overline{m} + 2 + i \) sein.

6. Die Geraden \(AM\) und \(BM'\) sind genau dann orthogonal, wenn es eine reelle Zahl \(r\) gibt derart, dass \((m-2)i = r(\overline{m}+i)\) gilt. Dies ist gleichbedeutend damit, dass \( r \) unter komplexer Konjugation invariant ist:
\[ \frac{mi-2i}{\overline{m}+i} = \frac{-\overline{m}i + 2i}{m-i} \]
Wegschaffen der Nenner und Division durch \(i \) zeigt, dass dies äquivalent ist zu
\[2m + 2\overline{m} + i\overline{m} - im = m^2 + \overline{m}^2 \]
und damit wegen \( \text{Re}\ z = z + \overline{z} \) zur Behauptung.
Es würde mich nicht wundern, wenn das etwas intelligenter ginge.

Wie in den Kommentaren angedeutet geht das in der Tat eleganter, wenn man erst nachrechnet, dass das Skalarprodukt für Vektoren in der Gaußschen Zahlenebene, welche den komplexen Zahlen \(z\) und \(w\) entsprechen, gleich Re\((z\overline{w}) \) ist.

Montag, 3. Juli 2023

An der Mathematik hängt alles

 Wenn sich drei Mathematikprofessoren in der FAZ zu Wort melden, darf man annehmen, dass die Vorschläge, die sie machen, wohldurchdacht sind. Der Titel des Beitrags, "An der Mathematik hängt alles", lässt einen vermuten, dass da nicht wirklich viel Neues kommt, denn dass man für ein MINT-Studium Mathematik braucht, wissen auch Leute außerhalb des Elfenbeinturms. Und immerhin wird das Grundübel der Bildungsreformen der letzten 20 Jahre direkt angesprochen:

Die angewachsene Abiturientenquote, die in den letzten 50 Jahren von 15 Prozent auf 40 Prozent der Schülerschaft gestiegen ist, hat zu einer geringeren Selektion geführt.

Dennoch stecken hier schon einige Fehler drin. Die Abiturientenquote ist nicht angewachsen, sie wurde erhöht. In diesem Zusammenhang sollte man den PISA-Schleicher teeren und federn; stattdessen gilt er in der Lügenpresse als Bildungsexperte. Zweitens ist es nicht die geringere Selektion, die einen anspruchsvollen Unterricht erschwert, sondern die Tatsache, dass bei den 50 % Abiturienten eben auch Schüler dabei sind, die vor 50 Jahren so was von überhaupt gar nicht das Gymnasium besucht hätten. 

Der dritte Fehler ist der schlimmste: Anstatt das Übel an der Wurzel zu packen, schwadronieren sie erst etwas herum und schlagen dann allen Ernstes vor, die Karikaturen von IQB-Aufgaben als zukunftsträchtig zu preisen und den unsäglichen Aufgabenpool zu loben, der gerade dabei ist, auch die letzten Reste von Mathematik aus der Abiturprüfung zu entfernen - von dem schier unglaublichen Scheißdreck namens Bewerten in den Naturwissenschaften fange ich hier gar nicht erst an.

Der ganz große Hammer kommt zum Schluss: 

  • Vor- und Orientierungskurse an den Unis sollen fest im Studium integriert werden, einschließlich Noten und Kreditpunkten.
  • Digitale Werkzeuge können im ersten Studienjahr eingesetzt werden, um Defizite in Grundfertigkeiten wie Bruchrechnen oder Termumformung zu beheben.
  • Um dies im Studium einzubinden, könnte es erforderlich sein, einige fortgeschrittene Lehrveranstaltungen zu streichen.

Im Ernst? Vorkurse zum Wiederholen des Schulstoffs werden auf das Studium angerechnet, und weiterführende Vorlesungen gestrichen? Soll das gegen das sinkende Niveau helfen? Bruchrechnen statt Galoistheorie? Man mag es gar nicht glauben. Und digitale Werkzeuge, um Defizite in Grundfertigkeiten zu beheben? Was erlauben Struuunz? Wenn digitale Werkzeuge Grundfertigkeiten in Bruchrechnen beheben könnten, würde ich diese in meinen Klassen verpflichtend einführen. Aber die einfache Wahrheit ist: Taschenrechner beheben keine Defizite, sie verfestigen sie. 

Immerhin: Wenn jetzt Bruchrechnen und Termumformung an der Uni gelehrt werden, können wir uns auf dem Gymnasium ja etwas zurücknehmen und stattdessen die Kartoffelaufgabe üben.


P.S. Den Beitrag von Herrn Kühnel auf Condorcet hatte ich übersehen.

Donnerstag, 22. Juni 2023

Marokko IV

 Die vierte Aufgabe aus dem Abitur in Marokko 2021 behandelt die Zahlentheorie:

Sei \(a \ge 2\) eine natürliche Zahl und \(A = 1 + a + a^2 + a^3 + a^4 + a^5 + a^6\). Sei \(p\) eine ungerade Primzahl, welche \(A\) teilt.

    • 1.a)  Zeige, dass \(a^7 \equiv 1 \bmod p\) ist, und folgere, dass \(a^{7n} \equiv 1 \bmod p\) für alle \(n \in \mathbb N\) ist.
    • b) Zeige, dass \(a\) und \(p\) teilerfremd sind, und folgere, dass für alle \(m \in \mathbb N\) gilt: \(a^{(p-1)m} \equiv 1 \bmod p\).
    • 2.a) Wir nehmen jetzt an, dass 7 kein Teiler von \(p-1\) ist. Zeige, dass \(a \equiv 1 \bmod p\) gilt.
    • b) Folgere, dass \(p = 7\) ist.
    • 3. Zeige: Ist \(p\) eine ungerade Primzahl, welche \(A\) teilt, dann ist \(p = 7\) oder \(p \equiv 1 \bmod 7\)
Fangen wir an. Um etwas über \(a^7\) herauszubekommen, multiplizieren wir \(A\) mit \(a\) und finden \(Aa = a + a^2 + a^3 + a^4 + a^5 + a^6 + a^7 = A + a^7-1\). Also ist \(a^7-1 = Aa - A\) durch \(p\) teilbar, weil \(A\) durch \(p\) teilbar ist. Wenn \(a\) und \(p\) nicht teilerfremd sind, dann ist \(p\) ein Teiler von \(a\), weil \(p\) prim ist. Dann folgt aber \(A = 1 + a + a^2 + \ldots + a^6 \equiv 1 \bmod p\) im Gegensatz dazu, dass \(p\) ein Teiler von \(A\) ist. Damit ist 1. erledigt.

Sei nun \(p-1\) nicht durch 7 teilbar. Nach dem kleinen Fermatschen Satz ist \(a^{p-1} \equiv 1 \bmod p\); außerdem ist \(a^7 \equiv 1 \bmod p\). Nach dem Satz von Bezout gibt es Zahlen \(r\) und \(s\) mit \(7r + (p-1)s = 1\). Dann ist aber \[a = a^1 = a^{ 7r + (p-1)s} = a^{7r} a^{(p-1)s} \equiv 1 \bmod p\]. Aus \(A = 1 + a + a^2 + \ldots + a^6 \equiv 1 + 1 + 1 + \ldots + 1 = 7 \bmod p\) und weil \(p\) ein Teiler von \(A\) ist, muss also \(p = 7\) sein.

Damit ist die Arbeit getan: Falls \(7\) kein Teiler von \(p-1\) ist, ist \(p = 7\); andernfalls ist \(7\) ein Teiler von \(p-1\). Wenn also \(A\) durch eine ungerade Primzahl \(p\) teilbar ist, dann ist entweder \(p = 7\) oder \(p \equiv 1 \bmod 7\).

Mehr Mathematik braucht man nicht, um das RSA-Verfahren zu verstehen - eine der Grundlagen für sichere online-Kommunikation und damit aus der Lebenswelt eines jeden, der online banking benutzt oder mit seinem Handy bezahlt. Aber wer möchte schon bestreiten, dass die Kompetenz des Kästchenzählens wichtiger ist.