Dienstag, 8. August 2023

No more heroes

 Podcasts sind nicht so meins - Lesen funktioniert bei mir um ein Vielfaches schneller, weil ich Dinge, die nicht wichtig sind, überfliegen kann; das geht bei podcasts nicht. Aber jedem das Seine.

Die ARD jedenfalls hat eine podcast-Serie über "Sheroes". Man ahnt es schon: weibliche Helden. Oder Heldinnen. Und ein podcast handelt vom "Mathe-Genie, das kaum jemand kennt". Nämlich von Emmy Noether. Kaum jemand ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Kaum jemand in der ARD trifft die Sache schon eher. Deshalb haben sie sich eine Expertin geholt. Allerdings nicht von außen; schließlich zahlen wir ja auch deswegen Rundfunkbeiträge, damit sich die Öffentlich-Rechtlichen eigene Expertinnen leisten können. In diesem Falle Johanne Burkhardt.

Zurück zu Emmy Noether. Der Begleittext zum podcast auf dieser Seite lautet wie folgt:

Ihre Theorien waren revolutionär und wahnsinnig komplex. Ohne Emmy Noether hätte Albert Einstein seine Relativitätstheorie nicht beweisen können. Nach heutigen Maßstäben wäre sie mindestens Co-Autorin gewesen. 

Ich habe keine Ahnung, ob die Autorin dieser Zeilen Frau Burkhardt gefragt hat, ob sie dem zustimmen kann. Aber einen größeren Blödsinn über Emmy Noether kann man nur schwerlich schreiben. Zum einen hat sie keine "Theorien" aufgestellt. Sie hat mathematische Sätze bewiesen und, und das dürfte ihre Hauptleistung gewesen sein, eine Art zu denken gepflegt, die ihren Zeitgenossen in der Tat Schwierigkeiten bereitete; allerdings war dies, wie fast alles in der Mathematik, keine Revolution, sondern eine natürliche Entwicklung. Emmy Noether hat vielleicht als erste verstanden, was Richard Dedekind wirklich gemeint hat. 

Als Einstein 1916 die Hauptgleichungen seiner allgemeinen Relativitätstheorie veröffentlichte, hatte Emmy Noether mathematisch noch kaum etwas geleistet. Promoviert hatte sie in Invariantentheorie, auf ihre Ergebnisse in dieser Richtung ist sie später nie mehr zurück gekommen - andere Mathematiker, soweit ich weiß, auch nicht. Einstein hat seine ART natürlich auch nicht bewiesen; schließlich geht es dabei um Physik und nicht um Mathematik. Den Satz über die Co-Autorin kann ich nicht kommentieren, ohne ausfallend zu werden.

Auch auf dieser Seite weiß der Begleittext zum podcast wieder mehr als ich:

Ohne sie wäre Einstein aufgeschmissen gewesen, weil seine Arbeit erst durch Emmy Noether bewiesen werden konnte.

Ach.

Emmy Noethers Ausflug in die Physik hat 1918 die Noetherschen Sätze hervorgebracht, wonach Symmetrien der Raumzeit Erhaltungsgrößen erzeugen: die Homogenität der Zeit etwa liefert den Energieerhaltungssatz. Ein großartiges Ergebnis, das auch auf Einstein Eindruck machte. Seine Relativitätstheorie war damals aber schon fertig. 

Die Behauptung, dass Emmy Noether in den Geschichtsbüchern fehle, ist ein Witz. Es gibt inzwischen wohl ein gutes Dutzend Biographien, die meisten gut bis sehr sehr gut, oder ganze Bücher über ihre Noetherschen Sätze. Ich weiß auch nicht, ob es überhaupt ein Buch über die Geschichte der Algebra gibt, in welchem Noethers Name nicht steht. Aber die Idee hinter dieser Serie ist ja die, dass die Geschichtsschreibung die Rolle der Frauen absichtlich nicht erwähnt. Und ich wüsste jetzt nicht, dass Mathematiker von Euklid bis Hilbert in Standardwerken der Geschichte außerhalb der Wissenschaften großartig Erwähnung finden würden.
 
Deshalb fragt die nervige podcast-Tussi Milena zu Beginn ja auch, 

   "Oder an wen denkt ihr, wenn ihr an große Mathe-Dschenies denkt?"

Warum diese Leute Wörter wie Genie oder Journalist nicht mehr richtig aussprechen können, weiß ich nicht. Sei's drum. Jedenfalls denken die podcast-Hörer, wenn man Lena glaubt, bei Mathe-Dschenie vor allem an Einstein. Der war aber keins, weil er in Mathe eine 4 hatte, wie die Einblendung eines doofen Lieds mit der entsprechenden Textzeile beweist (der Titelsong der Serie Schloss Einstein). Suchmaschinen braucht man nicht, wenn man alles selber weiß, sonst würde man vielleicht auf einer Seite landen, die beispielsweise Einsteins Matura-Zeugnis zeigt.  

Die Expertin Johanne hat ein "Feature" zu Emmy Noether gemacht (die ARD bewirbt es mit den Worten "Sie hat für SWR2 Wissen ein Feature über Emmy Noether gemacht, dass hier in der ARD Audiothek anhören könnt", in welcher Emmy Noether gar die "unsichtbare Mitautorin der allgemeinen Relativitätstheorie" genannt wird. Die Leichtigkeit, mit welcher frau sich hier über die Regeln der deutschen Grammatik hinwegsetzt, ist nicht das einzig Erstaunliche an diesem Satz.

Im Begleittext zur ersten Folge der podcast-Reihe findet man übrigens noch etwas, was die wenigsten Männer wissen:

Der erste Autor der Menschheit? Eine Frau

Und zwar En-hedu-anna.  Die gilt zwar nicht als der erste Autor der Menschheit, sondern, wie man bei Wikipedia hätte nachlesen können, als "erste namentlich bekannte Autorin" der Menschheitsgeschichte. Das scheint mir etwas anderes zu sein. Aber ich bin halt keine Frau. 






2 Kommentare:

  1. Kann ein mathematischer Satz nicht erst dann "Satz" genannt werden, wenn er schon bewiesen ist? Also muss man ihn vorher anders nennen, auch wenn es schon immer ein Satz war. Insofern passt "Theorie" doch (für mich als Nicht-Mathematiker).

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    1. Ein mathematischer Satz muss nicht unbedingt bewiesen werden, um als „Satz“ benannt zu werden. Gleichwohl gibt es andere Bezeichnungen für unbewiesene bzw. noch nicht hinreichend gut begründete mathematische Tatsachen. Solche Tatsachen kann man „Vermutungen“ nennen. Das sind aber alles mehr oder weniger willkürlichen Konventionen. Die Grenzen zwischen „trüber Erkenntnis“ und „klarer Erkenntnis“ sind auch hier ziemlich fließend.

      Entscheidend ist, dass mathematische Tatsachen meist durch (geübte) Einsicht gewonnen werden, und ein Beweis ist eine Explikation dieser Einsicht, eine Prüfung auf Kompatibilität mit dem restlichen Gebäude der Mathematik - mit der restlichen „Theorie“.

      Eine mathematische „Theorie“ ist also weit mehr als ein oder mehrere Sätze. Das ist ein ganzes Bild der mathematischen Wirklichkeit, und die Sätze sind ihre (maximal klar umrissenen) Puzzle-Stücke.

      Das Verhältnis von „mathematischer Satz“ vs. „mathematische Theorie“ wird zum Beispiel hier angesprochen:
      https://youtu.be/UOv9wJyPGUQ

      Überhaupt ist dieses Interview der zwei (inzwischen schon verstorbenen) Mathematiker sehr lehrreich, auch für Nicht-Mathematiker.

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