Samstag, 12. August 2023

Brandstifter und die Brandstifter

 Man mag von Bernd Höckes Ansichten zu Inklusion und Gendermainstreaming halten, was man will; das ist aber hier nicht mein Thema, Mein Thema ist, wie die Presse mit diesen Äußerungen umgeht. Da ist der Spiegel, der sich in 20 Jahren vom Gewissen der Nation zu einem Schmierenblatt sondergleichen heruntergewirtschaftet hat. Der klärt uns über Gendermainstreaming auf:

Dabei meint das lediglich die Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen – also auch von Mädchen und Jungen. Gleichberechtigung ist im Grundgesetz verankert.

Das hätte dem Redaktör schon auffallen können, dass zwar die Gleichberechtigung im Grundgesetz verankert ist, aber nicht die Gleichstellung. Wortklauberei? Ich denke nicht.

Noch schlimmer als der Spiegel ist Münchens Ex-OB Ude.  In der SZ wird er so zitiert:

"Das sind Leute, die mit Euthanasie mehr am Hut haben als mit Inklusion."

Der Nazivergleich schon im ersten Satz. Respekt.

Wenn die Inklusion behinderter Menschen in den Schulen als angebliches "Ideologieprojekt" abgeschafft werden solle, bereite das einen "Rückfall in die Barbarei" vor.

 Deutschland hat die entsprechende UNO-Konvention 2009 unterschrieben. Und davor waren wir in der Barbarei? Ernsthaft? Aus meinem Jahrgang haben sehr viele Sonderpädagogik studiert, mit dem Ziel, behinderten Menschen an eigens dafür eingerichteten Schulen mit eigens dafür ausgebildetem Personal in kleinen Gruppen die Förderung zukommen zu lassen, die sie benötigen und verkraften. Was, bitteschön, soll daran barbarisch sein? Barbarisch ist es, wenn Eltern lernbehinderte Kinder auf Schulen schicken, in denen sie jeden Tag erleben müssen, dass die anderen Schüler Dinge können, die sie selbst nicht können. Und die personell gar nicht dafür eingerichtet sind, mit diesen Kindern anständig zu arbeiten. 

Auch die Vorsitzende des Behindertenverbandes schlägt in dieselbe Kerbe:

Sie erinnerte vor rund hundert Zuhörerinnen und Zuhörern an die "tief verwurzelte Behindertenfeindlichkeit" in der deutschen Geschichte, gipfelnd im Massenmord der Nationalsozialisten an mehr als 200 000 kranken und behinderten Menschen.

Auch sie verwechselt den Rückfall in die Barbarei vor 2009 mit dem Rückfall in die Barbarei nach 1933. Und weiter:

Koller nannte zahlreiche Beispiele von Diskriminierung, Ausgrenzung, Bevormundung und Unterdrückung. Behinderte Menschen könnten an Veranstaltungen nicht teilnehmen, hätten keinen Zugang zu vielen Restaurants oder Arztpraxen, könnten Verkehrsmittel nicht selbstbestimmt nutzen, fänden keine Behindertentoiletten.

Beim Zugang zu Arztpraxen haben gesetzlich Versicherte, nebenbei bemerkt, bisweilen auch Schwierigkeiten.  Butter bei die Fische: Wäre es nicht wichtiger, sich um diese praktischen Probleme von Behinderten zu kümmern als um die leidige Inklusion? Die funktioniert nämlich, wenn man den Kommentaren von Lehrern im Netz Glauben schenkt, alles andere als gut.

Ich habe im SZ-Artikel nicht ein einziges Argument gefunden, das sich mit den Thesen von Höcke auseinandersetzen würde. Stattdessen wird mit Stimmungsmache auf allerunterstem Stammtischniveau gearbeitet. Und ich fürchte, dass die AfD das besser kann als der Spiegel, die SZ oder der Ude. 


3 Kommentare:

  1. Es ist gegenwärtig viel vom Verfall Deutschlands (und des demokratischen Europas) die Rede, was für manche Akteure mitunter einen Grund für die Abkehr vom demokratischen Modell darstellt. Dabei geht es nicht so sehr um den Verfall selbst, sondern um die systemimmanenten Risiken, denen sich eine jede Demokratie aufgrund ihrer Struktur immer ausgesetzt ist, und die einen strukturellen Verfall des Staates begünstigen oder herbeiführen können. Diese Risiken bzw. Defekte muss man erkennen und berücksichtigen.

    Dazu zählt die sogenannte „Inflation der Anspruchsrechte“. Eine schöne Zusammenfassung dieses Begriffs und des diesbezüglichen Problems findet man zum Beispiel hier:

    http://der-begriff.de/?p=781

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  2. Tja, wann machen die etablierten Parteien endlich so gute Politik, dass die AfD unter 5 % fällt?

    2017 hat die Süddeutsche noch getitelt: "Nichts gelernt. In Klassen mit behinderten Kindern fehlt es an Sonderpädagogen” und den Regisseur des Dokumentarfilms "Ich. Du. Inklusion" zitiert: “Die politische Umsetzung der Inklusion ist eine Vollkatastrophe.”[1]

    Im Mai 2017 wurde Rot-Grün in NRW, das unter der Schulministerin Sylvia Löhrmann die Einführung der Inklusion und den jahrelangen G8-Murks zu verantworten hatte, abgewählt. Die FDP war, soweit ich mich erinnere, die erste Partei, die nicht mehr an G8 festhalten wollte und somit das Ende der jahrelangen G8-Unvernunft einläutete.[2] Unter CDU/FDP wurde die Inklusion nicht mehr vorangetrieben, stattdessen wurden die Schulen mit "Digital first, Bedenken second" beglückt.[3] Seit 2022 ist die FDP wieder in der Opposition.

    Wenn die etablierten Parteien unbeirrt unvernünftige Politik machen, macht man es der AfD leicht, die gegenteilige Position einzunehmen und so Stimmung zu machen und Stimmen zu bekommen. Ein Beispiel ist der Antrag "Entlastung für unsere Grundschulen – VERA-Verfahren absetzen!" der AfD-Fraktion im Landtag NRW vom 4.2.2020, der durchaus ein paar kluge Gedanken enthält.[4]
    Die AfD-Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalt hat 2017 verkündet: "Das Kernproblem unseres Bildungswesens ist das auf allen Ebenen stetig sinkende Qualifikationsniveau. Die weitere Digitalisierung des Schulunterrichts löst dieses Problem nicht; sehr wahrscheinlich ist sie sogar eines seiner Ursachen.
    Die Umstellung des klassischen Schulunterrichts auf digitale Vermittlungsformen reduziert die haptischen Anteile und verringert damit die Bearbeitungstiefe. Digitale Medien stehen einer konzentrierten, kontemplativen Beschäftigung mit Lehrinhalten entgegen." [5]

    Im Übrigen verweise auf den Artikel "Der AfD-Höhenflug ist eine logische Folge einer immer tiefer gespaltenen Gesellschaft" von Jens Berger [6].


    [1] https://schule.roentgen24.eu/2017/die-politische-umsetzung-der-inklusion-ist-eine-vollkatastrophe/
    [2] https://schule.roentgen24.eu/2016/g8g9-rein-in-die-kartoffeln-raus-aus-die-kartoffeln/
    [3] https://schule.roentgen24.eu/2021/ministerin-gebauer-und-die-zwangsdigitalisierung-der-schulen-vorwaerts-immer-rueckwaerts-nimmer/
    [4] https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-8585.pdf
    [5] https://afdfraktion-lsa.de/schule-afd-digitalisierung-ist-keine-loesung-2/
    [6] https://www.nachdenkseiten.de/?p=100372

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  3. Mir erschließt sich nicht, weshalb schulischer Inklusion künftig weniger Beachtung geschenkt werden sollte, weil sie aktuell „alles andere als gut“ funktioniere. Das ist dann wohl eher ein Argument, das die Notwendigkeit, weiter daran zu arbeiten und endlich Verbesserungen zu schaffen, geradezu unterstreicht. Teilhabe in allen Bereichen ist ein Menschenrecht, dessen Einhaltung es umzusetzen gilt.
    Da Sie selbst Wortklauberei ansprechen: Der Begriff „Inklusion“ ist allumfassend für uneingeschränkte Teilhabe aller Menschen, bezieht sich also nicht nur auf den schulischen Kontext, sondern auch auf die von Ihnen genannten praktischen Probleme Behinderter.
    Zum Thema, Förderschulen würden behinderte Schüler vor Frustration aufgrund auseinanderfallender Leistungsstände bewahren, empfehle ich den Artikel zur Schonraumfalle: https://raul.de/allgemein/die-schonraumfalle/

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