Freitag, 3. November 2023

Denken wie ein Mathematiker

 Diese Woche habe ich eine hübsche Aufgabe aus dem Cornelsen von Berlin zugeschickt bekommen (merci!).  Daran sieht man nicht nur, als ob man das noch zeigen müsste, dass physikalische Anwendungen zur Witznummer verkommen sind, sondern dass auch die Mathematik sich vom Rechnen über das Labern bis hin zum Raten entwickelt hat.

Was uns noch gefehlt hat: Ein Weg-Beschleunigungsdiagramm. Das kann nicht gut gehen. Teil a) ist das übliche Labern, in b) muss man eine Polynomdivision machen, was einem zwar nicht zeigt, wie man Mathematik im täglichen Leben anwenden kann, aber immerhin, dass man nicht in BW zur Schule geht. 

Teil c) ist großartig. In einem Zeit-Beschleunigungsdiagramm ist die Geschwindigkeit der Flächeninhalt unter dem Schaubild, aber hier? Die Fläche unter dem Schaubild hat hier die Einheit km\(^2/\)h\(^2\). Da kommt man ins Grübeln und schaut am besten in der Lösung nach:

Ob ich a) so unterschreiben möchte, weiß ich nicht. Wenn die Geschwindigkeit negativ ist und die Beschleunigung auch (freier Fall), dann wird das Motorrad schneller. 

Bei c) ist es "vermutlich" nach 4 km am schnellsten, von wegen weil vielleicht die Länge der Strecke des Bremsens. Das hat dann schon BW-Qualitäten. 

Aber was ist nun wirklich los? Das ist auf den ersten Blick schwer zu sagen. Wenn das Motorrad aus dem Stand beschleunigt, wann wird es "vermutlich" wegen der "Länge der Strecke des Bremsens" nach 9 s rückwärts fahren. Aber müsste dann \(x\) nicht abnehmen?

Wenn das Motorrad aber mit der Anfangsgeschwindigkeit 80 km/h beginnt, dann sorgt die Beschleunigung von  maximal 90 km\(^2/\)h\(^2\), also umgerechnet 0,007 m/s\(^2\), für derart kleine Änderungen der Geschwindigkeit, dass die Frage nach der größten Geschwindigkeit ziemlich irrelevant ist.

Mit Hilfe der Kettenregel kann man zeigen, dass \(v'(x) = \frac{a(x)}{v(x)}\) gilt, wobei \(a(x) = f(x)\) die "Beschleunigung" in Abhängigkeit vom Weg und \(v(x)\) die entsprechende "Geschwindigkeit ist. Damit ist \(v'(x) v(x) = a(x)\), und Integrieren liefert \[ v(x)^2 - v(0)^2 = 2\int_0^x f(t) dt .\]

Mit \(v(0) = 80\) km/h ist dann, wenn ich mich nicht vertan habe, \(v(4) = 82.8\) und v(9,5) = 79,2, und die 12 km sind in etwa 15 min durchfahren. 

Ist \(v(0) = 0\), so wird die Geschwindigkeit nach 7,75 km gleich 0, und es wäre \(v(9,5)^2 \approx -133\), d.h. die Geschwindigkeit wird danach imaginär. 



2 Kommentare:

  1. Eine absurde Aufgabe – ich werde sie in der L-Bildung einsetzen, vielen Dank dafür. Der Einschub „wenn ich mich nicht vertan habe“ in der viertletzten Zeile kann übrigens weg, das ist alles korrekt. Für die Umrechnung von km^2/h^2 in m/s^2 gilt das nicht, aber die ist auch nicht wichtig.
    Was man an der Aufgabe auch sehen kann: Integration durch Substitution und Kettenregeln sind nicht nur Rechentechniken, sondern können helfen, gegebenen Informationen passend umzukodieren.
    Das eingestreute BW-Bashing ist etwas unmotiviert und kaum substantiiert. Interessant ist aber schon, dass BW, das bei Ländervergleichen früher oft mit Bayern vorne war, diese Position nicht halten konnte. Im Beitrag „Curricula und Mathematikleistung“ in den Mitteilungen der GDM, Heft 99 (2015), gab es dazu mal den Versuch einer simplen Erklärung, die aber niemanden überzeugt hat.

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  2. Bei x = 0 wirkt doch keine beschleunigende Kraft auf das Motorrad, wie kommt es dann bei v(0) = 0 überhaupt vom Fleck?

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