Freitag, 6. Oktober 2023

Tupeldubbel

Mit einem Schreiben vom 13. September hat das KM BW seinen Untertanen kundgetan, dass die Anhörung des neuen Bildungsplans Gymnasium Mathematik am 18. September beginnt; Lehrer haben dann 6 Wochen Zeit, sich (unter Angabe der Kompetenznummer) zu einzelnen Punkten zu äußern.

Machen wir es kurz: Das Ding ist für die Tonne. Aber überfliegen sollte man es ja doch, damit man weiß, was in den nächsten Jahren auf einen zukommt. Und da war ich dann doch etwas überrascht, dass es in der Oberstufe Dinge gibt, die ich bisher übersehen hatte: In Klasse 11/12 gibt es unter der "Leitidee Zahl - Variable - Operation" Folgendes zu Lesen:

Komplexere Ableitungsregeln sowie grundlegende Integrationsregeln werden angewendet, das Operieren mit Tupeln wird auf Produkte erweitert und geometrisch interpretiert.

Da war ich kurz perplex, denn von Tupeln war in der Analysis bisher nie die Rede. Durchforsten des Dokuments zeigt, dass Tupel in Klasse 9 auftauchen:

Sie beantworten Fragestellungen im Zusammenhang mit exponentiellen Wachstumsvorgängen, auch unter Verwendung elektronischer Hilfsmittel. Sie lernen Tupel und die zugehörigen Operationen kennen. In der Analysis verwenden sie grundlegende Regeln zum Ableiten von Funktionstermen.

Ich habe bisher nie Tupel und ihre Operationen unterrichtet. Wahrscheinlich schneiden meine Schüler deswegen so schlecht im Abi ab. Das Rätsel der Tupel wird dann auf S. 32 gelüftet: Dort geht es darum,  "mit Vektoren in der Tupeldarstellung" zu arbeiten:

Tupel addieren, mit Skalaren multiplizieren sowie Tupel in einfachen Fällen als Linearkombination anderer Tupel darstellen und die Operationen geometrisch deuten.

Tupel sind also vermutlich so etwas ähnliches wie Vektoren: Man kann sie addieren, skalar multiplizieren, und in einfachen Fällen als Linearkombinationen anderer Tupel darstellen. Der Mathematiker würde sagen: Tupel sind Elemente eines Tupelraums. Allerdings ist es nicht so, dass Vektoren Tupel wären oder Tupel Vektoren, sonst würde sich ja niemand im RP die Mühe machen, einen neuen Begriff einzuführen. Aber immerhin kann man Vektoren als Tupel darstellen und dann interpretieren:

Vektoren in Tupeldarstellung entsprechend ihrer Verwendung geometrisch als Punkt oder Verschiebung interpretieren

Vor 15 Jahren hätten mir die Zweitkorrektoren noch erklärt, dass man Punkte weder addieren, noch subtrahieren kann, Vektoren dagegen schon; heute sind Vektoren auch Punkte: die Tupeldarstellung macht's möglich. Und dann lernt man eben in Klasse 11, wie man das Operieren mit Tupeln auf Produkte erweitert. Gemeint ist, dass man Tupel multiplizieren kann. Das Produkt zweier Tupel ist dann entweder ein 1-Tupel, etwa beim Skalarprodukt, oder ein 3-Tupel beim Kreuzprodukt. Damit kann man im Prinzip auch die Länge eines Punktes oder den Winkel zwischen zwei Punkten bestimmen, wenn man Punkte wieder  als Tupel interpretiert. 

Was glaubt man im Kultusministerium dadurch zu gewinnen, dass man statt Skalarprodukt und Kreuzprodukt von Vektoren jetzt vom Erweitern des Operierens mit Tupeln auf Produkte spricht? Ich vermute, da möchte jemand mit seinem Halbwissen angeben. Und ich werde meine Vermutung zurücknehmen, wenn man in 5 Jahren in BW das Operieren mit Tupeln auf die Division und das Wurzelziehen erweitert.



 

3 Kommentare:

  1. Ist der Bildungsplanentwurf öffentlich zugänglich?
    Sprechweisen ändern sich. Als ich vor Jahrzehnten im Referendariat war, sollte man "Pfeilklasse" sagen.

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  2. Kaufverhalten ändert sich auch. Ab 1933 kaufte man nicht mehr bei Juden. Ehrlicher wäre es zuzugeben, dass Sprechweisen geändert werden.

    https://www.bildungsplaene-bw.de/,Lde/16694566

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    1. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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