Mittwoch, 29. Mai 2024

Abitur 2024

 Was war denn das?

Das leichteste Mathe-Abi aller Zeiten? Auf youtube ist man sich da einig, und ich verstehe immer noch nicht, was da passiert ist. Natürlich wollten die Bayern möglichst wenig Durchfaller, weil dieses Jahr der letzte G8-Jahrgang dran war und es nächstes Jahr nur ein Notabitur für die Durchgefallenen gibt. Allerdings liegen BW und NRW und Thüringen nicht in Bayern; aber mit dem Senken des Niveaus hat die KMK in den letzten 30 Jahren niemals Probleme gehabt. 

Dass das Niveau aber derart in den Boden gerammt wurde wie dieses Jahr ist schon ein wenig frech. Im oberen Notenspektrum dürften die Noten in BW etwa 3 Punkte über dem liegen, was man hätte erwarten können, und 5 Punkte über dem, den die Schüler erhalten hätten, wäre das Abi so schwer gewesen wie im letzten Jahr.

Manche Tendenzen haben sich jetzt verfestigt: In Analysis gab es außer \(\sin(\frac12 x)\)  oder \(e^{2x-1}\) nichts abzuleiten, keine Produktregel, nur lineare Verkettungen, und zu integrieren gab es eine quadratische Funktion. Immerhin. Stammfunktion von \[ \frac1x \) oder die Ableitung von \[ \ln(x)\) suchte man ebenfalls vergeblich; eigentlich ging es an keiner Stelle über den Lehrplan des Basisfachs hinaus. Der Wahlteil Analysis war geschenkt, der Wahlteil Geometrie drehte sich wie 2022 um eine Geradenschar, und Stochastik war eine Sammlung von Standard-Basisfach-Aufgaben.

War vor drei Jahren noch jeder  Quader der Lebenswelt der Schülerinnen zuliebe ein Kunstwerk, haben wir jetzt Geraden- und Ebenenscharen. Und jedesmal geht es darum zu zeigen, dass die Geradenschar in einer Ebene liegt, dass eine Gerade nicht zur Schar gehört, oder zu keiner Schargeraden parallel ist usw. usf. 

Ganz ohne blöde Formulierungen kommt man immer noch nicht aus.  Anstatt das Allerweltswort "zeige" zu benutzen, sollen die Schüler "begründen", dass irgendein  Punkt auf dem Schaubild einer Funktion liegt, was dazu geführt hat, dass 80 % angefangen haben, irgendetwas von Strecken und Stauchen zu erzählen anstatt das einfach nachzurechnen. Da hat man diese blödsinnigen Operatoren eingeführt, um sich genau ausdrücken zu können, und dann benutzt man sie, um die Schüler auf die falsche Spur zu setzen. 

Zurück zum nicht mehr vorhandenen Niveau. Eine große Neuerung sind die den Lösungen beigefügten Kompetenzraster. Für jede winzige Frage (Bestimmen Sie die Ableitung an der Stelle \(x = 0\) ) wird jetzt angekreuzt, welche der sechs Kompetenzen auf welchem Anforderungsbereich (I, II oder III)  abgefragt werden, Das muss man sich so vorstellen:


Der Anforderungsbereich der Aufgabe ist also das Maximum der Anforderungsbereiche der Teilkompetenzen. Da soll noch einer sagen, Didaktik wäre keine exakte Wissenschaft. Wozu das gut sein soll erschließt sich dem Laien dagegen nicht. Es hilft dem Lehrer nicht bei der Auswahl der Aufgaben und nicht bei der Korrektur, und die Schüler bekommen das nicht zu sehen. Erklärungsmöglichkeiten sehe ich zwei:

  • Im Regierungspräsidium sitzen zu viele Leute, die man mit sinnlosen Aufgaben beschäftigen muss. 
  • Diese Kompetenzraster werden eingeführt, damit man uns Lehrern beweisen kann, dass die Aufgaben jedes Jahr denselben Schwierigkeitsgrad haben.
Die Zweitkorrektur macht ebenfalls jedes Jahr weniger Spaß. Was mich inzwischen erschreckt ist nicht so sehr die Tatsache, dass die Schüler die einfachsten Dinge nicht können, sondern dass ein Großteil der Abiturienten nicht in der Lage ist, einen Gedanken angemessen in Worte zu fassen. Es gibt welche, die schreiben jedes vierte Wort falsch, es fehlen Artikel, es gibt elementare Grammatikfehler, und wenn der Satz dann doch mal grammatikalisch korrekt ist, muss man raten, was sie eigentlich sagen wollten. 

Allen, die jetzt 40 sind: Vergesst eure Rente.




31 Kommentare:

  1. Flächendeckende Fortbildungen zu "sprachsensiblem Unterricht" werden all die angesprochenen Probleme mit der deutschen Sprache lösen.

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  2. Wie immer bei Ihnen: Gute und grundlegende Gedanken!
    Für NRW lässt es sich genauso sagen: Durchgängige Senkung des Niveaus, bescheuerte Operatorenquälerei, Verfall sämtlicher Sprach- und Schriftkultur....zum Teil graphisch völlig unleserliche Arbeiten, und die wenigen Sätze, die man entziffern kann, entpuppen sich meist als geistiger Dünnsch... ohne jede Substanz.
    Die Mathematik hat nach wie vor ein Problem: Nämlich ein Schulfach, das genauso heißt.
    P.S.: Ich bin 40.

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  3. Ergänzend verweise ich auf diesen Artikel vom heutigen Tage:
    Migration und scheiternde Integration - Die Bildungsbombe sprengt unsere Sozialsysteme | Cicero Online
    Zu den Beobachtungen ist solange nichts zu sagen, wie die maßgebende Exegese der Herren Schleicher und Köller nicht vorliegt. Was man aber im Hinterkopf haben sollte, ist, daß es in diesem Blog praktisch immer um die Oberschule oder die Uni geht, also um unsere zukünftige Führungsschicht.
    Frau Paus macht sich gerade große Sorgen um die Einsamkeit der Deutschen, das ist auch wichtig.

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  4. Ich habe eine Schülerin, die sich die letzten zwei Jahre sehr reingehängt hat. Ihre Noten gingen auch solide nach oben und ich bin mir sicher, dass sie auch in den letztjährigen Abituren eine solide, gute Note erreicht hätte.
    Als ich sie zum diesjährigen Abitur (Bayern) fragte, bezeichnete sie das Abitur als "fair", was für mich darauf hinweist, dass ihr nicht bewusst ist, wie viel leichter die Prüfung dieses Jahr war.

    Meine ernstgemeinte Frage ist jetzt die folgende: Wie mache ich ihr klar, dass ihr dieses Jahr eine gute Note mehr oder weniger geschenkt wurde, ohne sie zu entmutigen und ihren Einsatz zu entwerten? Oder sollte ich sie in dem Irrglauben lassen, dass das ein ganz normales Abitur gewesen wäre?

    Noch kurz meine persönliche Sicht: Mir ist wichtig, dass mein Unterricht (und dazu gehören auch meine Klausuren) die Schüler ausreichend auf ein MINT-Studium vorbereitet. Mit dem Niveau, das ich fahre, ecke ich durchaus auch bei Kollegen an, aber mir ist die Zukunft meiner Schüler wichtiger. Wie soll ich das hohe Niveau im Unterricht begründen/halten, wenn im Abitur einfach nichts mehr gefordert wird und meine Klausuren irgendwann doppelt so schwer wie das Abitur werden?

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    1. Wie soll ich das hohe Niveau im Unterricht begründen/halten, wenn im Abitur einfach nichts mehr gefordert wird und meine Klausuren irgendwann doppelt so schwer wie das Abitur werden?
      Im Unterricht wird das nicht gehen. Lagern Sie die richtige Mathematik in eine AG aus und nehmen Sie ggfs. die Mehrarbeit auf Ihre Kappe, das Unterrichten von Freiwilligen ist auf jeden Fall befriedigender. Wir brauchen in 10 Jahren auch Leute mit Wissen und Kompetenz, die für den Wiederaufbau des Systems zur Verfügung stehen. Es wird kein Zuckerschlecken.

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    2. Wer sich reinhängen kann, hat schon mal eine ganze Menge gelernt. Ich würde mir da keine Sorgen machen.

      Niveau halten ist unmöglich - wie ich dieses Jahr in Gesprächen mit Eltern und Schulleitung lernen durfte, sind die Mathe-LK-Klausuren an den beiden andern örtlichen Gymnasien deutlich anspruchsloser gewesen. Die Folgerung der SL war die offensichtliche.

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    3. Andreas Schwichtenberg31. Mai 2024 um 11:26

      Auch wenn es vielleicht mit dem geschriebenen Schul(un)recht kollidiert: Versuchen Sie real zu differenzieren.
      Diejenigen, die ein MINT-Studium anstreben ordentlich in die Mangel nehmen. Die lernen das gerne und sind auch dankbar dafür, weil sie davon sehr profitieren.
      Bei den Anderen verlangen Sie eine Grundbildung (Rechnen, Prozent usw.) und ansonsten räumen Sie Mathe als Problem aus dem Weg. Das bringt denen weit mehr als diese Simulation von Niveau, bei denen Schüler irgendwelche zusammenhangslosen Wissensfragmente auswendig lernen, und darauf vertrauen, dass die Prüfungen so gemacht sind, dass man damit ohne jedes Verständnis durch kommt.
      Wie das in der Schule rechtlich geht weiß ich nicht, aber als Nachhilfelehrer mache ich damit sehr gute Erfahrungen.
      Und es wäre im Sinne der Schüler und auch im Sinne der Universitäten.
      Auch die Geisteswissenschaften würde sehr davon profitieren, wenn deren zukünfigen Studenten als Schüler ihre Stärken entwickeln könnten, statt einen Überlebenskampf (gegen Rausprüfen) in Mathe zu führen, bei dem sich alles entwickelt, aber keine Bildung.

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    4. Sehr geehrter Herr Schwichtenberg,

      wenn es nach mir ginge, würde ich für jeden Jahrgang einen ausgewiesenen Mathematikkurs anbieten, in den alle gehen, die im MINT-Bereich studieren wollen. Da würde aber meine Schulleitung und mein Kollegium nicht mitmachen. Außerdem verlieren damit die Schüler, die zu Beginn der Q-Stufe noch nicht wissen, wo sie hin wollen.

      Getrennte Prüfungen innerhalb eines Kurses sind rechtlich nicht umsetzbar. Außerdem haben (in Bayern) Schüler, die einfach nichts mit Mathe zu tun haben wollen immer die möglichkeit an der FOS eine Fachgebundene Hochschulreife zu machen. Dort können die Schüler (in bestimmten Zweigen) aller 4 Semester und in der Abiturprüfung in Mathe 0 Punkte einbringen und bekommen trotzdem ihren Abschluss.

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    5. Andreas Schwichtenberg31. Mai 2024 um 17:10

      Sehr geehrter Herr Anonym,

      exakt aus dem Grund bin ich auch nicht mehr Lehrer an einer staatlichen Schule, ich hab da keine Möglichkeit gesehen vernünftige Bildungsarbeit zu leisten.
      Aber zumindest bei den Prüfungen könnte man Schwerpunkte legen, indem man den schwächeren Schülern mitteilt, was sie wirklich können müssen und was eher in die Einserbremse kommt. Dann können die ihr Lernen fokussieren und da vmtl. mehr mitnehmen.

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  5. Sebastian Hoelzel30. Mai 2024 um 14:51

    Das NRW-Abitur war ebenfalls irritierend seicht.

    Über die rapide schwindenden Orthographie-Kenntnisse bin ich bei meinen Schülern ebenfalls gestolpert. Bei diesem Jahrgang sah ich mich erstmals genötigt, Mathematik-Klausuren wegen mangelhafter Rechtschreibung abzuwerten (habe ich hier beschrieben: https://nachmittags-frei.de/schulalltag/schlechtschreibung-teil-2/)...

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  6. Die Durchfallquoten an den Unis waren vor 30 Jahren auch nicht besser, ob mit Mathe Leistung oder ohne. In den anderen Fächern der MINT- Studiengänge wie zb Technische Mechanik, waren die Durchfallquoten ähnlich hoch, kann also nichts mit der Schulmathematik zu tun haben. Im Vordiplom werden die Studenten gnadenlos rausgesiebt. Sie scheitern aber nicht an dem Stoff, sondern an ihren Kommilitonen, die eine höhere Punktzahl erreicht haben. Wenn mehr Absolventen für die Unternehmen zur Verfügung gestellt werden sollen, dann wird das Niveau gelockert, falls zu viele auf den Markt drängen, wieder angezogen. Die Schulmathematik war schon immer ein Witz im Vergleich zu dem, was auf der Uni auf einen wartet. Ein hohes Niveau in der Schule wäre sinnvoll, wenn die Betreuung besser wäre und die Lehrer kompetenter. Aber wie gesagt, das wird an den Absolventenquoten nichts ändern. Es wird sich immer beklagt, dass ein Abitur nicht mehr für ein MINT- Studiengang zertifiziert. Das hat es noch nie. Auch ein Diplom/ Master zertifiziert nicht für die Arbeit als Ingenieur. Es zeigt nur, dass jemand die Ochsentour erfolgreich überstanden hat, aber ob jemand ein Gewinn für das Unternehmen ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.

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    1. Die Durchfallquoten zu vergleichen, ohne einen Blick auf die Prüfungen selbst zu werfen, gibt keine Auskunft über die Fähigkeiten der Absolventen.
      Die 1er-Schnitte haben in den Abituren gravierend zugenommen. Sind deshalb die heutigen Abiturienten besser, als vor 20 Jahren?
      Konkreter im Bezug auf ein MINT-Studium: Ich habe mir erst vor Kurzem aus Neugierde eine Analysis 1 Klausur meiner alten Uni aus dem Mathestudium der vergangenen Jahre (G8-Jahrgänge in Bayern) angeschaut. Obwohl mein Studium nun ein paar Jahre her ist und ich kein sonderlich guter Student war, hätte ich die Prüfung ohne Vorbereitung bestanden. Dann habe ich mir meine eigene alte Analysis 1 Klausur (alter G9-Jahrgang in Bayern) - die ich damals wiederholen musste - angeschaut. Da wäre das unvorbereitete Bestehen mindestens knapp geworden (obwohl mir manche Aufgaben sogar noch leicht bekannt waren).
      Kurzum: Wenn die Prüfungen leichter werden, bleiben die Durchfallquoten konstant, wenn die Fähigkeiten der Prüflinge im gleichen Maße abnehmen.

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  7. Wenn das so wäre wie Sie schreiben, dann macht die Kritik von Lemmermeyer, Krötz & CO keinen Sinn und das Niveau der Lehrer an den Gymnasien wäre ebenfalls unterirdisch. Dann sollten sich die Herren hauptsächlich den Mathe Lehrstoff an den Universitäten zur Brust nehmen und diesbezüglich Brandbriefe schreiben. Wenn die Prüfungen an den UNIs durchgängig leichter werden, weil die Lehrkörper an den Gymnasien nicht mehr in der Lage sind, den Schülern den notwendigen Stoff zu vermitteln, dann muss zuallererst die Ausbildung der Lehrer verbessert werden. Aber ich denke nicht, dass das der Fall ist.

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    1. Die Lehrer sind nicht das Problem. Problem ist, dass das Gymnasium eigentlich mal für ganz wenige Prozent eines Jahrgangs angedacht war, und entsprechend aufgebaut wurde und heute, ohne passende Umgestaltung, über 50% der Schüler durchschleusen muss.
      Irgendwann hat die Politik entschieden immer mehr Leute da durchzulassen (was ich, anders vmtl. Herr Lemmermeyer, gut finde), aber man hat versäumt die Schulen für die neue Anforderungen umzugestalten.
      Die heutigen Gymnasien mit sind eigentlich Volksschulen (über 50% der Schüler), damit ein Instrument der Breitenbildung und keine Elitenveranstaltung mehr. Wie so oft lügt sich die Politik aber was in die Tasche und zwingt die Schulen dazu, noch immer so zu tun, als könnte man über 50% der Schüler auf dem gleichen Niveau unterrichten wie man früher die besten 5% unterrichtet hat.
      Dass das nicht funktionieren kann sollte klar sein.

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    2. Ich habe nichts gegen eine anständige Bildung für 50 % eines Jahrgangs. Beim jetzigen Gymnasium bedeutet das aber Verwässerung der Inhalte ab Klasse 5 für diejenigen, die hell genug wären, die Fackel weiterzutragen. Ich hielte eine "Eliteschule" für 10 % eines Jahrgangs für weitaus besser als das, was wir die letzten 25 Jahre gemacht haben. Aber selbstverständlich sind auch andere Wege denkbar - nur nicht für die Politik, die ein Problem damit hat, dass manche in Mathe besser sind (bzw. wären) als andere.

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    3. Andreas Schwichtenberg31. Mai 2024 um 17:59

      Ja, das jetztige System wird den begabten Schülern in keiner Weise gerecht, es bremst sie aus.
      Und die weniger guten Schüler bekommen auch nur den Abschluss, lernen in der Überforderung aber eher weniger.
      Persönlich fände ich ein System mit verschiedenen Kursen sinnvoll. Dann bekommt man wieder aussagekräftige Zeugnisse, und muss angehende Literaturwissenschaftler nicht mehr mit Hypothesentests auf den Wecker gehen, und angehende Informatiker müssen nicht mehr Annette von Droste-Hülshoff erleiden.

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  8. Andreas Schwichtenberg31. Mai 2024 um 11:53

    Offensichtlich stimmt im System Schule etwas grundsätzlich nicht. Die Schüler haben ein Zeugnis der Reife, haben formal nachgewiesen, dass sie Differenzial- und Intergralrechnung beherrschen und dann stellt man fest, dass manchmal schon einfache Prozentrechnung nicht mal im Ansatz verstanden wurde.
    Wenn man nicht wieder zum alten Elitegymnasium für die besten 5% eines Jahrgangs zurück will (das fände ich falsch und dürfte von der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert werden), dann sollte man mit dem Selbstbetrug den einheitlichen Niveaus aufhören und endlich A, B und C Kurse einführen.
    Dann kann man die fachbegabten und interessierten Schüler wieder gescheit unterrichten, und den anderen Zeit geben die Grundlagen zu üben, auf die man nicht verzichten möchte.
    Die aktuelle Version, in der sich die Begabten langweilen und die anderen primär gegen das Rausprüfen kämpfen, dürfte die schlechtest mögliche Version sein.

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    1. Wenn ich das französische System richtig verstanden habe, kann man dort in der Oberstufe zwischen 0, 3, 6 oder 9 Wochenstunden Mathematik wählen. Aber dafür dürfte es hier schon zu spät sein. Mein Eindruck ist der, dass ein sehr großer Teil der Schülerschaft innerhalb von vier Wochen den Stoff eines ganzen Schuljahrs vergessen kann. Da kommt man dann auch mit 10 Wochenstunden nicht weit.

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    2. Wichtig wäre, sicherzustellen, dass die Schüler überhaupt verstanden haben was sie da rechnen. Und dann die Zeit geben, um das einzuschleifen.
      Ich erlebe täglich Leute, die irgendwas rechnen und schlicht nicht wissen, ob die errechneten 2,5 dann eine Steigung, ein Funktionsterm, eine Streckenlänge oder die Zahl der Zigaretten pro Stunde ist. Wenn die nix verstehen, kann auch nichts hängen bleiben, schließlich merkt sich das Gehin nur Sinn, keinen Unsinn.
      In den meisten Fällen kann man das Problem lösen, kann man dafür sorgen, dass die Leute wieder den Anschluss finden und wissen was sie tun.
      Was mich dabei stört: Oft muss ich den Schülern leider erst klarmachen: "Pfeif auf den Unterricht, koppel dein Lernen ab und nimm dir Zeit. Spiel rum, probier aus, mach es gründlicher. Auch gegen keifende Lehrer."
      Einmal hat ein Lehrer tatsächlich bei einer Mutter angerufen und ihr gesagt, ihr Sohn würde zuviel Zeit verschwenden mit Zeichnungen (GymBayern,Kl11). Ein Jahr später beklagt sich der gleich Lehrer bei der Klasse, dass die Schüler unfähig sind Funktionen in ein Koordinatensystem zu zeichnen. Bis auf meinen Schüler, der das konnte und (u.a.) deshalb die Integralrechnung relativ gut hinbekommen hat.
      Lernen geht aktuell leider zu oft gegen die Schule, va. gegen das in der Schule vorgegebene Tempo. Also muss man entweder die Schülerschaft "aussortieren", oder das Lerntempo anpassen. Die Politik macht aber beides nicht.

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    3. P.S.
      Das ist von Andreas Schwichtenberg.

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    4. "Wichtig wäre, sicherzustellen, dass die Schüler überhaupt verstanden haben, was sie da rechnen." Das ist Konsens in der Didaktik. Schön, dass auch in diesem Blog gegen Überzeugungen von Anti-Didaktikern wie Krötz argumentiert wird, der wiederholt gesagt hat, man müsse einfach nur einschleifen, das Verständnis komme dann von alleine.

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    5. Andreas Schwichteberg3. Juni 2024 um 11:46

      Das ist Konsens auch bei Lehrern und Professoren, der Streit geht darum, wie man das erreicht.
      Wenn ich Herrn Krötz richtig verstanden habe meint er nicht, dass nicht mehr erklärt werden soll, sondern einfach den alten Spruch „Übung macht den Meister“.
      Und teilweise stimmt es auch, man kann Manches nicht verstehen ohne es an einem Beispiel zu rechnen. Manchmal hilft es, Lösungswege einfach 20 mal zu rechnen und dann macht's plötzlich klick und das „Erklärungsgeschwafel“ wird klar, macht auf einmal Sinn.
      Und da muss ich (leider) zustimmen, das Üben ist vor lauter Sachkontext und Alltagsbezug unter die Räder gekommen. Man kann das auch an den Schulbüchern erkennen, die immer textlastiger werden und immer weniger grundlegende Übungsaufgaben enthalten. Oft gibt es zu neuen Themen nur Aufgabe 1 und 2, a-h als Grundlagenübung, und danach geht es sofort los mit dem „Sachbezug“. Was nichts anderes heißt, als das die Aufgaben in 10 Zeilen Text verpackt sind, und das Thema kreuz und quer abfragen. Schüler, die eigentlich noch Übung brauchen, werden dann nahezu mit 100% Sicherheit abgehängt. Statt die Mathematik zu üben, statt die mathematischen Zusammenhänge in die eigene Vorstellungswelt einzubauen ist man damit beschäftigt zu erraten, was der Aufgabensteller meint. Gerade die schwächeren Schüler finden natürlich keinen roten Faden mehr, wenn alles jedesmal völlig anders formuliert ist.
      Mir platzt inzwischen auch regelmäßig der Kragen wenn ich Aufgaben lese wie:
      „Die Wirkstoffkonzentration eines Medikaments im Blut eines Patienten wird beschrieben durch...“
      Da möchte ich brüllen „Schreib einfach hin, dass du Hochpunkt, Wendepunkt und die Steigung beim Wendepunkt haben willst“. Dann könnte ich den Schüler endlich wieder Mathematik beibringen und nicht Textexegese.
      Es ist ungeheuer frustrierend, wenn man Schüler von „ich kapier nix“ dazu gebracht hat, endlich zu verstehen was da mathematisch passiert und dann klappt die Probe nicht, weil die Schüler zwar die Mathematik können, aber das Sprachrätsel der Aufgabenstellung nicht enträtseln können.
      Der angebliche Alltagsbezug ist einfach nur eine zusätzlich Hürde (und oft sachlicher Blödsinn) und leider kann ich nicht erkennen, dass die Didaktik gegen diesen Unsinn anrennen würde.

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  9. Sehr geehrter Herr Schwichteberg, da kann ich Ihnen weitestgehend zustimmen, aber doch eine Ergänzung: Sinnvolle Anwendungen können beim Verständnis der Mathematik helfen und vor allem auch die Relevanzeinschätzung steigern - diese positive Wirkungen gibt es, man darf sie aber auch nicht überschätzen. Dass es viel zu viele Pseudoanwendungen gibt, sehen sehr viele Kollegen in der Didaktik so, ich selbst habe kürzlich in einem Vorwort dazu Stellung genommen: https://ojs.didaktik-der-mathematik.de/index.php/mgdm/article/view/1215/1388 . Aber: "Dass die Didaktik gegen diesen Unsinn anrennen würde" erwarte ich nicht. Die didaktische Vorstellung von Modellbildung und Realitätsorientierung findet man relativ gut abgebildet in den beiden Serien von ISTRON-Bänden. Die Beispiele dort sind überwiegend authentische und oft auch komplexe Modellbildungen. Lehrpläne und Schulbücher setzen das leider nicht so um. Da hat die Didaktik aber keinen Einfluss.
    Dass die Sprachlastigkeit eine Problematik ist, ist unbestritten. Meines Erachtens sollte es in der Tat mehr innermathematische Aufgaben geben, aber es gehört sicher auch zur mathematischen Bildung, mathematikhaltige Texte zu verstehen, und wenn es nur darum geht, den Unterschied zwischen einer Erhöhung um das Doppelte oder auf das Doppelte zu verstehen und in eine korrekte Rechnung umzusetzen. Textexegese gehört auch zur mathematischen Bildung.

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    1. Andreas Schwichtenberg4. Juni 2024 um 10:09

      Danke für die Ergänzung, da muss ich mich etwas präziser ausdrücken: Tatsächliche Anwendungen können natürlich sehr hilfreich sein (nicht nur in der Mathematik). Nur erlebe ich eine Überdominanz der Anwendung, die daher oft zu einem Zeitpunkt kommt, an dem die Mathematik schlicht noch nicht verstanden ist. Ergebnis ist Verwirrung der Schüler und statt Mathematik zu lehren, bin ich mit der Entwirrung von Hirnen beschäftigt, muss soz. die Anwendung als blockierenden Datenmüll aus dem Schülerkopf rausbekommen. Und die Pseudoanwendungen müssten unbedingt verschwinden. Ich mache mir manchmal den Spaß, Satiren als Aufgabenstellungen zu schreiben („Die Funktion Suff(x)=... beschreibt die Standfestigkeit von Festbesuchern....) und erlebe inzwischen immer wieder Schüler, die Satire daran nicht erkennen. Und ich kann denen das nicht mal mehr übel nehmen, zu oft mussten die offensichtlichen Unsinn ernst nehmen.
      Auch bei der Sprachlastigkeit haben Sie natürlich Recht mit dem Hinweis, dass Textaufgaben ein Teil der mathematischen Bildung sind. Nur ist auch hier die Praxis so, dass die Mathematik oft und viel zu schnell hinter Schwafelei verschwindet. Auch da bietet sich ein Blick in Schulbücher an, die optisch von Deutschbüchern kaum zu unterscheiden sind.
      Wie so oft wird eine (eigentlich sinnvolle) Idee völlig überzogen, und kippt in eine Umkehrwirkung.

      Ich würde von der Didaktik durchaus erwarten, dass sie den Politik Dampf macht. Didaktiker sitzen in den Gremien und sind als Forscher, anders als die Lehrer, nicht ausführende Organe eines Ministeriums und könnte daher deutlich klarer die Missstände an den Schulen ansprechen, zum Beispiel, dass enge Zeitvorgaben für den Lernstoff („Schulaufgabe ist in 3 Wochen, danach neues Thema“) schlicht lernfeindlich sind. Und dass Schüler Zeit brauchen um Grundlagenstoff solange zu üben, bis er sitzt.
      Eine Fachdidaktik, die Luftschlösser baut und über Utopien diskutiert, während die Lehrer ministerialen Blödsinn umsetzen müssen und gleichzeitig den Schülern nicht die nötige Zeit zum Lernen geben dürfen, bringt der Bildungslandschaft nicht sehr viel.

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    2. Ich fürchte, sie überschätzen bei Weitem, wie viel Dampf die Didaktik der Politik machen kann. Nur ganz wenige Didaktiker sitzen in Gremien und ich kann Ihnen aus Erfahrung sagen, dass die Politik nicht scharf darauf ist, unsere Meinung zu hören. Elternvertreter haben ein vielfach höheres Gewicht.
      Man kann aber zu Recht fragen, ob die Didaktik den Boden für einige ungünstige Entwicklungen bereitet hat. Ich persönlich sehe da vor allem die didaktische Begeisterung für den Konstruktivismus kritisch, weil der zu einer gewissen Geringschätzung des Wissens über die Realität führt und den Gültigkeitsanspruch logischer Argumentation relativiert. Beispielsweise hat ein konstruktivistischer Kollege mir vor vielen Jahren erklärt, ein mathematischer Satz könne für Diplomstudierende falsch sein, für Lehramtsstudierende aber richtig. Ich will aber nicht sagen, dass Konstruktivismus generell dem Lernen schadet: Jeder mit etwas mathematischer Erfahrung weiß, dass man Mathematik nur durch das eigene Tun lernt, sich nur berieseln lassen, reicht nicht. Das Positive am Konstruktivismus ist, diese Bedeutung der Eigenaktivität stärker ins Bewusstsein gebracht zu haben. Eine kritische Aufarbeitung der Defizite des Konstruktivismus gibt es aber bisher kaum.

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    3. Lieber Herr Oldenburg,
      meinen Sie im Ernst, daß das Schreiben nach Gehör über die Elternvertreter in die Lehrpläne eingedrungen ist?
      Und was haben Sie Ihrem konstruktivistischen Kollegen mit der obskuren Meinung über mathematische Sätze geantwortet? Mehr als fassungsloses Kopfschütteln?

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    4. Andreas Schwichtenberg6. Juni 2024 um 10:15

      Sehr geehrter Herr Oldenburg,
      Herr Osterholz war schneller als ich und hat schon auf Schreiben nach Gehör hingewiesen. Vor einigen Jahren gab es auch Theater mit irgendeiner neuen Rechenmethode in den Grundschulen, die dann in den weiterführenden Schulen wieder abtrainiert wurde. Auch das ist nicht durch Elternvertreter entstanden.
      Der neue Lehrplan-Plus lässt wahrlich nichts Gutes erwarten, in Physik übrigens schlimmer als in Mathe. Und ich habe starke Zweifel, dass Elternvertreter den Lehrplan geschrieben haben, und erst recht nicht, dass Elternvertreter die neuen Schulbücher verbockt haben.
      Sie räumen ja ein, dass die Fachdidaktik möglicherweise „den Boden für einige ungünstige Entwicklungen bereitet hat“. Und ab und an macht die Politik Unsinn verpflichtend. Das ist das Problem im Staatsdienst, man kann sich nicht auf „ich mach doch nur Vorschläge“ berufen wenn Durchsetzungszwang im Raum steht.
      Die Lehrer haben ein Problem und die Didaktik wird offensichtlich als ein Teil des Problems wahrgenommen und nicht als Unterstützung.

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    5. Sehr geehrter Osterholz, sehr geehrter Herr Schwichtenberg,
      dass Didaktik hier als das Problem wahrgenommen wird, habe ich natürlich schon mitbekommen und genau das ist der Grund, warum ich hier lese und ab und zu schreibe: Ich möchte das genauer verstehen, auch wenn ich vieles nicht ändern kann, und weil ich der Überzeugung bin, dass die Didaktik, trotz einiger Fehler und Schwächen, insgesamt einen wichtigen Beitrag zur mathematischen Bildung leisten kann.
      Zur Frage, was ich dem konstruktivistische Kollegen vor 20 Jahren geantwortet habe, weiß ich nicht mehr im Wortlaut, aber ich habe meine Kritik ausgearbeitet und damals versucht, sie als Aufsatz zu publizieren, was aber die Gutachter in den üblichen Journalen als unwissenschaftlich abgelehnt haben. Viele Jahre später (2020) habe ich eine leicht modifizierte Fassung in den „Mitteilungen der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik“ veröffentlicht, wo man das auch immer noch nachlesen kann.
      Schreiben nach Gehör war eine unsinnige pädagogische Idee, die gerade dem unsäglichen Konstruktivismus entsprungen ist. Insofern hier also volle Übereinstimmung.
      Zu Herrn Schwichtenberg: Meine Aussage war nicht, dass Elternvertreter für alles verantwortlich sind, sondern nur dass sie relativ deutlich mehr Einfluss haben als die Didaktik. Lehrplanentwicklung läuft in der Regel so ab, dass eine Kommission von schulischen Lehrkräften einen neuen Lehrplan ausarbeitet und danach Vertreter verschiedener Verbände sowie die Fachdidaktik zum (fast) fertigen Entwurf eine Stellungnahme abgeben können, unter der klaren Ansage, dass ohnehin kein großer Veränderungsspielraum mehr besteht. Eine etwas ausführlichere Beteiligung habe ich nur ein einziges Mal erlebt, aber auch da galt die Regel: Wenn man etwas im Lehrplan haben will, muss man sagen, dass etwas anderes raus kann, weil sonst die Eltern nicht zustimmen. Ich wollte damals verhindern, dass die Ungleichungen komplett aus dem Gymnasiallehrplan entfernt werden. Es ist mir nicht gelungen.
      Eltern schreiben auch keine Lehrbücher, das machen Lehrkräfte. Im neuen Fokus von Bayern gibt es etwa keine Unterscheidung mehr zwischen Definition und Satz, alles wird in Form von Aussagesätzen in gleichen gelben Kästen präsentiert. Wenn Sie einen Didaktiker kennen, der geschrieben hat, dass man das so machen soll, dann lassen Sie es mich wissen.

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    6. Andreas Schwichtenberg19. Juni 2024 um 11:47

      Eine Anmerkung noch zum Schreiben nach Gehör.
      Als Schüler wurde bei mir Legasthenie festgestellt. Lesen ging ohne Probleme, Texte verfassen auch, der Umgang mit Sprache war kein Problem. Nur die Rechtschreibung wollte nicht in mein Hirn rein, schon Lächerlichkeiten wie „komen oder kommen“ bleiben einfach nicht im Kopf hängen, (fast) egal wie viel ich geübt hatte.
      „Schreiben nach Gehör“ hätte mir damals vermutlich gut getan, einfach deshalb, weil die Schwäche dann nur noch eine Schwäche ist (an der man langfristig Arbeiten kann), und nicht mehr eine für einen 8jährigen unlösbare Überforderung, die durch Rausprüfen die gesamte Zukunft bedroht.
      Ich hätte dadurch natürlich nicht schneller lernen können, die fehlenden Hirnwindungen entstehen ja nicht durch didaktische Konzepte. Aber die Schule hätte meinem Lernen weniger Steine in den Weg gelegt.
      Schreiben nach Gehör ist aber nur eine Art Krücke für Menschen mit diesem Problem. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, meine Krücke anderen Menschen aufzuzwingen, die das Problem nicht haben.
      Für die meisten Schüler ist Rechtschreibung eine einfache Merkleistung, die mit wenig Anstrengung leicht zu bewältigen ist.

      Im Fach Mathe gibt es Analoges für Leute mit Verständnisschwierigkeiten, diese anzuwenden ist mein Tagesgeschäft. Aber auch da gilt: Wer eine Sache intuitiv durchschaut, dem schadet man, wenn man ihm irgendwelche weiteren Denkmodelle aufzwingt. Die werden dann zu Zusatzproblemen und stiften eher Verwirrung.
      Salopp gesagt: Wenn man gesunden Menschen eine Krücke aufzwingt, schaden man ihnen. Und genau das ist mehrfach passiert.
      Herr Oldenburg, Sie haben sicher mit allem Recht was sie in Ihrer Antwort schreiben. Trotzdem stößt mir eine Sache sauer auf, die ich im Kontext staatlichen Handelns immer wieder beobachte: Der Staat fängt punktuell das Spinnen an, zwingt Menschen ein Problem auf und am Ende war es irgendwie keiner.

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  11. Offtopic - Wären Sie bitte so nett und schauen sich diesen Beweis des Quadratischen Reziprozitätsgesetzes an? Ist der Beweis bekannt?https://matheplanet.de/matheplanet/nuke/html/viewtopic.php?topic=265096 MfG Gestath

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