Samstag, 20. Juli 2024

Klappe zu

Die Angriffe auf meine Person nach meinem Beitrag zum Abitur 2024 haben jedes erträgliche Maß überschritten. Aus gesundheitlichen Gründen ist dieser Blog hiermit eingestellt.


Montag, 24. Juni 2024

Dinkelsbühler Kinderzeche und der 30jährige Krieg

Weil ich in Geschichte nur über lückenhafte Kenntnisse und einen recht dürftigen Überblick verfüge, habe ich mir beim Schreiben meiner 4000 Jahre Zahlentheorie sehr viel angelesen, und zwar nicht nur über Babylonier, Griechen und die Ausbreitung des Islam, sondern unter anderem auch über den 30jährigen Krieg. Das meiste ist am Ende den aus Umfangsgründen  notwendigen Kürzungen zum Opfer gefallen. Etwas aus der Reihe tanzend gibt es heute also ein paar Geschichten aus dem 30jährigen Krieg, nicht zuletzt auch deswegen, weil demnächst in Dinkelsbühl wieder die Kinderzeche stattfindet.

Im Bericht über den 30-jährigen Krieg (Weng, Die Schlacht bei Nördlingen und Belagerung dieser Stadt in den Monaten August und September 1634, Seite 61) liest man über die Wirren dieses Krieges Folgendes:

Am 12. August 1633 rückte Graf Isolani mit seinen Kroaten vor die Stadt Hochstädt und forderte sie zur Übergabe auf, wozu auch die Bürger sogleich sich bereitwillig erzeigten. Allein eine  friedliche, unblutige Uebergabe, die ihm Schonung auferlegt hätte,  wollte der Graf nicht. Er ließ auf die Leute schießen, welche das Thor öffnen wollten, und da sie natürlich sich zurückzogen, ließ er es mit Aexten aufhauen. Kaum fiel das Fallgitter, da drang die unmenschliche Schaar mit viehischer Wuth in die Stadt und verhängte alles, was teuflische Bosheit dem Menschen eingeben kann, über die unglücklichen Einwohner. Lassen wir unsern Chronikschreiber selbst sprechen: "Manns- und Weibspersonen wurde ohne einigen Unterschied kalt und heißes Wasser bis zum Zerplatzen eingegossen (das hieß der schwedische Trunk), Mist- und Kothlachen eingeschüttet, mit Ketten und Stricken bis auf den Tod geraitelt; etlichen Daumenstöcke angelegt, bei den Schamtheilen aufgehängt, mit Nadeln durchstochen, Sägen auf den Schienbeinen hin- und hergezogen; mit Holzscheitern die Füße bis auf die Knochen abgerieben, die Fußsohlen zerquetscht, mehrern die Arme auf den Rücken gebunden und so aufgehenkt, andere nackend in der Stadt herumgeführt, ihre Rücken mit Beilen und Hämmern zerfetzt und zerschlagen und alle Leute so gequält, daß sie flehentlich baten, von ihren Tyrannen todtgeschossen zu werden."

Beim Raiteln wird dem Opfer eine Kette oder ein festes Seil um den Kopf gebunden und dieses mit Hilfe eines Holzpflocks so fest zusammengezogen, bis die Augen aus den Höhlen treten und der Schädel platzt. Die Bedeutung einer Unmenge von Wörtern, die im 30-jährigen Krieg gebräuchlich waren, hat Bernd Warlich auf seiner Webseite zusammengestellt.

Johann Ludwig Hektor Graf von Isolani (1586-1640) hat schon als minderjähriger Jugendlicher in Kroatien am Krieg gegen die Türken teilgenommen. Außer dem Soldatenberuf hat er wohl nichts gelernt, und ab 1634 (dem Jahr, in dem Isolani zum Graf ernannt wurde) werden seinen Truppen fürchterliche Kriegsverbrechen zur Last gelegt; so macht er am 16. Oktober 1634 die Stadt Themar (Thüringen) dem Erdboden  gleich; gelegentlich werden seine Truppen in Kriegshandlungen verwickelt, aber den Großteil ihrer Zeit verbringen sie mit Brandschatzen und  Plündern. In der Rhön nimmt Isolanis Kriegsvolk die Pest (oder eine der vielen Epidemien, die damals als Pest bezeichnet wurden) mit und bringt sie nach Nördlingen. Unsterblich gemacht hat ihn Schiller in seinem Drama Die Piccolomini mit dem Eingangsvers

Spät kommt Ihr - Doch Ihr kommt! Der weite Weg, 

Graf Isolan, entschuldigt Euer Säumen.

Den Kriegsparteien schlossen sich von Zeit zu Zeit kleinere Gruppen an, die ihre Zeit als Söldner vor allen Dingen als Rechtfertigung für Brandschatzen und Morden sahen; bei Weng steht dazu folgende Episode über Zipplingen:

 Am 9. April 1632 kamen 25 schwedische Reuter, die nach Dinkelsbühl beordert waren, in dem Dorf Zipplingen an und wurden einquartiert,  aber mitten in der Nacht von Bauern im Schlaf überfallen und ihrer Pferde, Waffen und ihres Geldes beraubt. Zehn von ihnen wurden erschossen und ein eine Grube verscharrt. Einer dieser unglücklichen soll wieder hervorgekrochen seyn und um Barmherzigkeit gefleht, die wüthenden Bauern aber ihn wieder in die Grube zurückgeworfen und mit Füßen todtgestoßen haben. So erzählten es wenigstens die Reuter, die sich mit Hülfe ihrer Pferde durch die schleunigste Flucht gerettet hatten.

Die Überlebenden schicken von Nördlingen aus ein Schreiben nach Zipplingen, in welchem Sie ihren Besitz zurückfordern. Die Bauern fragen beim Oberamtsmann in Wallerstein nach, was sie tun sollten; der lässt den Schweden ausrichten, sie seien Diebe und Schelme, da sie die Kirche in Zipplingen aufgebrochen und die ``Kelche und Monstranz mit  Füßen getreten'' hätten. Daraufhin reiten drei der Schweden  in das Hauptquartier nach Lechhausen bei Augsburg und erzählen dort ihre Version; König Gustav schickt postwendend 400 Mann in das Dorf.

Am 15. April wird Zipplingen umstellt, alle Wohnhäuser und Scheunen in Brand gesteckt, und die fliehenden Bewohner erschossen; lediglich zwei Bauern soll die Flucht geglückt sein. Auch heutzutage trägt der Maibaum in Zipplingen noch eine Schwedenfahne.

Welche der beiden Darstellungen der Wahrheit näher kommt, lässt sich heute nur noch schwer feststellen; die Geschichte mit dem Überfall auf die nichtsahnenden schlafenden Soldaten stammt jedenfalls von den Schweden. Dass diese im Schlaf überfallen wurden, dabei ein Dutzend der Soldaten entkommt und diese auch noch mitten in der Nacht beobachten  können, wie einer der ihren aus einer Grube herauskriecht, fällt nicht ganz leicht zu glauben, insbesondere, wenn man den Bericht mit anderen aus derselben Zeit vergleicht und sich an die Aussage des Wallersteiner Oberamtsmanns erinnert.

Bei F. Freiherr von Soden (Gustav Adolph und sein Heer in Süddeutschland von 1631 bis 1635. Zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges. II Band. S. 269)  liest man etwa:

Am 5. September wollte der Schwedische Kapitän Franz Augustus von  Estorf vom Sperreuth'schen Regiment mit seiner Truppe Mittags zu Schnelldorf füttern, da überfielen ihn mit den Seinigen unvermuthet 150 Bauern, welche sich zusammengerottet. [ . . . ] Estorf bat nun um Rückgabe der abgenommenen Effecten. [ . . .] Der Vogt zu Feuchtwang, Lorenz Dietrich ließ über diese verübten Excesse Untersuchung anstellen und schickte einen Bericht über das Betragen des Hauptmanns Estorf an Solms nach Crailsheim. Die Sperreuth'schen Soldaten hatten nach diesem Bericht in der Gegend von Schnelldorf geplündert, die Pferde von den Aeckern weggenommen, Bauern bis aufs Hemd ausgezogen und ohne jede Veranlassung unbarmherzig mißhandelt, Andere verwundet. Die Bauern mehrerer Dörfer läuteten nun Sturm, verfolgten die  Plünderer 3 Stunden weit, trafen sie in Schnelldorf und verlangten das Geraubte zurück. Die Reiter setzten sich nun zu Pferd und rückten auf die Bauern los mit bloßen Pistolen und aufgezogenen Hahnen; schossen auf sie. Die Bauern griffen nun zur Nothwehr, Pferde und Pistolen gaben sie dem Kapitän zurück; mit freundlichem Abschied zog er von dannen, versprach nicht weiter zu klagen noch sich zu rächen.

So ähnlich dürfte das in Zipplingen auch gelaufen sein, vom Ende einmal abgesehen. Auf S. 299 des Buchs von Soden steht eine weitere derartige Geschichte aus Markt Erlbach:

Am 17. September [1633] fielen 10 Schwedische Reiter dort ein. Man gab  ihnen Brod und Bier; den Pferden Futter. Damit nicht zufrieden,  plünderten sie, nachdem sie zu 80 angewachsen, Alles aus, brachen mit Gewalt in die Kirche, raubten aus derselben Kelch und Patene. Als sie sich überzeugt, daß sie nur von Zinn, warfen sie solche wieder weg. Sie nahmen Pferde, Schafe etc. mit, tranken den Wein aus. Was sie nicht trinken konnten, nahmen sie in einem Fäßchen oder auf Karren mit.

Geschichten wie diese lassen sich aus vielen Gegenden berichten, in denen die Armeen - egal ob deutsch oder schwedisch, katholisch oder protestantisch - hausten. Der ``Rath von Nürnberg'' forderte Anfang 1634 die ``Abstellung der von des evangelischen Bundes Soldateska täglich verübten zuvor auch von Heiden und Türken niemals erhörten barbarischen und mehr als übertyrannischen Unthaten, Mord,  Plackereien, Raub, Plünderung und Abnahm''. Weiter steht dort "Besonders wurden abscheuliche, unmenschliche Thaten am Weibervolke ohne Schonung des hohen Alters oder der zarten Kindheit verübt'".

Ein Spruch aus der damaligen Zeit zeigt ebenfalls, wie die Schweden  im Ries (und anderswo) gehaust haben müssen:

Der Schwed' ist g'kommen 

hat alles mitg'nommen 

die Fenster eing'schlagen 

das Blei fortgetragen! 

d'raus Kugeln gegossen 

und alles erschossen

Nach dem Tod Gustav Adolphs in der Schlacht bei Lützen scheint niemand  mehr die schwedischen Soldaten im Griff gehabt zu haben. Über einen besonders rohen Soldaten namens Sperreuter finden sich bei Wikipedia folgende Angaben. Claus Dietrich Freiherr von Sperreuther (ca. 1600-1653) war wohl einmal an der Universität Helmstedt immatrikuliert, allerdings nicht lange: bereits als 18-jähriger nimmt er am böhmischen Krieg teil; 1623 tritt er in die schwedische Armee ein. 

Weil er die Stadt Dinkelsbühl kampflos eingenommen hat, wird er dort heute noch verehrt. Die rührende Geschichte von der Kinderlore, die Dinkelsbühl 1632 im 30-jährigen Krieg vor der Plünderung durch schwedische Truppen bewahrt haben soll, liest sich auf Wikipedia so:

Als der schwedische Heerführer bei der Übergabe der Stadt ankündigte, diese für ihren Widerstand zu bestrafen, der Plünderung durch seine Soldaten zu überlassen und sie anschließend zu zerstören,  zog Lore mit den Kindern vor den Heerführer und bat um Gnade für die  Stadt um der Kinder willen. Der Anführer, durch den Tod seines Sohnes  noch in Trauer, war daraufhin so gerührt, dass er Dinkelsbühl tatsächlich verschonte.

Historisch ist an dieser Geschichte nichts: sie wurde 1897 von Ludwig Stark als "historisches Festspiel" für die Kinderzeche geschrieben. 

Der wahre Kern, den Stark etwas ausgeschmückt hat, ist folgender: Niklas Dietrich Sperreuter, der Heerführer der Schweden, hatte in der Tat eine Schwäche für junge Mädchen. 1633 heiratete er in Ansbach die 1618 geborene Katharina von Lentersheim, die er, noch  14-jährig, in Dinkelsbühl geschwängert hatte. Sein erstes Kind wurde nach der Kapitulation von Dinkelsbühl am 10. Mai 1633 in Krautheim getauft und vermutlich nur wenige Tage zuvor auch geboren; die Mutter war Anna Magdalena Behaim. Ein später geborener Sohn Friedrich Klaus von Sperreuth starb im Alter von 1 Jahr und 8 Monaten.

Über diesen Sperreuter heißt es in der Chronik  des Stadtpfarrers zu Nördlingen, Johann Friedrich Weng, auf Seite 68_

Übel berichtiget [berüchtigt] in Nördlingen  und in allen Dörfern des Rieses war besonders Sperreuter, dessen schon mehrmal gedacht wurde. Einer der rohesten und fühllosesten Menschen, schauderte er vor keiner Art von Grausamkeit zurück. Wo er mit seinen Reutern hinkam, wurde alles geraubt und die Menschen bis aufs Blut gequält. Weder Stand, noch Alter, noch Geschlecht schützte vor seiner brutalen Bosheit, die mit der unersättlichsten Habsucht und Wollust verbunden war.

 In Nördlingen musste sich eine Lodwebers Tochter von 12 Jahren seinem Willen ergeben, die er dann nach Augsburg schickte, um sich ihrer dort weiter zu bedienen. In Wemdingen setzte er der Bürgermeisterin die Pistolen an die Stirne, weil sie ihm ihre Pflegtochter, ein Mädchen von 13 Jahren, nicht überlassen wollte''.  "Seine H*** und Bubenstücke", sagt einer unserer Chronikschreiber, "sind nicht zu erzählen. Er war ein solcher Leutschinder und Beutelräumer, daß er den Wemdingern 6000 Thaler Kauzion auspreßte. - Sperreuters Soldatesca hat so ungöttlich und verteufelt gehandelt, daß sie in die Kirchen haben gebrochen, die Almosenstöcke ausgeleert und Alles gestohlen. Seine und seiner Soldaten heroische Thaten waren diese: Fressen,  Saufen, H***, Spielen, Gotteslästern, Plündern, Stehlen, Rauben, u. s. w."

Als Lohn für seine Schandtaten erhielt Sperreuter die Stadt Wemding und das Kloster Kirchheim ("für ausgelegte Rüstungskosten''), verlor diese aber nach seinem Seitenwechsel zu den Katholischen. In Dinkelsbühl ist auch heute noch die Obrist-von-Sperreuth-Straße nach dem Kinderschänder benannt.

Mittwoch, 29. Mai 2024

Abitur 2024

 Was war denn das?

Das leichteste Mathe-Abi aller Zeiten? Auf youtube ist man sich da einig, und ich verstehe immer noch nicht, was da passiert ist. Natürlich wollten die Bayern möglichst wenig Durchfaller, weil dieses Jahr der letzte G8-Jahrgang dran war und es nächstes Jahr nur ein Notabitur für die Durchgefallenen gibt. Allerdings liegen BW und NRW und Thüringen nicht in Bayern; aber mit dem Senken des Niveaus hat die KMK in den letzten 30 Jahren niemals Probleme gehabt. 

Dass das Niveau aber derart in den Boden gerammt wurde wie dieses Jahr ist schon ein wenig frech. Im oberen Notenspektrum dürften die Noten in BW etwa 3 Punkte über dem liegen, was man hätte erwarten können, und 5 Punkte über dem, den die Schüler erhalten hätten, wäre das Abi so schwer gewesen wie im letzten Jahr.

Manche Tendenzen haben sich jetzt verfestigt: In Analysis gab es außer \(\sin(\frac12 x)\)  oder \(e^{2x-1}\) nichts abzuleiten, keine Produktregel, nur lineare Verkettungen, und zu integrieren gab es eine quadratische Funktion. Immerhin. Stammfunktion von \[ \frac1x \) oder die Ableitung von \[ \ln(x)\) suchte man ebenfalls vergeblich; eigentlich ging es an keiner Stelle über den Lehrplan des Basisfachs hinaus. Der Wahlteil Analysis war geschenkt, der Wahlteil Geometrie drehte sich wie 2022 um eine Geradenschar, und Stochastik war eine Sammlung von Standard-Basisfach-Aufgaben.

War vor drei Jahren noch jeder  Quader der Lebenswelt der Schülerinnen zuliebe ein Kunstwerk, haben wir jetzt Geraden- und Ebenenscharen. Und jedesmal geht es darum zu zeigen, dass die Geradenschar in einer Ebene liegt, dass eine Gerade nicht zur Schar gehört, oder zu keiner Schargeraden parallel ist usw. usf. 

Ganz ohne blöde Formulierungen kommt man immer noch nicht aus.  Anstatt das Allerweltswort "zeige" zu benutzen, sollen die Schüler "begründen", dass irgendein  Punkt auf dem Schaubild einer Funktion liegt, was dazu geführt hat, dass 80 % angefangen haben, irgendetwas von Strecken und Stauchen zu erzählen anstatt das einfach nachzurechnen. Da hat man diese blödsinnigen Operatoren eingeführt, um sich genau ausdrücken zu können, und dann benutzt man sie, um die Schüler auf die falsche Spur zu setzen. 

Zurück zum nicht mehr vorhandenen Niveau. Eine große Neuerung sind die den Lösungen beigefügten Kompetenzraster. Für jede winzige Frage (Bestimmen Sie die Ableitung an der Stelle \(x = 0\) ) wird jetzt angekreuzt, welche der sechs Kompetenzen auf welchem Anforderungsbereich (I, II oder III)  abgefragt werden, Das muss man sich so vorstellen:


Der Anforderungsbereich der Aufgabe ist also das Maximum der Anforderungsbereiche der Teilkompetenzen. Da soll noch einer sagen, Didaktik wäre keine exakte Wissenschaft. Wozu das gut sein soll erschließt sich dem Laien dagegen nicht. Es hilft dem Lehrer nicht bei der Auswahl der Aufgaben und nicht bei der Korrektur, und die Schüler bekommen das nicht zu sehen. Erklärungsmöglichkeiten sehe ich zwei:

  • Im Regierungspräsidium sitzen zu viele Leute, die man mit sinnlosen Aufgaben beschäftigen muss. 
  • Diese Kompetenzraster werden eingeführt, damit man uns Lehrern beweisen kann, dass die Aufgaben jedes Jahr denselben Schwierigkeitsgrad haben.
Die Zweitkorrektur macht ebenfalls jedes Jahr weniger Spaß. Was mich inzwischen erschreckt ist nicht so sehr die Tatsache, dass die Schüler die einfachsten Dinge nicht können, sondern dass ein Großteil der Abiturienten nicht in der Lage ist, einen Gedanken angemessen in Worte zu fassen. Es gibt welche, die schreiben jedes vierte Wort falsch, es fehlen Artikel, es gibt elementare Grammatikfehler, und wenn der Satz dann doch mal grammatikalisch korrekt ist, muss man raten, was sie eigentlich sagen wollten. 

Allen, die jetzt 40 sind: Vergesst eure Rente.




Mittwoch, 24. April 2024

AfDyskalkulie

Dyskalkulie gilt als Rechenschwäche beim Lernen der Grundkenntnisse. Es gibt sie aber wohl auch bei Erwachsenen, und es freut mich ganz besonders, dass es eine Partei gibt, die offen damit umgeht. Gemeint ist diesmal nicht das Ministerium von Frau Paus, sondern die baden-württembergische AfD, die ihr BWjournal ungefragt in die Briefkästen im Land legen lässt.

In bester BILD-Manier die Überschrift: Der Heiz-Hammer kommt! 

Was tun, wenn man sie erneuern muss? Nach der Lektüre kann ich jedem, dem das bevorsteht, den guten Rat geben, niemanden von der AfD zu fragen. Bei denen funktioniert der Austausch einer Heizung nämlich so:

Maßnahme Kosten
Wärmepumpe inkl. Speicher und Fußbodenheizung 35.000 Euro
Dach sanieren 45.000 Euro
Estrichleger 5.000 Euro
Neue Fenster 35.000 Euro
Fassade isolieren 10.000 Euro
Malerarbeiten innen 25.000 Euro
Fliesenleger 5.000 Euro
Elektriker 10.000 Euro
Bad sanieren 5.000 Euro
Türen innen 3.000 Euro
Einbauküche aus- und einbauen 5.000 Euro

Da fielen mir auch noch ein paar Posten ein, die man bei der AfD wohl übersehen hat, wenn man seine Heizung wechselt. Die Milchmädchenrechnung stammt vom handwerkspolitischen Sprecher der AfD in BW, Joachim Steyer (Mittlere Reife 1982 Gesamtschule Bremen-West, danach Klempner). Vielleicht wird eine abgeschlossene  Ausbildung  bei unseren Parlamentariern tatsächlich etwas überbewertet. Und wenn jemand einen Handwerker kennt, der mir für 10.000 Euro die Fassade isoliert: Herschicken! Selbst wenn er von der AfD ist. 

Auf der andern Seite: Die 200.000 Euro für eine neue AfD-Heizung sind in etwa so viel wie die Kosten für zwei Verkehrsschilder an der Autobahn, die auf eine touristische Attraktion hinweisen - da ist man neuerdings mit 180.000 Euro dabei.

Dienstag, 2. April 2024

cosh

 Auf dem Forum in Bonn haben wir uns gefragt, ob es den alten Holzmichl die cosh-Gruppe BW noch gibt, die seinerzeit mit einem Mindestanforderungskatalog versucht hatte, den Niedergang der Schulmathematik etwas zu bremsen. Die Wirkung des Mindestanforderungskatalogs war ziemlich genau Null, und seither hat man nicht mehr viel von cosh gehört. Also hab ich mal nachgesehen, und ja: der alte Holzmichl lebt noch. Auf ihrer Webseite steht

cosh steht für ein Kooperationsteam zwischen Schule und Hochschule. Diese Arbeitsgruppe setzt sich für eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Schulen und Hochschulen des Landes Baden-Württemberg ein.

LehrerInnen erarbeiten gemeinsam mit ProfessorInnen Möglichkeiten und Wege, SchülerInnen auf ein Hochschulstudium vorzubereiten.

Das ist schön, wen Lehrerinnen und Lehrerinneninnen mit Professorinnen und Professorinneninnen zusammenarbeiten. Wie das funktioniert, kann man an der letzten Jahrestagung aus dem Jahre 2024 sehen: die Hauptvorträge hielten

  • Didaktikerin Dörte Haftendorn ​​​​​
  • Didaktiker Gilbert Greefrath
  • Didaktiker Alexander Salle
  • Didaktiker Walther Paravicini.
Damit haben die Didaktiker, die ja weder mit dem Mathematikunterricht an der Schule, noch mit der Lehre der Mathematik an Hochschulen viel zu tun haben, die cosh-Gruppe gekapert. Tatsächlich nicht erst 2024, weil die Vorträge in den letzten Jahren ebenfalls aus der Didaktik kamen.

Wer die Didaktik kennt, ahnt, dass dabei nicht allzu viel rüberkommt. Schaut man auf der cosh-Webseite unter "Aktivitäten", dann kann man sehen, dass die cosh-Gruppe in den letzten Jahren nicht arg viel mehr zustande gebracht hat als einen Test zu konzipieren, mit dem sich Schüler am Ende der Oberstufe testen können. Dass die Sau vom Wiegen fetter wird ist ein Axiom der heutigen Bildungsforschung. Ansonsten haben sie Links auf ein paar Aufgaben aus Österreich gesetzt. 

Auch sonst ist cosh auf der Höhe der Zeit. So hat cosh-Mitglied den Ars-Legendi-Preis 2024 vom Stifterverband erhalten. Die Begründung liest sich so:

Prof. Anselm Knebusch von der Hochschule für Technik Stuttgart setzt das innovative Konzept des "computerbasierten Lernens im Hörsaal" ein, um der Heterogenität der Studienanfänger in der Mathematikausbildung der Ingenieursstudiengänge zu begegnen. Zur Aktivierung der Studierenden wird der neue Ansatz des Blended Learnings genutzt. Erreicht wird die innere Differenzierung der Lehre durch angepasste Lernvideos und interaktive Übungsaufgaben, die im Hörsaal individuell bearbeitet werden. Dabei ist die Lehrperson für Fragen präsent und wird so zum Lerncoach. Der Ansatz ist maßgeschneidert auf die Bedürfnisse einer heterogenen Lerngruppe, in der Selbstlernkompetenzen angelegt sind, die aber noch ausgebaut werden müssen.  
Die Jury möchte mit dieser Auszeichnung auch die Bedeutung der Nebenfachausbildung betonen.
   
Im Hörsaal gucken die Studierenden also Lernvideos, während der Professor Lerncoach für Fragen präsent ist. Das ist natürlich auch eine Methode, den Übergang zwischen Schule und Hochschule zu erleichtern: die Universität als Fortsetzung der Schule mit anderen denselben Mitteln.

Freitag, 8. März 2024

Abitur Gabun 2021

 Aus der Reihe Mathematikabitur im Rest der Welt heute Gabun 2021.


Exorphysikmus

 Wer hätte das gedacht, dass die Physik noch vor der Mathematik aus dem Schulunterricht entfernt wird? Man lernt halt nie aus, schon gar nicht auf Fortbildungen, auf denen man von den Segnungen des Zeitgeistes erfährt und gesagt bekommt, Einwände würden nicht nach oben weiter gegeben, weil das sinnlos sei. Während die US-Republikaner seit Reagan vom trickle-down faseln, also der Theorie, dass der Normalsterbliche irgendwann reicher wird, wenn man den Reichen die Steuern erlässt, ist das im deutschen Schulwesen seit Jahren Realität: Die Weisheit der Edukratoren tropft langsam, aber stetig vom RP zu den Fachreferenten zu den Lehrern herunter. 

Und die müssen den Mist dann aufwischen.

Gestern hat mir TG Materialien aus seiner jüngsten Fortbildung zukommen lassen, in der es darum ging, wie künftig Physik-Klassenarbeiten in der Mittelstufe auszusehen haben. Der Vorschlag der IQB unterscheidet sich im Niveau nur unwesentlich vom Rest, aber fangen wir damit an.

Aufgabe 1

In einer Lokalzeitung erschien ein Artikel darüber, dass in einem stillgelegten Atomkraftwerk in Gundremmingen (Bayern), ein neues Atommüll-Zwischenlager gebaut werden soll (Material 1).

Der Gemeinderat hatte im vorangegangenen Jahr den Bau eines solchen Lagers für sogenannte Castor Behälter zunächst verweigert (Material 2).

Versetze dich in die Perspektive eines Gemeinderatsmitgliedes, das in der Gemeinderatssitzung für oder gegen den Bau des Zwischenlagers stimmen wird.

Reflektiere die kurz- und langfristigen Folgen deiner Abstimmung im Gemeinderat. Verfasse dazu eine kurze Rede im Gemeinderat.

Aufgabe 2:

Schätze die Risiken ein, die der Transport und die Aufbewahrung von abgebrannten Brennstäben mit sich bringt (Material2). Nimm dabei Bezug auf das Atomgesetz (Material 3).

Das war's dann auch schon. Kompetenzorientiert, frei von jeder Rechnung, frei von Mathematik und Physik. Material 1 ist ein Artikel aus der Heidenheimer Zeitung, der aber so klein abgedruckt ist, dass man ihn nicht lesen kann. Muss man aber auch nicht, anscheinend reicht es, dass der Artikel erschienen ist und man eine Quelle hat. Am Ende von Material 1 wird der Name Castor erklärt:

Der Name „Castor“ ist die Abkürzung für "cask for storage and transport of radioactive material", was übersetzt "Behälter zur Lagerung und zum Transport radioaktiven Materials" bedeutet.

Für die Schüler. die Schwierigkeiten haben, sich das zu merken, beginnt Material 2 mit einer weiteren Erklärung des Namens:

Der Name Castor ist die Abkürzung für "cask for storage and transport of radioactive material", was übersetzt "Behälter zur Lagerung und zum Transport radioaktiven Materials" bedeutet.

Bis auf die fehlenden Anführungszeichen um "Castor" ist das jetzt kein wirklicher Erkenntnisgewinn. Aber wenn das IQB die Anführungszeichen weg lässt, ist das bestimmt ein Zeichen. Fragt sich wofür. 

Auch wofür der Rest von Material 2 gut ist, kann man sich fragen. Hier handelt es sich um eine Erklärung, wie ein Castorbehälter aufgebaut ist.  Man erfährt etwa:

20/28 bedeutet, dass wahlweise 20 oder 28 Glaskokillen in dem Castor-Behälter untergebracht werden können.

Falls Sie das wissen wollten, sich aber nie zu fragen getraut haben: Jetzt wissen Sie's. Was eine Glaskokille ist, kann der Schüler nach der Klassenarbeit im Internet recherchieren. Dennoch: Was hat das mit den Fragen zu tun? Ist der Aufbau für die Bewertung der Risiken nützlich? Für 15-jährige Schülerinnen?

Und was fangen die Schüler mit folgendem Auszug aus dem Atomgesetz an?

„Nach §4 und §6 des AtG (Atomgesetzes) benötigt sowohl die Beförderung als auch die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen eine Genehmigung, die vom BfS (Bundesamt für Strahlenschutz) erteilt werden kann. Die Wärme entwickelnden radioaktiven Abfälle werden in speziellen Behältern sowohl für den Transport als auch die Lagerung verwahrt.

Dazu muss insbesondere der Nachweis über

• den sicheren Einschluss des radioaktiven Inventars,

• die ausreichende Abschirmung gegen ionisierende Strahlung,

• den Ausschluss des Entstehens einer kritischen Anordnung (Unterkritikalität),

• und die sichere Abfuhr der Zerfallswärme

erbracht werden. Das BfS überprüft die ausreichende Abschirmung gegen Strahlung und die Kritikalitätssicherheit.

Kritikalitätssicherheit? Wasndasalder? So macht man heute spannenden Physikunterricht. Scheints. Natürlich kann man sich in Physik über die Kernspaltung unterhalten. Man sollte dazu etwas über das Bohrsche Atommodell, Protonen, Neutronen, E = mc^2, Radioaktivität, ionisierende Strahlung, langsame und schnelle Neutronen und schweres Wasser wissen - kein Problem für Mittelstufenschüler, die schon von einem Weg-Zeit-Diagramm überfordert sind.

Was soll man jetzt daraus schließen? Dass hier Ideologen und Idioten am Werk sind, die jeden Tag vom späten Vormittag bis zur Mittagspause daran arbeiten, die letzten Reste eines Bildungssystems zu zerschlagen? Dass man diesen Leuten ins Hirn geschissen hat? Oder doch, dass die Spezialisten im RP  überaus intelligent sind  und ich die herabtropfende Weisheit einfach nicht zu goutieren weiß?