Weil ich in Geschichte nur über lückenhafte Kenntnisse und einen recht dürftigen Überblick verfüge, habe ich mir beim Schreiben meiner 4000 Jahre Zahlentheorie sehr viel angelesen, und zwar nicht nur über Babylonier, Griechen und die Ausbreitung des Islam, sondern unter anderem auch über den 30jährigen Krieg. Das meiste ist am Ende den aus Umfangsgründen notwendigen Kürzungen zum Opfer gefallen. Etwas aus der Reihe tanzend gibt es heute also ein paar Geschichten aus dem 30jährigen Krieg, nicht zuletzt auch deswegen, weil demnächst in Dinkelsbühl wieder die Kinderzeche stattfindet.
Im Bericht über den 30-jährigen Krieg (Weng, Die Schlacht bei Nördlingen und Belagerung dieser Stadt in den Monaten August und September 1634, Seite 61) liest man über die Wirren dieses Krieges Folgendes:
Am 12. August 1633 rückte Graf Isolani mit seinen Kroaten vor die Stadt Hochstädt und forderte sie zur Übergabe auf, wozu auch die Bürger sogleich sich bereitwillig erzeigten. Allein eine friedliche, unblutige Uebergabe, die ihm Schonung auferlegt hätte, wollte der Graf nicht. Er ließ auf die Leute schießen, welche das Thor öffnen wollten, und da sie natürlich sich zurückzogen, ließ er es mit Aexten aufhauen. Kaum fiel das Fallgitter, da drang die unmenschliche Schaar mit viehischer Wuth in die Stadt und verhängte alles, was teuflische Bosheit dem Menschen eingeben kann, über die unglücklichen Einwohner. Lassen wir unsern Chronikschreiber selbst sprechen: "Manns- und Weibspersonen wurde ohne einigen Unterschied kalt und heißes Wasser bis zum Zerplatzen eingegossen (das hieß der schwedische Trunk), Mist- und Kothlachen eingeschüttet, mit Ketten und Stricken bis auf den Tod geraitelt; etlichen Daumenstöcke angelegt, bei den Schamtheilen aufgehängt, mit Nadeln durchstochen, Sägen auf den Schienbeinen hin- und hergezogen; mit Holzscheitern die Füße bis auf die Knochen abgerieben, die Fußsohlen zerquetscht, mehrern die Arme auf den Rücken gebunden und so aufgehenkt, andere nackend in der Stadt herumgeführt, ihre Rücken mit Beilen und Hämmern zerfetzt und zerschlagen und alle Leute so gequält, daß sie flehentlich baten, von ihren Tyrannen todtgeschossen zu werden."
Beim Raiteln wird dem Opfer eine Kette oder ein festes Seil um den Kopf gebunden und dieses mit Hilfe eines Holzpflocks so fest zusammengezogen, bis die Augen aus den Höhlen treten und der Schädel platzt. Die Bedeutung einer Unmenge von Wörtern, die im 30-jährigen Krieg gebräuchlich waren, hat Bernd Warlich auf seiner Webseite zusammengestellt.
Johann Ludwig Hektor Graf von Isolani (1586-1640) hat schon als minderjähriger Jugendlicher in Kroatien am Krieg gegen die Türken teilgenommen. Außer dem Soldatenberuf hat er wohl nichts gelernt, und ab 1634 (dem Jahr, in dem Isolani zum Graf ernannt wurde) werden seinen Truppen fürchterliche Kriegsverbrechen zur Last gelegt; so macht er am 16. Oktober 1634 die Stadt Themar (Thüringen) dem Erdboden gleich; gelegentlich werden seine Truppen in Kriegshandlungen verwickelt, aber den Großteil ihrer Zeit verbringen sie mit Brandschatzen und Plündern. In der Rhön nimmt Isolanis Kriegsvolk die Pest (oder eine der vielen Epidemien, die damals als Pest bezeichnet wurden) mit und bringt sie nach Nördlingen. Unsterblich gemacht hat ihn Schiller in seinem Drama Die Piccolomini mit dem Eingangsvers
Spät kommt Ihr - Doch Ihr kommt! Der weite Weg,
Graf Isolan, entschuldigt Euer Säumen.
Den Kriegsparteien schlossen sich von Zeit zu Zeit kleinere Gruppen an, die ihre Zeit als Söldner vor allen Dingen als Rechtfertigung für Brandschatzen und Morden sahen; bei Weng steht dazu folgende Episode über Zipplingen:
Am 9. April 1632 kamen 25 schwedische Reuter, die nach Dinkelsbühl beordert waren, in dem Dorf Zipplingen an und wurden einquartiert, aber mitten in der Nacht von Bauern im Schlaf überfallen und ihrer Pferde, Waffen und ihres Geldes beraubt. Zehn von ihnen wurden erschossen und ein eine Grube verscharrt. Einer dieser unglücklichen soll wieder hervorgekrochen seyn und um Barmherzigkeit gefleht, die wüthenden Bauern aber ihn wieder in die Grube zurückgeworfen und mit Füßen todtgestoßen haben. So erzählten es wenigstens die Reuter, die sich mit Hülfe ihrer Pferde durch die schleunigste Flucht gerettet hatten.
Die Überlebenden schicken von Nördlingen aus ein Schreiben nach Zipplingen, in welchem Sie ihren Besitz zurückfordern. Die Bauern fragen beim Oberamtsmann in Wallerstein nach, was sie tun sollten; der lässt den Schweden ausrichten, sie seien Diebe und Schelme, da sie die Kirche in Zipplingen aufgebrochen und die ``Kelche und Monstranz mit Füßen getreten'' hätten. Daraufhin reiten drei der Schweden in das Hauptquartier nach Lechhausen bei Augsburg und erzählen dort ihre Version; König Gustav schickt postwendend 400 Mann in das Dorf.
Am 15. April wird Zipplingen umstellt, alle Wohnhäuser und Scheunen in Brand gesteckt, und die fliehenden Bewohner erschossen; lediglich zwei Bauern soll die Flucht geglückt sein. Auch heutzutage trägt der Maibaum in Zipplingen noch eine Schwedenfahne.
Welche der beiden Darstellungen der Wahrheit näher kommt, lässt sich heute nur noch schwer feststellen; die Geschichte mit dem Überfall auf die nichtsahnenden schlafenden Soldaten stammt jedenfalls von den Schweden. Dass diese im Schlaf überfallen wurden, dabei ein Dutzend der Soldaten entkommt und diese auch noch mitten in der Nacht beobachten können, wie einer der ihren aus einer Grube herauskriecht, fällt nicht ganz leicht zu glauben, insbesondere, wenn man den Bericht mit anderen aus derselben Zeit vergleicht und sich an die Aussage des Wallersteiner Oberamtsmanns erinnert.
Bei F. Freiherr von Soden (Gustav Adolph und sein Heer in Süddeutschland von 1631 bis 1635. Zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges. II Band. S. 269) liest man etwa:
Am 5. September wollte der Schwedische Kapitän Franz Augustus von Estorf vom Sperreuth'schen Regiment mit seiner Truppe Mittags zu Schnelldorf füttern, da überfielen ihn mit den Seinigen unvermuthet 150 Bauern, welche sich zusammengerottet. [ . . . ] Estorf bat nun um Rückgabe der abgenommenen Effecten. [ . . .] Der Vogt zu Feuchtwang, Lorenz Dietrich ließ über diese verübten Excesse Untersuchung anstellen und schickte einen Bericht über das Betragen des Hauptmanns Estorf an Solms nach Crailsheim. Die Sperreuth'schen Soldaten hatten nach diesem Bericht in der Gegend von Schnelldorf geplündert, die Pferde von den Aeckern weggenommen, Bauern bis aufs Hemd ausgezogen und ohne jede Veranlassung unbarmherzig mißhandelt, Andere verwundet. Die Bauern mehrerer Dörfer läuteten nun Sturm, verfolgten die Plünderer 3 Stunden weit, trafen sie in Schnelldorf und verlangten das Geraubte zurück. Die Reiter setzten sich nun zu Pferd und rückten auf die Bauern los mit bloßen Pistolen und aufgezogenen Hahnen; schossen auf sie. Die Bauern griffen nun zur Nothwehr, Pferde und Pistolen gaben sie dem Kapitän zurück; mit freundlichem Abschied zog er von dannen, versprach nicht weiter zu klagen noch sich zu rächen.
So ähnlich dürfte das in Zipplingen auch gelaufen sein, vom Ende einmal abgesehen. Auf S. 299 des Buchs von Soden steht eine weitere derartige Geschichte aus Markt Erlbach:
Am 17. September [1633] fielen 10 Schwedische Reiter dort ein. Man gab ihnen Brod und Bier; den Pferden Futter. Damit nicht zufrieden, plünderten sie, nachdem sie zu 80 angewachsen, Alles aus, brachen mit Gewalt in die Kirche, raubten aus derselben Kelch und Patene. Als sie sich überzeugt, daß sie nur von Zinn, warfen sie solche wieder weg. Sie nahmen Pferde, Schafe etc. mit, tranken den Wein aus. Was sie nicht trinken konnten, nahmen sie in einem Fäßchen oder auf Karren mit.
Geschichten wie diese lassen sich aus vielen Gegenden berichten, in denen die Armeen - egal ob deutsch oder schwedisch, katholisch oder protestantisch - hausten. Der ``Rath von Nürnberg'' forderte Anfang 1634 die ``Abstellung der von des evangelischen Bundes Soldateska täglich verübten zuvor auch von Heiden und Türken niemals erhörten barbarischen und mehr als übertyrannischen Unthaten, Mord, Plackereien, Raub, Plünderung und Abnahm''. Weiter steht dort "Besonders wurden abscheuliche, unmenschliche Thaten am Weibervolke ohne Schonung des hohen Alters oder der zarten Kindheit verübt'".
Ein Spruch aus der damaligen Zeit zeigt ebenfalls, wie die Schweden im Ries (und anderswo) gehaust haben müssen:
Der Schwed' ist g'kommen
hat alles mitg'nommen
die Fenster eing'schlagen
das Blei fortgetragen!
d'raus Kugeln gegossen
und alles erschossen
Nach dem Tod Gustav Adolphs in der Schlacht bei Lützen scheint niemand mehr die schwedischen Soldaten im Griff gehabt zu haben. Über einen besonders rohen Soldaten namens Sperreuter finden sich bei Wikipedia folgende Angaben. Claus Dietrich Freiherr von Sperreuther (ca. 1600-1653) war wohl einmal an der Universität Helmstedt immatrikuliert, allerdings nicht lange: bereits als 18-jähriger nimmt er am böhmischen Krieg teil; 1623 tritt er in die schwedische Armee ein.
Weil er die Stadt Dinkelsbühl kampflos eingenommen hat, wird er dort heute noch verehrt. Die rührende Geschichte von der Kinderlore, die Dinkelsbühl 1632 im 30-jährigen Krieg vor der Plünderung durch schwedische Truppen bewahrt haben soll, liest sich auf Wikipedia so:
Als der schwedische Heerführer bei der Übergabe der Stadt ankündigte, diese für ihren Widerstand zu bestrafen, der Plünderung durch seine Soldaten zu überlassen und sie anschließend zu zerstören, zog Lore mit den Kindern vor den Heerführer und bat um Gnade für die Stadt um der Kinder willen. Der Anführer, durch den Tod seines Sohnes noch in Trauer, war daraufhin so gerührt, dass er Dinkelsbühl tatsächlich verschonte.
Historisch ist an dieser Geschichte nichts: sie wurde 1897 von Ludwig Stark als "historisches Festspiel" für die Kinderzeche geschrieben.
Der wahre Kern, den Stark etwas ausgeschmückt hat, ist folgender: Niklas Dietrich
Sperreuter, der Heerführer der Schweden, hatte in der Tat eine Schwäche für junge Mädchen. 1633 heiratete er in Ansbach die 1618 geborene Katharina von Lentersheim, die er, noch 14-jährig, in Dinkelsbühl geschwängert hatte. Sein erstes Kind wurde nach der Kapitulation von Dinkelsbühl am 10. Mai 1633 in Krautheim getauft und vermutlich nur wenige Tage zuvor auch geboren; die Mutter war Anna Magdalena Behaim. Ein später geborener Sohn Friedrich Klaus von Sperreuth starb im Alter von 1 Jahr und 8 Monaten.
Über diesen Sperreuter heißt es in der Chronik des Stadtpfarrers zu Nördlingen, Johann Friedrich Weng, auf Seite 68_
Übel berichtiget [berüchtigt] in Nördlingen und in allen Dörfern des Rieses war besonders Sperreuter, dessen schon mehrmal gedacht wurde. Einer der rohesten und fühllosesten Menschen, schauderte er vor keiner Art von Grausamkeit zurück. Wo er mit seinen Reutern hinkam, wurde alles geraubt und die Menschen bis aufs Blut gequält. Weder Stand, noch Alter, noch Geschlecht schützte vor seiner brutalen Bosheit, die mit der unersättlichsten Habsucht und Wollust verbunden war.
In Nördlingen musste sich eine Lodwebers Tochter von 12 Jahren seinem Willen ergeben, die er dann nach Augsburg schickte, um sich ihrer dort weiter zu bedienen. In Wemdingen setzte er der Bürgermeisterin die Pistolen an die Stirne, weil sie ihm ihre Pflegtochter, ein Mädchen von 13 Jahren, nicht überlassen wollte''. "Seine H*** und Bubenstücke", sagt einer unserer Chronikschreiber, "sind nicht zu erzählen. Er war ein solcher Leutschinder und Beutelräumer, daß er den Wemdingern 6000 Thaler Kauzion auspreßte. - Sperreuters Soldatesca hat so ungöttlich und verteufelt gehandelt, daß sie in die Kirchen haben gebrochen, die Almosenstöcke ausgeleert und Alles gestohlen. Seine und seiner Soldaten heroische Thaten waren diese: Fressen, Saufen, H***, Spielen, Gotteslästern, Plündern, Stehlen, Rauben, u. s. w."
Als Lohn für seine Schandtaten erhielt Sperreuter die Stadt Wemding und das Kloster Kirchheim ("für ausgelegte Rüstungskosten''), verlor diese aber nach seinem Seitenwechsel zu den Katholischen. In Dinkelsbühl ist auch heute noch die Obrist-von-Sperreuth-Straße nach dem Kinderschänder benannt.