Samstag, 28. November 2015

Die Zukunft der Hochschulen

Das Buch Mathematische Vor- und Brückenkurse setzt sich mit der
Tatsache auseinander, dass das Absinken des Gymnasialniveaus in
Mathematik die Universitäten zwingt, ihren Erstsemestern den
Schulstoff in eigens dafür konzipierten Brückenkursen zu vermitteln.
Das Problem wird von den Herausgebern durchaus gesehen:

   Bruchrechnen, Termumformungen, Variablenverständnis spielen eben
   auch in der Differential- und Integralrechnung oder bei nicht ganz 
   trivialen Modellierungsaufgaben eine wichtige Rolle und werden 
   gegebenenfalls zu einer unüberwindbaren Hürde, wenn sie nicht 
   beherrscht werden.

Dass die Bedeutung der Bruchrechnung darin liegt, dass sie zum
Lösen von nicht ganz trivialen Modellierungsaufgaben notwendig
ist, möchte ich so natürlich nicht unterschreiben. Der
Augenöffner der Einleitung ist aber folgender Satz:

    Darüber hinaus haben sich auch die mathematischen Inhalte und 
    Anforderungen im Gymnasium und im klassischen Abitur geändert. 
    Dies ist nur teilweise auf G8 zurückzuführen. Schon davor spielten 
    beispielsweise Beweise eine deutlich geringere Rolle als noch vor 
    etwa 25 Jahren. Dafür sind andere Kompetenzen wie etwa das Modellieren
    oder das Nutzen von Technologien, stärker in den Vordergrund gerückt. 
    Hier lautet dementsprechend auch ein Vorwurf der Schulen an die 
    Hochschulen, dass diese nicht nur Defizite zur Kenntnis nehmen 
    sollten, sondern eben auch die neuen Kompetenzen anerkennen und in 
    der Lehre stärker an diesen anknüpfen sollten.

Das ist eine schier unglaubliche Frechheit (ich meine nicht die
Kommasetzung), und zwar eine doppelte. Zum einen werfen die Schulen
den Universitäten sicherlich nicht vor, sie sollten ihre Vorlesungen
an die Schulpraxis anpassen, also modellieren statt zu beweisen - ich
vermute eher, dass die Herren und Frauen Didaktiker diesen Vorwurf
erhoben haben, dass diese aber zu feige sind, zu ihren verqueren
Meinungen auch zu stehen und sie daher anderen in die Schuhe schieben.

Zum andern ist es höchst perfide, wenn die Didaktik den Mathematikunterricht
seiner Inhalte beraubt und dann den Universitäten sagt, sie sollen es
doch bitteschön genauso machen. Reicht es nicht, dass diese
"Bildungsexperten" das Gymnasium zerschlagen und einer ganzen
Generation das Recht auf eine anspruchsvolle Bildung verwehrt
haben?

OECD und IS

Wie Herr Todenhöfer in Interviews mit deutschen Vertretern des
IS feststellen konnte, haben diese Leute eine klare Vorstellung
von ihren Zielen: die Unterwerfung der ganzen Welt und die
Vernichtung der Ungläubigen.

Das Lob der OECD für die deutsche Bildungspolitik der letzten Jahre
klingt in meinen Ohren etwa so, als würde der IS im Jahre 2037 die
Abschaffung des Grundgesetzes und die Einführung der Scharia
als Meilenstein auf dem Fortschritt in das Reich Gottes auf
Erden bezeichnen. Die OECD gehört zu denjenigen Organisationen,
die eigentlich in Sachen Bildung gar nichts zu sagen haben, es
aber doch irgendwie geschafft haben, Einfluss auf die deutsche
Bildungspolitik zu nehmen und so das hervorragend funktionierende
dreigliedrige Schulsystem und die universitären Diplomstudiengänge
zu zerschlagen und durch etwas zu ersetzen, das mit Bildung nichts,
aber auch gar nichts mehr zu tun hat.

Im Gegensatz zu den Vertretern des IS weiß Stefan Kapferer,
stellvertretender Generalsekretär der OECD, was ein Argument ist:

 Sie können in den PISA-Zahlen ganz deutlich messen, dass bereits 
 ein Jahr frühkindliche Bildung nachher die Ergebnisse im PISA-Test 
 deutlich verbessert. 

Es ist erstauntlich, was empirische Bildungsforscher in diesen Tagen
aus PISA-Zahlen alles herauslesen (um nicht zu sagen: messen) können.
Die Behauptung, dass "Sie" (also wir) das auch können, erinnert an
die heutigen Lehrpläne, in denen nicht mehr steht, was Kinder heutzutage
lernen sollen, sondern was sie alles können. Hat die OECD vielleicht
große Gruppen von Schülern unterteilt in solche mit und solche ohne
frühkindliche Bildung und dann festgestellt, dass die einen bei
PISA-Tests besser abschneiden als die anderen? In diesem Falle
wäre der Schluss das, was man in der Logik als den Fehlschluss
"post hoc propter hoc" bezeichnet: weil A nach B passiert, muss B
die Ursache von A sein. Allerdings steht zu befürchten, dass es
solche Zahlen gar nicht gibt und dass das besagte Herauslesen eine
Art Kaffeesatzlesen ist, das noch nicht einmal die Bezeichnung
Fehlschluss verdient.

  "Deutschland hat die höchste Zeit von Studierenden prozentual die 
   ein Bachelorstudium im naturwissenschaftlichen Bereich aufnehmen. 
   Das ist glaube ich eine sehr gute Tatsache."

Das glaube ich gerne. Noch glaubhafter wäre es, würde ich das von
jemandem hören, der von Grammatik und Zeichensetzung etwas mehr
versteht als jemand, der Deutsch mit Anlauttabellen gelernt hat.

   Die hohen Abbrecherquoten zu senken, stelle eine der Herausforderung 
   für die Zukunft dar, erklärte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka.

Ich bin vermutlich nicht der einzige, der ahnt, wie die Senkung
der Abbrecherquoten erreicht werden wird: sicherlich nicht dadurch,
dass man das Niveau des Abiturs wieder anhebt. Dass selbst der
durchschnittliche Leser des Spon mehr Sachverstand zeigt als Herr
Kapferer lässt tief blicken.

  Erst gestern hatte eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft 
  gezeigt, dass sich die Zahl der unbesetzten Lehrstellen seit 2005 
  verdreifacht hat. 

Selbst schuld, kann man da nur sagen: mit etwas Lobbyarbeit hätten die
Ausbildungsbetriebe halt dafür sorgen müssen, dass man Klempner, Bäcker
und Mechatroniker jetzt als bachelor an der Uni studieren kann. Und
hätte man dafür gekämpft, dass ein Hauptschulabschluss zu einem
Hochschulstudium berechtigt, dann gäbe es die Hauptschule vielleicht
heute noch, und die OECD könnte uns dafür loben, dass wir einen
Akademikerschnitt von über 99% haben. Mit andern Worten: wir
würden im bildungs- und wirtschaftspolitischen Paradies der OECD leben,
in dem alle Probleme der Vergangenheit angehören, und das vermutlich
ähnlich gut funktionieren würde wie das Paradies, das uns der IS
verspricht.

Freitag, 20. November 2015

Differenzierungsniveaus

Die Gemeinschaftsschulen in BW praktizieren es bereits, den Realschulen steht das Unterrichten auf verschiedenen Niveaus erst noch bevor. Wie sehr man bei dieser Binnendifferenzierung dem Lehrer vorschreibt, was er zu tun und zu lassen hat, können Außenstehende kaum erahnen. Daher sei es
hiermit  gesagt.

Sonntag, 15. November 2015

Schriftliche Division und moderne Didaktik

Schrftliches Rechnen, so tönt es seit drei Jahrzehnten aus den
Publikationen der Didaktiker (Meißner, Krauthausen, Ralston, ...)
habe sich mit der Verbreitung der Taschenrechner überlebt. Wenn wir
ein Gerät haben, das uns die richtige Antwort gibt, so das Credo
der Spezialisten, dann müssen wir nicht mehr wissen, wie oder warum
schriftliche Division funktioniert.

Mit dümmlichen Äußerungen von Didaktikern über das schriftliche
Dividieren ließen sich ganze Bücher füllen; deutlich dünner wären
Bücher, in denen Universitätsmathematiker von Rang und Namen
(de Shallit, Milgram) das Unterrichten der schriftlichen Division
verteidigen, weil es darum eben nicht, wie von der Didaktik
suggeriert, um das Erhalten eines Ergebnisses geht, sondern um
den Erwerb einer Technik, ohne die man unser Dezimalsystem kaum
wirklich verstehen kann.

Bereits bei der schriftlichen Multiplikation wird das heute auf der
Grundschule kaum mehr eingeübte Einmaleins gefestigt - wohlgemerkt
auf dem Gymnasium, da man sich auf der Grundschule lieber mit
Würfelnetzen, Fragen der Symmetrie, oder propädeutischen Übungen
zur Wahrscheinlichkeit beschäftigt. Die Vertreter der
Bespaßungsmathematik tun ja oft so, als hätte die Abschaffung mühevoller
Techniken keinen Preis; wenn Kinder, die auf der Grundschule liebend
gern gerechnet hätten, sich auf der weiterführenden Schule blamieren,
weil ihnen gerade 4 mal 6 nicht einfällt, ist es mit dem Spaß aber
schnell vorbei.

Die schriftliche Division dagegen erfordert mehr als das kleine
Einmaleins: jetzt genügt es nicht mehr zu wissen, dass 4 mal 6 gleich
24 ist, jetzt ist plötzlich gefragt, wie oft die 6 in die 27 geht:
man muss lernen, ein Gefühl für Zahlen zu entwickeln, das zwar auf dem
Einmaleins aufbaut, aber deutlich darüber hinausgeht.

Das Umrechnen von Brüchen in Dezimalzahlen erfordert eine noch
größere intellektuelle Anstrengung: während 1/5 = 0,2 ist, erhält
man 1/3 = 0,33333...: was bedeutet das? Hier taucht erstmals die
Idee eines Grenzwerts, einer Intervallschachtelung, oder auch nur
einer Approximation auf, auf der das gesamte Gebäude der Analysis
aufgebaut ist. Wer nie Brüche in Dezimalzahlen (und umgekehrt)
verwandelt hat, muss deutlich höher springen, wenn er verstehen will,
warum man zur Einführung der Quadratwurzel aus 2 den Zahlbereich
erweitern muss: wenn 2/17 und diese Wurzel aus 2 nur noch die Zahl sind,
die der Taschenrechner angibt, dann kann man diese Notwendigkeit
nicht einmal ansatzweise verstehen.

In der Algebra, die man inzwischen ebenfalls abgeschafft hat (am Gymnasium:
die baden-württembergischen Realschüler dagegen lernen immer noch etwas über
binomische Formeln, Bruchgleichungen und Definitionsbereich), ist der
Divisionsalgorithmus später bei der Polynomdivision noch einmal
aufgetreten, und das Problem periodischer Dezimalzahlen hat bei der
geometrischen Reihe eine Renaissance erlebt. Termumformungen, da ist
sich die Didaktik treu geblieben, muss man heute nicht mehr beherrschen,
weil es Computeralgebrasysteme gibt. Dies läuft darauf hinaus, dass wir
heute Abiturienten produzieren, die nicht einmal mehr ein technisches
Studium (geschweige denn eines in Physik oder gar Mathematik) durchstehen,
weil sie bei den einfachsten Termumformungen versagen. Vermutlich sollten
wir künftig einfach mehr Arbeitsplätze im Bildungsministerium bereitstellen.

Donnerstag, 12. November 2015

Unterschriftenaktion

Frau Astrid Baumann hat eine Unterschriftenaktion gegen die Kompetenzorientierung ins Leben gerufen, an der sich alle beteiligen möchten, die in unseren Kindern nicht in erster Linie kleine Maschinchen sehen, deren Einzelleistungen man alle Nase lang misst und evaluiert, und deren Sinn und Zweck es zu sein scheint, sich als kleine Rädchen in Wirtschaft und Bildungssystem zu drehen - mit Betonung auf kleine, denn anstatt Recht auf Bildung gibt es heute nur noch die Pflicht, den Vorgaben entsprechend zu funktionieren.

Weierstraß ist tot . . .

. . . und zwar schon lange, Im Oktober 2015 jährte sich sein Geburtstag zum 200. Mal, und pünktlich
zum Jubiläum strich ihn, wie ich von Rank zero gelernt habe, Berlin aus der Liste der Berliner Ehrengräber, auf der jetzt (neben F. Gauß) nur noch Kronecker und Jacobi stehen - das Grab von Eisenstein ist gar nicht mehr vorhanden.

Dienstag, 10. November 2015

Talentfrei an die Unis?

Talentfrei in Mathematik, aber Mode-Hipster oder twitter-Spezialist? Die Universitäten müssen schon verzweifelt sein, wenn sie solche Studenten suchen; das Zentrum für Gestaltung in Ulm macht's jedenfalls  möglich:

Gymnasium oder Frauenquote abschaffen?

Nachdem die Linke für den nächsten Landtagswahlkampf in BaWü bereits die Abschaffung des Gymnasiums gefordert hatte, ist die Grüne Jugend nun nachgezogen: deren Landessprecherin  Lena Schwelling  will das Gymnasium ebenso abschaffen wie den Kindergarten ab 3 Jahren zur Pflicht zu machen.