. . . dann denkt er nur, er denkt.
Nach seinem jüngsten durchaus seltsamen Gastkommentar in der Sueddeutschen zum heutigen Mathematikunterricht habe ich bemerkt, dass Herr Prof. Christian Hesse der Spezies der geistigen Wiederkäuern anzugehören scheint, denn die meisten verqueren Forderungen in seinem Kommentar hat er bei sich selbst abgeschrieben.
Der Titel, das muss man wohl erklären, ist ein Wortspiel: zwei + zwei = wir. Get it? Wir statt Vier! Das ist so witzig wie 2 * 3 = sex oder 4 + 4 = Gute N8. Haha! Manche Mathematiker sind wahre Comedians.
Nach einem Lobgesang auf Ada Lovelace, die als Vorbild für heutige mathematikzubegeisternde Schülerinnen ebensowenig taugt wie die von der Genderista erfundenen Biographien von Theano (Frau Pythagoras) und Hypatia, kommt er auf den Grund zu sprechen, der Mädchen von einem gesteigerten Interesse an Mathematik abhängt:
Ein nicht unwesentlicher Grund dafür ist, dass der ganze MINT-Bereich
(Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) landläufig immer
noch das Image hat, hauptsächlich von Nerds bevölkert zu sein, jenen
dick-bebrillten, unmodisch gekleideten, vertrottelten Sonderlingen. [ . . . ]
So will man natürlich nicht sein oder werden.
Wenn ich mir's recht überlege, möchte ich auch nicht so werden oder so geworden sein. Allerdings ist das ein Klischee, das Herr Hesse da erfunden hat - ich kann mich nicht entsinnen, in meiner Jugend irgendetwas davon mitbekommen zu haben.
Eigentlich ist damit ja alles geklärt: Schuld ist ein Klischee. Aber so einfach ist es nicht, wenn man Hesse heißt. Als nächstes beweist er: Schuld ist Goethe.
Schon Goethe hat sich als "zahlenscheu" bezeichnet und hatte
einen regelrechten Hass auf die Mathematik und viele Mathematiker.
Da hat der Herr Professor wenig Medienkompetenz bewiesen (was man ihm nicht vorwerfen kann, da er in einer Zeit groß geworden ist, als es das Internet noch gar nicht gab), denn hier kann man nachlesen, dass diese Charakterisierung von Goethe etwas an der Realität vorbeigeht, die nicht ganz so schwarz-weiß ist, wie Herr Hesse sie gern hätte.
Goethe war der Meinung, dass Experimente, die man mathematisch
interpretieren müsse, nichts wert seien. Das ist eine Sicht, mit der
er erkenntnistheoretisch in die Vorstellungswelt der alten Griechen
zurückfiel.
Erstaunlich, was man hier über die Griechen lernt. Mit "die Griechen" meint Herr Hesse vermutlich das, was er über Aristoteles gelesen zu haben glaubt. Die Messung des Erdumfangs von Eratosthenes oder des Abstands zu Mond und Sonne von Aristarch, der Almagest von Ptolemäus: ohne Mathematik wären diese Erkenntnisse schlicht und ergreifend nicht möglich gewesen. Und Goethe? Nun, das war seine Art sich darüber zu ärgern, dass er nicht mehr Mathematik gelernt hatte. Auch Dichter sind nur Menschen.
Dabei hatte die mathematische Methode der Naturforschung nicht
erst, aber besonders mit Newton schon ihren überwältigenden
Siegeszug angetreten. Mit mehr mathematischer Kompetenz hätte
Goethe das einsehen können.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass Herr Hesse von Goethes Problemen mit Newton im Zusammenhang mit seiner Farbenlehre keine Ahnung hat. Sonst hätte er keinen solchen Bockmist geschrieben.
Insofern sehe ich Goethe mitverantwortlich für die bei uns immer noch
grassierende Geringschätzung mathematisch-quantitativer Kompetenz.
Goethe also. Ich fasse die Argumentationskette noch einmal zusammen:
1. Goethe hatte was gegen Mathematik
2. Heutige Schülerinnen haben auch was gegen Mathematik.
3. Also ist Goethe schuld.
Das wär eigentlich was für das Buch der Beweise, denn eleganter kann man kaum argumentieren.
In einer Welt, in der es mehr Zahlen als Worte gibt,
schreibt Herr Hesse, . . . egal. Aber den Vergleich mit der Neufassung in seinem jüngsten Kommentar gönnen wir uns:
Mittlerweile gibt es mehr Zahlen als Wörter auf der Welt.
Wie man sehen kann, muss ihm jemand in der Zwischenzeit den Unterschied zwischen Worten und Wörtern erklärt haben. Der Rest dagegen ist im wesentlichen derselbe Schmuh:
brauchen wir ein höheres Niveau quantitativer Bildung in unserer
Gesellschaft. Wir brauchen weiter verbreitete Fähigkeiten, um in
unserer überkomplexen Welt mit Zahlen, Funktionen, Daten,
Statistiken umzugehen, Wahrscheinlichkeiten einzuschätzen, Chancen
und Risiken kompetent gegeneinander abzuwägen und fundierte
Entscheidungen daraus abzuleiten. Wir brauchen mehr Gauß und
weniger Goethe. Wir brauchen, etwas überpointiert auf den Punkt
gebracht, mehr Daten-Kompetenz und weniger Dativ-Kompetenz.
heißt es ein seinem ersten Kommentar, und
Wir brauchen deshalb dringend ein höheres Niveau an quantitativer
Bildung. Wir brauchen stärker ausgeprägte und weiter verbreitete
Fähigkeiten, mit Zahlen, Funktionen, Statistiken umzugehen,
Wahrscheinlichkeiten einzuschätzen, Daten zu analysieren, Chancen
und Risiken zu bewerten. Kurzum: Wir brauchen mehr
Mathematik-Sachverstand in der Gesellschaft. Leicht überspitzt:
Wir brauchen in den Schulen mehr Gauß und weniger Goethe. Wir
brauchen mehr Daten-Kompetenz und weniger Dativ-Kompetenz.
in seinem zweiten. Plagiatssoftware hätte darauf wohl angeschlagen. Schade allerdings, dass er in seinem zweiten Kommentar darauf verzichtet, die Dinge pointiert auf den Punkt zu bringen.
In Hesses erstem Beitrag geht die Märchenstunde noch weiter:
Für Barack Obama hat sein Team von Daten-Gurus 2012 die
Präsidentschaftswahl entschieden. Über jeden Wahlberechtigten
wurden mehr als 1000 Datenpunkte zusammengetragen - Geschlecht,
Alter, Wohngegend, Klubmitgliedschaften, Kreditkartenkäufe und
so weiter.
Das wäre dann in etwa so das größte Spionageereignis aller Zeiten, ein System, das nicht mal die Stasi im Osten derart perfektionieren konnte. Jetzt müssen wir Herrn Hesse nur noch glauben.
Die Datenanalytiker wussten in vielen Fällen schon, was jemand
wählen würde, noch bevor er es selber wusste.
Wie man Wahlen gewinnen kann, wenn man dieses Wahlverhalten nicht ändert und allem Anschein nach nicht einmal ändern will, bleibt Herrn Hesses Geheimnis. Übrigens hat big data nicht nur die Wahl Obamas entschieden, sondern auch die von Trump. Ganz zweifellos wird big data auch die Wahlen in in Frankreich und in Deutschland entschieden haben, wenn sie erst einmal gelaufen sind. Denn im Gegensatz zu den Instituten, die Wahlprognosen abliefern, irrt sich big data nie.
Weiter mit einem Märchen der schönen neuen Welt:
Bald schon werden die mit ihrem Know-how konstruierten
selbstfahrenden Fahrzeuge dafür sorgen, dass weniger Unfälle
im Straßenverkehr passieren, Staus der Vergangenheit angehören
und motorisierte Fortbewegung stressfreier wird.
Ganz zweifellos wird das so sein. Big Data bringt uns zurück ins Paradies und rückt Dinge zurecht, die eine Frau vor 6000 Jahren verbockt hat.
Mit der personalisierten Medizin werden sie im Gesundheitswesen
bald eine neue Ära einleiten, die das Arzt-Patient-Verhältnis
revolutionieren wird. Dann wird auf der Grundlage von riesigen
medizinisch-pharmakologischen Datenbergen für jeden Patienten
und dessen Daten-Profil aus zigtausend Laborwerten, genetischen
Risikofaktoren und Symptomen eine maßgeschneiderte Behandlung
vom Computer entworfen.
Vermutlich ist dies ein Segen für den Teil der Versicherten, die nicht wie Herr Hesse privat versichert sind und sich weiterhin auf kompetente Ärzte verlassen können. Wer diese Daten sammeln soll, verrät Herr Hesse auch nicht? Der Arzt? Der Arbeitgeber? Der Staat ihres Vertrauens?
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