Montag, 29. Januar 2024

Rechtsschreibung

 Am Samstag waren hierzulande überall Demos gegen rechts, heute sind die Zeitungen voll davon. Im Titel der Ipf und Jagst darf ich dann lesen, dass das 

Bündnis gegen den Rassisumus

zur Kundgebung aufgerufen habe. Da wollen wir hoffen, dass beim Bündnis niemand das kleine Latinum hat. Dabei, so die Ipf und Jagst, waren Landtagsabgeordnete und Bürgermeister

in Personalaunion

anwesend. Orthographie wird überschätzt, denn in spätestens 10 Jahren hat Kretschmann einen Knopf im Ohr erfunden, der die Rechtschreibung simultan prüft. Und eine KI im Ohr verrät einem dann, dass das selbst korrekt geschrieben Unsinn ist, weil Personalunion nicht bedeutet, dass viele Leute mit verschiedenen Ämtern rumlaufen, sondern dass da einige Personen gleichzeitig verschiedene Ämter haben. 

Wir müssen uns wieder mehr besinnen müssen,

soll da jemand gesagt haben, aber ob ich der Zeitung das glauben soll, weiß ich noch nicht. Und weil ein Artikel über die Kundgebung nicht reicht, darf Nachwuchsjournalist Timo Lämmerhirt gleich einen zweiten verfassen, weil gleichzeitig 

Gedenktag für die Opfer des Ntionalsozialismus

gewesen ist, wie der Untertitel dem Leser verrät. Man sprt, wo man kann. Das Beste ist der Titel:

Währet den Anfängen

wird da verkündet. Kein einmaliger Ausrutscher:

Währet den Anfängen, denn "Nie wieder ist jetzt"

steht auch im Artikel. "Nie wider Faschismus" wäre noch besser gekommen. Aber man kann nicht alles haben.


 

Sonntag, 21. Januar 2024

GDL

 Dass die Bahn es schafft, immer noch schlechter zu werden, obwohl man das kaum für möglich hält, hatte ich unlängst schon erwähnt. Am Silvester jedenfalls fielen hier fast alle Züge aus - ich vermute, die Lokführer wollten lieber zu Hause böllern als zu arbeiten. Während des Streiks lief auch nicht viel, obwohl die GoAhead damit eigentlich nichts zu tun hat - aber weil sie die Schienen der DB benutzen und die Weichen in Stellwerken von DB-Mitarbeitern gestellt werden, führt der Streik bei der DB automatisch zu Ausfällen bei ganz anderen Unternehmen. So bei einer Zugfahrt von Ulm nach Jagstzell: in Aalen steht der Zug eine halbe Stunde, und es war nicht klar, ob er überhaupt fährt. Dann fährt er los bis Goldshöfe und hält dort an; Durchsage: man wisse nicht, wann oder ob es weitergeht. Nach einer halben Stunde die Durchsage, man möge sich Taxis rufen, es geht nicht weiter. Alle raus zum Telefonieren; nachdem die Leute Bekannte angerufen hatten, die sie abholen sollten, kam die Durchsage, dass es jetzt doch weitergeht. Also alle wieder rein bis auf diejenigen, deren Chauffeure schon unterwegs waren.

Letzte Woche 20 min Verspätung eines MEX13, der zwischen Crailsheim und Aalen verkehrt. Der Zug steht 200 m weiter hinten auf den Gleisen, fährt aber nicht los. Eine Frau erzählt, dass sie vor Weihnachten in Ulm hängen geblieben sei; keine Verbindung mehr, die Bahn brachte warme Decken und Tee, damit die gestrandeten Fahrgäste im Zug übernachten konnten. Immerhin. Dann sieht sie einen weißen Mercedes herfahren und sagt: "Da kommt der Lokführer!". Sie fährt dort regelmäßig und weiß nicht nur, dass der entsprechende Mann regelmäßig zu spät kommt, sondern kennt sogar sein Auto. In der Tat ging der Mann von seinem Auto über die Gleise zu seinem Zug und fuhr mit 20 min Verspätung los. Fachkräftemangel.

Montag, 15. Januar 2024

Mathematikabitur Türkei 2016

Wer in der Türkei einen Platz an einer der großen Universitäten haben will, muss u.A. bei diversen multiple-choice-Tests in Mathematik und anderen Fächern in der Spitzengruppe liegen. In Mathe sind 50 Fragen in 75 Minuten zu beantworten - man hat dort keine Probleme mit zu vielen Einser-Abis. Die Aufgaben sind durch die Bank gut und anspruchsvoll, und zeigen eindrücklich, dass es auch gute multiple-choice-Tests gibt (dass es fürchterlich schlechte gibt, kann man in Österreich sehen). Wer mag: hier steht das pdf-File mit den Aufgaben.

Ein N-Wort mit Gazelle zagt im Regen nie

Was es nicht alles gibt. Da fragt jemand auf reddit nach Literatur zur Geschichte der algebraischen Zahlentheorie, jemand nennt meinen Namen, und dann kommt ein gewisser hobo-stew und meint:

I‘d stay away from that guy. Here is one of his blog posts: http://schule-mathematik.blogspot.com/2023/04/neger.html?m=1

The title is n-word and the text is (translated): "It just needed to be said"

Maybe his historical stuff is good, but it‘s best to not give people like that attention.

Das ist ja nun ein großartiges Argument. Ich habe das Wort "Neger" auf einer Webseite gepostet und bin deswegen Rassist. Ich nehme an, das Gleiche gilt dann für die Duden-Redaktion, die Redaktion der Zeit oder der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, auf deren Webseiten das Wort Neger ebenfalls auftaucht. Wobei die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus wohl nichts besseres zu tun hat als zu recherchieren, welche Wörter man denn aus irgendwelchen Gründen als nächste verbieten kann; dazu gehören Ungeziefer, Winkeladvokat, Türken, Terrorist, Terrorismus und Schreibtischtäter. Letzteres kann ich nachvollziehen. Seltsam, dass die schlimmen Wörter alle hinten im Alphabet stehen. Das Götz-Zitat darf also noch ein wenig bleiben.

Glauben diese Leute wirklich, dass man Rassismus bekämpft, indem man den Wortschatz verbietet, den man braucht, um darüber zu reden? Dass man aus dem Negerkönig in Pippi Langstrumpf einen Südseekönig macht: Geschenkt. Ich kann es nicht aber nachvollziehen, wenn man nachträglich die Reden Martin Luther Kings umschreibt: das ist Geschichtsfälschung. Und man kann den Nigger auch nicht aus Mark Twain streichen, weil die Beleidigung damals so geheißen hat und eben kein Redneck zu einem Schwarzen "Scheiß N-Wort" gesagt hat. Vor allem weil es eben zwei N-Worte gibt und Neger und Nigger nun einmal alles andere als deckungsgleich sind.

Und wenn man Neger streicht, wo ist dann die Grenze? Schwule, Sklaven, Juden - mit welchen Wörtern hat man nie versucht, andere herabzusetzen? Was ist mit Niger, Nigeria oder Mauretanien? "Schwarze" ist auch schon nicht mehr salonfähig, und der Duden schlägt allen Ernstes vor, stattdessen Person of Color zu sagen. So kann man die eigene Sprache natürlich auch abschaffen.

Und dann kommt hobo-stew (Landstreicher-Eintopf) mit dem daher:

 The word "neger" is generally understood to be racist and derogatory by the vast majority of Germans.

Dazu wäre zum Einen zu sagen, dass ich niemanden einen Neger genannt habe. Zum Andern hätte ich bei vast majority noch ein wenig Zweifel, aber mit Butter bei die Fische hat es hobo-stew nicht so. Dass die 40 % Thüringer und Sachsen, die demnächst die AfD wählen wollen, hier nicht mitgerechnet sind, ist mir egal. Vast majority geht trotzdem anders. Tatsächlich schreibt die Zeit 2015, dass 50 % für und 48 % gegen die Streichung des Negerkönigs seien, jedenfalls wenn man der Bild glaubt. Das sind auch keine vast majorities. Und selbst wenn es 90 % wären, die so dächten wie der Landstreichereintopf: Wieso soll man sich von Leuten, die anderer Meinung sind, fernhalten? Und ist "people like that" nicht auch herabsetzend gemeint? 

Soviel Dummheit in einem einzigen Hirn ist eine Leistung. Chapeau!

Zum Abschluss ein Fredl Fesl für meine fünf Leser mit Humor:

 

Und der König des politisch inkorrekten Kabaretts, Rolf Miller:

 

Mathe könnte Spaß machen - Betonung auf: könnte

So heißt der Titel eines Artikels in der lokalen Presse, den man, mit anderem Titel, aber demselben Text, hier findet. Der dpa-Text beginnt mit einem Loblied auf Daniel Jung, seines Zeichens youtuber, seit er sein Studium von Sport und Mathematik geschmissen hat. Und wie alle Leute, die von Mathematik und Unterricht keine Ahnung haben, hat er gute Ratschläge für diejenigen, die sich seit vielen Jahrzehnten die guten Ratschläge von Leuten anhören müssen, die von Mathematik und Unterricht keine Ahnung haben. Jungs Idee: 

Der Unterricht muss dringend weg vom rezeptartigen Vortrag von Formeln, ohne dass die Jugendlichen wissen, wofür sie die brauchen.

Man weiß nicht, ob man da lachen oder weinen soll. Daniel Jung, der seine Brötchen damit verdient, in Hunderten von Videos Formeln rezeptartig vorzutragen, ohne dass die Jugendlichen wissen, wofür sie die brauchen: Dieser Daniel Jung schlägt vor, dass wir davon weg müssen.

Ich glaube auch nicht, dass wir von Rezepten weg müssen. Beim Erlernen der Mathematik kommt man um Rezepte nicht herum. Wie etwa soll man einem Schüler beibringen, dass \[\sqrt{2} + \frac1{\sqrt{2}} = \sqrt{2} + \frac{\sqrt{2}}{2} = \frac32 \cdot \sqrt{2}\] ist ? Das entsprechende Gesetz kann man für Brüche, deren Zähler und Nenner kleine natürliche Zahlen sind, mit kleinen Rechtecken wunderbar realisieren: Man zeigt, dass \(\frac12 = \frac36\) und  \(\frac13 = \frac26\) sind und addiert die Sechstel. Dann muss man dieses Rezept (Nenner gleichnamig machen und die Zähler addieren) so lange üben, bis man es verinnerlicht hat, und dann kann man es ohne große Probleme auf Brüche mit Quadratwurzeln übertragen. Ob man von Rezepten wegkommt und das Verständnis vermehrt, wenn man solche Dinge beweist, indem man etwa die Intervallschachtelung wieder einführt, die die Didaktik mangels Anwendungsbezug aus dem Lehrplan geworfen hat, weiß ich nicht. Dass wir heute in der Oberstufe fast nur noch Rezepte unterrichten verdanken wir aber schon der modernen Didaktik, die ja nicht nur die Intervallschachtelung, sondern Ungleichungen und Definitionen und Beweise sorgfältig und Schritt für Schritt eliminiert hat. Tatsächlich wäre ich schon froh, wenn die Lehrer in ihrer Ausbildung die Konstruktion der reellen Zahlen (Landau!) so ausführlich durchkauen würden, dass sie zumindest im Nachhinein die vielen Lücken erkennen, die man im heutigen Schulunterricht lassen muss. 

Der zweite Fachmann mit guten Ratschlägen für Mathematikunterricht hat ebenfalls keine Ahnung von Unterricht und Mathematik, sondern ist Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz. Florian Fabricius geht die Trennung in Einzelfächern auf den Keks; er glaubt, Kurvendiskussionen sollten 

anhand konkreter wirtschaftlicher Entwicklungen erklärt werden. Wenn man merke, dass alles zusammenhängt und sich ein Gesamtbild ergibt, mache Lernen Spaß.

Das kann man gerne glauben. Meine Schülerinnen haben große Schwierigkeiten zu sehen, wie sich ein Gesamtbild ergibt, weil sie den ganzen Stoff, den man 8 Wochen eingeübt hat, nach 10 Wochen wieder vergessen haben. Und ich wüsste nicht, warum ich an der Schule mit einem Studium von Betriebswirtschaft anfangen sollte; das ginge deutlich mehr Schülern auf den Keks als binomische Formeln. 

Aber Fabricius weiß noch mehr:

45 Minuten Frontalunterricht sind veraltet.

Direkt aus dem Glaubensbekenntnis der modernen Didaktik. Sozusagen ein Axiom, das so lange gilt, bis die Didaktik ein neues erfindet. Nach Fabricius jedenfalls sollen sich Schülerinnen und Schüler

selbst engagieren und projektbezogen mathematische Probleme lösen.

Mit welchen Techniken sie diese Probleme lösen sollen und wer ihnen wann diese beigebracht hat, erklärt und der Herr Generalsekretär nicht.

Auch der Vorsitzende der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik, Prof. Reinhard Oldenburg, schlägt in diese Kerbe: 

Wichtig sei, sich von abstrakten, weltfremden Fragen zu entfernen und Aufgaben am realen Leben zu orientieren. 

Meine Güte - wir machen seit 15 Jahren nichts anderes als abstrakte Themen aus dem Lehrplan zu entfernen und "realitätsnahe" Aufgaben durchzunudeln. Das mathematische Niveau ist in diesen Jahren ins Bodenlose gesunken, und die Lösung dieses Problems besteht darin, noch mehr davon zu machen? Das muss man sich erst mal trauen. Sehr gefallen hat mir dagegen der Satz

Therme mit x und y könne man anhand von Bildverarbeitungsprogrammen erläutern.

Das lass ich mal so stehen. 

Weil ich oben auf  das Glaubensbekenntnis der heutigen Bildungsreligion angespielt habe, sei es hier in voller Länge zitiert, und zwar aus Konrad Paul Liessmanns Buch "Bildung als Provokation":

Ich glaube daran, dass jedes Kind gleich, aber einzigartig ist, voll von Begabungen und Talenten, die entdeckt und gefördert werden können; ich glaube daran, dass jedes Kind kreativ und innovativ ist und nur durch ein schlechtes Schulsystem daran gehindert wird, selbst alles zu entdecken, was es zu entdecken gibt; ich glaube, dass jedes Kind am besten selbst weiß, was und wie es lernen will; ich glaube an die Segnungen der Digitalisierung, die es jedem erlaubt, jederzeit alles zu lernen und alles zu wissen. Ich glaube deshalb, dass die Belastung des jugendlichen Gedächtnisses mit Wissen unnötig, ästhetische Kanons ein Übel, Inhalte verwerflich und Frontalunterricht des Teufels ist; ich glaube an den Lehrer als Coach, als Begleiter, als Berater, der sozial kompetent im Hintergrund autonomer Lernprozesse lauert und dem nur eines verboten ist: zu lehren. Ich glaube an Teams, an Projekte, an Kommunikation. Ich glaube an die heilige Dreifaltigkeit von Kompetenzorientierung, Individualisierung und Standardisierung. Ich glaube an die inklusive Schule und an die inklusive Gesellschaft; ich glaube an die Matura, das Abitur für alle.

Arg viel mehr wissen die Fachmänner für mathematische Bildung anscheinend auch nicht. Eine Fachfrau muss auch dabei sein: Annette Höinghaus vom Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie meint, dass das Rechnen beim Malerbetrieb nicht mehr so wichtig sei, weil es viele digitale Hilfen gibt. 

Fabricius sieht die Erklärvideos von Daniel Jung als Unterstützung. Er 

fände es gut, wenn Lehrer solche Videos und den Umgang damit erläutern.

Das kann ich gerne machen und ist in 5 Sekunden passiert. Was Jung in seinen Videos macht, braucht niemand. Was wir bräuchten, aber nicht einmal im Ansatz haben, sind Schüler, die Liessmanns Buch lesen können und verstehen, wie man ihre ganze Generation mit unserem neuen Bildungskanon verraten und verkauft hat.