Mittwoch, 14. Februar 2024

SSU

Mein NRW-Leidensgenosse hat mich gebeten, etwas über den sprachsensiblen Unterricht zu schreiben; jetzt hat er es selbst gemacht, was mir viel Arbeit spart - Danke! Zwei kleine Bemerkungen möchte ich aber nachtragen:

1. Die beste Doodelei aus dem 50-MB-Bildvokabelset ist zweifelsohne folgende: 


Ineinandergreifende Zahnräder, die sich nicht drehen können, sind in didaktischen Publikationen keine Seltenheit. Liegt vermutlich daran, dass die Leute Didaktik und nicht Ingenieur studiert haben:


2. Die von der Uni Bochum organisierte Akademie zur Fortbildung von Lehrern weiß auch, wie man den Mathematikunterricht sprachsensibel gestaltet und was uns Lehrern fehlt, um derart unterrichten zu können. Deswegen gibt es eine Fortbildung, in welcher die Lehrer was lernen. Ach was sag ich denn, nach welchen die Lehrer was können, nämlich:

Die Lehrkräfte können Hürden in Textaufgaben erkennen und diese umgehen 

Bei so etwas geht einem Sensibelchen wie mir das Messer in der Tasche auf. Hürden in Textaufgaben erkennen? Natürlich kann ich das, denn ich unterrichte in der Oberstufe ja kaum noch was Fachliches, sondern nur noch, wie man Hürden in Textaufgaben erkennt und diese umgeht. Das ist wie im Mittelalter die katholische Kirche: Sie hat mit Hölle und Fegefeuer Probleme geschaffen und gleichzeitig mit Beichte und Ablass die Lösung dieser Probleme angeboten. Und die Didaktiker und Psychologen aus der Bildungsforschung machen das Mathematikabitur unlösbar, indem sie sprachliche Hürden einbauen, und wollen uns dann Fortbildungen verkaufen, wie man diese erkennt und umgeht. 

Ich sag das jetzt mal so sensibel wie ich kann: Unterrichtet euern Scheißdreck doch gleich selbst! 


Dienstag, 13. Februar 2024

Experten

 Nach dem jüngsten PISA-Debakel haben sich wieder all diejenigen zu Wort gemeldet, die fürchterlich viel von Schule verstehen, aber der Meinung sind, die Welt habe ihre Weisheiten noch nicht zur Kenntnis genommen. Allen voran und einsame intellektuelle Speerspitze der Experten ist zweifellos PISA-Papst Andreas Schleicher, der zusammen mit der Didaktik die Bildung in Deutschland gegen die Wand gefahren hat und jetzt den überbezahlten Lehrern die Schuld geben möchte. 

Eine andere sehr helle Kerze auf jeder Geburtstagstorte ist Fernsehphilosoph David Richard Precht, der schon vor vier Jahren erklärt hat, dass Algebra verschwendete Zeit ist, weil es niemand braucht. Die Schule braucht ab Klasse 6 keine Fächer mehr, sondern Projektunterricht. 

In dasselbe Horn tutet seit einem Jahrzehnt Deutschlands vormals jüngster Professor der Mathematik, Christian Hesse aus Stuttgart. "Schafft die traditionellen Schulfächer ab!", meinte er 2017 in der SZ. Und: 

Zweitens haben die erwähnten Wissenslücken ihre Ursache nicht in der Kompetenzorientierung. Durch sie haben sich die  mathematischen Pisa-Leistungen deutscher Schüler deutlich verbessert.

Da hat ihn jetzt die Vergangenheit eingeholt, denn von einer deutlichen Verbesserung von irgendwas redet heute niemand mehr. Aber er weiß, was zu tun ist:

Der Unterricht müsste stark entrümpelt werden, etwa ein Viertel der Geometrie gestrichen werden, forderte Hesse.  
Ein Viertel der Geometrie wird schwierig: Außer Pythagoras und dem Strahlensatz ist davon nach der Anwendungsorientierung nichts mehr übrig, und wie soll man von zwei Themen ein Viertel weglassen, wenn die Schüler keine Bruchrechnung mehr können?

Hesse schlägt vor, die "Schubladisierung" in gut ein Dutzend Schulfächer aufzubrechen und stattdessen rund 100 Module wie Finanzwissen und Klimawandelkunde anzubieten, von denen manche frei wählbar sind. 

Klimawandelkunde. Mondlandekunde wäre auch nicht schlecht, damit wir die Inder einholen können. Oder Dummschwätzerkunde, damit man, wenn man von nichts eine Ahnung hat, von der SZ zum Experten geadelt wird.

Daraus, dass er mal Deutschlands jüngster Mathematikprofessor war, bildet er sich nichts ein; im Gespräch mit dem BR hat er folgendes verlauten lassen:

Es bedeutet mir hingegen etwas, gute Arbeit zu leisten – mein eigenes Alter ist mir dabei egal. Natürlich stellte diese Berufung eine gewisse Wertschätzung meiner Arbeit in den USA dar und sie ist sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass ich bei sehr guten Wissenschaftlern promovieren konnte.

In der Tat bestand seine hauptsächliche Arbeit darin, bei sehr guten Leuten promoviert zu haben. Danach kam nicht mehr viel; im Zentralblatt habe ich nur ganz wenige referierte Arbeiten von ihm gefunden. Und so, wie früher pensionierte Ingenieure sich an den Beweis der Fermatschen Vermutung machten, hat Prof. Hesse nach seiner Berufung die Stochastik Stochastik sein lassen und sich auf die Bildungspolitik gestürzt. 

Während seines Forschungsaufenthalts 2013 in Kalifornien hat er nicht etwa geforscht, sondern ein Buch geschrieben, nämlich "Was Einstein seinem Papagei erzählte: Die besten Witze aus der Wissenschaft". Erstaunlich, was der deutsche Steuerzahler Professoren so alles finanziert. Mathematisch war der Forschungsaufenthalt weniger ergiebig: seine letzte mathematische Arbeit hat Prof. Hesse 2007 veröffentlicht.

Jedenfalls weiß er, wie man Schüler für die Mathematik begeistert: mit Anwendungsorientierung und Data science. Das Paradebeispiel für anwendungsorientierten Mathematikunterricht sind vektorrechnende Ameisen: Die hat er hier und hier und hier und vermutlich an vielen anderen Orten ebenfalls besungen. Selbstverständlich, das hat sogar seine Gesprächspartnerin Petra Herrmann vom BR verstanden, können Ameisen gar keine Vektorrechnung. Es geht also nur mal wieder um die aktive Verdummung  der Schüler, denn wie man sie für Vektorrechnung begeistern kann, indem man ihnen von Ameisen erzählt, bleibt Hesses Geheimnis. Schön zu lesen dagegen der Originalartikel  über die Wüstenameisen, dem Hesse seine Weisheiten entnommen hat.


P.S. Auf n4t habe ich gelesen, welches Viertel der Geometrie der Herr Professor streichen will:

Aus Hesses Sicht müsste der Unterricht stark entrümpelt, etwa ein Viertel der Geometrie gestrichen werden. Als Beispiele nannte er windschiefe Geraden oder Tori – das sind Objekte, die aussehen wie ein Rettungsring. Solche komplexen geometrischen Formen sollten ähnlich wie abstrakte Vektorbeweise entfallen.

Tori und abstrakte Vektorbeweise sollen also nicht mehr unterrichtet werden. Seit über 10 Jahren blafaselt Hesse etwas über Schulmathematik und was sich ändern soll, und er hat in diesen 10 Jahren nicht ein einziges Mal in den Lehrplan oder in ein Schulbuch geguckt? Das erklärt zumindest, warum er mathematisch eine Niete ist. Solche Leute sind selbst für eine Provinzuniversität wie Stuttgart eine Schande.