Beiden gemein ist das Mantra, wonach die orthographischen Leistungen der Kinder, die mit der von ihnen im Elfenbeinturm ersonnenen Methode des Schreibens nach Gehör unterrichtet worden sind, nicht schlechter, sondern besser geworden sind.
Wieviel besser, erfahren Lehrer täglich. Ein solcher Lehrer hat im Jahre 2009 die Schüler seiner 5. Klasse aufgefordert, "gar nicht" an die Tafel zu schreiben, und diese haben sich alle Mühe gegeben:
Noch schrecklicher als der sich ausbreitende Analphabetismus an deutschen Schulen ist der Kommentar eines Kollegen:
Ich bin selbst auch Lehrer, und ich kann dich beruhigen,
dass dich das nicht schockieren sollte. Die Rechtschreibdidaktik
geht heute davon aus, dass beim Erlernen der Rechtschreibung drei
Stadien durchlaufen werden. In der fünften Klasse ist das zweite
Stadium dominant und Fehler beim Schreiben sind völlig normal,
weil Kinder in diesem Alter bestimmte Kompetenzen nicht haben.
Es ist also heute nicht nur normal, dass Fünftklässler nicht schreiben können, nein, es muss geradezu so sein, weil die Rechtschreibdidaktik besagt, dass das praktisch gar nicht anders sein kann, weil ihnen wegen der Dominanz des zweiten Stadiums bestimmte Kompetenzen fehlen. Wenn man den Leuten an den PHs beibringt, das sei ein Argument, wäre es besser, die künftigen Lehrer gar nicht auszubilden.
In diesem Thead wird mal wieder mit vor "Halbwissen"
strotzenden Aussagen und Feststellungen um sich geworfen.
Nur weil ihr das Schreiben erlernt habt oder selbst mal zur
Schule gegangen seid, seid ihr noch lange nicht in der Lage
zu beurteilen, ob die dargestellten Schreibweisen "schlimm" sind.
Das darf nur ein Lehrer, der Schreiben nach Gehör unterrichtet, weil alle andern Dummköpfe sind. Kritik ist verboten. Und weiter:
Wenn du Interesse hast, deine Kinder wirklich fundiert zu
untersuchen, mach das mit der Hamburger Schreibprobe.
Auf die habe ich ja schon mal hingewiesen; inzwischen habe ich auch herausgefunden, wie die Sache mit den Graphemtreffern genauer funktioniert. Mit der Hamburger Schreib-Probe wird die Orthographie der Kinder getestet, aber nicht so billig wie in einem Diktat, wo ein falsch geschriebenes Wort einen Fehler bedeutet - weit gefehlt:
Mit ihr wird nicht nur die richtige Schreibung von Wörtern,
sondern die Zahl der richtig geschriebenen Grapheme ausgewertet.
Damit soll auch ein Beitrag zur Überwindung der Defizit-Sichtweise
auf die Schreibungen der Schülerinnen und Schüler geleistet
werden. Nicht die Fehler stehen im Mittelpunkt der Betrachtung,
sondern das Gekonnte, das sich auch in teilweise richtigen
Schreibungen zeigt.
Wie das Gekonnte bewertet wird, damit aus Analphabeten Experten für moderne Orthographie werden, kann man hier bewundern:

Wer also Fart statt Fahrrad schreibt, bekommt immerhin noch ein Drittel aller Graphemtrefferpunkte für das Wort (vermutlich gibt's noch einen Extrapunkt für gutes Englisch, wenn man stattdessen Furz schreibt), und der Graphemtrefferpunkteunterschied zwischen Fahrad und Fahrrad ist marginal.
Zählt man Rechtschreibfehler so, wie Leute außerhalb von PHs wie Schwäbisch Gmünd und Unis wie Bremen und Siegen Rechtschreibfehler zählen, sieht die Sache nach einer Untersuchung von Steinig und Betzel anders aus:
Nun, früher hieß es
You can fool all the people some of the time,
and some of the people all the time,
but you cannot fool all the people all the time.
Anscheinend hat das Abraham Lincoln gesagt, aber wenn ich mir ansehe, was aus seinen Landsleuten geworden ist, dann weiß ich nicht, ob ich das noch unterschreiben würde. Jedenfalls befassen sich inzwischen auch Landtage mit dem Schreiben nach Gehör, und wenn diese Landtage ein Gutachten brauchen, dann fragen sie Experten. Also den Professor Brügelmann vom Grundschulverband und die Prof'in Brinkmann vom Grundschulverband. Dieses Duo habe nicht nur ich gefressen; sogar in der Taz (!) kann man lesen:
Beide dominieren als Fachreferenten unterwegs und im
Grundschulverband eine mittlerweile ideologisch erstarrte
Auffassung von modernem Grundschulunterricht, speziell zum
Schriftspracherwerb. Man weiß nie: Sind sie gerade Gutachter,
Herausgeber oder Lehrplaner? Treten sie als Lobbyisten,
Professoren oder Autoren in eigener Sache auf. Sie interviewen
sich gern auch gegenseitig in Fachorganen. Die Funktionen sind
undurchschaubar hermetisch verquickt. Niemand nimmt Anstoß daran.
Reputation und Definitionsmacht wachsen unaufhaltsam.
Auch der Landtag in NRW fragt Experten, wenn er Experten hören will. Und Herr Brügelmann ist Experte: In seinem Gutachten zieht der Experte den Parlamentariern sofort alle Zähne, und zwar nacheinander.
1. Rechtschreibung ist nicht so wichtig, denn
Ziel des Unterrichts ist das Verstehen fremder und das
Verfassen eigener Texte.
Ob die auch richtig geschrieben sind: scheiß der Hund drauf.
2. Es liegt nicht am Schreiben nach Gehör, denn Rechnen können die Kinder ja auch nicht mehr:
Diese Probleme zeigen sich allerdings auch in anderen
Leistungsbereichen: für Mathematik und Fremdsprachen,
für Politik und Naturwissenschaften.
3. Früher wurde auch nicht besser geschrieben. Die oben zitierte Studie von Steinig sei "methodisch in mehrfacher Hinsicht" problematisch. Und:
für die Grundschule sprechen Untersuchungen aus den letzten
zehn Jahren eher für eine Leistungszunahme (vgl. Kowalski u.a.
2010; May 2013).
Die Untersuchung von May benutzt natürlich die von May entwickelte Hamburger Schreib-Probe (s.o.).
4. Die Kinder lernen später automatisch, richtig zu schreiben:
Empirische Studien zeigen eine erhebliche Zunahme der Kompetenz
über die Schulzeit hinweg.
D.h. die Lehrer auf den weiterführenden Schulen bringen den ihnen übergebenen Analphabeten ein bisschen Rechtschreibung bei.
5. Die Schüler aus den Unterschichten sind zu doof, als dass man sie ordentlich beschulen könnte:
Es ist zudem sozialromantisch zu glauben, man könne die
Bildungs- und Lebenschancen von Unterschichtkindern durch
einen anderen und intensiveren Rechtschreibunterricht verbessern.
Wie Steinig gezeigt hat, kann man ihn bei der Wahl geschickter Methoden wie Schreiben nach Gehör aber zumindest verschlechtern, und das ist ja auch schon was. Sinnvoller als Rechtschreibung wäre es nach Brügelmann wahrscheinlich, man würde ihnen zeigen, wie man einen Hartz-IV-Antrag ausfüllt.
6. Schreiben nach Gehör kann an der Misere, die es nicht gibt, nicht schuld sein, denn:
Dort wird durchgängig die Bedeutung einer verbindlichen
Rechtschreibung (für die Erleichterung des Lesens) betont.
Man bringt den Kindern die Rechtschreibung nicht bei, damit man sie nicht in seelische Abgründe stürzt, aber man betont, wie wichtig eine verbindliche Rechtschreibung ist. Das ist schön, Herr Herodes.
Für die aktuelle Diskussion ist dabei besonders wichtig: Über
das freie Schreiben prägt sich nichts Falsches ein [ . . . ],
denn in der alphabetischen Phase konstruieren die Kinder
einzelne Wörter immer wieder neu - zum Teil verschieden in
demselben Text.
Die Kinder prägen sich also nichts Falsches ein, weil sie Wörter bei jedem Auftauchen neu konstruieren und anders schreiben. Wenn es nach mir ginge, würde der Professor seinen Lebensabend im Gefängnis verbringen. Zusammen mit seiner Kollegin Brinkmann, die intellektuell wenig Originelles zu bieten hat:
Die Sorge vieler Eltern, dass sich die Kinder mit ihren
lautgerechten Schreibungen, die noch nicht allen orthografischen
Normen entsprechen, etwas Falsches einprägen könnten, ist
meines Erachtens verständlich, aber unbegründet. Beim
lautierenden Schreiben konstruieren die Kinder jedes Wort
jedes Mal Laut für Laut neu. Dass sich dabei diese Schreibungen
nicht in den Köpfen der Kinder festsetzen, belegen eindrucksvoll
die Variationen, die die Kinder immer wieder finden: Oftmals wird
das gleiche Wort in kurzer Zeit mehrfach unterschiedlich
geschrieben, z. B. Fahrat, Fahrrat, Farrat.
Das werden alle Eltern toll finden, die ihre Kinder zu Lehrerinnen in den Unterricht schicken, die an der PH Gmünd ausgebildet worden sind. Aber letztendlich ist die Rechtschreibung, wie Brügelmann eingangs schon gesagt hat, relativ unwichtig:
Denn in einem sind wir uns sicher einig: Wem nutzt es,
Belanglosigkeiten oder inhaltlichen Unsinn orthographisch
korrekt schreiben zu können?
Diess Frage, Herr Professor Dr. Brügelmann, stelle ich mir auch. Ich hätte bei Ihrem Traktat allerdings nicht zum Euphemismus "inhaltlicher Unsinn" gegriffen - das wäre in etwa so, als würde man den Holocaust als Mobbing bezeichnen.
Wie viele Graphemtrefferpunkte bekommt man, wenn man statt "Fahrrad" "Darrhaf" schreibt?
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