Freitag, 21. April 2023

Mathematikdidaktik als Wissenschaft

 Auch heute wollen wir einem der ganz großen in der deutschsprachigen Didaktik zuhören: Jürgen Maaß, Professor für Didaktik in Linz. Seine Publikationsliste ist 46 Seiten lang; das ist ein bisschen als ob Modern Talking 46 CDs herausgebracht hätten. In den GDM-Mitteilungen 114 regt er zum Nachdenken über Didaktik als Wissenschaft an. Zeit wird's, denn wenn es keine Wissenschaft ist, was machen die ganzen Didaktoren dann an unseren Universitäten?

Der Beginn seines Artikels hat mich fast umgehauen; zuerst spricht er von militanten Impfgegnern, und dann kommt das:

Nicht selten wird Wert und Wirksamkeit der modernen, naturwissenschaftlich basierten Medizin generell in Zweifel gezogen. Im Vergleich dazu geht es der Mathematikdidaktik ziemlich gut. Ihr Wert und Nutzen wird derzeit nicht öffentlich angezweifelt,

Oi. 


Links und rechts zwei Didaktiker, in der Mitte ein Fachwissenschaftler. Dass Wert und Nutzen der Mathematikdidaktik nicht öffentlich angezweifelt wird, ist eine starke Behauptung. Es gibt Didaktiker, welche seit Jahren gegen die empirische  Bildungsforschung anschreiben, und Fachmathematiker nehmen diese Leute schon lange nicht mehr ernst. Und was vox populi zu den Bildungsexperten sagt, kann man in vielen Kommentaren in jeder Ecke des WWW sehen. Wenn man denn nu will.

die Regierungen der deutschsprachigen Länder zahlen routinemäßig für unsere Stellen und Forschungsprojekte

Das ist leider die traurige Wahrheit. 

 und kein Gericht verurteilt uns wegen mangelnder Mathematikkenntnisse von Lernenden und Erwachsenen, die nach von uns ausgearbeiteten Lehrplänen, Schulbüchern, Unterrichtskonzepten, Lehrmethoden etc. von Lehrkräften unterrichtet wurden, die wir ausgebildet haben.

Das ist leider auch wahr, vor allem deswegen, weil es kein Gesetz gibt, mit dem man gegen diese Brut vorgehen kann. Unfähigkeit ist in Deutschland nicht strafbar, sonst wären die Gefängnisse voll.

Danach schwadroniert Prof. Maaß über die Grundlagenkrise der Mathematik und lässt den Leser wissen, dass er die Namen Cantor, Russell, Hilbert, Gödel und Bourbaki kennt,  um dann bei der Dissertation von H. Bölts „Kritik einer Fachdidaktik“ zu landen, 

die ihm offenbar nicht den Weg zu einer Mathematikdidaktik-Professur geebnet hat.

Interessant. Man promoviert in Mathematikdidaktik, um sich den Weg zu einer Professur zu ebnen. Das erinnert an die Hydra: wird ein Didaktiker emeritiert, kommen 20 neue nach. Jetzt wendet sich Maaß der Geschichte seiner "Wissenschaft" zu:
 

Am Anfang sind aus meiner Sicht didaktisch interessierte bzw. der Didaktik wohlwollend gegenüberstehende Mathematiker zu nennen, etwa Euklid

Den hab ich nicht kommen sehen.

Was spricht dagegen, ihn als Mathematikdidaktiker zu bezeichnen? Wer möchte heute nicht ein Lehrbuch schreiben, das über mehr als 2500 Jahr für viele heranwachsende Mathematikerinnen und Mathematiker Lerngrundlage und Motivation wird?

Euklid ist Mathematikdidaktiker, weil jeder gern ein Buch schreiben möchte, das 2500 Jahre lang benutzt wird? Mehr non sequitur geht nicht. Und allein die Tatsache, dass die Elemente 2300 Jahre alt sind (keine 2500 - Lesen bildet), bedeutet nicht, dass es 2300 Jahre lang Lerngrundlage war. Schon gar nicht für Mathematikerinnen. 

Selbstverständlich lag es nahe, die zur Veröffentlichung vorgelegten Texte und Konzepte auf ihre mathematische Korrektheit zu überprüfen. Einige Kolleginnen und Kollegen, die einen Entwurf zu diesem Text gelesen haben, wiesen mich auf aktuelle Beispiele aus mathematikdidaktischen Theorien und Veröffentlichungen hin, die mathematisch nicht korrekt sind.

Es ist natürlich gefährlich, in Veröffentlichungen Mathematik zu  machen, denn dabei können schon mal Fehler passieren, besonders dann, wenn man vom Fach wenig Ahnung hat. Deswegen findet man in den allermeisten didaktischen Publikationen ja keine Mathematik.

Insbesondere bei Themen aus der Stochastik scheint es auch fachliche Unsicherheit zu geben. Ich möchte hier keine Beispiele nennen, aber anmerken, dass Fortschritte in einer Wissenschaft nicht immer und automatisch bedeuten, dass bisher Erreichtes erhalten bleibt. Manchmal sind Fortschritte auch Fort – Schritte, also Bewegungen von etwas weg, wie soliden Mathematik-Kenntnissen als Basis für mathematikdidaktische Arbeit, also Schulmathematik vom höheren Standpunkt, wie es F. Klein genannt hat.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Herrn Professor hier richtig verstehe, aber er scheint mir sagen zu wollen, dass das sich-entfernen von soliden Mathematik-Kenntnissen als Basis für mathematikdidaktische Arbeit eigentlich ein Fortschritt ist.

In der Mathematik glaubt man gemeinsam und mit guten Argumenten an die Peano-Axiome und kann sie dann (gemeinsam mit anderen Beweismitteln) in der Zahlentheorie verwenden, etwa um zu zeigen, dass es unendlich viele Primzahlen gibt.

Herr Maaß scheint eine seltsame Vorstellung von Peano-Axiomen und dem Glauben daran zu haben. 

Aber ich fürchte, damit verliert die Mathematikdidaktik ihre Bodenhaftung, den Kontakt zur Schulrealität.

Der Mathematiklehrer, der über diesen Satz nicht lacht, muss erst noch gefunden werden. Die Mathematikdidaktik hat jeden Kontakt zur Schulrealität längst verloren.  Wozu ist sie dann noch gut? Das fragt sich auch Herr Maaß:

Was aber ist der gesellschaftliche Nutzen? Wer hat etwas davon?

Das ist schnell erklärt: Damit hat man 10.000 Leute, die nichts rechtes studiert haben, von der Straße geholt. Maaß hat selbstverständlich eine andere Antwort:

Wir forschen und sammeln Ergebnisse, die sich vielleicht später einmal für irgendjemanden als nützlich erweisen können.

Diesen Satz sollte man den Steuerzahlern täglich vorlesen. Ansonsten fällt mir dazu nur noch eines ein:

Ceterum censeo didacticam esse delendam. 

Und zwar flott.

 

4 Kommentare:

  1. Wodurch sollte man denn Ihrer Meinung nach die Didaktik ersetzen; sollte man das Lehramtsstudium als solches komplett abschaffen?
    Offensichtlich ist ein Lehrer ja für Sie kein Didaktiker, das ist mir ehrlich gesagt neu. Ich würde den Begriff wesentlich weiter sehen.

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    1. Netter Versuch. Das mangelnde Leseverständnis klebt an Ihnen wie eine Klette.

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    2. Begründung? Und Antwort?

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  2. Dein Artikel hat mich -- üblerweise -- dazu verleitet, mir die GDM-Mitteilungen 114 auszugsweise anzutun. (Diese Zeitschrift hatte ich zuvor noch nie aufgeschlagen -- weder digital noch analog.) Im Vorwort des Vorsitzenden lese ich:

    "Wer von Ihnen eine gute Idee hat, die beitragen kann, die beklagten Dinge zuverbessern, ist herzlich eingeladen, sich beim Vorstand zu melden. Unsere neue Homepage bietet mit dem Blog eine Möglichkeit, unsere Aktivitäten und Erkenntnisse nicht nur in der eignen Gesellschaft publik zu machen."

    Meld Dich doch mal bei dem Vorstand! (Und erzähl denen auch von meinen tollen Werken! Wir hätten beide etwas mehr Resonanz verdient.)

    In dem Grußwort heißt es weiter: "Die GDM hat mit der Zeitschrift für Mathematikdidaktik in Forschungund Praxis einen Weg etabliert, auf dem didaktische Erkenntnisse in die schulische Praxis kommen können (das ist wichtig und der Kanal sollte noch mehr befüllt und genutzt werden)."

    Äußerst nützliche didaktische Erkenntnisse finden sich zum Beispiel in dem Beitrag "Argumentieren, Problemlösen & Co – Welche prozessbezogenen Kompetenzen werden durch den Einsatz digitaler Medien angesprochen? Ergebnisse einer Schulbuchanalyse zur 7. Jahrgangstufe". In dem Fazit dieses Beitrags liest man: "Hierbei handelt es sich um eine relevante Fragestellung, [...] Zusammenfassend fällt auf, dass die Kompetenzen K5 'Mathematisch darstellen' und K6 'Mitmathematischen Objekten umgehen' in den Struk-turelementen mit digitalen Medien deutlich häufiger auftreten als die anderen prozessbezogenen Kompetenzen."

    Wahnsinn! Weitere Zeilen und andere Artikel tu ich mir nicht an. Wolf Wagner (Autor von "Uni-Angst und Bluff") wird -- einmal mehr -- bestätigt: "Pädagogik und Didaktik sind als universitäre Fächer zum Kotzen. Sie haben einen solchen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den richtigen Fächern, dass sie sich um höchstes Niveau bemühen und so abgehoben und unverständlich werden, dass man mit ihnen nichts anfangen kann."

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