Dienstag, 2. Mai 2023

Lehramtsalgebra

Diesmal "Algebra und Funktionen. Fachlich und Fachdidaktisch" von Bärbel Barzel und Co. Frau Barzel hat jahrzehntelang von TI Geld bekommen und Taschenrechner und CAS in Dutzenden von Veröffentlichungen beworben. Jetzt also Fachdidaktik. Versprochen wird: "Die grundlegenden Begriffe und Zusammenhänge der Algebra und Funktionen in der Sekundarstufe I tiefer verstehen." Schau'n mer mal. Ich will gleich zu Beginn sagen, dass ich das Buch nicht von vorn bis hinten gelesen, sondern nur stichprobenartig ein paar Seiten aufgeschlagen habe. 

Auf Seite 35 beginnt der Abschnitt  "Gleichungen kalkülmäßig lösen". Didaktiker verabscheuen Kalkül: Verstehen ist wichtig. Etwa den Satz vom Nullprodukt, der nicht einfach nur hingeknallt, sondern knallhart begründet wird:


Doof ist, dass man die von den drei Beispielen belegte Richtung nicht zum Lösen von Gleichungen brauchen kann. Was man zur kalkülmäßigen Lösung braucht ist die Umkehrung: Wenn das Produkt 0 ist, muss ein Faktor 0 sein. Wenn man von Algebra eine Ahnung hätte, würde man jetzt etwas von Integritätsbereichen oder Körpern reden. Die gibt es aber im ganzen Algebrabuch nicht, schließlich wollen wir keine Lehramtsstudierenden verschrecken. Mathe macht Spaß.

Auch das Lösen von Gleichungen durch Äquivalenzumformungen sieht für einen Fachmann etwas seltsam aus:

Das ist wohl wahr. Allerdings sind das keine Äquivalenzumformungn, und selbst die Implikationen sind falsch. Das kalkülmäßige Lösen von Gleichungen ist nicht so die Sache der Autoren.

Algebra findet man in diesem Buch nicht. Dafür beim Thema Ungleichungen eine kleine Exkursion in die Geometrie:


Wenn ich im Dreieck mit den Seiten 1, 2 und 5 die Seite c = 2 geeignet wähle, ist die Dreiecksungleichung 1 + 5 > 2 erfüllt. Man wird hier von abgrundtiefer Ahnungslosigkeit förmlich überfallen. Ich würde ja davor warnen, solche Leute auf Lehramtsstudenten loszulassen, aber irgendjemand muss den Job ja machen, und bessere Leute haben wir wohl nicht.

Kommen wir nun zu Funktionen. Die werden sauber definiert:

Man hätte vielleicht schreiben können, dass man das Element, das f jedem x aus D zuordnet, mit f(x)
bezeichnet. Aber das kann man sich ja denken. Der Sprung zur Schule gelingt ebenfalls:

Plötzlich ist D keine beliebige Menge mehr, sondern wird wie Z als Teilmenge der reellen Zahlen betrachtet. Wozu die Allgemeinheit, wenn man durchweg so tut, als wäre D ein Intervall? Die Definition einer beschränkten Funktion ist, sagen wir, etwas eigenwillig:


Für gewöhnlich nennt man das nach unten bzw. nach oben beschränkt. Macht aber nichts, weil in dem Buch sowieso nichts bewiesen wird. Dafür wird modelliert und prognostiziert, was das Zeug hält:


Diese Leute verblöden Schüler und Lehrer. Man weiß nichts über die zugrunde liegenden Struktur, meint aber, aus 6 Zahlen die Zukunft vorhersagen zu können. Kabbalistik ist das, aber keine Mathematik. 

Die Krönung des Modellierens ist das Modellieren mit trigonometrischen Funktionen. Das kann Frau Barzel natürlich auch.

Der Wertebereich der trigonometrischen Funktionen ist nicht ganz getroffen. Aber halb richtig ist auch richtig. Halb richtig ist auch, dass die Sinusfunktion eine y-Koordinate ist, jedenfalls wenn man weiß, was gemeint ist. Und der Winkel identifiziert sich als Bogenmaß, zumindest manchmal.

Jedenfalls ist die Sinusfunktion periodisch, weil sie eine Periode hat. Diese lässt sich formal korrekt so definieren:

Es ist schon bitter, wenn man zum Abschreiben aus wikipedia zu doof ist. Eine Funktion heißt periodisch, wenn es ein solches T gibt. Die Periodenlänge ist definiert, falls (!) es ein kleinstes solches T > 0 gibt. Wie die konstante Funktion zeigt, muss das nicht der Fall sein.

Wir halten fest: Die Ruhelage ist eine Stelle, wird also über x-Koordinaten definiert. Aber nicht für lange:

Jetzt ist die Ruhelage eine y-Koordinate. Verwirrt? Zurecht. Es gibt keine innermathematische Definition der Ruhelage einer periodischen Funktion, und das, was Barzel da zusammenfaselt, hat mit der physikalischen Ruhelage nichts zu tun. Es ist leeres, saudummes Geschwätz.

Wer trigonometrische Funktionen hat, kann periodische Vorgänge modellieren. Etwa Ebbe und Flut. Man kann es zumindest versuchen.

Jetzt kommt der Modellierungskreislauf. Passt es?


Passt nicht. Also verändern wir das Modell oder die Realität. Frau Barzel entscheidet sich für die Veränderung der Realität:


Modell passt, nur die Wirklichkeit weigert sich, sich daran zu halten. Dass es nicht passt, liegt an Wetter und Geographie. Oder eben daran, dass man von Ebbe und Flut keine Ahnung hat und nicht weiß, dass der Mond sich einmal im Monat um die Erde dreht und folglich die Periodenlänge kein halber Tag ist. Man möchte vor Fremdscham in den Boden versinken. Die beiden ehemaligen Doktoranden, die als Ko-Autoren fungieren, können google anscheinend auch nicht bedienen. Und "umso genauer, desto mehr"  mag Vieles sein: Deutsch ist es nicht.

Niemand weiß besser als ich, dass es kaum ein Buch ohne Fehler gibt. Aber dieses Machwerk ist eine Unverschämtheit. Es wird noch nicht einmal der Versuch gemacht, irgendetwas zu verstehen, geschweige denn tiefer. Es wird nichts bewiesen, es gibt keine Algebra. Und das wirklich Schlimme: Es fällt niemandem auf. 









1 Kommentar:

  1. Es ist traurig zu sehen, wie wenig Mathematik heute von sogenannten Didaktikern gelehrt wird. Anscheinend gibt es keine fachwissenschaftlichen Ansprüche bei Publikationen dieser Leute. Die aktuellen Schulbücher passen sich dieser Entwicklung an und sind oftmals unbrauchbar. Die Macht dieser Didaktiker nimmt aber immer mehr zu und die sogenannten Bildungsstandards in Mathematik werden von einigen wenigen Didaktikern geschrieben und spotten jeder Beschreibung. Es wird dringend Zeit, dass die Fachmathematiker aller deutschen Universitäten einen weiteren Brandbrief verfassen. Ich danke Ihnen und Herrn Prof.Dr.Krötz, dass sie auf diese Missstände konsequent hinweisen. Solange keine Fachmathematiker in die entsprechenden Gremien kommen, wird sich nichts ändern. Leidtragende dieser Entwicklung sind unsere Schüler und Studenten.

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